Disclaimer: Alle Figuren und Plätze, die aus dem "Herrn der Ringe" bekannt sind, sind geistiges Eigentum von J.R.R. Tolkien

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Rettung?

"Was sagt Ihr da?"
Der dunkelhaarige Elb verneigte sich ehrfürchtig und wiederholte sein Anliegen. Diesmal wählte er andere, deutlichere Worte, um die Dringlichkeit seiner Bitte noch mehr herauszustellen. Es war ihre letzte Chance. Die letzte Hoffnung Mittelerdes.
Sein Gegenüber lauschte den Worten ohne jede Regung in seinem wunderschönen Gesicht. Wie gebannt starrte der Elb in eben dieses, unfähig, seinen Blick abzuwenden, obwohl er sich bewußt war, daß er genau das nicht erlaubt war zu tun. Denn das Wesen vor ihm war kein Elb und auch kein Mensch, ja nicht einmal ein Maia. Es war eines der göttlichen Wesen, einer derjenigen, die das Reich erschaffen hatten, in dem der Elb sein Leben lang geweilt hatte. Es war... ein Vala.

Sie hatten eine weite Reise hinter sich. Eine Reise durch die verschiedensten Gegenden Mittelerdes, bis hinter die zwei Weißen Türme ganz im Westen des Kontinents. Sie hatten Mithlond erreicht und waren mit Schiffen über das Trennende Meer gesegelt bis hin zur Bucht von Eldamar. Von dort war es kein weiter Weg bis nach Ilmarin zum Gipfel des Taniquetil, und Elrohir hatte sich unbemerkt von der Gruppe entfernen können, um dem höchsten Fürsten der Valar nun sein Anliegen zu unterbreiten.

"Nun," sagte die vollkommen in blau gekleidete Gestalt, nachdem sie den Elben einmal mehr eindringlich gemustert hatte, "Euch ist bewußt, daß wir uns nicht mehr in die Belange der Kinder Ilúvatar's einmischen. Und das beinhaltet ebenfalls, daß wir Euch in Eurer Not nicht helfen können."
"Können? Oder wollen?" entwich es dem Elben, und sofort bereute er seine Unbeherrschtheit. Doch die Antwort Manwe's war nur ein mildes Lächeln.
"Beides, Sohn Eru's." sagte er sanft. "Doch das bedeutet nicht, daß wir Euch mit Euren Sorgen allein lassen."
Elrohir schluckte. Was wollte der Vala ihm damit sagen? Wenn er ihnen nicht helfen wollte, wer sollte es dann tun?
"Dein Volk wird Hilfe bekommen." beantwortete Manwe seine unausgesprochene Frage. "Doch die Lösung seiner Probleme muß es selbst herbeiführen."

***

Das Klicken der Tür ließ ihn hochschrecken. Jemand trat ein. Doch Aragorn wußte sofort, daß es keiner der Wachen sein konnte, denn diese hätten nur etwas abgestellt und wären kurz darauf wieder verschwunden. Doch sein Besucher war stumm und schien zu bleiben. Faramir...

Aragorn rüttelte an seinen Fesseln, doch noch immer hatte er es nicht ganz geschafft, sie zu lockern. Er brauchte mehr Zeit. Aber die hatte er nicht.
"Nun, mein König." sagte die ihm wohlbekannte Stimme gefährlich ruhig, während sich seine Schritte unaufhaltsam näherten. "Es ist Zeit."
Aragorn schluckte. Zeit... er wußte wofür. Irgendetwas bewog Faramir, seinen Plan nun doch durchzuführen und ihn zu töten. Oder irgendjemand.
"Lasst es Euch noch einmal durch den Kopf gehen." sagte er eindringlich, während er sich weiter an den Seilen um seine Handgelenke zu Schaffen machte.
Er hatte gehofft, daß der Fürst seine Pläne ändern und ihn am Leben lassen würde, daß sein Gespräch mit ihm etwas bewirkt hatte, doch nun mußte er sich eingestehen, daß dem nicht so war. Faramir wollte ihn töten, und ihm blieb nur noch wenig Gelegenheit, das zu verhindern.

