4. Pansy auf Abwegen
Zwei Uhr nachts. Draco war noch wach. Er saß aufrecht in seinem Bett und las einen nicht besonders anspruchsvollen oder tiefsinnigen Roman eines Quidditchspielers der englischen Nationalmannschaft. Aber eigentlich versuchte er nur zu lesen.
„Merlin, wo steckt sie nur? Sie müsste sich doch mittlerweile gut genug in meinem Haus auskennen – selbst im Dunkeln …", genervt sah Draco auf die Uhr, die auf dem Schränkchen neben seinem Bett stand. Doch die Zeiger zeigten noch immer die selbe Zeit wie vor 30 Sekunden an: zwei Uhr.
Einen Moment lang spielte Draco mit dem Gedanken, das Buch bei Seite zu legen und Pansy suchen zu gehen. Vielleicht hatte sie sich ja doch im Zimmer geirrt und hatte eine der verschlossenen Kammern erwischt – die man von Innen nicht mehr öffnen konnte – oder aber sie war im vollkommen falschen Stockwerk und suchte dort vergeblich nach Dracos Schlafzimmer.
Doch der Blonde verwarf die Idee fast direkt nachdem sie ihm gekommen war. Das war doch lächerlich! Pansy wusste ganz genau, wo sich sein Gemach befand und er hatte ihr oft genug – um genau zu sein jeden Sommer, den sie bis jetzt bei den Malfoys verbracht hatte – eingetrichtert, welche Zimmer für sie absolut tabu waren. Und dazu gehörten ungefähr drei Viertel der Räume in Malfoy Manor.
„Und wenn Pansy eins ist, dann ist sie fügsam! Und vor allem bei mir", sagte Draco überzeugt zu sich selbst. Es stimmte: Pansy würde es nie wagen, sich ihrem Angebeteten Draco Malfoy zu widersetzen. Die einzige Ausnahme bildete dabei wohl „Draci", dieser unerträgliche Spitzname. Jedes weibliche Wesen, das irgendwann dem Bann des Draco Malfoy verfiel –sei es Pansy oder Narzissa- würde früher oder später jenen Namen benutzt haben, um Draco zu verniedlichen. „Ein Malfoy ist aber nicht niedlich!" Es war wie eine Seuche, die sich langsam aber sicher ausbreitete und irgendwann die ganze Welt beherrschen und Draco um den Verstand bringen würde.
Seine eigenen Gedanken jagten dem Blonden einen Schauer den Rücken hinunter. „Ganz schlechte Fantasien, ganz ganz schlechte Fantasien!", rief er sich zur Ordnung, „Granger, die mich ‚Draci' nennt! Hilfe, ich glaube ich muss mich erbrechen … oder mich selber crucio-quälen … ja, ich denke das würde dieser unerträglichen Vorstellung noch besser entsprechen …"
Was für perverse Einfälle er nur hatte … und das lag einzig und allein daran, dass Pansy nicht hier war. „Dieses Mädchen treibt mich noch in den Wahnsinn, aber nicht wegen seinem Charme, seiner Schlagfertigkeit und seinem Verstand … sondern eher wegen seiner Begriffsstutzigkeit und seiner Unzuverlässigkeit …" Draco zählte ein paar der schlechten Eigenschaften Pansys auf, obwohl er sich bewusst war, dass er sich über diese zwar aufregte, aber stören taten sie ihn nicht wirklich. Vielleicht ein bisschen, vielleicht manchmal auch mehr als nur ein bisschen … aber halt nicht so sehr, dass er Pansy wegschicken würde …
„ … seine Unpünktlichkeit …" Der junge Malfoy blickte erneut auf die Uhr. Es war zehn nach zwei. Vor vierzig Minuten hätte Pansy in seinem Zimmer sein wollen. „Wenn deine Mutter schläft", hatte sie ihm verschwörerisch zugeflüstert, „ … komm ich dich besuchen" –Kicher- „Okay, Draci? Um halb zwei."
„Pansyyyyy", dachte Draco ungeduldig, „Gleich mach ich meinen Schönheitsschlaf und dann war's das mit dem nächtlichen Besuch."
„AAAAAAAAAAAAAAAAH!"
