Kapitel 1 Das erste, was sie fühlte, war ein Schmerz. Ihr linker Arm fühlte sich an, als wäre er durch einen besonders fiesen Fleischwolf gedreht worden, doch sonst fühlte sie sich wunderbar erholt und wach, als hätte sie die ganze letzte Woche nichts anderes getan als zu Schlafen. Sie lies ihre Augen noch einen Moment geschlossen um die Sonnenstrahlen, die ihr Gesicht wärmten, noch ein wenig zu genießen. Doch dann sah sie die Bilder wieder vor sich, der Kleinlaster auf der Kreuzung, ihre Freunde, die vor ihr gesessen und keinen Laut von sich gegeben hatten. Ein letzter Knall und dann nur noch schwarz, ihre Erinnerung reichte nicht weiter zurück.

Erschrocken schlug sie die Augen auf. Doch sie befand sich nicht, wie erwartet, in einem Krankenhausbett und um sie herum war kein einziger Schlauch und auch keine Elektrogeräte zu sehen. Vielmehr befand sie sich in einem geräumigen Zimmer, dessen Wände, soweit sie nicht von schillernden Behängen verdeckt wurden, eine Ruhe und Geborgenheit ausstrahlten, dass sie sich, egal wo sie war, sofort wohl fühlte. Durch ein großes Fenster zu ihrer Linken wurde der Raum in das dunkelrote Licht einer untergehenden Abendsonne getaucht und auf einem kleinen Tisch direkt neben dem Bett stand eine Karaffe mit dampfendem Tee und daneben eine zierliche Tasse, die so fein gearbeitet war, dass es Rowenna die Sprache verschlug. Vielleicht war sie im Himmel und sie würde glücklich leben bis ans Ende... ja, was denn? Wenn sie sich im Himmel befand, war sie tot und das Ende ihrer Tage war bereits Geschichte. Sie beschloss, sich über solch banale Dinge vorläufig nicht den Kopf zu zerbrechen, schlug die Decke zurück und schwang ihre Beine über die Bettkante. Sie wollte einen Blick aus dem Fenster werfen, doch kaum dass sie beide Füße auf den Boden gesetzt hatte, öffnete sich die Tür und ein Mädchen, dessen Alter sie auf nicht mehr als fünfzehn Jahre schätzte, huschte herein. Ihr einfaches, braunes Kleid war zwar an vielen Stellen geflickt, schien aber dennoch sauber zu sein. Das Mädchen blieb erstaunt stehen. „Entschuldigt, ich hatte nicht gemerkt, dass Ihr aufgewacht seid", sagte sie, „möchtet Ihr, dass ich Euch etwas bringe oder Euch beim Ankleiden behilflich bin?"

Nun war es an Rowenna, erstaunt zu sein. Erst wachte sie in diesem Raum auf, der aussah als wäre er Teil einer mittelalterlichen Burg, und nun erschien auch noch eine Bedienstete! Sie musterte ihr Gegenüber sorgfältig und sofort blieb ihr Blick an den oben zugespitzten Ohren hängen. „Ähh... Und wer... seid Ihr?"Sie bemühte sich, so zu sprechen, wie das Mädchen es vor ihr getan hatte, um nicht auffallen zu lassen, wie wenig sie sich hier zurechtfand. „Ich bin Nûemyn und stehe Euch in den nächsten Tagen jederzeit zur Verfügung", antwortete die Bedienstete ein wenig schüchtern „wenn Ihr etwas braucht, könnt Ihr es mir ruhig anvertrauen. Ich bin nur für Euer Wohl zuständig." Diese Worte trugen zwar nicht unbedingt dazu bei, dass Rowenna sich sicherer fühlte, aber eine leichte Brise lies sie frösteln und so beschloss sie, von dem eben gemachten Angebot gebrauch zu machen.

„Danke, Nûemyn. Ich würde mich am liebsten zuerst anzieh...äh, ankleiden. Aber ich habe keine Kleider, kannst du dich darum vielleicht kümmern?", fragte sie fast noch ein wenig zaghaft, da sie trotz allem noch damit rechnete, dass im nächsten Augenblick ein Kamerateam hinter dem schweren roten Vorhang hervorsprang und „Überraschung"rief, auch wenn sie irgendwie wusste, dass das nur Einbildung war. Nûemyn schien erleichtert, nun endlich eine klare Anweisung bekommen zu haben, eilte zu einem Schrank an der anderen Seite des Zimmers und öffnete die riesigen, reich verschnitzten und teilweise sogar vergoldeten Türen. „Ich habe mir erlaubt, euch einige Kleider zu besorgen, während ihr geschlafen habt."Aus dem Schrank quollen die Röcke von mindestens fünf oder sechs Kleidern, alle aufwendig gearbeitet und aus schillernden Stoffen gefertigt und obwohl Rowenna fast gar nichts von Kleidern verstand, so sah sie doch schon auf den ersten Blick, dass jedes einzelne ein Kunstwerk darstellte. Ein wenig verwirrt wandte sie sich an die Dienerin. „Entschuldigt, aber wie lange habe ich denn geschlafen?" „Fünf Tage und fünf Nächte, Herrin", sie senkte demütig den Kopf, „möchtet Ihr nun ein Kleid auswählen?"

