Kapitel 5
Sollte jemals irgend etwas schiefgehen

Eines Tages Anfang Dezember war Ginny gerade auf dem Weg zur Großen Halle, als sie drei große Gestalten in der Tür stehen sah. Eine war leicht zu erkennen mit der purpurfarbenen Robe, schneeweißem Bart und Haaren, die bis zur Hüfte reichten. Gegenüber von dieser Gestalt stand ein rothaariger Mann in brauner Robe. Neben ihm stand ein Mann mit rabenschwarzem Haar und schwarzer Brille, der die gleiche braune Robe trug. Ginny erkannte sie bei näherem Hinsehen und sprintete auf sie zu.

„Ron!" rief sie aus. „Harry!"

Ron wandte sich vom Direktor ab und fing das heranstürmende Mädchen in den Armen auf. „Woa, Gin!" Er umarmte sie. „Beruhig dich!"

Dumbledore lächelte. „Nun, es muß eine ganze Weile her sein, daß Sie sich gesehen haben."

„Fünf Monate", bestätigte Ginny, als sie Harry umarmte. „Es ist schön, euch zwei zu sehen."

Harry erwiderte die Geste. „Du siehst großartig aus. Wie geht's dir?"

„Danke, gut. Könnt ihr zum Mittagessen bleiben?" fragte sie und wandte sich an Dumbledore.

„Selbstverständlich." Der alte Mann blinzelte. „Ich liebe es, meine alten Schüler zu sehen, ganz gleich, wieviel Ärger sie gemacht haben."

Rons und Harrys Ohren liefen rot an.

Professor Snape erschien in einer der Türen in der Nähe der Halle. „Direktor …" Er unterbrach sich, als sein Blick auf seine ehemaligen Schüler fiel. „Mr Weasley, Mr Potter …"

„Professor Snape", grüßte Harry respektvoll.

Dumbledore warf einen Blick auf seine überkomplizierte Taschenuhr. „Oh, ich muß mich jetzt um einige Angelegenheiten kümmern. Es war schön, Sie wiederzusehen, Mr Weasley, Harry." Er legte dem jungen Mann fest die Hand auf die Schulter. „Ich werde Sie beide später sehen", sagte er und drehte sich lächelnd zu Ginny um. Dann ließ er sie allein.

„Wann seid ihr hier angekommen?" fragte Ginny ihren Bruder und seinen Freund.

„Gerade eben. Wir wollten sichergehen, daß wir gegen Mittag hier sind", antwortete Ron.

„Ja. Ron war spastisch, seit er herausgefunden hat, daß Malfoy auf dem Gelände ist", fügte Harry hinzu.

Ron warf ihm nur einen finsteren Blick zu. „Wenn du rausfinden würdest, daß dieser Idiot der Lehrer deiner kleinen Schwester ist, dann wärest du auch aufgebracht."

„Kein Grund dazu, Weasley. Ich benote fair, wenn ich das von mir selbst behaupten darf."

Ginny hatte nicht einmal bemerkt, daß Draco aus der Großen Halle gekommen war. Ron und Harry wandten sich um und sahen ihren früheren Klassenkameraden an.

„Malfoy …", brachte Ron hervor.

„Es ist also wahr", sagte Draco, während er ihre Roben mit den identischen Abzeichen auf der linken Seite musterte. „Ihr macht beide eine Aurorenausbildung. Das hatte ich erwartet", bemerkte er ruhig.

„Und du bist Lehrer. Das hätte ich nie erwartet", erwiderte Ron mit einem finsteren Blick. Harry blieb still und beobachtete die Szene. „Ich dachte, du würdest … eine andere Richtung einschlagen."

Draco wandte seinen Blick für ein paar Sekunden Ginny zu, dann wieder ihrem Bruder. Ginny antwortete, indem sie ihren Blick zu Boden senkte. „Das zeigt mal wieder, wie wenig du noch immer weißt. Also, wo ist das fünfte Rad am Wagen? Ich glaube, du nennst sie „Bettpartnerin", Potter."

