„Ms. Demoir?" sagte der Professor nach der Vorlesung. Doug, der heilfroh war, dass er eine kleine Pause hatte ehe er sich mit Dr. Hojo zu einer Besprechung verabredet hatte, sah augenblicklich von seinen Notizen (Gekritzel) auf. Er beobachtete neugierig wie die attraktive Studentin auf das Podium zukam.

„Ja, Professor?" fragte sie höflich lächelnd. Sie neigte den Kopf zur Seite und tauschte einen kurzen Blick mit Doug, den der Undercover Cop nicht recht deuten konnte. War was passiert?

„Da Sie Ihre Unterlagen verloren haben, werden Sie wahrscheinlich bei Ihrer Diplomarbeit kaum vorankommen, richtig?" fragte der Professor gutmütig. Corey schien eine seiner Lieblingsstudenten zu sein. „Deswegen biete ich Ihnen an, heute Nachmittag in mein Büro zu kommen, dann können wir die Arbeit noch einmal durchgehen und den gestohlenen Stoff weitestgehend aufbereiten. Wenn Sie wollen, natürlich", sagte Dr. Hojo. Dann sah sich der Professor im Hörsaal um, als würde er sichergehen wollen, dass die anderen Studenten das nicht mitbekamen. Ansonsten hätte er wahrscheinlich mit Brucks und Matthews dasselbe machen müssen. Und auf die zwei schien er nicht gerade erpicht zu sein, konnte man Coreys Worten Glauben schenken.

Der Blick des Professors blieb auf Doug hängen. „Doug, es wäre mir eine große Hilfe wenn Sie mir dabei zur Hand gehen könnten."

Penhall war für einen Augenblick vollkommen perplex, dann nickte er stumm und meinte: „Ja, sicher Dr. Hojo. Mache ich gerne." Damit richteten sich seine Augen auf die junge Studentin, die daraufhin schüchtern lächelte.

„Die Unterlagen die gestohlen wurden, sind alle von Studenten die bei Dr. Hojo ihre Diplomarbeit schreiben", wiederholte Doug zum X-ten Mal. Er und Ms. Demoir waren im Büro des Professors, welcher zurzeit jedoch nicht gegenwärtig war – ein Anruf des Museums hatte ihn frühzeitig von der Besprechung abgezogen. Was Doug nur zu recht kam, denn erstens konnte er mit Corey den Fall weiter besprechen und zweitens etwas Zeit mit der jungen Frau verbringen…

„Ja, aber wenn das mit der Verschwörungstheorie wirklich stimmt, würde mich interessieren was Mrs. Dryton am Stoff so faszinierend finden könnte", erwiderte Ms. Demoir als sie sich dem nächsten Gemälde in Dr. Hojos Büro widmete. „Es handelt sich schließlich nur um normale Kunst- und Kulturgeschichte. Mein Thema kann gar nicht so wichtig für sie sein."

„Welches da wäre?" wollte Doug wissen. Er sah von der Schublade auf, die er durchsucht hatte (die beiden nahmen das Büro noch einmal unter die Lupe; mit einer Kunstkennerin würde sich vielleicht mehr finden, als wenn Penhall auf sich alleine gestellt wäre) und stellte sich neben die Studentin.

„'Höhlenmalerei – ihre besondere Ausdruckskraft und Darstellung'", zitierte Corey den Titel ihrer Arbeit.

Doug zog eine Augenbraue nach oben. „Daraus kann man eine Diplomarbeit schreiben?" fragte er verwundert. „Respekt."

Ms. Demoir lachte sanft, dann schüttelte sie den Kopf und wandte sich dem nächsten Gemälde zu, das in Hojos Büro verstaut war. „Da sind einige beeindruckende Bilder darunter. Ein paar waren bei meinem letzten Termin noch nicht da", sagte sie.

„Welche?" wollte Doug wissen.

Corey deutete auf ein Bild, das für ihn wie eine beliebige Anordnung von Farbklecksen darstellte. „Das Bild heißt ‚Die Zeit heilt alles' und dürfte vom Museum entliehen sein. Der Professor zeigt gerne Originale als Anschauungsmaterial", erklärte sie dem Polizisten. Sie wollte noch was hinzufügen, aber Doug hob die Hand und bedeutete ihr, leise zu sein. „Was-?" fragte sie, aber Penhall warf ihr einen ernsten Blick zu der sie verstummen ließ.

