Disclaimer: Alle Figuren und Plätze, die aus dem "Herrn der Ringe" bekannt sind, sind geistiges Eigentum von J.R.R. Tolkien

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Trennung und Wiedersehen

Das konnte nicht wahr sein. Kaum war die Tür zum Festsaal geöffnet, sah Gimli seinen Verdacht bestätigt, der ihm beim Klang von - wie es schien - hunderten von Stimmen schon von weitem gekommen war. Im großen Saal von Minas Tirith fand ein Fest statt, in solchen Ausmaßen, die der Zwerg in seinem langen Leben noch nicht gesehen hatte. Und er hatte beleibe nicht wenig Festlichkeiten erlebt! Doch das hier übertraf alles.

"Bei den Göttern,... was.." begann auch Aragorn neben ihm, doch die Frage blieb dem König im Hals stecken, als auch er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ. Überall standen leere Krüge auf den Tischen, halbvolle Weinkaraffen, ja, ganze Fässer waren in den Saal geschleppt worden, über die sich eine Horde völlig betrunkener Menschen hermachte, die bei weitem nicht mehr ganz Herr ihrer Sinne waren! Und mitten unter ihnen erkannte der Zwerg zwei ihm wohlbekannte Gesichter.
"Also, das ist doch..." grummelte er entsetzt, während auch Aragorn's Blick auf die beiden Hobbits gefallen sein musste. Denn anders konnte er den unbestimmten Ausruf des Königs nicht deuten, der sich in diesem Moment von dessen Lippen löste.

Sofort drehte sich einer der beiden Hobbits um und grinste den dunkelhaarigen Mann an. "Aragorn! Wie nett, dich hier zu sehen! Ich dachte nicht mehr, daß du noch kommst." Das Lallen in seiner Stimme war unüberhörbar, und der König quittierte diesen Ausspruch mit einem zerknirschten Lächeln.
"Merry..." begann er vorwurfsvoll, während sein Blick erneut über die Tafel wanderte. "Was hat das hier zu bedeuten?"
"Das hier?" wiederholte der Hobbit. "Nun, ich würde sagen, Rettung für Gondor."
"Rettung?" Gimli traute seinen Ohren kaum. Wie konnte ein rauschendes Fest ein ganzes Land retten?
"Ja." beharrte Merry standhaft. "Diese freundlichen Herren hier waren hergekommen, um den König zu stürzen... und nun seht sie euch an!"
In der Tat. Sie sahen nicht so aus, als wenn sie noch in der Lage wären, irgendjemanden zu stürzen, geschweige denn, den König.
"Gut, nicht?" fuhr Merry grinsend fort. "Dafür hat es sich doch gelohnt, die ganzen Vorräte zu plündern, oder?"
"Nun ja..." Aragron musterte ihn skeptisch, doch schließlich umspielte ein verständiges Lächeln seine Lippen. "Und welcher dieser... Herren ist ihr Anführer? fragte er belustigt.
"Der Anführer? Nun... der ist gerade... verhindert."
"Verhindert..." wiederholte Gimli grinsend, während seine Gedanken mögliche Ursachen dieser Verhinderung durchspielten.
"Ähm, ja. Er genießt den Luxus einer Einzelbehandlung." erklärte Merry vielsagend. "Wir bringen dich gleich zu ihm. Dann kannst du ihm vielleicht erklären, warum du nicht hierwarst. Er hat dich vermißt."
Den letzten Satz schmückte er mit einem süffisanten Grinsen, welches Aragorn jedoch galant überging.
"Wo ist er?" fragte er nur, und Merry schien zu ahnen, daß die Zeit für Späße jetzt vorüber war.
"Ich bringe dich zu ihm." sagte er ernst und deutete Aragorn, ihm zu folgen.

Gimli blieb zurück und beobachtete kopfschüttelnd das Treiben, das sich vor seinen Augen darbot. "Menschen," brummte er verständnislos, "kommen, um einen König zu stürzen und lassen sich durch ein wenig Speis und Trank vom Gegenteil überzeugen... Ein Wunder, daß sie es zur Herrschaft über Mittelerde gebracht haben!"
Damit ging er zur Tafel, griff nach dem erstbesten Glas Wein und begann, sich über die Überreste des Festmahls herzumachen.

