Disclaimer: Alle Figuren und Plätze, die aus dem "Herrn der Ringe" bekannt sind, sind geistiges Eigentum von J.R.R. Tolkien

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Rückkehr

"Los, aufstehen!"
Die Stimme des Zwergenkriegers war direkt neben seinem Ohr. Dumpf und undeutlich, mit dem für ihn typischen rauhen Unterton. Wie er ihn verachtete! Diesen kleinen, kräftigen Mann, der seine Abneigung gegen die Menschen nur allzu gerne und deutlich zeigte. Gimli. Gloin's Sohn.

Der Statthalter von Minas Tirith warf dem Zwergen einen vernichtenden Blick zu und erhob sich. "Wie Ihr wollt." brummte er, während er den Raum nach den anderen durchsuchte.
Aragorn stand nicht weit von ihm entfernt neben dem Elben und unterhielt sich leise. Faramir wußte, sie wechselten Worte in elbischer Sprache, damit er sie nicht verstehen und nichts von ihren Plänen erfahren konnte. Als ob er im Augenblick in der Lage wäre, sich gegen sie zur Wehr zu setzen!

Er sah an sich herab. Der Pfeil, mit dem der Elb ihn niedergestreckt hatte, war aus seinem Arm verschwunden; sicher ein weiterer 'Verdienst' des Zwergen. Warum hatte er ihn auch nicht unschädlich gemacht, als er die Gelegenheit dazu gehabt hatte? Als er bei ihm gewesen war und sich nach Aragorn erkundigt hatte? Es wäre so leicht gewesen und hätte den Ausgang seines Vorhabens entscheidend beeinflußt und mit Sicherheit alles zum Guten gewendet.

Zum Guten? Faramir zögerte. War es wirklich zum Guten, den König zu töten?
'Ja, denn nur so erhälst du die Macht, die du begehrst..'
Er zuckte zusammen. Da war sie wieder. Die Stimme in seinem Kopf. Ihre Stimme. Die Worte, die er hörte, ohne daß jemand sie aussprach.
'Die Macht die du begehrst...' hallte es wider. Ja, er begehrte diese Macht; mehr als alles andere. Aber konnte er dafür einen Menschen töten? Diesen Menschen, seinen König, seinen... Freund?
'Du mußt. Sonst ist dein Leben verwirkt.'
War es das nicht schon längst? Hatte er nicht schon alles verspielt, als er Aragorn gefangengenommen hatte? Ihn hinterrücks überfallen, ihn eingesperrt, ihn verletzt hatte?
'Du mußt ihn töten. Sonst tötet er dich.'
Er? Faramir's Blick wanderte erneut zu Aragorn. Er sah nicht so aus, als ob er vorhatte, ihn zu töten. Im Gegenteil. Sicher wollte er ihn mitnehmen, damit er mit ihm als Geisel ungehindert das Versteck verlassen konnte.
'Das darf nicht geschehen. Er darf Minas Tirith nicht erreichen. Töte ihn. Jetzt!'

Der Fürst schluckte. Wie sollte er das tun? Der Zwerg ließ ihn nicht aus den Augen, und auch der Elb schien damit zu rechnen, daß er noch einmal versuchen würde, seinen Plan auszuführen. Er hatte keine Chance. Selbst, wenn er wollte. Aber wollte er wirklich?

***

Er würde es nicht tun. Das wußte sie. Er hatte die einzige Gelegenheit, die er hatte, vertan, und nun war Aragorn frei. Und sie wußte ebenfalls, daß er nun mehr denn je daran zweifelte, ob es richtig war, den König zu beseitigen. Ihr Einfluß auf den Fürsten war versiegt. Also mußte sie einen anderen Weg finden. Einen sichereren Weg.

Ihr Blick fiel auf den Palantir, der vor ihr auf einem kleinen Tisch lag. Er war schwarz, doch als sie ihre Hand darauf legte und ein paar Worte in ihrer Sprache murmelte, klarte der Stein auf und zeigte eine steinerne Stadt. Minas Tirith. Bald würde Aragorn dort eintreffen. Er würde Ithilien ohne weitere Probleme verlassen und der Unruhen in der weißen Stadt wieder Herr werden.

'Aragorn...' überlegte sie mürrisch. 'der König mit den heilenden Händen..'
Der Einzige, der ihrer Macht nicht erliegen würde. Nun war es ihm schon das zweite Mal gelungen, sich ihrem Griff zu entziehen. Also war es an der Zeit, persönlich in Erscheinung zu treten...

***

"Namarie."
Legolas drehte sich noch einmal zu seinen beiden Freunden und dem Fürsten von Ithilien um und nickte. Es war an der Zeit, seinen eigenen Interessen nachzugehen. Das zu tun, was er tun wollte, tun mußte, um Taina zurückzugewinnen.

