Kapitel 8
Mehr als dumm
Er kam kurz nach Sonnenaufgang an. Er konnte den Duft von Frühstück riechen, als er auf der Türschwelle der Weasleys erschien. Er klopfte dreimal an die Tür, leise natürlich. Kein Mann mit Würde würde mit der Faust gegen das Holz hämmern.
„Ich komme schon!" kam eine männliche Stimme. Die Tür flog auf, und ein großer rothaariger Mann blickte Draco mit äußerstem Abscheu und Unglauben an.
„Malfoy …"
„Guten Morgen, Weasley", grüßte Draco. Er wartete einen Augenblick darauf, daß Ron ihn hereinbat. „Ist Potter auch hier?"
„Was geht dich das an?" schnauzte Ron ihn an.
„Ron, wer …" Harry und Molly Weasley kamen aus der Küche. Sie sahen den Gast über Rons Schulter. „Malfoy?" Harry warf ihm einen bösen Blick zu.
‚Ich freu mich auch, dich zu sehen, Narbengesicht', dachte Draco bei sich.
„Sind Sie nicht Lucius Malfoys Sohn?" fragte Molly. „Der neue Lehrer in Hogwarts?"
„Ja", antwortete Draco. „Ich bin tatsächlich wegen Ihrer Tochter hier."
„Ach du meine Güte!" Molly kam zur Tür. „Ron, laß ihn rein. Also wirklich!" forderte sie ihren Sohn verärgert auf.
Ron trat folgsam zur Seite, aber nicht ohne einen tödlichen Blick. Draco trat ein.
„Möchten Sie Frühstück?" fragte Molly.
Draco schüttelte den Kopf. „Nein, danke", erwiderte er, während er seine Unterschicht-Umgebung aufnahm. Hier war Ginny also aufgewachsen. Er hatte nichts weniger Geschmackloses erwartet. „Ich kann nicht lange bleiben."
„Raus damit, Malfoy", befahl Ron. „Was hast du mit Ginny zu schaffen? Wenn es was mit Zensuren zu tun hätte, wärst du nicht persönlich hergekommen."
„Du hast recht." Draco holte Luft, bevor er es ihnen sagte. „Ihre Tochter ist verschwunden."
Stille. „V-verschwunden?" fragte Molly.
„Entführt, genauer gesagt … vom Dunklen Lord."
„Das ist unmöglich!" rief Harry. „Er kann nicht auf das Gelände von Hogwarts gelangen, besonders nicht, solange Professor Dumbledore in der Nähe ist."
„Es ist passiert, bevor das Halbjahr angefangen hatte. Sie hat den Zug nie erreicht."
„Aber, aber Colin …", stammelte Molly.
„… hat auf sie gewartet, bis der Zug um elf Uhr abgefahren ist. Er hat sie nie getroffen", erklärte Draco.
Molly fühlte sich schwach und setzte sich aufs Sofa. „Oh Gott … Es ist meine Schuld. Sie hat gesagt, sie würde ihn treffen, und ihn hab sie allein gelassen. Wenn … Wenn ich nur …" Sie begann zu weinen, und Ron setzte sich neben seine Mutter und legte einen beruhigenden Arm um ihre Schulter.
„Aber warum? Warum Ginny?" fragte Harry.
„Wegen dem, was Arthur Weasley letzten Sommer getan hat. Er hat unwissentlich einen wichtigen Teil des Plans des Dunklen Lords zunichte gemacht. Also wurde nicht nur sie entführt, sondern auch die Letztgeborenen von Crowe, Todd und Townes. Der Dunkle Lord wird sich um sie kümmern."
„Wann wollen sie es tun?" fragte Harry.
„Heute, im Riddle-Haus."
Harry wandte sich an Ron. „Du bringst besser deine Mutter nach oben. Sorg dafür, daß sie sich etwas ausruht. Dann gehen wir."
„Okay." Ron half seiner Mutter beim Aufstehen und begleitete sie zu ihrem Schlafzimmer.
Harry stellte sicher, daß Ron außer Hörweite war, bevor er sprach. Sogar dann war seine Stimme noch sehr leise. „Dumbledore hat mich über den Kamin kontaktiert, er hat gesagt, du würdest kommen. Ich wußte nicht weshalb, aber er sagte, du bräuchtest meine Hilfe. Wenn es darum geht, diesen Kindern und Ginny zu helfen, dann muß ich dich fragen: warum? Was hast du davon?"
Draco sah ihm in die Augen. „Das tut nichts zur Sache."