Plötzlich ertönte ein markerschütternder Schrei, schrill und hysterisch. Er hallte schallend in den Gängen des Geschosses nach. Draco, der etwas schläfrig in seine Kissen gesunken war, saß sofort hellwach und kerzengerade in seinem Bett. Narzissa war das eindeutig nicht gewesen!
Draco schwang sich aus dem Bett, nahm seinen Zauberstab, der griffbereit auf dem Nachttisch gelegen hatte und machte sich auf die Suche nach dem Ursprung des Schreis – nach Pansy, die anscheinend irgendwo in den Gemäuern von Malfoy Manor so sehr bedroht wurde, dass sie das gesamte Haus wachkreischen musste.
„Von wegen ‚wenn deine Mutter schläft', wenn Narzissa jetzt aufgeweckt wurde, dann war's das mit den erholsamen Ferien für mich … egal … Pansy, ich rette dich!", dachte Draco sarkastisch und betrat den dunklen Flur. Schummriges Mondlicht schimmerte durch die dicken Vorhänge an einem nahe gelegenen Fenster. Der Korridor war nur schwach erhellt.
Draco horchte angestrengt – und hörte nichts. Er stand da, sein Fuß wippte ungeduldig auf und ab, seinen Zauberstab hielt er gelangweilt in der rechten Hand. „Pansy Parkinson, ein weiterer Schrei wird von Ihnen verlangt, sonst sind jegliche Rettungsversuche zwecklos", murmelte Draco seine Gedanken in die nächtliche Stille hinein.
Und als ob eine geistige Verbindung zwischen ihm und Pansy bestände, ertönte erneut ein greller Schrei. „Aaaaah!", kreischte Pansy. Sie befand sich anscheinend an einem Ort, gar nicht weit entfernt von Dracos Zimmer. Hinter irgendeiner Tür in der Nähe musste sie stecken …
„Hilfe! Draco!", rief Pansy weiter und Draco bewegte sich endlich von der Stelle. Zielsicher seinem Gehör folgend blieb er vor einer Tür stehen, die den ganzen anderen Türen auf dem Gang identisch glich. Die Ausnahme bildete das kleine silberne Schlüsselloch unter der Türklinke.
Der Raum, der sich hinter dieser Tür verbarg war ganz eindeutig einer der Räume, die Draco seiner Besucherin verboten hatte. Strengstens verboten hatte! Der Inhalt war nichts für schwache Nerven …
Seufzend öffnete Draco die Tür, die trotz Schlüsselloch nicht verschlossen war, um die Mission „Rettung" in Angriff zu nehmen.
Diese Räumlichkeit hätte wahrlich besser in die Keller und Kerker von Malfoy Manor gepasst, denn die Wände waren nicht tapeziert oder verkleidet, sondern kaltes raues Gestein bildete die Mauern. Vereinzelt leuchteten ein paar Fackeln, die alles in ein gespenstisches Licht tauchten. Die Wände waren mit seltsamen Symbolen und Runen verziert, alle in dunkelrot bis schwarzer Farbe auf den Stein gemalt. Die Schriftzeichen glichen Listen, als ob jemand über seine Opfer Buch geführt hätte und mit dem Blut jedes einzelnen seine Daten auf den Wänden verewigt hätte.
„… Pansy Parkinson, süße siebzehn Jahre, am 29. Juli mit den Worten Narzissa Malfoys um den Verstand gebracht und durch einen mit Gift versetzten Tee gestorben …", erschein eine weitere Eintragung, die ihren Ursprung in Dracos schwarzem Humor hatte, in seinen Gedanken auf der Wand.
In der Mitte des Raumes stand ein hölzerner Tisch, den man auf den ersten Blick auch nur als einen Solchen identifizieren würde. Blickte man jedoch genauer hin, erkannte man die metallnen Schnallen, die sich darauf befanden. Es war eine Streckbank. Ein einfacher Schlenker mit dem Zauberstab genügte und die Schnallen würden sich um Hand- und Fußgelenke des Opfers legen und sich fest verschließen. Und dann, ganz langsam würde die Holzbank immer länger werden, immer länger werden. Sie konnte ins Unermessliche wachsen, und derjenige, der auf ihr lag, mit ihr. Seine Knochen würden knacken, seine Haut würde sich spannen bis –
Draco wandte seinen Blick von der Streckbank ab und sah sich weiter im Raum um. Er war leer, gefährlich leer. Da ertönte ein Klopfen, Klopfen auf Metall und kurz darauf weinte Pansy wieder: „Draco, hol mich hier raus, bitteeee …" Sie wimmerte.
