Disclaimer: Alle Figuren und Plätze, die aus dem "Herrn der Ringe" bekannt sind, sind geistiges Eigentum von J.R.R. Tolkien

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Böses Erwachen

"Sie kommt zu sich."
Isarin sah deutlich, wie sich die Augen ihrer Tochter unter den Lidern bewegten. Das war ein gutes Zeichen. Sofort nahm sie ihre Hand und fühlte den Puls. Auch der war wieder kräftig und regelmäßig. Erleichtert atmete sie auf und sah zu Dirkan.
"Ich glaube, sie hat es geschafft."
Ihr Mann versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die sich bei ihren Worten in seinen Augen gesammelt hatten, und wandte sich schließlich ab.
"Es wird alles wieder gut."
Auch sie selbst kämpfte mit den Tränen, den letzten Zeugen ihrer Verzweiflung, die sich in diesen letzten Stunden in Erleichterung gewandelt hatten. Taina würde überleben. Sie hatte die Krankheit aus dem Osten besiegt. Und das ganz allein. Ohne die Hilfe von Aragorn.

Vorsichtig beugte sie sich über sie und strich über ihre dunklen Haare.
"Taina! Kind, wie geht es dir?"
Sie wußte nicht, wie oft sie diese Frage in den letzten Tagen gestellt hatte, doch diesmal hoffte sie mehr denn je auf eine Reaktion. Und sie mußte nicht lange warte, denn langsam, fast unmerklich, bewegte sich Taina's Kopf in ihre Richtung.
"Taina..." Sofort war sie dicht neben ihr und umklammerte ihre Hand. "Kannst du mich hören?"
Es war nur eine leichte Bewegung, doch Isarin sah das angedeutete Nicken sofort. "Kind, es wird alles gut. Du hast es überstanden."
Wieder ein Nicken, dann öffneten sich die Augen und ihre Tochter sah sie an. "Legolas...?"

Legolas. Isarin's Herz schien stehenzubleiben, als Taina seinen Namen aussprach. Diesen Augenblick hatte sie gefürchtet. Wie sollte sie ihr erklären, was passiert war? Daß Legolas ohne ein Wort gegangen war und niemand wußte, ob er wiederkommen würde? Daß er sie in der Stunde ihrer Not allein gelassen und seinen Platz an ihrer Seite scheinbar kampflos aufgegeben hatte? Sie wußte es nicht. Doch sie brachte es nicht über's Herz, ihrer Tochter die Wahrheit zu sagen.
"Legolas ist noch nicht wieder zurückgekehrt, Taina." begann sie, während sie mit einem feuchten Tuch über die Stirn ihrer Tochter fuhr. "Aber er hat Nachricht geschickt, daß er bald wieder hier ist."
"Wann?" Es war nur ein Hauchen.
"Bald." Sie nickte zuversichtlich, doch sie war nicht in der Lage, Taina dabei in die Augen zu blicken. Statt dessen stand sie auf und ging zur Kochstelle, um heisses Wasser für einen Tee aufzusetzen. Sie brauchte Zeit. Taina brauchte Zeit. Sie mußte erst wieder völlig genesen sein, um das alles verkraften zu können. Dann würde sie ihr sagen, was geschehen war.

Das Geräusch der Tür ließ sie aufschrecken. Sollte Dirkan bereits wieder zurück sein? Sie fuhr herum und sah Emelak, der schnell näher kam, den Blick auf Taina gerichtet.
"Taina!" rief er erfreut. "Du bist wach!"
"Emelak..." Isarin's Gedanken überschlugen sich. Sie mußte verhindern, daß Taina von ihm erfuhr, was sie selbst zu verschweigen suchte. "Warte..."
"Warte?" Er sah sie verständnislos an. "Ich hab lange genug auf diesen Moment gewartet, Isarin. Jetzt ist sie endlich wach..." Ohne auf ihren warnenden Blick zu achten, ging er zum Bett und setzte sich neben Taina.
Isarin beobachtete ihn, und während sie noch überlegte, wie sie ihn ablenken konnte, nahm er Taina's Hand und sagte lächelnd, "Ich bin so froh, daß es dir besser geht. Du warst sehr krank, mein Liebling."
Der Klang dieses Kosenamens ließ der Südländerin das Blut in den Adern gefrieren. Mein Liebling! Und das aus Emelak's Mund! Was hatte doch die Zeit, die er wartend an ihrem Bett wachend verbracht hatte, angerichtet.
Auch Taina schien überrascht zu sein, denn sie wechselte verwirrte Blicke mit ihrer Mutter, bevor sie wieder zu Emelak sah. "Wo ist Legolas?" fragte sie nun auch ihn.
"Legolas..." wiederholte der dunkelhaarige Mann bedächtig. "Nun, er wird nicht zurückkommmen."
"Emelak!" Isarin starrte ihn entsetzt an. Wie konnte er nur so etwas behaupten?
"Es wird Zeit, daß ihr alle die Wahrheit erfahrt." fuhr Emelak ernst fort. Er sah zu Isarin und dann wieder zu Taina. "Ich habe mit ihm gesprochen. Und es hat sich bestätigt, was ich schon die ganz Zeit über befürchtet habe: Wir haben uns in ihm getäuscht."
Ungläubig trat Isarin näher. "Wovon redest du?"
"Ja, was meinst du damit, Emelak?" Auch Taina starrte den Gondorianer nun an. "Was hat er gesagt?"
Emelak seufzte kurz, dann legte er ihre Hand in seinen Schoß und hielt sie fest. "Du mußt jetzt sehr stark sein, Taina." Er machte eine Pause, bevor er mit fester Stimme hinzufügte, "Legolas hat dich verlassen. Er wird sein Leben als Krieger weiterführen und an der Seite des Königs bleiben. Da wo er hingehört. Und er wird nicht wieder zurückkommen."

