Bulgarischer Sommer

+ Tag 1 +

Das Flugzeug setzte unsanft an einem späten Montagnachmittag auf und Minuten später trat Hermine in die Halle des riesigen Terminals in Sofia, Bulgariens Hauptstadt.

Sie hatte Viktor in einem zweiten Brief geschrieben, sie würde auf Muggelart nach Bulgarien kommen, mit dem Flugzeug.

Hermine stand unsicher mit einem Rucksack und einem Koffer im Terminal und hielt Ausschau nach Viktor, der versprach, sie abholen zu kommen. Ein wenig ängstlich war sie schon, in diesem fremden Land allein zu sein. Und worüber sollte sie eigentlich mit Viktor sprechen? Er hatte während des Trimagische Turniers im vierten Jahr auch nicht viel gesprochen. Wie dumm von mir, dachte Hermine erschüttert, ich hätte besser darüber nachdenken sollen. Wie gut, dass sie ein paar Bücher eingepackt hatte.

Während sie so verloren dastand und nachdachte, bemerkte sie gar nicht den jungen Mann, der mit einem Lächeln auf sie zukam.

„Her-minne?" Sie wurde förmlich aus ihren Gedanken gerissen und als sie ihn erkannte, war die Freude groß.

„Viktor!" Sie fiel ihm stürmisch in die Arme. Nein, auf den ersten Blick hätte sie ihn nicht erkannt. Seine Haare waren etwas länger als sie diese in Erinnerung hatte. Und – was ihr während der Umarmung auffiel – er war um einiges durchtrainierter.

„Es ist schön dich wieder zu sehe", sagte er lächelnd, und hielt Hermine auf Armeslänge von sich. Viktors Augen leuchteten, was ihr ein leichtes Kribbeln bescherte. Hermine schob es auf die Wiedersehensfreude.

„Ist das deine Gepäck?" fragte er und deutete auf ihren Koffer.

„Ja. – Aber…" erwiderte sie, als er sofort ihren Koffer nahm. Sie wollte ganz sicherlich nicht, dass er das tat. Aber Widerstand schien zwecklos zu sein.

„Kein aber. Wie sieht das denn aus, wenn ich nebe dir herlaufe, und du den schwere Koffer trägst?" Hermine sagte nichts. Außerdem war sie sich sicher, dass sie gerade seinen Zauberstab gesehen und Viktor „Wingardium Leviosa" hat murmeln hören. Um nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen, hielt Viktor den Griff des Koffers fest.

Sie verließen das Flughafengebäude und kamen auf eine belebte Straße. Die Hitze traf sie wie ein Schlag ins Gesicht und ließ sie für einen Moment taumeln.

„Alles in Ordnung? Man muss sich erst an die Wärme gewöhne", sagte er und warf einen raschen, aber besorgten Blick zu Hermine.

„Nun… hattest du – wie sagt man? – eine gute Flug?" erkundigte sie Viktor und Hermine nickte nur. „Ja. Ich konnte ein wenig Musik hören und schlafen. In letzter Zeit bin ich sehr müde…"

„Kann ich verstehe. Die letzten Wochen müsse sehr anstrengend für dich gewese sein."

„Ja. Aber lass uns jetzt nicht darüber sprechen. Wohnst du eigentlich weit von hier?", fragte sie, nachdem sie schon einige Minuten gelaufen waren.

„Hmm. Ich wohne mehr südlich in Bulgarien."

„Oh. Dann hattest du aber einen weiten Weg, oder?" Hermine fühlte sich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass Viktor den weiten Weg nur ihretwegen gemacht hatte. Doch Viktor grinste sie nur an.

„Keine Sorge, wir sind bald da. Wir appariere einfach." Und schon bogen sie in eine stille Seitenstraße ein.

„Und hier kommt auch ganz bestimmt niemand vorbei?"

„Nein. Die Straße wurde mit einem starke Muggelabwehrzauber belegt. Hier bleibe wir unentdeckt." Wie um seine Worte zu bestärken, apparierte plötzlich ein Zauberer neben ihnen. Doch er beachtete die beiden gar nicht und ging schnell Richtung Hauptstraße.

„Also: Bist du bereit?" fragte Viktor und Hermine nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf.

„Ich weiß doch gar nicht, wohin ich apparieren soll."

„Gutt, dann musst du dich an mir festhalte." Er hielt ihr einen Arm hin, den sie auch gleich ergriff. Es dauerte nicht lange, da spürte Hermine unheimliche Kräfte auf sich einwirken. Tatsächlich fühlte es sich an, als würde sie durch etwas sehr enges, sehr schnell gezogen. Alles wurde schwarz um sie herum. Aus Angst sie würde hier irgendwo stecken bleiben, hielt sie sich noch fester an Viktor. Und dann ganz plötzlich war alles vorbei und sie standen in einem hübschen Garten hinter einem großen weißen Haus.