***

Es war aus. Vorbei. Er würde nie zurückholen können, was er verloren hatte. Und er hatte alles verloren. Vor wenigen Tagen noch hatte er alles Glück in seinen Händen gehalten, doch nun lebte diese Zeit nur noch in seiner Erinnerung.
Er blickte zurück, doch jedes Bild von Taina brachte neuen Schmerz mit sich, die erbarmungslose Gewißheit, daß es nie wieder so sein würde. Er sah nach vorn, doch auch dort erwartete ihn nichts als Leere. Alles, was er hatte, war das Hier und Jetzt. Sein Pferd und den Weg nach Minas Tirith, den er ohne darüber nachzudenken eingeschlagen hatte. Doch was wollte er dort? Der Anblick von Aragorn würde ihn wieder an das Gespräch erinnern, das er nie mit ihm geführt hatte, das vorwurfsvolle Gesicht von Gimli würde die Wunden nur noch vertiefen, und das Lachen der Hobbits wäre der reinste Schmerz in seinen Ohren. Er würde niemanden in seiner Nähe ertragen können. Und es vermochte auch niemand, ihm sein Leid zu erleichtern.

Legolas hob den Kopf und starrte auf die Landschaft, die reglos vor ihm lag. Die Zeit schien stehengeblieben zu sein. Kein Geräusch lag in der Luft, kein Stampfen der Hufe, kein Zwitschern der Vögel, kein Rauschen der Blätter im Wind; nur die unerträgliche Stille in seinem Herzen.
Er fühlte sich ausgebrannt, leer. Denn da war nichts mehr, das ihn vorwärts trieb. Nichts mehr, auf das er sich freute. Immer nur die Gewißheit, daß es aus war.

Er richtete sich auf, und sofort verlangsamte Tirion sein Tempo, um schließlich stehenzubleiben. Legolas ließ sich von seinem Rücken hinabgleiten und bewegte sich, ohne es bewußt zu wollen, auf eine kleine Erhebung rechts vom Weg zu. Es war ein mit Gräsern bewachsener Hügel, der die Ausläufer der Emyn Arnen markierte. Dahinter lag ein kleines Wäldchen, dessen Buchen eine willkommene Stätte der Ruhe und Reflexion boten.
Ruhe. Ja, das war es, wonach er sich jetzt sehnte. Ein langer, ungestörter Schlaf. Vielleicht würde er danach neuen Antrieb haben, um weiterzumachen und sich den neuen Herausforderungen zu stellen.
Langsam ging er den Hügel hinauf und sah sich um. Ein wahrlich schöner Ort. Genau das richtige, um seinem Leben für einen Augenblick zu entfliehen.
Er ließ sich neben einer großen Buche zu Boden sinken und lehnte sich erschöpft gegen deren Stamm. Dann schloß er die Augen und ließ den warmen Wind durch seine Lungen strömen. Es roch nach Herbst und den ersten farbigen Blättern, die ihre Plätze in den Kronen der Bäume verliessen, um dem immerwährenden Kreislauf des Lebens zu folgen und eine neue Aufgabe in der Natur zu erfüllen. Und es roch nach Erde. Doch da war noch etwas anderes... ein süßer Duft, ein lieblicher Duft, wie der einer frisch entsprungenen Knospe...-

Irritiert hob Legolas den Kopf. Dieser Duft passte nicht hierher. Er war zu ungewöhnlich, zu frisch für diese Jahreszeit. Überhaupt konnte er sich nicht erinnern, ihn jemals wahrgenommen zu haben. Plötzlich stutzte er. Doch, er hatte ihn schon einmal wahrgenommen... vor nicht allzu langer Zeit. Und die Erinnerungen daran waren mehr als schmerzlich.
Schlagartig öffnete er die Augen - und erstarrte.

