Disclaimer: Alle Figuren und Plätze, die aus dem "Herrn der Ringe" bekannt sind, sind geistiges Eigentum von J.R.R. Tolkien

Sorry... hat sehr lange gedauert, ich weiß, aber das Leben nimmt zuweilen seltsame Wendungen... Ich hoffe, das nächste Kapitel geht schneller... *gg*

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Begegnungen

Er hatte eine lange Reise hinter sich. Durch viele Landstriche war er gezogen und viel Leid war ihm begegnet, doch nun endlich hatte er das Reich der freien Völker Mittelerdes erreicht: Gondor. Er lächelte. Dann hatte er sein Ziel bald erreicht. Er verlangsamte den Gang seines Pferdes mit nur einer einzigen leichten Bewegung und betrachtete sich die Gegend näher. Grüne Flächen, viele Bäume, kleine Flüsse; ein schöner Anblick für sein Auge, das nur karges Land, Felsen und gelbe Steppen gewohnt war.
Er konnte sich nicht erinnern, jemals ein solch prachtvolles Land erblickt zu haben. Und wenn doch, war es hunderte von Jahren her.

Fast automatisch hielt sein Pferd an, um ihn den Ausblick noch mehr geniessen zu lassen. Ja, das war in der Tat ein freies Land. Nichts von Sauron's Macht schien ihm ein Haar gekrümmt zu haben, und seine Bewohner waren sicherlich nicht minder kraftvoll und reich gesegnet mit Schätzen. Endlich nun hatte er Gelegenheit, auch diesen Teil Mittelerdes zu erkunden.

Er hatte viel von ihnen gehört - den Gondorianern. Menschen, in denen teilweise noch das Blut Numénor's floss. Sie waren hochgewachsen und stark, mutig und geschickt im Umgang mit Waffen, kampferprobt und listenreich, wenn es darauf ankam. Und doch... sie waren auch schwach. Und ihre größte Schwäche war zweifelsohne ihre Liebe untereinander. Menschen würden füreinander sterben. Eine Eigenschaft, die ihnen oft Vorteile, aber auch durchaus Nachteile einbrachte.

Ein Geräusch ließ ihn aufhorchen. Es war kein Geräusch, das den Ohren der Sterblichen aufgefallen wäre - nein, sie hätten es für einen Laut des Windes gehalten, doch er bemerkte sofort, daß es sich dabei um Atemzüge handelte. Jemand war ganz nahe.
Sein Blick schweifte nach rechts, auf die Kuppe der kleinen Erhebung, und als er sicher war, dort den Ursprung ausgemacht zu haben, stieg er ab und kletterte den Hügel hinauf.
Oben angekommen, hielt er inne. Nicht weit von ihm, neben dem Stamm einer Buche, lag eine reglose Gestalt am Boden. Ein Elb, das war offensichtlich. Doch was war mit ihm geschehen?

Langsam ging er näher und betrachtete den Elben eingehender. Er lag auf dem Rücken, entblößt von jeglicher Kleidung, in seinen Händen die Halme abgerissenen Grases. Seine Gesichtsüge waren entspannt, doch sofort fielen ihm die feinen roten Linien auf, die sich von seinen geschlossenen Augen bis hinunter zum Gras zogen.
Er stutzte. Langsam kniete er sich neben den bewußtlosen Körper. Er schien keine anderen Verletzungen zu haben, doch seine Haltung lief darauf schließen, daß ihm Schreckliches widerfahren sein mußte. Er berührte sein Handgelenk und fühlte seinen Puls. Er war unregelmäßig und schwach. Auch seine Atmung war flach. Besorgt hob er die Hand zu seinem Gesicht und öffnete vorsichtig das Augenlid des Elben, um die Ursache für das Blut in Erfahrung zu bringen. Das Auge war blutunterlaufen, und alles Leben schien aus ihm gewichen zu sein. Und - die Iris war tiefschwarz. Ungewöhnlich für einen Elben.

Der alte Mann legte die Stirn in Falten und überlegte. Alles deutete auf ein Aufeinandertreffen mit einer höheren Macht hin. Keines der normalerweise in Mittelerde lebenden Wesen konnte einen Elben ohne weitere Verletzungen in einen solchen Zustand versetzen. Nein, für ihn war das eindeutig. Er benötigte sofortige Hilfe, sonst würde er sterben.

Entschlossen zog er seinen Mantel aus und verhüllte den Elben mit dem wärmenden Stoff. Sein Körper durfte nicht zu sehr auskühlen, und er mußte zusehen, daß er das Bewußtsein wiedererlangte. Es war ein Geschenk der Valar, daß er ihn gefunden hatte, denn ansonsten würde der Elb die nächste Nacht wahrscheinlich nicht überleben.