„S-sind wir schon da?" fragte Hermine erschrocken. Apparieren war zwar äußerst nützlich, doch nicht gerade Hermines Ding.

„Ja. Hier wohne ich. Noch." Dann räusperte sich Viktor leise und meinte, sie könne ihn nun loslassen.

„'Tschuldige", murmelte Hermine und wurde ein wenig rot im Gesicht. „Was meinst du mit ‚Noch'?", fragte sie nun, um von sich abzulenken.

„Ich ziehe aus. Eine Wohnung habe ich schon, aber sie muss noch renoviert und möbliert werde." Hermine sah ihn mit großen Augen an, doch ehe sie etwas sagen konnte sprach er weiter.

„Komm, wir gehe ins Haus."

Hermine nickte nur, und folgte ihm durch die Terrassentür direkt ins Wohnzimmer. Hermine staunte. Alles in diesem Raum wirkte hell und freundlich. Und es war angenehm kühl.

„Ich zeige dir dein Zimmer", sagte Viktor und ging voraus. Hermine folgte ihm die Treppe herauf.

„Meine Eltern schlafe unten, hier oben sind nur die Gästezimmer und mein Zimmer eben. Das Bad ist hier", er deutete auf eine Tür und ging weiter.

„Hier", er deutete auf eine weitere Tür und öffnete sie. „Hier schläfst du." Viktor bemerkte, dass er sich sehr gebieterisch anhörte und fügte noch schnell ein „Wenn es dir nicht gefällt, kannst du dir ein anderes Zimmer aussuchen" hinzu. Hermine lächelte.

„Nein. Das hier ist schön. Danke." Es war in der Tat sehr schön. Parallel zum Fenster stand ein großes Bett mit Baldachin.

Erinnerungen an Hogwarts stiegen in ihr auf.

„Gutt. Ehm… wenn was ist, mein Zimmer ist hier", er zeigte auf die gegenüberliegende Tür. „Du möchtest sicherlich erst mal auspacke, richtig?"

„Ja…" Viktor ging in das Zimmer und legte ihren Koffer vorsichtig aufs Bett. Bevor er ging, wandte er sich noch mal an sie: „Meine Eltern komme erst heute Abend wieder. Wir könnte bis dahin noch etwas unternehme?" Viktor versuchte sie nicht allzu hoffnungsvoll anzusehen, doch gelang es ihm kaum.

Hermine hingegen lächelte und nickte stumm.

„Ehm… gutt. Ich geh dann mal."

Die Tür schloss sich und anstatt ihren Koffer auszupacken, sah sie sich im Zimmer um.

Später.

Es klopfte an ihrer Tür. „Kann ich reinkomme?"

„Ja."

„Bist du fertig?"

„Hmm. Viktor, kann ich dich etwas fragen?"

„Natürlich. Was ist denn?"

„Das Haus ist wirklich wunderschön… aber es sieht ganz und gar nicht danach aus, als ob hier Zauberer wohnen würden." Sie dachte dabei an den Fuchsbau, was ihre Definition nach einem Zaubererhaus war. Viktor grinste.

„Meine Mutter ist ein Muggel. Sie wollte gerne alles so normal wie möglich habe. Obwohl, ich glaube sie wünschte sich manchmal auch zaubern zu können." Er lachte.

„Das wusste ich ja gar nicht… und was macht dein Vater?"

„Er arbeitet in unserem Ministerium. Wie fast alle Zauberer hier in der Gegend."

„Ah… so ähnlich wie bei uns."

Viktor und Hermine standen sich eine Weile stumm gegenüber. Ihr kam in den Sinn, ob er vielleicht da weitermachen wollte, wo sie damals aufgehört hatten. Aber nein, eigentlich glaubte sie das nicht. Es war ein Abschiedskuss und hatte doch wohl kaum eine andere Bedeutung. – Oder? Und doch fiel es ihr gerade jetzt wieder ein.

„Oh, entschuldige bitte. Du musst hungrig sein, oder? Lass uns in die Küche gehe, ich mach uns was zu Esse."

In der Küche fischte Viktor aus einem Schrank eine Tüte Nudeln und irgendwo anders fand er eine Tomatensoße, die nur noch warm gemacht werden musste. Er schwang ein paar Mal den Zauberstab und das Essen kochte sich selbst. Zauberei war klasse.

Hermine schaute sich in Ruhe um. An dem Kühlschrank sah sie eine Reihe von Fotos. Auf jedem war Viktor zu sehen, der entweder winkte oder hin und her flog.