Harrys Blick war ebenfalls düster. „Falls du von Hermine sprichst, sie ist bei der Arbeit."

„Als Assistentin in der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit", stellte Draco fest. Ginny bemerkte, daß er anscheinend seine Hausaufgaben gemacht hatte. „Sie konnte keinen besseren Job kriegen? Auf der anderen Seite … einige Abteilungen im Ministerium sind sehr … wählerisch, was ihre Angestellten betrifft."

„Sie ist glücklich, wo sie ist", verteidigte Harry mit etwas gefährlicherem Tonfall als gewöhnlich. „Und sie ist für alles, was sie tut, außerordentlich qualifiziert."

„Da bin ich sicher, Potter. Du solltest es wissen, immerhin bist du ihr kleines „Spielzeug"." Draco genoß den Anblick eines verärgerten Harry Potter. „Wenn ihr mich jetzt entschuldigen wollt … Kann nicht direkt behaupteten, daß es toll war, eure Gesichter wiederzusehen, Potter, Weasley …" Sein Blick fiel wieder auf Ginny, aber er wandte sich schnell ab und verschwand in dem Raum, in den auch Dumbledore und Snape hineingegangen waren.

„Immer noch ein Scheißkerl", murmelte Ron.

„Sieh's ein, Ron." Harry zuckte mit den Schultern. „Einige Dinge ändern sich nie."

Ginny lächelte. Oh, das hatte sie schon irgendwo gehört. „Wie wär's, wenn wir jetzt essen gehen?"

„Sehr gute Idee." Ron öffnete die Tür und betrat die Halle.

Harry faßte Ginny an der Schulter. „Nur eine Sekunde, Ginny."

Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. „Was ist, Harry?"

„Ist Malfoy immer so? Du warst die ganze Zeit hier, und er hat nichts zu dir gesagt."

Zuerst wußte sie nicht, wie sie seine Frage beantworten sollte. ‚Er sagt nie etwas zu mir. Wir tauschen im Unterricht und auf den Fluren nur immer unbehagliche Blicke aus', bemerkte sie im Stillen. Seit diesem Abend in seinem Büro hatte sie hin und wieder seltsame Träume, er kam in jedem einzelnen vor. Sie wußte allerdings, daß sie nicht bereit bereit war, etwas davon mit jemandem zu teilen.

„Er hat mit euch beiden geredet … na ja, eher euch blöd angequatscht. Mit seinen Schülern spricht er sowieso nur im Unterricht."

„Bist du sicher?" Harry schien nicht zufrieden zu sein.

Ginny zwang sich zu einem Lächeln. „Natürlich bin ich sicher. Ich sehe ihn fast jeden Tag."

Harry lächelte nur und schüttelte den Kopf. „Entschuldige, Ginny. Ich hör mich an wie ein Holzkopf."

„Keine Sorge." Ginny öffnete die Tür. „Laß uns reingehen."

Sie sah nicht, daß Harry den Flur hinunterblickte, als sie ihm den Rücken zukehrte. Er schaute in die Richtung, in die Draco verschwunden war. Er hoffte, daß er sich bloß Dinge einbildete.

Er rief sich die wenigen Sekunden ins Gedächtnis, die Draco Ginny angesehen hatte. Draco hatte ein merkwürdiges Leuchten in den Augen gehabt. Harry kannte diesen Blick: Er sah sah ihn jeden Morgen in seinen eigenen Augen, wenn er sich vor dem Spiegel fertig machte – und Hermine neben ihm war.

Er zog sorgenvoll die Stirn in Falten. Oh, er hoffte, daß er nur voreilige Schlußfolgerungen zog.

„Hast du für die Probe-ZAGs gelernt?" fragte Ron seine Schwester.

Die Drei saßen am Ende des Gryffindor–Tisches. Als sie vorhin hereingekommen waren, waren Kinnladen heruntergeklappt, der Gryffindor-Tisch war in Freude ausgebrochen, und zahlreiche Erstkläßler hatten um Rons und Harrys Autogramm gebeten. Harry war die ganze Show ziemlich peinlich, während Ron stolz eine ihm angebotene Feder nahm und seine unleserliche Unterschrift hinkritzelte.