„Da ist jemand", sagte Doug und schlich sich langsam zur Tür. Tatsächlich schien sich jemand am Schloss zu schaffen zu machen (die Tür war von Dr. Hojo wahrscheinlich wegen seiner Paranoia abgesperrt worden; Penhall war das noch gar nicht aufgefallen). Er bedeutete Corey sich hinter den einzigen Schrank zu stellen um aus dem Blickfeld der Tür zu gelangen. Dann zog er seine Waffe, die er in diesem Fall zum ersten Mal mit dabei hatte (ein Glück) und wartete bis der Türgriff sich bewegte.

Lange dauerte es nicht, bis die Tür langsam aufschwang und eine Frau eintrat – Janis Dryton!

„Tom!" rief Luna ihrem Partner zu. Gerade war sie von der Unterhaltung mit Brucks zurückgekommen. Hanson hatte solange auf sie im Parallelgang gewartet.

„Was rausgefunden?" wollte er wissen.

Luna nickte und zog ihn mit sich während sie eiligen Schrittes zum Hörsaal zurückging. „Er hat Dryton ins hohe Maß gelobt! Sogar verteidigt als ich ihm mit Argumenten für den Professor gekommen bin. Dann hat er auf die Uhr gesehen – zum hundertsten Mal übrigens, das hat er schon während der Vorlesung getan. Dann hat er einen seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht gehabt. Nervös war er auch plötzlich. Und dann ist er schnellstens abgehauen. Wenn ich mich nicht irre, dann hat er was vor – was Größeres!"

Hanson nahm das alles stumm nickend auf und folgte Valens schnell zurück zum Hörsaal. „Am besten wir checken mal bei Doug ein und sagen ihm Beschei-" Weiter kam er nicht, denn plötzlich war ein Schuss zu vernehmen. Und er kam eindeutig aus dem Hörsaal, vor dem die beiden Polizisten gerade standen!

Zum Glück war der Gang leer, deswegen konnten sie ihre Pistolen ziehen und bereit machen. Auf Hansons Zeichen hin öffnete Valens die Tür zum Hörsaal und spähte hinein. „Das Büro!" sagte sie und lief voraus, Hanson dicht hinter ihr.

„Waffen fallen lassen!" kam eine Stimme von der Seite. Sie waren geradewegs an Brucks vorbei gerannt, der still und überhaupt nicht mehr nervös sondern vollkommen gelassen auf einem Platz im Saal saß und eine Pistole auf den Kopf von Corey Demoir gerichtet hatte. Die junge Frau blutete aus einer Wunde an der Schläfe, schien aber ansonsten in Ordnung zu sein. Außerdem schien sie sich trotz der momentane Lage gut unter Kontrolle zu haben.

„Lass sie frei, Brucks!" verlangte Luna und richtete ihre Pistole auf den jungen Studenten. „Dann wird deine Strafe nicht ganz so hart werden!"

„Strafe? Weswegen?" fragte er unschuldig und stand auf, Corey dabei gewaltsam mitziehend.

„Du wirst wegen Mordes an Lucy Carlson und körperlicher Verletzung vor Gericht kommen, Jerry. Dafür werde ich sorgen!"

Brucks schien einen Moment überrascht, dann fasste er sich wieder und lachte Valens aus. „Was willst du schon machen, Kleine?" erwiderte Brucks hämisch grinsend. „Cop spielen und mich verhaften? Kannst du mit der Knarre da überhaupt was anfangen?"

„Ich spiel nicht nur Cop, ich bin einer!" sagte Valens. „Und mit meiner Knarre kann ich ziemlich gut umgehen!"

Hanson warf der offen stehenden Tür zum Büro einen seitlichen Blick zu. Schnell sah er sich im Hörsaal um während Valens Brucks ablenkte. Wo war Doug!

„Ach, jetzt weiß ich wie das bei euch Bullen abläuft – spioniert hier rum, wenn ihr nicht mehr weiter wisst, huh?" entgegnete Brucks. „Weißt du, um dich ist es wirklich schade. Aus dir wäre sicher eine gute Künstlerin geworden. Du hattest genau den richtigen Stil dafür." Unbewusst hatte er bei Valens ins Schwarze getroffen, aber Hanson war wohl der Einzige dem das aufgefallen war.

„Wofür?"

