Kapitel 9
Dein Gegner bin ich

Es war Morgen, aber eine dunkle Wolke verschluckte das Riddle-Haus. Sie apparierten etwa drei Häuserblocks von dem Anwesen entfernt. Ron runzelte die Stirn, als er es betrachtete. „Mmh, das sieht ja vielleicht fröhlich aus. Sieht aus wie etwas, das aus einem Märchen der Gebrüder Grimm entsprungen ist."

„Also, wo sind sie?" fragte Harry.

Draco zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Sie sind irgendwo da drinnen."

„Oh, das ist wirklich präzise", grummelte Ron.

„Was ist dein Plan? Reinstürmen und jeden einzelnen Raum absuchen, in der Hoffnung, nicht auf Voldemort zu treffen?" wollte Harry wissen.

Draco grinste. „Im Grunde ja."

„Wir sind verloren", ergänzte Ron.

„Wir müssen die anderen finden, das ist unsere Priorität", sagte Harry. „Wir sind nicht auf einen Kampf aus."

„Also, das ist dämlich. Wir gehen mit Absicht in Du-weißt-schon-wessen Haus." Ron schüttelte den Kopf. „Wie können wir da nicht auf einen Kampf aus sein?"

„Wie auch immer, wenn wir sie finden, bevor Voldemort sie kriegt, dann nehmen wir sie und disapparieren."

„Diese Wolke um das Gebäude ist nicht nur Morgentau, Potter", warnte Draco. „Sie überwacht, wer im Haus appariert oder disappariert."

„Also schleichen wir uns auf Muggelart rein? Durchs Fenster, oder so?" fragte Harry.

Draco nickte. „So, seid ihr bereit, wieder Helden zu sein?"

„Halt die Klappe." Ron zog sich seine Kapuze über den Kopf und folgte Draco und Harry zum Haus.

Sie betraten das Gelände durch ein kleines Loch im Zaun auf der Rückseite. Draco führte sie zu einem Seitenfenster auf der Nordseite des Anwesens. Sie spähten erst hinein und bemerkten zwei vertraute, wie Felsbrocken aussehende Kerle, die ein paar Schritte von der Tür entfernt standen.

„Sie sind jetzt also Todesser?" flüsterte Ron. „Und warum du nicht?" wandte er sich an Draco.

„Wie kommen wir jetzt durch diese Tür? Sie könnten die Gefangenen bewachen", sagte Harry, um das Thema zu wechseln.

„Ihr zwei seid solche Amateure." Draco packte eine Handvoll Dreck und entkorkte eine Phiole, die er aus seiner Robe gezogen hatte. Er goß die Hälfte des Inhalts auf den Dreck und verwandelte den kleinen Erdklumpen in zwei Krapfen.

„Was war das?" fragte Ron.

„Snapes Schlaftrank", antwortete Draco.

Harry öffnete leise das Fenster und Draco sprach einen Schwebezauber. Die Krapfen schwebten ins Blickfeld von Crabbe und Goyle. Ihnen sammelte sich das Wasser im Mund, ihre wachsamen Augen leuchteten auf, und sie verschlangen augenblicklich das Gebäck. Innerhalb von Sekunden sackten sie im Tiefschlaf zu Boden.

„Wie hohl kann man sein?" Ron zog die Stirn in Falten.

„Laßt uns gehen." Harry öffnete das Fenster weiter und kletterte hindurch. Draco und Ron folgten ihm. Sie nahmen Crabbes und Goyles Zauberstäbe und brachen sie in der Mitte durch. Harry deutete mit seinem Zauberstab auf den Türknauf und wisperte: „Alohomora." Das Schloß klickte, und die Tür öffnete sich knarrend. Draco ging langsam hinein, blieb aber wie angewurzelt stehen, als er sah, wer drinnen war.

Eine Frau mit platinblondem Haar saß an einem Erkerfenster. Sie trug ein schwarzes Kleid mit hohem Kragen in viktorianischem Stil und eine dunkelgrüne Robe. Sie drehte sich zur offenen Tür um und sog scharf die Luft ein. „Draco …"

„Geht's dir gut?" Draco ging auf sie zu, Harry und Ron folgten.