***

Taina spürte, wie eine eisige Kälte Besitz von ihr ergriff. 'Legolas hat dich verlassen.' Das war es, was ihre Mutter vor ihr verheimlicht hatte. Das war es, was sie die ganze Zeit befürchtet hatte. Was sie geahnt, aber dennoch nicht hatte wahrhaben wollen. Legolas hatte aufgegeben.
"Taina?" Wie durch einen dicken Vorhang drang Emelek's Stimme an ihr Ohr. "Vergiß ihn. Wer sich so verhält, ist es nicht wert, daß du ihm nachtrauerst."
Vergessen? Wie konnte sie ihn einfach so vergessen? Den einzigen Menschen, dem sie je ihr Herz geschenkt hatte. Dem sie sich geöffnet und ihre Liebe geschworen hatte. Doch war er eben kein Mensch - er war ein Elb. Und das war es, was sie immer wieder zu vergessen schien.

"Emelak..." Die Stimme ihrer Mutter riß sie aus ihren Gedanken. "Das hat er wirklich gesagt?"
Taina sah zu ihr. Sie schien nicht minder verwirrt als sie selbst.
"Ja, hat er."
"Wann?" fragte Taina schwach, denn ihre Stimme schien ihr nicht mehr gehorchen zu wollen. "Du hast doch gesagt, er war nicht hier...?"
"Doch, er war hier, Taina." Emelak drückte erneut ihre Hand und sah sie ernst an. Und mit jedem Wort, das er aussprach, wurde der Griff um ihr Herz fester. "Er war hier, um dir Lebewohl zu sagen. Und er hat es zu eilig gehabt wieder nach Minas Tirith zurückzukehren, ohne abzuwarten, bis es dir wieder besser geht."
Sie warf ihrer Mutter einen hilfesuchenden Blick zu, doch auch dort schlug ihr nur Überraschung entgegen. Legolas schien auch sie getäuscht zu haben.
"Mutter...?"
"Es tut mir leid, Kind." sagte Isarin leise. "Ja, er war hier. Aber davon wußte ich nichts. Er war so schnell wieder weg..."

Taina spürte die Tränen, die langsam ihre Sicht verschleierten und wandte den Kopf ab. Zu sehr verstörten sie die Erkenntnisse, die wie Gewitterschläge auf sie einhämmerten. Legolas hatte sie verlassen, ihre Mutter hatte sie angelogen, und der einzige, dem sie scheinbar noch Glauben schenken konnte, war der Mann, dem sie bisher am wenigsten vertraut hatte - Emelak.

'Dann ist es also wahr', dachte sie verzweifelt, während die Tränen ungehindert über ihr Gesicht liefen. Legolas war fort, und diesmal anscheinend für immer. Ihr Traum von einem gemeinsamen Leben war vorüber, und alles, was ihr jetzt noch blieb, war die Erinnerung und der Versuch, weiterzumachen, auch wenn sie nicht wußte, wie.