„Ja, ich hab mit den schwierigeren Fächern wie Verwandlung und Arithmantik angefangen."

„Erinnert ihr euch, wie Hermine letztes Jahr ein Fall für die Irrenanstalt war?" Ron lachte. „Das war unglaublich!"

Oh ja, Ginny erinnerte sich allerdings. Das war die Zeit, in der sie Draco in seinem Schulsprecherzimmer besucht hatte.

„Hey, sie war wesentlich schlimmer, als wir die richtigen ZAG-Prüfungen hatten", fügte Harry hinzu.

„Ja, sie hat unseren gesamten Stundenplan umgestellt, so daß wir mindestens vier Stunden pro Tag gelernt haben. Es war grauenhaft."

„Ich weiß."

„Ach, ich zwei seid solche Babys", schimpfte Ginny. „Ihr habt jetzt beide wirklich gute Jobs. Ihr habt kein Recht, euch zu beschweren."

„Ja, Harry. Ich meine, hast du deine Ausbilderin mal richtig angesehen?" erinnerte Ron.

Harry schüttelte den Kopf, er wußte, wo das hinführte. „Nicht besonders."

„Schwachsinn", bemerkte Ron und wandte sich an Ginny. „Dieser Typ ist ein unglaublicher … wie heißt das Wort … Playboy, glaub ich."

„Halt die Klappe, Ron." Harry trank etwas Saft.

„Arielle wollte sich mit ihm verabreden", erklärte Ron ihr.

Ginny klappte der Mund auf. „Aber Harry …!"

„Es ist ein Mittagessen unter Freunden!" verteidigte sich Harry. „Das ist, als würde ich mit dir zum Mittagessen gehen, Ginny!"

„Was hat Hermine gesagt?" fragte Ginny.

Harry brummelte etwas, während er trank.

„Wie bitte?" hakte Ginny nach.

„Sie hat nichts gesagt." Harry schluckte. „Keinen verdammten Ton."

„Ist das gut oder schlecht?"

„Extrem Harry-sollte-besser-Merlin-um-Hilfe-anbeten-schlecht", erläuterte Ron. „Du kennst Hermine. Sie hat immer eine Meinung zu allem. Wenn sie nichts sagen kann, ist sie zu sauer für Worte."

„Ich versteh's nicht." Harry runzelte die Stirn. „Ich hab nicht das geringste Interesse an Arielle."

„Noch ein Problem mit ihrem Kopf, wenn du mich fragst. Hermine und Harry sind perfekt füreinander", kommentierte Ron.

„Also, warum kann Hermine das nicht verstehen?" schloß Harry und ignorierte Rons Bemerkung dabei vollkommen.

Ginny schüttelte den Kopf. „Sie hat kein Selbstvertrauen. Du mußt dafür sorgen, daß sie ein gutes Gefühl hat, was euch angeht." ‚Ehrlich, Jungs sind so simpel.'

„Mann, Harry, kannst du mit Pflegebedürftigen umgehen?" neckte Ron.

„Ich weiß, daß du das nicht kannst. Megara ist der lebendige Beweis dafür", entgegnete Harry bissig.

„Megara?" Ginny hatte noch nie von ihr gehört. „Wer?"

Ron wurde leicht rosa.

„Wir haben uns zu Beginn des Kadettentrainings getroffen", erklärte Harry. „Sie ist aus Griechenland. Sie kann kaum ein Wort sagen, außer „ja". Selbstverständlich hat Ron es übernommen, ihr da ein wenig auszuhelfen."

Ginnys Kinn klappte herunter. „Ron!" Sie klang empört. „Was hat Mum dazu gesagt?"

„Nichts, weil sie es nie erfahren wird!" Ron sah Ginny an, dann Harry. „Außerdem, wir haben Harrys Liebesleben diskutiert. Wie sind wir auf meins gekommen?"