„Mir geht's gut, Liebling", erwiderte sie und stand auf. „Wie hast du mich gefunden?" Sie legte in einer liebevollen Geste eine Hand auf seinen Arm.

„Wer ist das?" fragte Ron an Harry gewandt.

„Seine Mutter", antwortete er, als er sich Dracos Geständnis in Erinnerung rief, daß Voldemort Lady Malfoy entführt hatte.

Rons Augen weiteten sich einen Moment lang. „Sie hat dieserBrut das Leben geschenkt?" Nachdem Ron das hatte sacken lassen, zuckte er mit den Schultern. „Ich wünschte, meine Mutter würde so aussehen."

Harry rollte mit den Augen.

„Vater hat's mir gesagt", erwiderte Draco.

„Er wußte es." stellte Narzissa traurig fest. „Ich bin seid Weihnachten hier."

Draco wußte, was sie dachte. „Er hat es gewußt, aber er hat mich geschickt, um den Dunklen Lord in falscher Sicherheit zu wiegen. Auf diese Weise wird er an seiner Seite sein, während ich dich hier raushole."

„Nein!" wehrte Narzissa ab. „Du wirst sterben."

„Das stand schon fest", sagte Draco und senkte seine Stimme, als er hinzufügte: „In dem Moment, als ich das Dunkle Mal angenommen habe."

„Bist du sicher, daß du sterben willst?" fragte sie. „Ich weiß, daß du nicht nur meinetwegen hier bist."

„Mutter, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt." Draco umfaßte ihr Handgelenk und zog sie sanft vom Fenster weg. „Bitte, komm einfach mit raus hier."

„Nein", sagte sie bestimmt.

„Mutter, ich versuche dich zu schützen!" Draco wurde langsam wütend. „Du machst es nicht gerade einfacher."

„Ich werde nicht ohne Lucius gehen."

Draco erstarrte. „Aber …"

„Er ist mein Ehemann, Liebling. Und dein Vater. Ich werde ihn hier nicht zurücklassen."

Draco atmete tief aus. „Also gut, in Ordnung. Aber ich muß mich dem Dunklen Lord stellen. Tu nichts Mütterliches, wie zu meiner Sicherheit in den Weg springen."

Sie schmunzelte. „Ich würde nicht im Traum daran denken."

Sie wandten sich der Tür neben Harry und Ron zu. Als die Vier den Flur betraten, packte Draco Ron fest am Arm. „Schütze meine Mutter mit deinem Leben."

„Was?" fragte Ron.

„Ich kann nicht dem Dunklen Lord gegenübertreten, wenn ich mir Sorgen um sie machen muß. Du mußt sie beschützen. Tu das, und ich tue dasselbe für Virginia."

Ron nickte. ‚Seid wann nennt er sie beim Vornamen?' Aber er verwarf den Gedanken, und sie gingen den Flur hinunter.

„Wissen Sie, wo die sein könnten?" fragte Harry Narzissa.

„Ich habe vor zehn Minuten Schritte von oben gehört", erwiderte sie und warf einen kurzen Blick auf seine Stirn.

„Dann müssen sie in seinem Arbeitszimmer sein." Draco lief voraus und führte sie zu einem dunklen Korridor am Ende der Treppe. Sie blieben stehen, als eine Gruppe von Gestalten mit schwarzen Kapuzen, etwa ein Dutzend nach Dracos Schätzung, einen Raum am Ende des Flurs betraten. Harry, Ron, Draco und Narzissa kauerten sich in die Schatten.

Plötzlich begann Dracos Arm, heftig zu brennen. Er zuckte zusammen, und der Schmerz breitete sich aus wie eine Krankheit und kroch schneidend über seine Haut.

„Er sollte bald hier sein", sagte ein Zischen. „Richtig, Malfoy?"