„Meine Mum liebt Fotos", erklärte Viktor, der nun dicht hinter ihr stand. „Ich glaube, dass ist auch das Einzige, was sie an der Zauberei vergöttert: dass sich die Fotografierten bewege."

„Spielst du noch Quidditch?" fragte Hermine, als ihr Blick auf ein Foto fiel, das wohl bei der Weltmeisterschaft aufgenommen wurde. Sie erkannte das Stadion auf dem Bild wieder.

„Ja. Übermorge habe wir noch ein Freundschaftsspiel gege Norwege. Danach wolle wir noch mit den andere Spieler feiern gehe. Und…" Viktors Stimme nahm einen unsicheren Klang an, „Und Freunde und Familie sind eingelade. Meine Eltern habe keine Zeit, da dachte ich, wenn du…?"

„Oh ich würde dich gerne begleiten!" Hermine drehte sich mit einem Mal um und strahlte ihn überwältigt an. Viktor fiel ein Stein vom Herzen. Ihm fiel es immer noch nicht leicht, Hermine zu fragen, ihn zu irgendetwas zu begleiten. Das war schon beim Weihnachtsball so gewesen, wo er mehrere Anläufe brauchte. Es war ihm nur vom Vorteil, dass Hermine ihm den Rücken zugewandt hatte, als er sie eben fragte. Im Prinzip war es ja ganz einfach, doch immer wenn Hermine ihn mit ihren großen braunen Augen ansah, verschlug es ihm die Sprache. Wie gerade jetzt.

„Alles in Ordnung?" fragte ihn Hermine und riss Viktor aus seinen Gedanken. Er nickte und wandte sich wieder dem Herd zu, um zu schauen, was die Nudeln machten.

Ein wenig wunderte sich Hermine schon über Viktor. Immer dann wenn sie glaubte, er wolle ihr noch etwas sagen, drehte er um und schlug eine völlig andere Richtung ein. Sie seufzte leise und schaute sich noch mal die Fotos an. Eines gefiel ihr besonders gut. Es zeigte Viktor, wie er konzentriert über ein Buch gebeugt war.

Hermine hörte Teller klappern und sah, dass Viktor bereits den Tisch deckte.

„Hey, das kann ich doch machen. Du hast dich schon ums Essen gekümmert." Wortlos überreichte Viktor ihr das Geschirr und sagte ihr noch, wo sie das Besteck finden würde. Kurze Zeit später saßen beide still am Küchentisch.

Und zogen dann ins Wohnzimmer um, um dort Fernseh zu schauen. Jeder mit einem Teller voll Nudeln und Tomatensoße bewaffnet, machten sie es sich auf dem Sofa bequem und sahen eine bulgarische Talkshow. Hermine verstand kein einziges Wort. Viktor schien sich allerdings köstlich über ihre Gesichtsausdrücke zu amüsieren.

„Tutt mir leid", sagte er verschmitzt. „Soll ich es dir übersetze?"

„Worüber reden die denn?"

„Krise in Beziehung… oder so ähnlich."

„Oh… ach, lass doch. Es hört sich lustig an wenn sie so schnell bulgarisch reden." Hermine machte eine Pause ehe sie weiter sprach. „Sprichst du auch so schnell, wenn du bulgarisch sprichst? Ich meine, es hört sich an, als ob sich ihre Stimme überschlagen würde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das bei dir genauso anhört…" Viktor zog eine Augenbraue hoch. Entschuldigend sprach Hermine schnell weiter. „Es ist nur… ich habe dich noch nie in deiner Sprache sprechen hören."

„Würdest du denn gerne?" Begeistert nickte Hermine mit ihrem hübschen Kopf und wandte sich Viktor interessiert zu.

Nein, dachte er, sieh mich nicht so an…

Fasziniert hörte Hermine ihm zu, wie er etwas in seiner Sprache sagte. Sie wusste nicht, was es bedeuten sollte, doch es klang für sie wunderschön und gar nicht so hektisch wie im Fernsehen.

„Was heißt das? Was hast du gerade gesagt?" fragte sie ihn nun, da er anscheinend geendet hatte. Viktors Ohren wurden ganz heiß. Wie sollte er ihr erklären, dass er ihr gerade gestand, wie wunderschön er sie fand; dass es während der letzten Jahre nur sie für ihn gab und er an keine Andere denken konnte? Nein. Es war damals schon schwer genug ihr zu sagen, dass er noch nie zuvor für jemanden derartiges empfunden hatte, wie für Hermine.

Er könnte ihr jetzt irgendetwas sagen, irgendetwas… Wetter? Ja, Wetter klang gut. Doch ehe er zum Sprechen ansetzen konnte, hörten sie die Haustür auf- und zugehen.