Nichts war jetzt wichtiger als das. Aragorn war in Sicherheit, und zusammen mit Gimli und Faramir würde er die Menschen in Gondor beruhigen können, dessen war sich Legolas sicher. Faramir schien nicht mehr länger unter dem Einfluß der Weißen Frau zu stehen, denn warum hätte er ihnen sonst die Flucht aus dem Versteck ermöglichen sollen? Er hatte ihnen sogar geholfen, Andúril und die anderen Waffen des Königs zu holen, um dann ungehindert an den Wachen vorbeikommen zu können. Also deutete alles darauf hin, daß der Fürst wieder ganz er selbst war.
Nur ungern erinnerte sich der Waldelb daran, daß er selbst ein Opfer Molari's gewesen war. Vor nicht allzu langer Zeit. Und er wußte, daß es einen Grund dafür geben mußte, warum sie untätig zusah, wie ihr Plan erneut vereitelt worden war und sich Aragorn bereits ein zweites Mal aus ihrem Netz hatte befreien können. Denn offensichtlich war der König die Schlüsselfigur in ihrem Vorhaben, Mittelerde zu beherrschen. Und wenn sie ihn nicht aufhielt, bedeutete das, daß sie andere Pläne mit ihm verfolgte.

Legolas' Blick verfolgte die beiden Pferde, die sich in schnellem Tempo von ihm entfernten. Für einen kurzen Augenblick überlegte er, umzukehren und sich den anderen wieder anzuschließen, doch schnell verwarf er den Gedanken wieder. Er mußte erst mit Taina reden. Das hatte er schon viel zu lange aufgeschoben. Und danach konnte er sich immernoch um Aragorn kümmern.

Energisch wies er dem Pferd die Richtung zu seinem Heim und spürte, wie es sich unter ihm in Bewegung setzte. Bald würde er zuhause sein. Er konnte es kaum erwarten, sie vor sich zu sehen und ihr all das sagen zu können, was er sich in den vergangenen Stunden und Tagen zurechtgelegt hatte. Er würde es ihr erklären; sein Verhalten, den Grund, warum er mit Aragorn hatte sprechen wollen, und die Ursache seiner Verspätung. Und dann würde er alles daran setzen, ihr Vertrauen zurückzugewinnen.

Je näher er der vertrauten Umgebung kam, desto mehr trieb er Tirion zur Eile an. Und als das kleine Holzhaus schließlich in Sichtweite war, spürte er deutlich, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Doch was erwartete ihn dort? Wie würde Taina reagieren, wenn sie ihn erblickte? Was sollte er als erstes tun? Sich entschuldigen, ihr alles erklären, oder sie einfach nur in seine Arme schließen?

Tausend Gedanken rasten Legolas durch den Kopf, als er die Hütte erreichte und sein Pferd in den Stall brachte. Ohne sich wie üblich ausgiebig um Tirion zu kümmern, ging er zur Tür, doch als er gerade nach dem Knauf griff, um sie zu öffnen, schwang sie auf und Isarin stand vor ihm.
"Legolas!" sagte sie schnell, und der Elb wußte sofort, daß etwas nicht stimmte.
Doch bevor er etwas erwidern konnte, fuhr die Südländerin bereits fort. "Geh da nicht rein." sagte sie beschwörend. "Noch nicht. Zuerst muß ich dir etwas sagen."
Legolas spürte, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzog. Was konnte sie ihm sagen wollen? Er blieb stehen und sah sie irritiert an. "Was - " begann er, doch Isarin unterbrach ihn.
"Während du wegwarst, ist viel geschehen." erklärte sie bedrückt. "Taina wurde krank. Sehr krank. Emelak hat sich um sie gekümmert..."
"Emelak?" Das Ziehen wurde stärker, fast unerträglich.
"Ja, Emelak." wiederholte Isarin. "Und dann ist etwas passiert, das..." Sie zögerte.
Doch Legolas brauchte keine weiteren Erklärungen. Er wußte, was sie ihm sagen wollte.
Wortlos ging er an ihr vorbei und betrat die Hütte. Sein Heim. Das Haus, das er für sich und Taina gebaut hatte. Für ihr gemeinsames Glück, ihre Familie, ihre Zukunft. Und wen erblickte er am Bett der Frau, die er liebte, ihre Hand in der seinen?
"Emelak." Es war nur ein Zischen, doch der dunkelhaarige Mann fuhr sofort herum und starrte den Elben an. Und da stand alles geschrieben in seinem Blick. Überraschung, Schuld und - Liebe. Verbotene Liebe, denn das, was er begehrte, war nicht sein. Oder war es das doch..?
"Was tust du hier?" fragte Legolas kalt, während sich der Mann langsam erhob.
"Siehst du das nicht?" erwiderte er.
'Doch!' wollte der Waldelb ausrufen. 'Du hast dir genommen, was mir gehört!' Doch alles, was seiner Kehle entwich, war ein dumpfes Grollen.