Die zischende Gestalt erhob sich und sprach mit Lucius. „Oh, das wird er." Der Mann nickte Voldemort zu. Die Tür schloß sich, und ein Luftzug fuhr durch den Gang.

„Von wem reden die?" fragte Ron.

Draco beschloß, das Thema zu wechseln. „Mutter …" Er wandte sich Narzissa zu. „Weich Weasley nicht von der Seite, oder bleib in sicherer Entfernung, in Ordnung?"

Sie nickte und beobachtete, wie Draco aufstand. „Sei vorsichtig, Liebling."

Draco nickte und wandte sich dann an Harry und Ron. „Gebt mir einen Moment, dann schleicht ihr euch unbemerkt rein. Tötet nicht meinen Vater."

„Aber sollte es hart auf hart kommen, dann werde ich Voldemort töten, wenn du es nicht kannst", verkündete Harry.

„Mach dir keine Gedanken, Potter. Das werde ich." Draco verließ sie und ging den Flur hinunter.

Er holte dreimal tief Luft, bevor er die Tür öffnete. Elf Gestalten drehten sich zu ihm um. Er zuckte zusammen, aber sein Entschluß stand fest.

„Ah, junger Malfoy", zischte Voldemort. „Ich bin so froh, daß du zu uns stoßen konntest. Ich sehe, du hast meine Botschaft erhalten."

Der Schmerz in Dracos Arm verstärkte sich. „Wie könnte ich nicht?" Draco ging zur anderen Seite des Zimmers, so daß er die Tür sehen konnte. Jeder richtete seine Aufmerksamkeit auf ihn, alle standen mit dem Rücken zur Tür.

„Wir machen uns Sorgen, junger Malfoy", sagte Voldemort. „Das letzte, was du brauchst, ist Ablenkung von deiner Mission, besonders jetzt, wo wir so dicht davor sind."

„Ja, bloß das nicht", spöttelte Draco.

Voldemort grinste nur höhnisch. Eine Seitentür öffnete sich, und Wurmschwanz kam mit einer gefesselten Ginny herein. Voldemort beobachtete Draco, während der Ausdruck in dessen Augen erst erschrocken, dann besorgt und schließlich verärgert wurde.

„Es ist geradezu süß, daß du durch dieses Mädchen die Liebe gefunden hast", sagte er, als Wurmschwanz sie auf den Boden stieß und die Fesseln um ihre Handgelenke löste. Nagini schlängelte sich am Bein ihres Meisters hinab und wickelte sich um Ginnys Hals und Handgelenke. Ginny begann, zu würgen und nach Luft zu ringen.

Draco stand nur wortlos da. Er sah zu, wie Ginny nach Luft schnappte, als Nagini ihren Hals freigab. Über die Schultern der Todesser sah er, wie Harry und Ron aus dem Schatten ihre Köpfe durch die Tür streckten. „Warum holst du nicht auch die anderen aus dem Raum?" fragte er und nickte mit dem Kopf in Richtung der Seitentür. Sie verstanden den Wink, und Harry schlich auf diese Tür zu.

„Keine Eile, keine Eile … richtig, Harry Potter?" sagte Voldemort laut. Die elf Todesser drehten sich um und erblickten Harry, der mit weit aufgerissenen Augen dastand wie ein erschrockenes Reh.

„Verdammt", murmelte Draco. Er zog seinen Zauberstab und betäubte Wurmschwanz. Voldemort funkelte ihn zornig an. „Es geht nicht mehr um Potter", forderte er Voldemort heraus. „Dein Gegner bin ich."

„Männer!" wandte Voldemort sich an die übrigen, damit sie sich um Harry kümmerten. Voldemort baute sich in Duellhaltung auf. „Sehr wohl, junger Malfoy. Kümmern wir uns um deinen Betrug. Wenn du gewinnst, gehört sie dir", sagte er und versetzte Ginny einen Tritt in die Seite. Sie zuckte zusammen und stöhnte vor Schmerz auf.

Draco stellte sich ebenfalls zum Duell auf. „Also gut."