***

'Legolas.'
Ihr Blick wanderte zufrieden an dem Elben hinunter. Nun war es endlich soweit. Sie hatte ihn dort, wo sie ihn haben wollte. Er war verwirrt, entmutigt und verletzbar. Und es hatte nicht einmal ihrer eigenen Einschmischung bedarft, um ihn in diesen Zustand zu bringen. Nein, es war ein Mensch gewesen, der den Elben bezwungen hatte. Und seine eigenen, verstörenden Gefühle. Wie schwach die Erstgeborenen doch waren! Und wie leicht würde sie ihren Plan nun in die Tat umsetzen können.
Langsam ging sie auf ihn zu. Er kauerte an den Baumstamm gelehnt und starrte sie an. Die Angst in seinen Augen war unverkennbar, mußte er sich doch noch lebhaft an ihr letztes Aufeinandertreffen erinnern können. Ein Aufeinandertreffen, das ihn fast das Leben gekostet hätte. Aber nur fast. Und nun gab es niemandem, der ihm helfen konnte.

"Legolas..." Diesmal sprach sie seinen Namen aus, wenngleich der bloße Gedanke daran bereits bis in die Tiefen seines Bewußtseins vorzudringen vermochte. "Wie schön, dich wiederzusehen."
Ihre Stimme ließ ihn zusammenzucken. Er wußte, was ihm bevorstand, und sicher wußte er ebenfalls, daß er ihr nun endgültig ausgeliefert war. Denn anstatt nach einem Fluchtweg zu suchen, verharrte er nur regungslos. Er hatte aufgegeben, und sie war sicher, er würde auch keine weitere Gegenwehr mehr leisten.
"Ja, mein schöner Prinz," fuhr sie fort, während sie sich ihm weiter näherte. "ich habe dir gesagt, wir werden uns wiedersehen. Wahrlich, zu einem günstigeren Zeitpunkt hätte es nicht sein können!" Sie blieb vor ihm stehen und hob lächelnd ihre Hand, "Und nun... gehörst du mir!"

***

Der Waldelb spürte alles Blut aus seinem Gesicht weichen. Molari. Als hätte die Maia nur darauf gewartet, ihn in einer hilflosen Lage anzutreffen. Und genau das war er in diesem Moment - hilflos. Sein Körper fühlte sich schwer an, keines seiner Glieder schien ihm zu gehorchen. Und so sehr er sich auch bemühte, er konnte dem ihm drohenden Schicksal scheinbar nichts entgegensetzen.
'Legolas.' Ihre weiche Stimme brannte sich wie Feuer in seinen Kopf ein. Sie stand jetzt direkt vor ihm. Ihr weißes Gewand blendete ihn, doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte weder den Blick abwenden, noch seine Augen schließen. Alles, wozu er imstande war, war sie anzustarren und auf das Unausweichliche zu warten.
Er sah ihre Hand, die sich langsam seinem Gesicht näherte.
'Nein!' wollte er ausrufen, doch seine Kehle blieb stumm. Mit letzter Kraft versuchte er, zurückzuweichen, sich an der Rinde entlang aus ihrer Reichweite zu bewegen, doch sie folgte ihm und berührte ihn schließlich an der Stirn.
Sofort spürte er Hitze von ihren Fingerspitzen ausgehen, Energie, so kraftvoll und mächtig zugleich, die sich rasend schnell über seinen gesamten Körper ausbreitete. Hunderte kleiner Blitze schienen ihn zu durchfahren, seine Gliedmaßen zu elektrisieren und sich in seinen Fingern und Füßen zu entladen. Seine Haut kribbelte und das Gefühl wandelte sich in kleine Nadelstiche, als ihre Hand sich allmählich über sein Gesicht bewegte.
"Du kannst nicht fliehen." raunte sie, während sich ihr Gesicht beängstigend näherte. "Jetzt bist du mein, Sohn von Thranduil. Für den Rest deiner Tage."
'Nein!' Wieder war es nur der Wunsch danach, es auszusprechen, zumindest einen Versuch der Gegenwehr zu zeigen. Doch kein Laut kam über seine Lippen.