Bei dem Wort „Herrin"zuckte Rowenna ein wenig zusammen. Soweit sie wusste, war sie niemandes Herrin und beabsichtigte es auch nicht zu werden, aber sie sagte nichts gegen diese Bezeichnung, weil sie nicht wusste, was. Sie suchte sich ein dunkelrotes Kleid aus, das mit goldenen Kordeln und wunderschönen Stickereien verziert war und zog ihr Nachthemd aus, von dem sie erst jetzt merkte, dass sie es trug. Ihr linker Arm tat wieder weh und als sie nachsah, entdeckte sie eine Wunde, die sich fast den ganzen Weg vom Ellenbogen bis hin zum Handgelenk erstreckte. Sie musste stark geblutet haben, denn die Ränder waren verkrustet. Sie war schon geschlossen, doch wenn sie ihre Hand bewegte, ziepte es so stark, dass ihr ein paar Tränen in die Augen stiegen. Als Nûemyn ihren Blick bemerkte, versuchte sie sie zu beruhigen. „Sie wird bald verheilt sein. Wenn ihr möchtet, kann ich euch einen Verband umlegen, aber der würde in dem Kleid nur hinderlich sein." Rowenna schüttelte den Kopf. Wenn sie sich die engen Ärmel des Kleides ansah wollte sie sich gar nicht vorstellen wie es war, darunter einen Verband tragen zu müssen. Wieder wehte es leicht durchs Zimmer und sie beeilte sich beim Anziehen, wobei sie ohne Nûemyn kläglich gescheitert wäre. Nicht nur die Verschnürung am Rücken hätte ihr Probleme gemacht, auch die verschiedenen Lagen feinen Stoffes, die den Rock bildeten, schienen sich regelrecht gegen sie verschworen zu haben. Schließlich konnte sie, als sie fertig war, in die zierlichen kleinen Schuhe schlüpfen, die für sie bereit gestellt waren und zu ihrer größten Verwunderung auf Anhieb passten. Als sie endlich fertig war, stand sie jedoch wieder etwas verloren vor dem großen Bett und überlegte, was sie nun tun sollte.

Wieder einmal war sie froh, dass Nûemyn bei ihr war und ihr die Entscheidung abnahm, indem sie vorschlug: „Ich kann Euch zuerst ein wenig im Schloss herumführen. Das Abendessen habt Ihr leider verpasst, aber ich kann ich der Küche nachsehen, ob sich noch etwas auftreiben lässt." Wie zur Antwort gab Rowennas Magen ein lautes Knurren von sich, dass sogar die sonst so beherrschte und zurückhaltende Bedienstete in nervöses Kichern ausbrach. Offenbar erwartete sie keine zusätzliche Antwort sondern ging zur Tür und öffnete sie, damit ihre „Herrin"an ihr vorbei in den Flur treten konnte.

Das Kleid war ungewohnt und ein wenig hinderlich, doch die Schuhe waren flach und bequem. Rowenna hob den Rock ein wenig an, so wie es die Prinzessinnen im Fernsehen immer taten und schon fiel ihr das Gehen wesentlich leichter. Sie folgte Nûemyn den Gang entlang und blieb hier und da stehen, um die kunstvollen Wandbehänge und –malereien zu betrachten. Ein einer Biegung entdeckte sie sogar eine Ritterrüstung, die es wert war, dass sie sie einer besonderen Visitation unterzog. Gerade wollte sie weiter gehen, als sie bemerkte, dass ihre Führerin nicht mehr da war. Anscheinend war sie schon weiter gegangen, denn sie war nirgends zu sehen, obwohl Rowenna in beiden Teilen des Ganges nachsah.

„Verflucht!", schimpfte sie und zuckte erschrocken zusammen, als sie ihre Stimme in Gang widerhallen hörte. Sie lief zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war und hoffte, den Weg zu ihrem Zimmer auch allein zu finden.