Aber jetzt hatte er zu tun. Er warf noch einen prüfenden Blick auf das Gesicht des Elben und stand dann auf. Seine Augen streiften über das Gelände, suchten nach etwas, und bereits wenig später wurden sie fündig. Mit wenigen Schritten war er an der Stelle, zog sein Messer und schnitt die zarten Pflanzen ab, die vom Gras verdeckt kaum sichtbar für das normale Auge am Boden wuchsen. Zufrieden betrachtete er sie und brachte sie zurück zu der Stelle, die er für das Lager auserkoren hatte. Diese Nacht würden sie hier bleiben. Wenn er es schaffte, den Zustand des Elben zu stabilisieren, würde er ihn am nächsten Morgen nach Minas Tirith bringen.

Nachdem er eine Feuerstelle eingerichtet und ein wenig Wasser in einem kleinen Kessel erhitzt hatte, legte er die Pflanzen in das kochende Wasser und wartete, bis ihre Farbe von dem ursprünglich hellen Grün in ein dunkles Braun übergegangen war. Dann nahm er sie mit Hilfe eines Stockes heraus und legte sie auf ein Stück Leinentuch, das er zuvor auf dem Boden ausgebreitet hatte. Er ließ ein paar Tropfen aus einem Fläschchen, das er zuvor aus seiner Satteltasche geholt hatte, daraufträufeln, schlug dann die Pflanzen in das Tuch ein und ging damit zurück zu dem Elben. Er fühlte noch einmal seinen Puls, bevor er das inzwischen etwas abgekühlte Paket auf seine Stirn legte.

Sofort stieg ihm ein intensiver Geruch in die Nase, der ihn für einen Moment schwindelig werden ließ, doch er ignorierte ihn und wandte den Kopf ab, um nicht selbst von den Dämpfen der Pflanze und des Öls benebelt zu werden.

Begleitet von einem leisen Gesang in seiner Sprache verweilte er lange in dieser Haltung, immer wieder den Puls des blonden Elben kontrollierend. Und bei jedem Mal wurde er kräftiger, steter, und langsam zeichnete sich ab, daß der Elb den Kampf gegen den Tod dieses Mal wohl gewinnen würde. Doch der Mann war sich nicht sicher, ob das gut oder schlecht für ihn war. Denn wenn ihm wirklich das widerfahren war, was er befürchtete, dann würde sich der Elb im Nachhinein sicher wünschen, daß er nicht gefunden und gerettet worden wäre...

***

"Legolas!!"

Mit seinem Namen auf den Lippen fuhr sie hoch. Doch es war nur ein Traum. Ein Traum. Wie jede Nacht, seitdem sie sich wieder an ihre Träume erinnern konnte. Legolas. Seufzend schloß sie die Augen und gab sich dem Gefühl hin, das sein Name allein in ihr auslöste. Dem Gefühl inniger Liebe, auch jetzt noch, wo sie wußte, daß es aus war. Sie würde ihn nie wieder in ihre Arme nehmen können und auch nie wieder in den seinen versinken und sich dort sicher und geborgen fühlen. Nie wieder.

Sie wußte, daß es keine Sinn hatte. Daß sie weitermachen mußte, auch wenn es ihr schwer fiel. Ihr Leben würde weitergehen. Mußte weitergehen. So, wie es vor Legolas gewesen war. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie immer geahnt, daß dieser Tag kommen würde. Daß er sie irgendwann verlassen würde. Auch wenn sie immer gedacht hatte, daß die Gründe andere sein würden.

Doch warum tat es dennoch so weh? Warum verzehrte sie sich mit jedem Atemzug nach ihm, erlebte keine Sekunde, ohne an ihn erinnert zu werden, in diesem Haus, das er mit seinen eigenen Händen erbaut hatte? Wo sie noch immer jeden seiner Schritte hörte und jeden Augenblick erwartete, sein Gesicht vor sich zu sehen...

Warum? Warum hatte er sie verlassen? Und warum hatte er nicht den Mut gehabt zu warten, bis er ihr die Gründe selber nennen konnte und sie zumindest den Hauch einer Chance gehabt hatte, ihn umzustimmen?

Allein der Gedanke daran zerriß ihr fast das Herz. "Legolas. Komm zurück." flüsterte sie. Sie zog die Decke enger um sich und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. "Komm zurück zu mir und sieh, was du mir angetan hast. Sieh mich an und sag mir in's Gesicht, daß es aus ist. Daß du dein Leben ohne mich leben willst und daß alles, was wir zusammen erlebt haben, dir nichts mehr bedeutet." Sie spürte die Tränen, die sich in ihren Augen sammelten und blickte zur Decke, um gegen sie anzukämpfen. Um einen Teil ihrer Haltung bewahren zu können. Denn es nutzte nichts, sich ihrer Verzweifelung weiter hinzugeben. Sie mußte weitermachen. So schwer es ihr auch fiel. Und so sinnlos es ihr auch erschien.

Sie seufzte und schob langsam ihre Decke von sich, um einem neuen Tag zu begegnen. Einem weiteren Tag ohne ihn. Ohne Legolas.

