Eine Woche später waren die Undercover Cops erfolgreich in ihre ‚Rollen' geschlüpft und mitten in den Ermittlungen. Oder mehr am Anfang ihrer Ermittlungen, denn wirklich besonders viel konnten sie bis jetzt noch nicht für sich verbuchen. Es war ziemlich schwierig mit jemandem zusammen zu arbeiten der keinesfalls auf Kooperation jeglicher Art aus war. Mit Hanson zumindest. Mit Penhall verstand sich Valens einwandfrei.

Wenigstens taten die beiden vermeintlichen Studenten während der Vorlesungen so als kannten sie sich nicht. Was die Arbeit zwar um einiges erleichterte, Hanson andererseits kaum Möglichkeiten gab mit der jungen Polizistin zu reden. Während Penhall also Assistent spielte und mit Dr. Hojo auf dem Podium stand und sich schwer abmühte den Kunstkenner zu spielen, waren Hanson und Valens jeweils in einer anderen Gruppe von Jugendlichen unter den Zuhörern. Und während der jungen Frau Kunst offenbar sehr gefiel (das ‚Sehr schade' vor einer Woche hätte ihn eigentlich darauf aufmerksam machen müssen – warum hatte Fuller eigentlich nicht sie beauftragt die Assistentin zu spielen?) hatte Tom alle Mühe seine Augen offen zu halten. Wer interessierte sich schon für ein paar Kleckse Farbe auf einer Leinwand? Und das war Kunst? Das konnte er nicht (und wollte er auch nicht) nachvollziehen.

Auch Doug erging es nicht viel anders. Je länger er sich mit Kunst und Kultur beschäftigen musste, desto mehr hingen ihm Maler und Wissenschaftler der Kulturwissenschaften (mit anderen Worten Dr. Hojo) zum Halse raus.

„Der Typ ist ein totaler Langweiler! Redet über nichts anderes als seine Bilder und wie ‚kunstvoll' sie doch sind! Wenn er überhaupt redet! Es ist eine Zumutung ihm zuzuhören! Außerdem hat er einen extrem ausgeprägten Fall von Paranoia", lästerte Penhall deswegen bei der nächsten Besprechung des Falles im Hauptquartier. Er, Hanson, Valens und Fuller saßen am großen Tisch in der ansonsten menschenleeren Kapelle. Ioki und Hoffs hatten sich schon lange aus dem Staub gemacht; Judy hatte ein Date mit irgend einem Typen, dessen Namen Doug sich nicht gemerkt hatte und Ioki war vermutlich zu Hause und schlief sich aus; Er hatte am Vorabend bis spät in die Nacht gearbeitet und war heute dafür früher gegangen. Jetzt wäre Penhall gerne an seiner Stelle; aber dann würde er nicht bei diesen Sitzungen versauern sondern tagsüber wieder in der Kapelle gefangen sein und den ganzen Tag lang telefonieren um Informationen zu beschaffen und was sonst noch.

„Penhall, wenn Sie nichts Produktives zu sagen haben, sagen Sie besser gar nichts", mahnte Captain Fuller ihn mit ernstem Blick. Doug schüttelte den Kopf ungläubig, blieb aber dennoch still und sah zu Hanson, der sich in seinem Stuhl zurücklehnte und die Arme hinter dem Kopf verschränkte.

„Bei mir hat sich bis jetzt nicht viel getan", sagte Hanson und starrte niedergeschlagen an die hohe Decke der ehemaligen Kapelle. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Valens – schon die ganze Sitzung hindurch wohl bemerkt.

Die Situation mit ihr frustrierte ihn. Bis auf die wenigen ausschließlich auf den Fall bezogenen Worte hatten sie kaum miteinander geredet. Luna wich ihm immer aus – ein weiteres Argument endlich mit ihr zu reden, denn soweit Hanson sich erinnerte hatte sie keinerlei Grund dafür. Aber zurück zum Fall… „Dieser Taylor Matthews", fuhr er fort und ließ den Blick von der Decke zu den anderen wandern. „Das letzte Opfer-"

„Vorletzte", unterbrach Valens ihn. Hanson verdrehte die Augen. „Der letzte Überfall hat mit einem Mord geendet, solltest du dich nicht daran erinnern. Lucy Carlson."