"Es gibt sicher einen anderen Weg." fuhr er fort, während sich seine Gedanken überschlugen. Was würde den Fürsten davon abhalten können, ihn zu töten? Sicher nichts, denn Molari wollte seinen Tod und Faramir schien längst nicht mehr in der Lage, sich ihrem Willen zu widersetzen. Was konnte er dann tun, um wenigstens eine reele Chance zu haben?
"Einen ehrenhafteren Weg." sagte er herausfordernd. "Stellt Euch mir im Kampf Mann gegen Mann! Beweist, daß dieses Vorhaben wahrhaftig das Eure ist, und Ihr nicht nur die Marionette einer fremden Macht seid!"
"Die Marionette!" widerholte Faramir hasserfüllt. "Ich bin niemandes Marionette!"
Aragorn hörte, wie sich die Schritte weiter näherten. Er war jetzt fast bei ihm. Unbewußt drückte er sich enger gegen die Felswand hinter sich. "Doch, seid Ihr." beharrte er, bemüht, seine Stimme ruhig und überzeugt klingen zu lassen. "Sie hat Euch vollkommen unter ihrer Kontrolle. Und sobald ich aus dem Weg bin, wird sie Euch nur noch dazu benötigen, Gondor zu vernichten. Seht Ihr das denn nicht!"
"Schweigt, König!" zischte Faramir wütend. "Schweigt besser, denn die nächsten Atemzüge werden Eure letzten sein..."
Aragorn schluckte. Er hörte das Geräusch eines Messers, das aus seiner Scheide gezogen wurde, und rieb verzweifelt den Kopf an der Wand, um wenigstens die Augenbinde abstreifen zu können, wenn er schon nicht in der Lage war, die Fesseln zu öffnen. Doch auch das vergeblich.

Dann überschlugen sich die Ereignisse.
Er wurde gepackt, hochgerissen, und während er versuchte, sich mit gebundenen Händen gegen den Angriff zu wehren, spürte er die Klinge an seinem Hals und hörte Faramir's Stimme. "Lebt wohl, mein König..."
"Faram...-" brachte er noch hervor, doch der stechende Schmerz ließ ihn innehalten. Er spürte eine warme Flüssigkeit seinen Hals hinunterlaufen, Faramir's festen Griff um seinen Kopf, und irgendwo weiter vor sich hörte er plötzlich ein zischendes Geräusch. Dann spürte er einen Stoß, und das letzte, was er wahrnahm, bevor er zu Boden ging, war der harte Kontakt mit der Wand.

***

"Aragorn!"
Kaum daß er den Pfeil losgelassen hatte, stürzte Legolas zu den beiden Männern, die übereinander am Felsen lagen. Reglos, wie es aussah. Er konnte nur hoffen, daß er gut gezielt hatte, vor allem aber, daß er noch rechtzeitig gekommen war, um das Schlimmste zu verhindern.
Auch Gimli lief zu ihnen, und gemeinsam hoben sie Faramir von dem König herunter. Er lebte.
"Das war ein guter Schuß." sagte der Zwerg beeindruckt, denn der Pfeil des Elben steckte im Arm des Fürsten; eine Verletzung, die sehr schmerzhaft war, ihn sofort kampfunfähig gemacht hatte, ohne ihn jedoch ernsthaft zu gefährden.
Aber Legolas achtete nicht auf ihn. Zu sehr war er um seinen Freund besorgt, der bewegungslos auf dem Boden lag. Er nahm ihm vorsichtig die Augenbinde ab, und drehte ihn dann auf die Seite, um seine Fesseln mit einem Messer zu durchtrennen.
"Aragorn," widerholte Legolas besorgt, denn die Tatsache, daß er nicht reagierte, beunruhigte ihn zutiefst. Hatte er vielleicht doch etwas übersehen? Er blutete aus einer Wunde am Hals, doch es war deutlich zu erkennen, daß der Schnitt nicht sehr tief war. Dann konnte seine Bewußtlosigkeit nur von dem Sturz gegen die Wand herrühren.
Er legte die Hand auf Aragorn's Stirn und sah auf ihn herab. Sie mußten sich beeilen. Zwar hatten sie die Wachen unschädlich gemacht, doch es konnten jederzeit neue hinzukommen, die ihre Flucht aufzuhalten vermochten. Denn so wie es aussah, mußten sie Aragorn tragen. Und was war mit Faramir? Sie konnten ihn nicht zurücklassen, schließlich war auch er verletzt.

Ein Stöhnen ließ ihn aufhorchen.
Sofort beugte er sich über seinen Freund, der in diesem Moment die Augen aufschlug.
"Aragorn..." sagte er erleichtert. "Wir müssen hier raus."
"Faramir... wo ist er?"
"Neben dir. Er ist verletzt."
Aragorn drehte den Kopf und sah zum Fürsten hinüber. Auch Faramir war wieder zu sich gekommen und hatte sofort begonnen, sich vehement gegen den Griff von Gimli zur Wehr zu setzen. Jedoch ohne Erfolg, denn der Zwerg hatte nicht vor, ihm erneut Gelegenheit zu geben, dem König Schaden zuzufügen.
"Kannst du aufstehen?" fragte Legolas währenddessen, denn er wollte nicht länger als unbedingt notwendig an diesem Ort verweilen.
Aragorn nickte. Er preßte die Augenbinde, die Legolas ihm reichte, gegen seine Wunde und erhob sich. "Wir werden ihn mitnehmen." sagte er mit einem entschlossenen Blick zu Faramir. "Er kann uns in Minas Tirith sicher noch nützlich sein."
"Du hast recht." Auch Legolas stand nun auf und sah Aragorn an, der sich ihm in diesem Moment wieder zuwandte.
"Hannon le." sagte der König ernst und verharrte einen Augenblick, um Legolas seinen Dank zusätzlich durch einen Blick zu verstehen zu geben. Doch es benötigte diese Geste nicht, denn für ihn war es selbstverständlich, sein Leben für Aragorn zu riskieren. Für ihn würde er alles tun. Also lächelte er nur und drehte ich wieder zu den anderen. "Wir müssen los."