"Taina?" Die Stimme ihrer Mutter ließ sie zusammenzucken. Sie sah auf und sah direkt in ihr besorgtes Gesicht; ein Anblick, den sie seit Tagen immer wieder von ihr zu sehen bekam.
"Ja, Mutter?"
"Er wird nicht wiederkommen." sagte sie unvermittelt, und Taina wußte, daß sie recht hatte.
"Ich weiß." sagte sie leise, während sie aufstand und sich gedankenverloren anzog. Nichts schien ihr die nötige Kraft geben zu können, um in ihr Leben zurückzufinden. Ihre Eltern nicht, und Emelak schon gar nicht. Auch wenn er sich redlich um sie bemühte. Zu redlich, wie sie fand. Doch selbst da fehlte ihr die Kraft, sich dagegen zu wehren. Die Wogen der Gleichgültigkeit drohten sie immer mehr zu überrollen. Sie dumpf und taub werden zu lassen und sie zu zwingen, sich immer weiter in sich selbst zurückzuziehen. In Selbstmitleid und Resignation.

"Und was willst du jetzt tun?" fuhr Isarin fort, ohne auf die abweisende Haltung ihrer Tochter einzugehen.
"Ich weiss es nicht." erwiderte Taina seufzend. "Weitermachen, denke ich."
"Weitermachen..."
"Ja." Taina warf ihrer Mutter einen irritierten Blick zu. "Was sollte ich sonst tun? Was bleibt mir anderes übrig?"
"Nun, zum Einen könntest du damit aufhören, dich gehenzulassen." Isarin schmückte diesen Satz mit einer vielsagenden Handbewegung durch den Raum, dessen Ordnung in der Tat zu Wünschen übrig ließ. "Und dann..." Sie sah ihr direkt ins Gesicht, und ihr Blick war ernst. "... reite nach Minas Tirith. Rede mit ihm. Hol ihn zurück."
"Was?" Taina glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Das konnte nicht ihr Ernst sein! Nie würde sie sich diese Blöße geben! Nicht, nach allem, was geschehen war. Nicht, nachdem er ihr in der Stunde ihrer Not den Dolch in's Herz gerammt und zu allem Überfluss auch noch darin umgedreht hatte. Nein, sie hatte ihm einmal vertraut; sie würde es nie wieder tun. Nie wieder können.

"Reite zu ihm." beharrte ihre Mutter ruhig. "Fordere ihn heraus und höre es von ihm selbst, warum er dich so im Stich läßt." Sie machte eine Pause, in der sie Taina mit prüfendem Blick musterte. "Ich habe seine Worte nicht vernommen, genausowenig wie dein Vater. Emelak ist der einzige, der mit Legolas gesprochen hat. Und um ehrlich zu sein... ihm traue ich alles zu."
Taina spürte, wie sich ein Knoten in ihrem Magen bildete. "Was soll das heißen?" fragte sie tonlos. "Willst du damit sagen, daß Emelak uns nicht die Wahrheit sagte? Daß er log? Um zu seinem Vorteil zu kommen?" Sicher, diese Möglichkeit hatte sie auch schon in Betracht gezogen, aber sie hatte sie stets beiseite geschoben, hatte sie doch den Gondorianer als stets aufrichtig und ehrlich kennengelernt. Und doch...
"Wo ist er..?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauchen.
"Auf dem Markt. Er wollte zur Mittagszeit vorbeikommen." Isarin kam auf sie zu und nahm ihre Hand. "Doch bis dahin solltest du fort sein. Mit ihm kannst du später reden. Geh und finde Legolas. Das ist jetzt wichtiger."

Sie wendete sich ab und ging zum Schrank, um etwas aus der Schublade zu holen. Taina wußte, was es war. Sie hatte es selbst dort hineingelegt, vor nicht allzu langer Zeit, die ihr jetzt jedoch wie eine Ewigkeit vorkam. Ihre Augen folgten den Bewegungen ihrer Mutter, und als sie wieder vor ihr stand, liess sie ihren Blick auf den grünen Stein fallen, den Isarin ihr nun entgegenhielt.
"Der Barai..." seufzte sie leise und streckte ihre Hand aus, zögerte jedoch, ihn zu berühren.
"Ja, der Barai." wiederholte ihr Mutter lächelnd. "Er hat euch schon einmal geholfen. Nimm ihn mit, und du wirst dir seiner Stärke wieder bewußt werden. Denn es ist eure Stärke. Das, was euch verbindet und was euch niemals trennen wird."

'Was euch niemals trennen wird.' Taina spürte, wie sich die Tränen aus ihren Augenwinkeln lösten und ungehindert über ihre Wangen liefen. Und sie ließ sie laufen. Es wäre zu schön um wahr zu sein. Doch wenn sie es nicht versuchte, würde sie nie erfahren, ob ihr Traum wirklich schon zuende war oder ob es die Chance gab, ihn fortführen zu können.

Zögernd streckte sie ihre Hand aus und nahm die Kette mit dem Barai an sich. "Du hast recht, Mutter." sagte sie leise. "Ich muss es versuchen." Sie fühlte den kalten Stein in ihrer Hand, der sich augenblicklich erwärmte und ihr ein ungewohntes Gefühl von Sicherheit vermittelte. Eine Sicherheit, die sie dringend benötigte, wollte sie Legolas gegenübertreten. Und genau das hatte sie vor. Sie hatte sich entschieden.