„Oh, Mum und Dad sind zurück. Warte hier." Damit stand er auf und lief Richtung Haustür. Hermine hörte wie er sich mit jemand im schnellen bulgarisch unterhielt und fand, dass es nun gar nicht mehr so schön anhörte wie vorhin. Was hatte er ihr erzählt?

Dann, mit einem Mal, kam ein großer älterer Mann ins Wohnzimmer und breitete seine Arme aus.

„Hrerzlich Willkomme in unsere Land!" polterte er freudig los. Schnell stand Hermine auf und warf Viktor einen kurzen Blick zu, der ihr andeutete, es seinem Vater gleich zu tun. So umarmte sein Vater Hermine und klopfte ihr ein paar Mal kräftig auf den Rücken, wobei ihr fast die Luft wegblieb.

„Sergej, sei doch nicht so brutal! Du erschreckst das arme Mädchen noch!" schimpfte eine weibliche Stimme im akzentfreien Englisch. Viktors Mum erschien plötzlich neben Hermine und lächelte sie freundlich an.

„Du bist also Hermine. Viktor hat schon so viel von dir erzählt, dass wir fast das Gefühl haben, dich zu kennen", sagte sie freundlich und in diesen Moment war nicht auszumachen, wessen Gesicht schneller rot anlief: Viktors oder Hermines.

„Mum!" murmelte Viktor empört.

„Hach, ich sag ja schon gar nichts. Habt ihr schon gegessen? Ja? Oh, na gut. Dann würde ich sagen, könnt ihr nach oben gehen. Ihr habt euch doch bestimmt Unmengen zu erzählen. Oder liege ich da falsch?"

Viktor und Hermine gingen in sein Zimmer und sie war glücklich darüber, dass er die Tür aufließ. Es hätte ihr auch nichts ausgemacht, wenn er sie geschlossen hätte. Doch so… war es für sie angenehmer und entspannter. Sie wusste nicht genau, warum sie es so empfand, doch fiel es ihr so leichter, mit ihm in einem kleinen Raum zu sein.

„Deine Mum spricht ziemlich gut Englisch."

„Ja. Sie hatte studiert, Englisch und Philosophie."

„Das wusste ich gar nicht." Hermine wurde bewusst, wie wenig sie im Grunde über Viktor und seine Familie wusste.

Viktor schwang seinen Zauberstab und irgendwo sprang ein CD Player an. Ein leises Surren war zu hören, dann dröhnte laute Rockmusik durch die Lautsprecher.

„Entschuldige, du möchtest sicherlich etwas anderes höre?"

„Nein, lass ruhig." Und im gleichen Moment bereute sie ihre Entscheidung. Viktor regulierte die Lautstärke so, dass sie sich normal unterhalten konnten.

Hermine sah sich schnell in seinem Zimmer um. In einer Ecke stand ein Tisch mit zwei Stühlen, an einer Wand ein Kleiderschrank mit Fernseher. Gegenüber davon war sein Bett und auf einem Regal entdeckte sie einige Bücher. Die Titel konnte sie nicht lesen, da alles in kyrillischer Schrift geschrieben war.

„Setz dich, wenn du magst" und sie setzte sich auf sein Bett. Anstatt sich neben sie zu setzen, holte sich Viktor einen Stuhl und setzte sich ihr schräg gegenüber.

Unvermittelt fragte Hermine ihn noch einmal, was er vorhin zu ihr gesagt hatte.

„Wetter!" schoss es aus ihm heraus. „Ich… ehm… habe gesagt, dass das Wetter hier im Süden Bulgariens sehr schön sei." Hermine nickte bedächtig.

„Ich glaub' dir nicht. Aber egal. Vielleicht… sagst du es mir irgendwann?" Nein, es klang nicht beleidigt. Auch nicht enttäuscht. Es war lediglich eine nüchterne Feststellung ihrerseits.

Draußen wurde es bereits dunkel und als Hermine auf ihre Uhr schaute, zeigte diese bereits zehn an.

„Bist du mir böse, wenn ich jetzt schlafen gehe? Der Flug hat ganz schön reingehauen und ich fühle mich jetzt wirklich so, als könnte ich 'ne Mütze voll Schlaf gebrauchen."

„Natürlich. Wenn etwas ist, dann ruf mich."

„Mach ich." Sie lächelt matt und wünschte ihm eine gute Nacht.

„Dir auch eine gute Nacht" rief er ihr hinterher, als sie die Tür schon erreicht hatte. Hermine nickte ihm lächelnd zu und verschwand in ihrem eigenen Zimmer.

„Und träume etwas Schönes…", fügte er leise seufzend hinzu.