***

"Wie geht es ihr?"
Emelak's Stimme klang besorgt. Sicher, er war auch besorgt, aber Isarin bereitete seine Anwesenheit ein ungutes Gefühl. Seit zwei Tagen war er fast ständig bei Taina, und sie bekam langsam das Gefühl, daß der Umstand, daß Legolas nicht da war, dem dunkelhaarigen Mann sehr zugute kam. Und das behagte ihr gar nicht.

Sie wandte sich Emelak zu. Trotz ihres Eindruckes wußte sie doch, daß er im Augenblick einer der wenigen war, die Taina helfen konnten. Legolas war nicht da, und jede Stimme, die sie hörte, jede Nähe, die sie spürte, würde ihr guttun.
"Unverändert." sagte sie leise, obwohl das Fieber ihrer Tochter von Stunde zu Stunde gestiegen war. Sie war längst nicht mehr ansprechbar, und sie schien auch nicht mehr viel von dem wahrzunehmen, was um sie herum geschah. Doch das mußte Emelak nicht wissen. Es reichte, wenn sie sich vor Sorge zermarterte.

Isarin seufzte. Wenn Dirkan nicht bald mit Legolas und Aragorn zurückkam, wußte sie nicht, was sie noch tun konnte. Taina würde nicht mehr lange durchhalten. Sie brauchte elbische Medizin. Und das ungeborene Kind, das, so winzig es noch war, im Leib ihrer Tochter ruhte, konnte diesen Zustand erst recht nicht lange überleben.

Es war eine hinterhältige Krankheit; die roten Pusteln, die der Ostwind nach Gondor getragen hatte. So unauffällig, wie sie begonnen hatte, so schlimmer wurden nun ihre Auswirkungen. Und die Tatsache, daß Taina schwanger war, verschlechterten ihre Chancen mit jedem Tag. Sie hatte nicht genug Kraft, um für sie beide gegen das Fieber und seine Begleiterscheinungen ankommen zu können. Dessen war sich Isarin sicher. Und das bedeutete, daß sie das Kind verlieren würde. Wenn das nicht schon längst geschehen war.

"Isarin," sagte Emelak beschwörend, während er sich zu Taina ans Bett setzte, so, wie er es seit Tagen regelmäßig tat, "sag mir, was du denkst."
Sie lächelte nur, doch es war ein gequältes Lächeln.
"Sag mir die Wahrheit." drängte der. "Du verschweigst doch etwas."
Sie sah ihn an. Ja, sie verschwieg ihm etwas. Und sie hatte auch weiterhin nicht vor, es ihm zu sagen. "Es geht ihr nicht besser." sagte sie bestimmt. "Wir können nur hoffen, daß sie es schafft."
Emelak nickte. Er machte sich wirklich Sorgen um sie. Mehr als er sollte.

***

Es war so still. Kein Geräusch, nicht einmal mehr das ihres Pulses, konnte sie vernehmen. Es war, als ob sie taub war, oder in einer Welt ohne Laute. Wo war sie? Noch immer in ihrem Bett, oder hatte sie längst die Grenze überschritten? Die letzte Grenze, der sich ein Mensch je gegenübergestellt sehen würde?
Sie wußte es nicht. Sie wußte nichts mehr, außer, daß der Schmerz sie nach und nach betäubt und sie immer tiefer in den Strudel der Dunkelheit gezogen hatte, bis sie schließlich nichts mehr hatte spüren können. Nichts mehr. Nicht einmal mehr Hoffnung.

"Taina..."
Wer ist das... Legolas? Ist er da? Ist er zurückgekommen?
Sie kannte die Stimme. Doch sie war zu weit entfernt... zu weit entfernt...
"Du mußt durchhalten. Kämpfe!"
Durchhalten? Kämpfen? Wie?
"Ich brauche dich."
Ich brauche dich auch, Legolas. Mehr, als ich dir je sagen konnte.
"Ich werde so lange hierbleiben, bis...-"
Bis? Bis??
War es soweit? War das die Grenze?

Sie wußte, daß es ernst um sie stand. Und sie wußte ebenfalls, daß sie das, was tief in ihr hatte heranwachsen wollen, verloren hatte. Was sie nicht wußte, war, ob sie die Kraft hatte, zurückzukehren.