Harry zerrte mit einer schnellen Bewegung an Dracos linkem Arm und schob seinen Ärmel hoch. Seine Augen weiteten sich, als er die dunkle Verbrennung sah, die Dracos blassen Unterarm zeichnete. „Du bist …" Harry war unfähig, den Satz zu beenden. „Ich dachte mir doch, daß es so klang, als wüßtest du zuviel."
Draco zog seinen Arm zurück. „Und?"
„Also warum zum Teufel willst du Ginny retten?"
„Das ist nicht wichtig."
„Dumbledore hat darauf bestanden, daß ich dir helfe, aber wir gehen nicht, bevor ich eine Erklärung gehört habe."
„Dann wirst du für ihren Tod verantwortlich sein." Draco lächelte höhnisch.
„Das denke ich nicht." Harry sprach noch leiser. „Sag's mir einfach, und ich muß Ron nichts von deinem Betrug erzählen."
„Draco lachte in sich hinein. „Betrug? Du bist wirklich eine Lachnummer, Potter."
„Malfoy, warum solltest du – ein Todesser – Ginny Weasley retten wollen?"
Draco ließ sich einen Moment Zeit. „Der Dunkle Lord hat mich geschickt, um sie zu töten. Aber weil ich es nicht konnte, hat mein Vater sie persönlich geholt. Und jetzt, um zu verhindern, daß ich fliehe, hat der senile, wahnsinnige Lord auch meine Mutter entführt. So, zufrieden?"
„Nicht wirklich." Harry runzelte die Stirn. „Wieso konntest du sie nicht töten?"
Draco gab keine Antwort. Ron kam die Treppe herunter. „Alles klar, also wie ist der Plan?"
Draco war in gewisser Weise erleichtert. Er konnte niemals vor Harry zugeben, was wirklich vor sich ging. Das hätte bedeutet, Ereignisse zu gestehen, die im vergangen Jahr stattgefunden hatten. Würde Potter je mit der Fragerei aufhören? „Es ist ganz simpel. Ich gehe direkt zu ihm, und du schaffst alle raus."
„Wir müssen die Auroren verständigen", sagte Ron. „Wir brauchen Rückendeckung."
„Nein!" widersprach Draco. Wenn noch mehr Auroren darin verwickelt wurden, dann würden sie mit Sicherheit auch ihn festnehmen. Es war schlimm genug, daß Harry es wußte, er könnte ihn verraten, wenn alles vorbei war. Aber er wußte, daß er es jetzt noch nicht tun würde. Draco war der einzige Weg zum Riddle-Haus. „Das ist Zeitverschwendung."
„Malfoy hat recht", stimmte Harry zu. Er warf Malfoy einen kurzen, wissenden Blick zu. „Wir wissen nicht, wann er sie töten wird. Wir können nicht warten, bis wir es herausfinden. Wir sollten sie schnell rausholen."
Ron sah Harry an, als wäre er sich nicht ganz sicher, ob er richtig gehört hatte.
„Vielleicht. Was ist, wenn wir sie verständigen und trotzdem gehen?"
‚Oh, warum mach ich mir die Mühe, mit diesen verdammten guten Gryffindors zusammenzuarbeiten?' „Ich gehe jetzt", verkündete Draco und ging aus dem Haus.
Harry und Ron griffen nach ihren Roben und folgten ihm. „Warte, Malfoy!" Ron packte Dracos Schulter, als sie auf dem Rasen vor dem Fuchsbau standen.
„Was?"
„Woher weiß ich, daß das keine Falle ist?" wollte Ron wissen. „Warum zur Hölle sorgst du dich überhaupt so um die Sicherheit anderer? Du bist Lucius Malfoys Sohn, Schoßhund von Du-weißt-schon-wem. Du bist genau wie er: ein gerissener Hurensohn, dem nichts etwas bedeutet und der nichts versteht!"
Draco verlor die Kontrolle, holte mit der Faust aus und traf Ron am Kiefer. Ron taumelte von dem Aufprall zurück. „Du bist mehr als dumm, Weasley", zischte Draco.
„Hört auf, beide!" verlangte Harry und stellte sich vor Ron, damit der nicht lossprang und sich dem Silberblonden gegenüber mittelalterlich verhielt. „Ginny und die anderen sind in Gefahr. Waffenstillstand, für uns alle", schlug er vor und blickte zwischen seinem besten Freund und dem Erzfeind aus seiner Schulzeit hin und her.
Ron zuckte zusammen, als er sich das Kinn rieb und verschränkte die Arme. „Waffenstillstand", grummelte er.
Draco akzeptierte das Angebot verstimmt. „In Ordnung." Er zog seinen Zauberstab. „Bereit?"
Harry legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Laßt uns gehen."
Ron faßte Draco äußerst widerstrebend ebenfalls an der Schulter. Mit einem lauten Knall disapparierten sie.