Erst da bemerkte Draco die mannshohe eiserne Figur, die in einer dunklen Ecke des Raumes stand. Eine eiserne Minerva. „Ob McGonagall auch so ein spritziges Innenleben hat wie diese?", grinste Draco in sich hinein. Er hatte sich den Gedanken nicht verkneifen können. Die eiserne Minerva war eine Art Sarg aus Eisen, innen mit gefährlichen, dolchartigen Sporen und Dornen versehen. Ein kleiner Stupser mit dem Zauberstab gegen die eiserne Puppe genügte schon und die Dornen im Innern schossen nach vorne, um den Gast der Minerva qualvoll zu durchbohren bis er verblutete …
„Ich bin da", meldete sich Draco schließlich zu Wort, so dass Pansy aufhörte, zu schluchzen und ein erleichtertes „Draci!", hauchte. Das alles vernahm Draco gedämpft durch das dicke Metall.
Der Junge trat näher an das Foltergerät heran und auf einmal schlich sich ein diabolisches Grinsen auf sein Gesicht. Seinen Zauberstab hatte er erhoben und gefährlich nahe auf die Statue aus Metall gerichtet. Sollte er es wagen und Pansy pieksen?
Seine Mutter würde sich nicht über das ganze Blut und die Sauerei freuen. „Was soll's …" Entschlossen stupste Draco gegen die eiserne Minerva: „Alohomora!"
Die Hälfte der Figur sprang auf und klappte wie eine Tür zur Seite. „Ein ander mal …" Pansy, mit tränenverschmiertem Gesicht, kam aus dem Sarkophag herausgewankt und ließ sich in Dracos Arme fallen.
„Ja ja, ich weiß, ich bin dein Retter!", dachte Draco ironisch und strich Pansy über den Rücken. „Mein Retter", offenbarte Pansy ihm mit verheulter theatralischer Stimme. Sie drückte sich noch enger an seinen Körper und schmiegte ihre Wange an seine Brust, da stieg Draco ein äußerst unangenehmer Geruch in die Nase.
Es roch nach verdorbenem Fleisch und Verwesung. Draco schnüffelte an Pansys dunklen Haaren. Der abscheuliche Gestank nach Fäule wurde noch intensiver, so dass Draco sofort seine Nase von Pansys Haaren nahm. „Wann bei Merlin hat sich dieses Weib das letzte Mal gewaschen?"
Pansy hob ihren Kopf von seiner Brust und blickte ihn erstaunt an. „Du hast an meinen Haaren gerochen", stellte sie fest. Alle Angst war aus ihrer Stimme gewichen. Sie hörte sich eher erfreut an. „Ja", murrte Draco. „Und ich kann nicht gerade behaupten, dass es ein erquickendes Erlebnis war", wollte er gerade noch hinzufügen, als Pansy verschwörerisch sagte: „Du weißt was das bedeutet, Draci?" Draco blickte das Mädchen verständnislos an. „Jungs", seufzte Pansy und verdrehte die Augen, „Steht doch in jeder Ausgabe der Hexenwoche", und sie zitierte mit Kennermiene: „Riecht der Mann an der Haarpracht einer Frau, so ist er komplett von ihr verzaubert, sehnt sich nach ihrer Zuneigung und ihren Küssen … nicht, dass ich das nicht schon vorher wusste, aber … Draci, das ist so süß von dir!" Sie lächelte entzückt und wollte ihm gerade einen Kuss aufdrücken, als Draco sich räusperte.
„Ehm, nein Pansy, dein Haar riecht weder nach Zauber noch nach sonst irgendetwas Süßem", klärte er die Slytherin auf, „sondern eher … oder ziemlich genau nach vergammelter Ziege." Er wies auf den Kopf eines Ziegenbocks, der in der eisernen Minerva hing und die ganze Zeit, während der Pansy in dem eisernen Gehäuse eingeschlossen gewesen war, sich über ihr befunden hatte. Pansys Kehle entglitt ein schockierter Schrei.
