Kapitel 7
Mach etwas richtig

Es war nur Paranoia. Alle Schüler waren aus den Ferien zurückgekehrt, und Draco konnte nicht anders, als zu bemerken, daß ein gewisser Rotschopf nicht da war. Ginny Weasley war nicht zurück. Er suchte den Gryffindor-Tisch an diesem Abend ungefähr 397 Mal ab. Vielleicht kam sie später, zum Beispiel morgen zum Mittagessen. Obwohl es etwas unorthodox war, erst am ersten Schultag des zweiten Halbjahres zurückzukehren.

Er wartete bis zum Unterricht.

Er wurde es bald leid, jeden Namen aufzurufen, daher ging er dazu über, jedesmal wenn er einen leeren Platz sah, den Tischnachbarn zu fragen, wer gewöhnlich dort saß. Es ersparte ihm unnötigen Verlust von Unterrichtszeit. Der Nachmittagsunterricht begann, alle Plätze waren besetzt … bis auf einen: vierte Reihe, zweiter Platz von rechts. „Mr Creevey", fragte Draco, „Wer sitzt neben Ihnen?"

Colin erwachte aus seinen Tagträumen. „Oh … Ginny Weasley."

Draco spürte, wie sich seine Herzfrequenz erhöhte. Er hoffte, daß es nichts war, worüber man sich Sogen machen mußte. Vielleicht hatte sie seinen Rat befolgt und war weggelaufen. Seine Hoffnungen wurden jedoch noch am selben Abend zunichtegemacht, als er einen Brief von seinem Vater erhielt.

Draco,

Dringende Neuigkeiten. Triff mich morgen abend um sechs Uhr in den „Drei Besen" in Hogsmeade.

Dein Vater

Wenn man so einen Brief las, konnte man beinahe vergessen, daß der Absender ihn die letzten achtzehn Jahre aufgezogen hatte.

Am nächsten Tag traf er sich mit ihm. Draco erspähte seinen Vater ganz am hinteren Ende des Restaurants. Die Lichter waren gedämpft, aber Draco konnte sehen, daß sein Vater müde war. Das Kerzenlicht konnte die dunklen Ringe unter Lucius' Augen nicht verbergen. Sie waren nicht die einzigen in dem Etablissement, ein paar Männer saßen an der Bar, und ein altes Ehepaar saß an dem Tisch dicht bei der Tür. Draco ging zu dem Tisch an der Rückseite und setzte sich seinem Vater gegenüber. „Guten Abend", grüßte er.

Lucius sah ihn an. Draco versuchte, seinen Blick zu durchschauen: Verachtung? Mißbilligung? Ärger? Haß vielleicht? „Ich habe Neuhigkeiten", begann er.

‚Hab ich mir gedacht', dachte Draco. „Ja?"

„Du wurdest von deiner Aufgabe entbunden."

Draco zog die Augenbrauen zusammen. „Weshalb?"

„Er hat das Gefühl, daß du … für diese Aufgabe nicht geeignet bist."

„Bin ich nicht?" forderte Draco ihn heraus. „Vor sechs Monaten war ich dazu völlig in der Lage. Immerhin hast du ihm vorgeschlagen, daß ich es tun sollte."

„Das war, weil ich dachte, die Dinge wären anders." Sein Vater lächelte höhnisch. „Aber nach all dieser Zeit sehe ich nun, daß sie es nicht sind."

„Was ist los?" fragte Draco.

„Man hat dich gesehen."

„Gesehen?"

„Jemand war Zeuge deines kleinen Rendezvous mit dem Mädchen und hat es unserem Meister berichtet." Lucius sprach sehr leise. „Nach dem, was bezeugt wurde, wußte der Meister, daß du die Aufgabe nicht beenden würdest."

„Schwachsinn", brummte Draco und verbarg seine Furcht.

„Lüg mich nicht an, Junge", zischte Lucius. „Ich erinnere mich noch, was letztes Jahr geschehen ist."

„Er hat mir keinen Termin genannt", verteidigte sich Draco. „Ich werde die Aufgabe erledigen."

„Ist schon erledigt."

Draco drehte sich der Magen um. „Was?"

„Er wird sie und die anderen Kindern morgen beim Riddle-Haus beseitigen."

„Er hat das Mädchen? Aber wie …" Er sah seinem Vater in die Augen, und etwas klickte. „Du hast sie geholt?"

Lucius nickte. „Er hat mich angewiesen, sie zu ihm zu bringen, da du es nicht tun wolltest. Eine Schande …" Das letzte Wort war gemurmelt. „Ich habe nichts getan, außer für dein Wohlergehen zu arbeiten. Und jetzt, dank deinem selbstsüchtigen, jugendlich-leichtfertigen Liebesabenteuer, müssen wir für deine Dummheit bezahlen."

„Es gab keine Rendezvous oder Abenteuer irgendwelcher Art", log Draco.