„Um eine von uns zu sein", kam die Antwort vom Büro aus. Hanson richtete seine Pistole schnell auf Dryton, die mit einem Pack voller Unterlagen im Arm am Türrahmen lehnte und mit einer Hand die Pistole in ihrer Hand herumspielte. „Euer Kollege könnte ein wenig ärztliche Hilfe gebrauchen", meinte sie beiläufig. „Wie der es als Kunstassistent überhaupt geschafft hat, frag ich mich. Obwohl es wohl für sich spricht wenn man daran denkt für wen er scheinbar gearbeitet hat…"

‚Oh nein!' kam es Hanson. ‚Doug!' Verzweifelt warf er dem Büro einen Blick zu, dann sah er zurück zu Brucks, der seine Pistole nur noch näher an Ms. Demoirs Kopf hielt. Was tun? Er und Valens wurden von zwei Seiten flankiert, sie konnten weder vor noch zurück! Die Lage schien ausweglos!

„Wisst ihr was?" meldete Corey sich plötzlich zu Wort. „Wieso lasst ihr die Politesse nicht einfach und ich schließ mich euch an!"

Brucks sah sie höhnisch an. „Ja, ich glaub's auch!" sagte er sarkastisch. „Du, die brave Lieblingsschülerin von Hojo, plötzlich auf unserer Seite!"

Corey hob eine Schulter. „Wieso nicht? Ich meine, eure Seite hat doch weit mehr Aussichten zu gewinnen! Wieso also auf der Verliererseite stehen, wenn dann bei euch die Party abgeht?" Dann sah sie Brucks verführerisch an. „Du und ich, Brucks, wir hätten eine Menge Spaß. Ich kann mir gut vorstellen, WIE…" Diese Andeutung hätte wohl jeder Idiot verstanden.

Valens und Hanson tauschten verwirrte Blicke. War Demoir plötzlich übergeschnappt? Oder hatte sie das die ganze Zeit geplant? Schließlich sah sie wirklich nicht danach aus, als hätte sie gerade miterlebt wie jemand erschossen worden war (‚Angeschossen', korrigierte sich Hanson. Er wollte nicht glauben, dass Doug ernsthaft etwas passiert war – schließlich konnte Dryton auch bluffen). Außerdem schien ihr die Pistole an ihrer Schläfe nichts auszumachen.

Brucks setzte ein Lächeln auf, ließ die Waffe aber nicht sinken. „Kümmern wir uns erst einmal um die Cops da unten", sagte er und warf Dryton einen Blick zu. Diese grinste und hob ihre Pistole hoch, auf Hanson zielend, während Brucks nicht mehr Corey sondern Luna im Visier hatte.

„So schade. Ihr seid doch noch so jung!" meinte Dryton und setzte eine gespielt traurige Miene auf. „Ich schätze das war's dann für euch." Man hörte das Klicken als sie die Sicherung mit widerlichem Gefallen löste.

„Schön gesagt!" Keine Sekunde später lag Drytons Pistole ein paar Meter von ihr entfernt am Boden während der Lauf einer anderen Knarre an ihren Kopf gehalten wurde. Im selben Moment wie Doug plötzlich aufgetaucht war, hatte Corey Brucks einen Schlag in seine edelsten Teile versetzt, so dass er seine Waffe unwillkürlich sinken ließ und der Studentin die Möglichkeit gab sie ihm aus den Händen zu schlagen.

Hanson hechtete so schnell er konnte auf Brucks zu der Ms. Demoir an den Haaren gepackt hatte und drauf und dran war ihre eine zu verpassen. „Keine Bewegung, Wichser!" sagte Tom mit harter Stimme als er Brucks' Pistole außer Reichweite gekickt hatte. Irgendwie sah seine halbgebückte Haltung mit einer hochgehaltenen Hand und der anderen auf seinen schmerzenden Teilen ziemlich komisch aus. Doch Zeit für Humor blieb später noch.

„Nicht schlecht", kommentierte Tom Coreys Angriff.

Die Studentin grinste zufrieden und hob eine Schulter. „Die Taek Wan Do Stunden haben sich endlich bezahlt gemacht", war ihre Antwort.

Tom lachte sanft und legte Brucks die Handschellen an. „Du hast das Recht zu schweigen, alles was du sagst kann und wird vor Gericht gegen dich verwendet werden. Du hast das Recht auf einen Anwalt, solltest du ihn dir nicht leisten können, wird der Staat dir einen zur Verfügung stellen", rasselte Hanson schon automatisch runter.

Unterdessen war Valens zu Doug geeilt um ihm mit Dryton zu helfen. Während sie der ehemaligen Assistentin die Handschellen anlegte warf Luna immer wieder einen besorgten Blick auf Penhall, der schwer atmend an der Tür lehnte und kaum noch stehen konnte. An Dryton gerichtet sagte sie: „Ich nehme an Sie haben zugehört. Das gleiche gilt nämlich für Sie."