Das Fell am Hals des Tierkopfes war von getrocknetem Blut gesäumt, die Augen boten keinen schönen Anblick, genauso wenig die Zunge, die aus dem Maul des Bockes hervorlugte. Pansy schaute erneut das tote Tier an und verlief daraufhin fluchtartig den Raum.
Draco seufzte, schloss die Tür der eisernen Minerva in der Hoffnung, der übelkeiterregende Gestank ließ sich wegsperren und folgte Pansy. Diese stand völlig aufgelöst auf dem Flur, sie sah lang nicht mehr so hergerichtet wie am Tage aus, sondern erschöpft und mit den Nerven am Ende. „Was war das für ein … ein Kerker?", zeterte sie.
„Nun, habe ich dir nicht von der Vorliebe für rustikale Möbel meines Vaters erzählt", entgegnete Draco nüchtern. „Und der Vorliebe für mittelalterliche Folterinstrumente und Tieropfer", vervollständigte er in Gedanken und amüsierte sich über Pansys entsetzten Gesichtsausdruck. „Nein?" erwiderte Pansy hysterisch. „Überhaupt", fiel Draco wieder ein, „was hattest du eigentlich darin zu suchen? Der Raum war für dich untersagt, schon vergessen?" Er schaute das Mädchen streng an, wie es ein Lehrer tun würde.
Pansy sah betreten zu Boden und murmelte etwas von: „Hab mich im Zimmer geirrt … dachte es wäre einer dieser Massage-und-Sauna-Schränke … hab in der Hexenwoche davon gelesen …" Darüber konnte Draco nur den Kopf schütteln, er war zu müde, um noch weiter zu diskutieren. Glücklicherweise war seine Mutter die ganze Zeit über nicht wach geworden, sie hatte wohl einen Schlaftrank getrunken, so nahm der Blonde Pansy an der Hand und ging mit ihr in sein Zimmer, um auch ja sicher zu gehen, dass sie nicht wieder auf Abwege kam.
In seinem Gemach ließ sich Draco erleichtert in sein Bett fallen, das ihn einladend angelacht hatte. Er streckte sich genüsslich. „Ich hoffe, das war 'ne einmalige Aktion, Pan' ", murmelte er und spürte immer mehr die Müdigkeit. „Ja", meinte Pansy kleinlaut und wollte sich zu ihm ins Bett legen, doch Draco schüttelte energisch den Kopf. „Kommt nicht in Frage, zuerst gehst du duschen, dann darfst du in mein Bett", befahl er ihr und zeigte auf die Tür zum Badezimmer.
Pansy blickte traurig drein. „Willst du nicht mitkommen, Draci?", fragte sie und versuchte einen verführerischen Ton in ihrer Stimme mitschwingen zu lassen. Draco hatte schon längst die Augen geschlossen und döste vor sich hin. „Nein", brummte er zur Antwort. „Pansy Ziegenbock Parkinson", war die Antwort in seinem Kopf.
Das Rauschen der Dusche ertönte und das Plätschern des Wassers machte Draco noch schläfriger. Er kroch unter seine Decke und kuschelte sich in die Kissen. Pansy drehte das Wasser ab und kam nach einigen Minuten wieder aus dem Bad. Draco merkte nicht, dass sie nackt war, er befand sich schon im Halbschlaf. „Ich nehm mir was von dir, okay, Daci? Meine Sachen stinken so", richtete sich Pansy an Draco, doch der murmelte nur etwas Unverständliches.
Draco hätte Pansy sämtliche Hörner gekürzt, wenn er mitbekommen hätte, wie sie in seinem Schrank kramte, doch sie hatte keine Hörner und er lag dösend in den Polstern. Er tat dies immer noch, als Pansy zu ihm unter die Decke kam. Auch im Halbschlaf musste Draco sich eingestehen, dass man mit einer hübschen Frau im Arm schon viel besser im Bett lag.
Pansy kuschelte sich an ihn und murmelte zufrieden: „Draci, du bist mein Retter, mein Held …"
„Mein Held?", dachte Draco noch, „Ich verbitte mir dieses Gryffindor-Potter-Niveau!"
A/N: Ein müder Draco ist entweder unausstehlich oder sanft gestimmt, ich hab mich für Möglichkeit 2 entschieden, ich hoffe, ihr nehmt's mir nicht übel.