Tom runzelte nachdenklich die Stirn, dies aber weniger wegen dem was sie gesagt hatte, sondern wie. Ihr spießiger Ton war kaum zu überhören. „Das weiß ich noch. Trotzdem danke", sagte er halbernst.

„Wollte nur sichergehen", sagte sie mit einem Schulterzucken. Oh, jetzt war sie auch noch eingeschnappt! Konnte es besser werden? Hanson wollte gerade etwas darauf erwidern aber Fuller hob ermahnend die Hand und sagte: „Können wir wieder auf das eigentlich Thema kommen?" Mit einer Handbewegung forderte er Hanson auf, weiter zu reden.

„Also Taylor, das vorletzte Opfer", betonte dieser und warf Luna einen Blick zu. „Als ich ihn das erste Mal nach dem Überfall fragte meinte er, dass die Verletzungen an seinen Armen und am Kopf von einem Metallrohr oder ähnlichem sind. Soweit so gut. Aber: Er meinte auch, er wäre mit einer Pistole bedroht worden. Sagte, sie wäre ihm an die Stirn gehalten worden."

Fuller nickte. „Das steht im offiziellen Polizeibericht. Weshalb sich die Frage aufwirft…"

„Wenn er die Pistole an die Stirn gehalten bekommen hat, wieso konnte er der Polizei nicht sagen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann als Täter handelte?" vervollständigte Hanson. „Das hat uns erst das letzte Opfer", wieder ein dezenter Blick in Richtung Luna, „gesagt, ehe sie im Krankenhaus ihren Verletzungen unterlag. Und als ich Taylor ein zweites Mal gefragt habe hat er die Pistole nicht mehr erwähnt", sagte Tom.

Doug nickte – er wusste worauf Hanson hinaus wollte. „Wenn ich Taylor wäre, ich würde damit prahlen, mit einer Pistole bedroht worden und heil davongekommen zu sein. Nichts sieht erbärmlicher aus, als ohne Waffe bedroht zu werden und trotzdem nichts dagegen machen zu können. Noch dazu von einer Frau. Also bau ich den Überfall etwas aus", versetzte Penhall sich in das Opfer namens Taylor.

Fuller sah nachdenklich auf die Polizeiberichte auf dem Tisch, die die Aussagen der Opfer beinhalteten. „Wollen Sie darauf hinaus, dass es nie eine Pistole gegeben hat? Bei diesem Überfall zumindest?"

Hanson nickte. „Ich halte Taylor für einen Maulaufreißer. Große Worte, nichts dahinter. Wäre ihm zuzutrauen, der Polizei eine abenteuerliche Version des wahren Geschehens aufzutischen. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, dass er mehr weiß als er sagt."

Valens nahm die Polizeiberichte und blätterte sie fürsorglich, aber hastig, durch. „Dem kann ich mich nur anschließen"; begann sie mit ihrem Bericht. Sie legte die Akten wieder auf den Tisch und deutete mit den Fingern auf verschiedene Stellen in den Dokumenten. „In meiner Gruppe befindet sich niemand Geringerer als Jerry Brucks, Opfer Nummero Uno. Der einzige, der ohne körperliche Schäden aus der Sache raus gekommen ist. Jerry ist der Typ, von dem Taylor vermutlich sein hirnloses Getue abkuckt. Aber weil Jerry leider auf ‚unnahbar' macht, konnte ich ihn noch nicht genauer unter die Lupe nehmen. Jedenfalls hab ich mich ein bisschen schlau gemacht und bei Susan und Miranda bin ich auf etwas Interessantes gestoßen. Die zwei sind zwar Plappermäuler, lästern gern und sind nicht wirklich die ehrlichsten, aber-"

Drei Augenpaare starrten gelangweilt Löcher in ihren Kopf. Luna räusperte sich. „Wie dem auch sei, Jerry hat beiden Mädchen jeweils eine andere Geschichte aufgetischt. Im offiziellen Bericht steht ebenfalls etwas von einer Pistole. In Susans Version war es ein Messer, in Mirandas gab es überhaupt keine Waffe. Ernsthaft, die Mädchen sollten öfters Zeitung lesen und nicht jeden Mist glauben…"

„Und du solltest einmal nach Luft schnappen", sagte Doug erstaunt. In einem solchen Redeschwall hatte noch niemand der Anwesenden die junge Polizistin gesehen. Aber niemand war weniger erstaunt darüber als Hanson. So kannte er sie noch von früher… Weswegen er sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte.