Legolas' Gedanken überschlugen sich. Was konnte er tun? Wie konnte er sie aufhalten? Wodurch würde es ihm gelingen zu verhindern, daß sie erneut die Kontrolle über ihn übernahm? Denn diesmal würde sie sichergehen, daß er sich ihrem Willen nicht widersetzte. Sie mußte aus ihren Fehlern gelernt haben...
"Oh ja, schöner Prinz," säuselte sie lächelnd. "Das habe ich. Sei dir dessen gewiss."
Ihre Fingerspitzen lagen auf seiner Wange, und als sie überraschend mit dem Daumen seine Lippen berührte, zuckte er zusammen. Sie schien zu brennen, und augenblicklich griff das Feuer auf ihn über.
Ihr Gesicht war nur noch wenige Zentimeter vor seinem, und ihr Atem, der heiss und bedrohlich zugleich über seine Haut strich, ließ ihm schwindelig werden. Verzweifelt suchte er mit den Händen Halt im Gras, krallte seine Finger in die halblangen Halme, doch selbst die Natur schien sich gegen ihn verschworen zu haben, denn sie entglitten ihm wieder, als flüchteten sie vor ihm.
"Du bist mein." wiederholte Molari drohend, und jedes Wort schnitt sich tief in seine Seele. Er versuchte, seine Gedanken auf etwas Schönes zu konzentrieren, auf etwas ermutigendes, das ihm Kraft gäbe, zumindest die Herrschaft über seinen Geist zu behalten, wenn die Maia schon seinen Körper besitzen sollte. Doch das einzige, das dies vermocht hätte, und an das er automatisch dachte, gehörte der Vergangenheit an... Taina. Trotzdem klammerte er sich an die Erinnerung, an die schönen Stunden mit ihr, die Aussicht auf ein erfülltes Leben, die Hoffnung auf eine Familie. Und an den Irrglauben, daß es vielleicht noch einmal so werden könnte.
'Taina...'
Sie hat dich verlassen, Legolas.
'Meine Sonne, mein Herz, mein Leben.'
Sie liegt nun in den Armen eines anderen.
'Verzeih mir.'
Dafür ist es längst zu spät.

"Sieh mich an, Legolas!"
Er bemerkte, daß er die Augen geschlossen hatte, und nur mit Mühe konnte er sich Molari's Befehl widersetzen. Wenn er jetzt in ihre blauen Augen sah, war er verloren. Für immer.
"Sieh mich an!!"
Er schüttelte stumm den Kopf und kniff die Augen fester zusammen.
"Nun gut, mein Prinz. Du hast es nicht anders gewollt." Ihre Worte waren jetzt wieder sanft und weich, und ihr Atem strich fast schon zärtlich über sein Gesicht.
Und dann, plötzlich, sah er Taina vor sich. Ihr braunes Haar, ihre dunkle Haut, ihre grünen Augen. Und er hörte ihre Stimme.
"Legolas... mein Liebling, sieh mich an."
Nein. Das konnte sie nicht sein. Das war nicht Taina. Doch es war ihre Stimme. Ihre unverwechselbare, berauschende Stimme.
Langsam öffnete er die Augen und sah sie vor sich. Taina. Sie war da. Bei ihm. Aber wie war das möglich? Sie mußte ihm gefolgt sein.
"Taina..." Es war nur ein Hauchen.
"Ja, ich bin hier... Bei dir."
Er sah sie an, blickte tief in ihre grünen Augen und spürte seine Sinne unter der Hitze langsam schwinden. Sie war bei ihm. Und das war alles, was zählte.

Er roch sie, fühlte sie, spürte ihre Lippen auf den seinen. Ein Kribbeln erfasste ihn, ließ ihn erbeben und er fühlte, wie auch die letzte Mauer in ihm fiel. Bereitwillig öffnete er den Mund, ließ sie ein in das Tor seines Körpers, seiner Seele, ließ sich erobern und schließlich besitzen. Und als sie sich seiner immer mehr bemächtigte, mit ihren Händen und Lippen seinen Leib erkundete, ließ er sich fallen in das drängende Verlangen, sie zu spüren und gab sich ihr hin, bis zuletzt alles um ihn herum schwarz wurde.