Er sah zum Bett. Taina lag da, in die Decke gehüllt, und schlief. Und zum ersten Mal in seinem langen Leben fühlte sich Legolas hilflos. War es wirklich geschehen? War es Emelak gelungen, sich seine Abwesenheit zunutze zu machen und Taina von seinen Vorzügen zu überzeugen? Hatte sich die Frau, die er liebte, und die eingewilligt hatte, ihn zu heiraten, so schnell von dem Menschen erweichen lassen? Oder hatte sie gar früher bereits Gefühle für den Gondorianer gehegt, wie er schon einmal vermutet hatte?
Erneut blickte er zu Emelak. Die Überraschung in dessen Augen hatte sich in Überlegenheit gewandelt, und es war nur allzu deutlich, daß er sich seiner Situation voll bewußt war. Und auch Legolas war sich bewußt, daß er derjenige war, der hier störte. Er mußte hier raus. Emelak, Taina, einfach alles in diesem Haus schien ihm plötzlich unerträgliche Schmerzen zu verursachen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, drehte er sich um und verließ die Hütte. Draußen blieb er kurz stehen und versuchte, durch die frische Luft wieder einen klaren Kopf zu bekommen, doch er war nicht in der Lage, auch nur einen seiner Gedanken zu ende zu bringen. Alles erschien ihm plötzlich sinnlos, und auch die Worte Gimli's, die sich immer wieder Einlaß in sein Gedächtnis verschafften, verhallten nahezu ungehört. Wie sollte er um ihre Liebe kämpfen, wenn sie sich offenbar längst entschieden hatte? Wenn es zu spät dazu war?

"Legolas." Isarin's Stimme ließ ihn zusammenzucken. "Lass mich erklären...-"
"Nein." sagte er kopfschüttelnd. "Es bedarf keiner Erklärung, Isarin. Ich weiss, was du mir sagen willst." Er sah sie an, fürchtend, eine Bestätigung für seinen Verdacht in ihren Augen zu finden, doch alles, was er vor sich sehen konnte, war das Bild aus der Hütte. Emelak an Taina's Bett.
"Legolas." Das war seine Stimme. Die Stimme des Menschen.
Langsam drehte er sich um. "Was willst du noch, Emelak." Sein Blick durchbohrte ihn, und wäre er nicht taub und bewegungslos durch seine Gefühle, hätte er statt dessen seine Waffen dazu benützt.
"Du warst nicht hier." begann der dunkelhaarige Mann erklärend, während er auf den Elben zukam. "Du hast dich nicht um sie gekümmert. Du hast -" Ein Geräusch aus der Hütte ließ ihn innehalten.
Auch Legolas sah zur Tür, und wenig später verschwand Isarin in der Hütte, um sich um den Kessel zu kümmern, dessen kochendes Wasser das Geräusch verusacht hatte.
Emelak blickte ihr nach und schloß dann die Tür hinter ihr.
"Du hast sie allein gelassen." fuhr er beschwörend fort. "Ich war der einzige, den sie hatte. Den sie brauchte. Und dann..." Ein vielsagendes Lächeln huschte über sein Gesicht. Ein Lächeln, bei dem sich Legolas der Magen umzudrehen drohte. "Geh zurück zu deinen Freunden." zischte Emelak. "Geh, kämpfe gegen das Böse. Denn du hast das ihr vorgezogen, anstatt für sie zu kämpfen. Sie braucht niemanden wie dich. Sie braucht jemanden, der für sie da ist. Keinen Krieger, der nur den Feind im Sinn hat. Und nur das bist du. Du siehst sie gar nicht, du siehst nur den Feind und einen Krieg, der längst vorbei ist. Doch was sie braucht, ist jemand, der sie liebt, sie versteht, ...der sich um sie kümmert, sich um sie sorgt, wenn es ihr nicht gutgeht. Und das tust du nicht."
Legolas starrte ihn an, hörte die Worte, und jedes einzelne trieb einen weiteren Dolch in sein Herz. Er hatte es vor sich selbst geleugnet, hatte es nicht wahrhaben wollen, doch jetzt, wo der Mensch ihm das ins Gesicht sagte, konnte er vor der Gewißheit nicht mehr entfliehen. Emelak hatte recht. Er hatte sie allein gelassen, als sie ihn am nötigsten gebraucht hatte. Und das war etwas, das er sich nicht verzeihen konnte.
Und als wenn sein Schmerz noch nicht ausreichte, drang erneut die unbarmherzige Stimme des Gondorianers an sein Ohr. "Ich liebe sie. Und ich kann ihr all das geben, wozu du nicht in der Lage bist: Ein normales, menschliches Leben. Mit allem, was dazugehört."

Legolas spürte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich. 'Ein normales, menschliches Leben'. Ja, das war es, was er ihr nicht bieten konnte. Nie bieten können würde. Und das war es, was dem Menschen den Vorteil brachte. Was Taina umgestimmt haben mußte. Was sie, auch wenn er es haßte, es sich einzugestehen, in seine Arme getrieben hatte.
Bemüht, Haltung zu bewahren, richtete er sich auf. 'Du hast recht.' wollte er sagen. 'Mit allem.' Doch alles, was über seine Lippen kam, war, "Dann ist es so."

Damit drehte er sich um und ging, ohne einen weiteren Blick auf sein Haus und sein Heim zu werfen, zum Stall, bestieg sein Pferd, und ritt davon.