Valens sah Doug trotzig an, dann lehnte sie sich zurück und maß Fuller mit einem erwartenden Blick. Dieser überlegte eine Weile und schaute sich die Polizeiberichte an. „Mal angenommen, es gibt in beiden Fällen tatsächlich keine Pistole", begann er schließlich. „und die Jungs haben der Polizei einen Bären aufgebunden. Taylors Verletzungen waren auf jeden Fall einmal echt."

„Was wiederum die Frage aufwirft, ob es eine Verbindung zwischen Täter und Opfer gibt", fiel Doug in die Überlegungen mit ein. „Eine Verbindung zwischen den vier Opfern ist klar – sie alle sind", Doug erinnerte sich an Valens Kommentar zu Opfer Nummer vier und korrigierte sich schnell, „beziehungsweise waren Kunststudenten. Sie waren alle in ihrem letzten Semester, und sie haben zur gleichen Zeit dieselbe Vorlesung besucht. Zumindest weiß jeder, wer der andere ist."

„Brucks ist in meinen Augen im Moment Verdächtiger Nummer eins", fuhr Valens fort. „Taylor scheint entweder ein großer Angeber für die dümmsten Sachen zu sein, oder er weiß mehr als er zu wissen vorgibt. Bleibt also nur noch Corey Demoir, da Lucy Carlson ja nicht mehr für Fragen verfügbar ist", sagte sie mit düsterer Miene, von der Hanson nicht wusste wem sie galt; der Tatsache, dass ein Mädchen wegen Lernnotizen sterben musste, oder dass Luna ihr keine Fragen zum Fall mehr stellen konnte.

Aber so kalt war sie doch nicht, schlussfolgerte Tom. Zumindest konnte er es sich nicht vorstellen. „Hoffen wir mal, dass Jude sie bald ausfindig machen kann", meinte er und seufzte.

Corey Demoir war kurz nach dem Überfall auf sie spurlos verschwunden. Die Polizei schloss eine Entführung jedoch aus, da die Täterin bekommen hatte was sie wollte und Corey vor ihrem Verschwinden noch im Studentenheim gesehen worden war. Außerdem war die Zeit zwischen diesem und dem vorerst letzten Überfall zu gering, als dass eine Entführung hätte durchgezogen werden können. Es sei denn die Täterin war nicht alleine am Handwerk… Seltsam war auch, dass niemand auf der Uni sie zu kennen schien, also nicht nah genug um wirklich Auskunft über sie geben zu können. Weiters konnte niemand das Vorhandensein von Verletzungen bestätigen. Doug hatte auf Fullers Befehl hin den guten Professor noch nicht genauer über seine Studenten befragt, aber vielleicht würde ihnen gerade das zu einer weiteren Spur verhelfen. Sie saßen in der Sackgasse!

Als hätte Doug seine Gedanken gelesen tat sein Partner genau diese Überlegungen kund. Fuller überlegte einen Moment, dann sagte er: „Penhall, Sie versuchen aus dem Professor so viel wie möglich über Ms. Demoir herauszubekommen. Es hat keinen Sinn, das noch länger aufzuschieben."

Doug nickte und seufzte theatralisch. „Werde ich, aber der Professor macht es einem nicht gerade leicht, eine normale Unterhaltung mit ihm zu führen."

Zu Hanson und Valens gewandt sagte Fuller: „Und ihr fragt noch mal in euren Gruppen nach. Es ist unmöglich, dass niemand sie besser zu kennen scheint. Irgendjemand verheimlicht uns etwas, aber wir werden denjenigen schon zum Singen bringen…"