„Laß uns nicht Athens vergessen, oder Hannah, Leta, Esperanza, Rika …", fuhr Harry fort.

Harry und Ron verabschiedeten sich, als für Ginny der Unterricht begann. „Paß auf dich auf, Gin. Und lern hart, aber vergiß nicht, Spaß zu haben. Und wenn Malfoy unfair sein sollte, schick mir eine Eule", sagte Ron.

Harrys Worte waren etwas verwirrender. „Ginny, sollte jemals irgend etwas schiefgehen, erzähl es jemandem. Ron, Hermine, Dumbledore, deinen Eltern, mir … Versprichst du's?"

Unsicher, was in seinem Kopf vorging, lächelte Ginny nur und nickte. Was hatte er dabei im Sinn?

ooOOoo

Ginny wandte ihren Blick Draco zu, als er seine Erläuterung der grundlegenden Gegenflüche beendete. Da bemerkte sie, daß sie Harrys Worte auf ihrem Pergament etwa achtmal niedergeschrieben hatte.: Sollte jemals irgend etwas schiefgehen … Sollte jemals irgend etwas schiefgehen …

Dann flog ihr Blick zu Colin, als sie spürte, wie er ihre Hand mit den Fingerspitzen berührte. Er betrachtete die Worte, die sie geschrieben hatte. Dann blicke er fragend zu ihr auf.

„Nach dem Unterricht, Mr Creevey, Ms Weasley", befahl Draco. „Hören Sie auf, sich in meinem Unterricht schmachtende Blicke zuzuwerfen."

Ginny lief rosa an, und Colin schluckte. Von der Slytherin-Seite kam leises Gelächter.

Die Glocke läutete zum Ende der Stunde. Alle standen auf. „Ich entlasse Sie, nicht das Läuten, oder haben Sie das vergessen?" sagte Draco, als er sich der Klasse zuwandte. Alle erstarrten und warteten, was er sagen würde. „Bevor ich es vergesse, Professor McGonagall hat die Liste an der Tür zur Großen Halle angebracht. Tragen Sie Ihren Namen ein, wenn Sie in den Ferien hierbleiben." Er wartete ein paar Sekunden. „Also gut, raus jetzt."

Der Raum begann, sich zu leeren. „Großer Gott, man könnte meinen, er beobachtet mich die ganze Zeit und hackt auf mir rum", murmelte Colin Ginny zu.

„Bilden Sie sich nichts ein, Mr Creevey", sagte Draco von seinem Schreibtisch aus, der mindestens fünf Meter entfernt war. „Kommen Sie her, Ms Weasley. Ich muß etwas mit Ihnen besprechen." Er sah Colin an. „Allein."

Colin verstand den Wink und verließ den Klassenraum. Ginny ging langsam auf das Lehrerpult zu. „Ja, Dr… Professor?"

„Gehst du über Weihnachten nach Hause?" fragte er so leise, daß es niemand außerhalb des Raumes verstehen konnte.

„Ja, alle kommen nach Hause. Alle meine Brüder, einschließlich Harry und Hermine. Gehst du nach Hause?"

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe … Pläne zu machen."

Ginny nickte. Sie konnte nur raten, was er plante: Wege, sie zu schützen. Solange er nicht da draußen war und Leute tötete, war das in ihren Augen etwas Gutes. „Also wirst du Weihnachten überhaupt nicht feiern? Du wirst alleine sein?"

„Nicht völlig … Was immer hier geplant ist, wird mein Weihnachten sein."

Ginny unterdrückte ein Lächeln. „Weißt du, ich würde dich ja einladen …"

„Ein Malfoy bei einer Weasley-Weihnachtsparty? Das wäre, als würde als würdest du mich den Löwen zum Fraß vorwerfen, ich wäre vogelfrei. Danke, aber nein danke."

„Hab ich mir gedacht."

„Das wäre alles, Virginia." Er senkte den Kopf und räusperte sich. „Ms Weasley …"

Ginny ging. Draco würde also Weihnachten allein verbringen? Das würde sie nicht zulassen, entschied sie.