„Das tut nichts zur Sache. Morgen wird er sich mit dir befassen. Er wird dich rufen, und du wirst dich rechtfertigen … wenn er dich am Leben läßt", sagte Lucius bissig, ohne Bedauern oder Furcht in seinem letzten Satz. Es bewies Draco nur, daß er einmal mehr nur ein Erbe war, kein Sohn.

„Und wenn ich seinem Ruf nicht folge?" fragte Draco. „Ich habe Verpflichtungen in der Schule."

„Er hat deine Mutter."

Draco fühlte sich innerlich leer. „W… was?"

„Wenn du nicht kommst, wird er sich ihrer ebenfalls entledigen", antwortete Lucius steif.

Dracos Blick schweifte umher. Sie hatte nichts mit all dem zu tun. Narzissa war ein Opfer der Umstände, wie Ginny. Er sah seinen Vater an, dessen Augen auf die Kerze auf dem Tisch gerichtet war. Er erkannte, daß Lucius eher die Gesundheit seines Sohnes riskieren würde, als seine Frau sterben zu lassen. ‚Ich stehe direkt dazwischen', dachte Draco. „Und du bist damit einverstanden, was er mit Mutter machen wird?"

„Sie ist meine Frau! Glaubst du wirklich, daß ich zugestimmt habe!" zischte Lucius finster und funkelte sein jüngeres Ebenbild an.

„Hast du versucht, sie zu befreien?"

Lucius stand auf. „Hättest du dich nicht hinreißen lassen, dann müßte ich das nicht."

„Also nicht", vermutete Draco.

„Du wirst morgen da sein, wenn er dich ruft. Mach zur Abwechslung mal etwas richtig." Und damit verließ Lucius das Restaurant.

Draco blickte auf den Tisch und auf die Kerze, die in der Mitte stand. Seine Mutter und Ginny waren in Voldemorts Gewalt. Draco seufzte.

‚Mach zur Abwechslung mal etwas richtig.'

Draco verließ die ‚Drei Besen'.

ooOOoo

Er stand vor einer großen Phoenixstatue. „Zuckerwatte", sagte er. Der Durchgang öffnete sich, und er betrat Dumbledores Büro.

„Professor Dumbledore!" rief Draco, während seine Augen den Raum absuchten.

Dumbledore stand auf der zweiten Etage seines Büros und tauschte eines der Bücher auf seinem Regal aus. „Ah, ja." Er kam herunter und fragte: „Was kann ich für Sie tun?"

„Direktor, ich …"

„Aber, aber", unterbrach Dumbledore. Wir sind Kollegen. Sie können mich ruhig beim Vornamen nennen."

„Albus …" Draco probierte, wie es sich auf seiner Zunge anfühlte. „Ich … muß verreisen, aus persönlichen Gründen."

„Ich verstehe." Dumbledore nickte. „Dann schlage ich vor, daß Sie andere um Hilfe für Ihre Mission bitten."

„Wie bitte?"

„Sie gehen wegen Ginny Weasley, richtig?"

Draco schluckte. „Aber wie …?"

„Ich mag alt sein, Draco, aber meine Augen sind so scharf wie die eines Falken." Dumbledore lächelte mit funkelnden Augen.

Draco wandte den Blick auf Fawkes. „Ich denke wirklich, ich sollte allein gehen."

„Manchmal, Draco, ist man am stärksten mit Verbündeten. Wählen Sie Ihre Verbündeten weise, verlassen Sie sich auf sie, und Sie werden erfolgreich sein." Dumbledore ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. „Sie gehen also heute Abend oder wann immer Ihr Arm zu brennen beginnt?"

„Wann mein …" wiederholte Draco. „Was?", fragte Draco ungläubig, „Sie meinen … Sie haben es gewußt, und Sie haben mich trotzdem eingestellt?"

„Das habe ich", gab Dumbledore zu.

„Aber wieso?"

„Weil ich an das Gute in Ihnen glaube. Man definiert sich nicht durch Worte, sondern durch Taten."

„Taten", wiederholte Draco, und seine Hand flog zu seinem Unteram. „Oh, ich habe in der Vergangenheit einige weise Taten vollbracht."

„Aber jetzt haben Sie die Chace, das alles wieder gutzumachen, wenn Sie sich dafür entscheiden", sagte Dumbledore. „Was werden Sie tun?"

Draco stand eine Weile da und versuchte, so viel wie möglich davon sacken zu lassen. Er holte tief Luft und sah Dumbledore an. „Ich hoffe, Sie finden eine Vertretung, solange ich weg bin. Meine Unterrichtspläne sind auf meinem Schreibtisch in meinem Büro."

Dumbledore nickte. „Ich werde jemanden finden." Er lächelte seinen ehemaligen Schüler sanft an. „Viel Glück."

Draco nickte und verließ das Büro. Er mußte schnell alles vorbereiten.