***

"So."
Aragorn schloß die Tür hinter sich und stellte sich vor den dunkelhaarigen Mann. "Ihr heißt Odron, stimmt das?"
Der Mann nickte. Er schien nicht in der Lage zu sein, große Erklärungen abzugeben, doch Aragorn war entschlossen, herauszufinden, warum die Leute seines Dorfes sich gegen ihn und das Königreich verschworen hatten. Und inwieweit die Gefahr gebannt war, jetzt, wo Faramir offensichtlich wieder zur Vernunft gekommen war.
"Was wollt Ihr hier?" fragte er streng.
"Wir wollten mit Euch reden." sagte der Gondorianer müde. "Ihr führt das Land in den Untergang."
"Und was bringt Euch zu dieser Erkenntnis?" Aragorn ging um den Mann herum, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Niemand wußte, ob er sein Vorhaben nicht doch noch in die Tat umsetzen wollte. "Wer schickte Euch?"
"Niemand." kam es schnell - zu schnell für Aragorn's Geschmack. "Ihr nehmt den armen Bauern alles, während Ihr selbst in Saus uns Braus lebt."
Aragorn lächelte. "Ihr wißt selbst, daß das nicht wahr ist, Odron. Also, wer sagt das?" Er ging näher an den Mann heran und blickte drohend auf ihn herab. "Wer schickte Euch? Und was bekamt Ihr als Belohnung?"
Als der Gefangene noch immer nicht reagierte, fuhr der König fort. "Es hat keinen Sinn zu leugnen. Eure Leute sind bereits wieder auf dem Weg in ihr Dorf. Und sie haben eingesehen, daß es falsche Worte waren, die sie hierhergeführt haben. Worte, die weder aus Eurem, noch aus ihren eigenen Köpfen stammten." Er warf ihm einen versönlichen Blick zu. "Falsche Worte." wiederholte er. "Nichts von dem ist wahr. Aber ich weiß, daß es nicht Eure Überzeugung war, sondern die Faramirs."
"Faramir?" Sofort war Odron hellwach.
"Ja, Faramir." wiederholte Aragorn.
"Woher wißt Ihr..."
"Faramir ist hier." erklärte er überzeugt. "Und ich weiß auch, daß selbst er von einer höheren Macht geleitet worden war. Es war eine Täuschung, und Ihr seid ihr erlegen."
Odron warf ihm einen ungläubigen Blick zu.
"Ja, eine Täuschung." fuhr Aragorn fort. "Aber wir sind vielleicht in der Lage, das Unheil noch abzuwenden. Kommt mit."

Er wartete, bis sich der Mann zögerlich erhoben hatte und verließ mit ihm zusammen den Raum. Draußen kamen ihm schon die Wachen entgegen.
"Was ist los?" fragte Aragorn irritiert, denn er hatte Anweisung gegeben, vor dem Gebäude zu warten.
"König, die Elben sind eingetroffen."
"Jetzt schon?"
Der Wachmann nickte. "Sie sagten, es sei dringend."
"Gut." Aragorn warf Odron einen vielsagenden Blick zu und deutete ihm, ihm zu folgen. "Eile ist geboten."

***

"Aragorn..."
Der dunkelhaarige Elb verneigte sich leicht und beugte das Haupt zur Begrüßung. "Ich habe gehofft, dich unter einem angenehmeren Anlass wiederzusehen."
"Ich ebenfalls." Der König nickte, bevor er sich den anderen Elben zuwandte. "Es ist in der Tat ein trauriger Anlass, aber wir haben dennoch Grund zur Hoffnung."
Elrond folgte dem Blick Aragorns und betrachtete nachdenklich die Gesichter der anderen. Hoffnung war ein Ausdruck, der nicht in ihnen zu lesen war. Im Gegenteil - weder Haldir noch Celeborn schien überzeugt, ein Aufeinandertreffen mit Molari zum Guten wenden zu können. Einzig Thranduil sah zuversichtlich aus; doch war es gerade er, der die Macht der weißen Maia einzuschätzen in der Lage sein sollte.
"Hoffnung." wiederholte Elrond gedehnt, während er sich an der Seite des König in Richtung der Gemächer begab. "Das ist das einzige, was uns im Augenblick bleibt. Denn auch wenn die Menschen aus Gondor beschwichtigt sind, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß Molari früher oder später selbst in Erscheinung tritt." Er warf Aragorn einen warnenden Blick zu. "Und dann benötigen wir mehr als nur Hoffnung."
"Ich weiß." Aragorn nickte. "Aber wir sollten gewappnet sein, wenn es soweit ist."
"Ja, das sollten wir." Er sah zu Thranduil und schätzte ein weiteres Mal die Macht ab, die er zusammen mit dem König der Waldelben und Celeborn ausüben konnte. Würde es reichen, um Molari die Stirn zu bieten? Oder war das einzige, das ihnen noch helfen konnte, ein Wunder....?