Kapitel 22
Seine Augen huschten quer durch den Gemeinschaftsraum. Schnell senkte er seinen Blick wieder, als er den ihren traf.
Lily lächelte. Sie saß alleine an einem Tisch und las ein Buch. James schaute dauernd zu ihr herüber.
Sie musste sich selbst eingestehen, dass sie das nur bemerken konnte, da sie ihn selbst kaum aus den Augen lies.
Er saß am Kamin auf einem Sofa und schrieb etwas. Seine Stirn runzelte sich und es schien, als wäre es schon eine große Anstrengung, den Stift zu halten.
Wieder schaute er kurz zu ihr auf.
Lily schloss kurzerhand ihr Buch und stand auf. Als er sie auf sich zu kommen sah, packte er in einem überstürzten Panikanfall sein Pergament und die Feder weg.
Lily runzelte die Stirn.
Was war das denn?
„Hey! Was versteckst du denn da vor mir?" Lily setzte sich neben James.
„Hmm? Nichts! Ich versteck nichts…" Unschuldig sah er sie an.
Seine Augen huschten umher.
Lily musste grinsen.
Wie schaffte er es nur so vielen Strafarbeiten zu entgehen, wo er doch so ein schlechter Lügner war?
„Achso… Na dann…" grinste sie ihn an und lies keinen Zweifel daran, dass sie ihm nicht glaubte. „Hast du schon was von Cilia und Sirius gehört?"
Auf James' Lippen breitete sich ein Grinsen aus. Dass das ganze so lange dauerte, war in seinen Augen ein überaus positives Zeichen.
„Nein, aber ich denke, die kriegen das schon hin." Wir sollten uns ein Beispiel nehmen, setzte er in Gedanken hinzu.
Lily nickte. Sie dachte genauso.
In diesem Moment öffnete sich das Portraitloch. Das helle Lachen von Cilia lies Lily und James herumfahren.
Da kamen Cilia und Sirius durch das Portraitloch gestolpert. Er hielt ihr Hand und grinste sie breit an. Sie lachte wieder und erblickte in diesem Moment Lily und James. Sie bahnte sich einen Weg zu ihren Freunden.
Die entsetzten, neidischen und interessierten Blicke einiger anderer Gryffindors, vor allem weiblicher, entgingen ihr.
Sie strahlte Lily an. Sirius setzte sich in einen Sessel und zog Cilia auf seinen Schoss.
James musste unwillkürlich ebenfalls grinsen.
Er konnte es immer noch nicht fassen. Sein bester Freund, Sirius Black. Casanova-Black, hatte sich tatsächlich verliebt.
Doch als sein Blick wieder auf Lily fiel, wurde seine Miene wieder ernster. Wie gerne würde er auch einfach ihre Hand nehmen können. Sie einfach umarmen und küssen dürfen.
Ihr Gespräch in Hogsmead hatte ihm viel Hoffnung gegeben und sie hatten sich für den Tag nach dem Winterball verabredet. Er freute sich darauf und hoffte, dass sie seine Gefühle mittlerweile erwiderte.
Er beobachtete Cilia und Sirius; sie schienen so glücklich zu sein.
Er runzelte die Stirn. Er fühlte, dass er neidisch auf das Glück der beiden war.
Im nächsten Moment wünschte er, er hätte das gar nicht gedacht. Er konnte doch nicht eifersüchtig auf seinen besten Freund sein.
James entschloss sich, ins Bett zu gehen. Er warf ein allgemeines „Gute Nacht" in die Runde und erhob sich.
Von Remus, der sich mittlerweile mit Peter zu ihnen gesetzt hatte, erntete er nur ein kurzes Nicken. Peter entschloss sich mit James in den Schlafraum zu gehen und Lily wollte auch bald zu Bett gehen.
Sirius und Cilia registrierten das Verschwinden von James nicht einmal.
Peter und James waren gerade erst verschwunden, als Lily beschloss ebenfalls schlafen zu gehen. Sie erhob sich und plötzlich fiel ihr Blick auf einen kleinen etwas verkrumpelten Zettel, der in einer Ecke des Sofas lag.
Genau dort, wo James bis vor wenigen Minuten noch gesessen hatte. Das war wohl der Zettel, den er vorhin so rasch hatte verschwinden lassen.
Die Gewissensbisse die sich kurz bei ihr meldeten unterdrückte Lily rasch und steckte den Zettel unauffällig ein. Sie blickte kurz in die Runde.
Niemand schien etwas bemerkt zu haben. Sie verabschiedete sich und ging in den Schlafsaal der Mädchen.
Als sie oben angekommen war versicherte sie sich, dass die anderen Mädchen schon schliefen. Sie zog sich um und legte sich unter ihre Bettdecke. Sie zog ihren Zauberstab hervor. „Lumos" murmelte sie und kramte den Zettel von James heraus.
Sie zögerte.
Sollte sie das wirklich lesen?
Das war doch irgendwo ein Eingriff in die Privatsphäre, oder?
Aber schließlich schien es ja so, als wolle James alles mit ihr teilen. Schließlich lief er ihr schon ewig hinterher. Er mochte sie doch wirklich…
Wieso also sollte er etwas vor ihr verheimlichen?
Es konnte doch nichts schlimmes sein, nicht wahr?
Lily lächelte und faltete das Papier auseinander.
Sie tat nichts Verbotenes.
Er hatte den Zettel schließlich einfach liegengelassen. Er konnte ja auch eventuell nicht von ihm sein, sondern von jemandem anderen.
Gespannt starrte Lily auf die Zeilen, die da auf das Pergament gekritzelt waren.
„Ich
wäre so gerne
ein kleiner Sonnenstrahl,
ein kleiner
Lichtblitz,
Lichtblick am Horizont.
Ein Gute-Laune-Bringer,
ein Friedensbote und
ein Freudenspender, Glücksversender,
ein Lächeln ohne Grund.
Ich wäre so gern
ein
kleiner bunter Fisch.
Ein Flossenschwinger, Wasserpanscher,
voll
von Lebenslust.
Ein Lebenskünstler, Glücksgenießer,
leben für den Augenblick,
geplantes Ablenkungsmanöver
von deinem Problem.
Ich wäre so gern
ein großer,
grüner, starker Baum.
Ein Berg, ein Fels in Sturm und
Brandung,
warmer, sicherer Hort.
Die starke, feste Schulter,
Spender für Geborgenheit
die Rückendeckung,
Sicherheit,
Vertrauen für alle Zeit.
Ich würde
dich dann verfolgen,
stets deinen Weg erhellen,
alle Schatten
vertreiben,
alle Hindernisse fällen.
Und wenn alles grau
ist,
in deinem See der Seele,
wäre ich der einzige
Farbklecks,
Hoffnungsschimmer nur für dich."
Lily starrte auf den Text.
Sie las ihn sich noch einmal durch.
Und dann noch einmal.
DAS hatte James Potter geschrieben?
Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. War es eingebildet zu vermuten, dass er an sie gedacht hatte, als er das geschrieben hatte? Wahrscheinlich schon.
Lily tat es trotzdem. Ein warmes Gefühl machte sich in ihrem Bauch breit. Aber wenn er es tatsächlich für sie geschrieben hatte, wollte sie es auch von ihm bekommen.
Sie beschloss, den Zettel am nächsten Morgen wieder auf das Sofa zu legen, damit James ihn wieder finden konnte.
Mit einem seligen Lächeln schlief sie ein.