Doch in ihrer Aufregung vergas sie ihr zu langes Kleid, blieb mit den Schuhen im Saum hängen und schlug längst hin. Verdammt, das konnte aber auch nur mir passieren, schimpfte sie sich in Gedanken, ich bin aber auch zu tollpatschig. Wie geschaffen für diese Welt! Eine Perle, die vorne auf ihre Schuhe gestickt war, hatte sich in der breiten Spitze verhakt, die das Kleid säumte. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als das Wirrwarr zuerst zu entknoten und dann aufzustehen. Verdammt, verdammt, verdammt! Es war bei Weitem nicht so leicht, den Weg zurück zu ihrem Zimmer zu finden, wie sie geglaubt hatte. Wenigstens lernte sie langsam, mit dem Kleid umzugehen, auch wenn sie Jeans und T-Shirt bevorzugt hätte.

Sie erreichte eine Treppe, an die sie sich nicht im Geringsten erinnern konnte. Also hatte sie doch den falschen Flur genommen. Sie hatte es die ganze Zeit geahnt, war aber trotzdem immer weiter gelaufen. Gerade wollte sie umdrehen, als sie etwas roch, das ihrem Magen ein hungriges Knurren entlockte, und dieser Duft kam eindeutig von unten. Kurz entschlossen raffte sie dir Röcke und betrat die Treppe. Das Geländer war wunderschön geschnitzt, wie man es heutzutage nur noch selten sah. Wie man es in meiner Welt nur noch selten sieht, verbesserte sie sich in Gedanken. Gerne hätte sie es berührt, hatte zu ihrem Leidwesen jedoch keine Hand mehr frei. Auf ihrem Weg in das tiefer gelegene Stockwerk bewunderte sie die hübschen Wandmalereien, auf denen Tiere abgebildet waren, die sie noch nie gesehen hatte. Und die es in meiner Welt wahrscheinlich gar nicht gibt.

Am Fuß der Treppe angekommen sah sie sich zuerst um. Hier befanden sich keine Malereien mehr an den Wänden, dafür herrschte geschäftiges Treiben. Rowenna schloss daraus, dass es sich um das Stockwerk handelte, wo sich die Küche und die Kammern für die Bediensteten befanden, was auch den guten Geruch erklärte. Direkt gegenüber der Treppe war eine große Tür, die einzige, die auf den ersten Blick zu sehen war. Jetzt bemerkte sie erst, dass die Schnitzereien nur am oberen Ende des Geländers vorhanden waren, hier unten endete es in einfachem Eisen.

„Nûemyn!"Sie hatte die Bedienstete erblickt, die sie im Schloss hatte herumführen wollen, doch diese rannte durch die große Tür ohne ihren Ruf gehört zu haben. Was also blieb ihr anderes übrig, als ihr zu folgen? Gut, sie könnte zurückgehen und noch einmal versuchen ihr Zimmer wieder zu finden, aber da sie schon im Voraus wusste, dass jeder Versuch erfolglos bleiben oder mehrere Stunden in Anspruch nehmen würde und es außerdem so lecker nach Braten und frischem Brot roch, spazierte sie gleichzeitig mit einigen Bediensteten in die Küche.

Die Wände waren hier weder bemalt noch verputzt, überall traten die bloßen nackten Steine hervor, aber trotz allem wirkte es nicht kalt und abweisend sondern ganz im Gegenteil strahlte dieser riesige Raum eine so gemütliche Behaglichkeit aus, dass die vornehmen Räume in den oberen Stockwerken es nicht im Geringsten damit aufnehmen konnten. In der Mitte des Raumes, der von der Größe her schon fast eine Halle oder ein Saal war, kochten über mehreren Feuern in großen Töpfen Suppen, Fleisch, Gemüse oder andere Köstlichkeiten.

Rowenna war ganz versunken in den Anblick der Küche und den vielen Menschen, die überall herumliefen, Essen zubereiteten oder sich unterhielten, dass sie Nûemyn ganz aus dem Augen verloren hatte. Erst als sie ein kleines Kind berührte und an ihrem Kleid zupfte klärte sich ihr Blick wieder und sie sah herunter. Das Mädchen, das noch immer einen Zipfel ihres langen Rockes in der Hand hielt, sah ebenso erstaunt zu ihr hoch. „Wer bist du?", fragte es und zwirbelte sich dabei das eine Ende der Spitze um die Finger. „Bist du von oben aus dem Schloss? Du hast so ein schönes Kleid!"Die Stimme der Kleinen klang ehrfürchtig als sie das rote Gewand bewunderte, aber auch ein wenig neidisch. Es war nur zu offensichtlich, wie sehr sie sich wünschte einmal aus ihrem dreckigen, abgetragenen und trotz mehrfachen Flickens löchrigen Kleidchen herauszukommen und in eine feine Robe zu schlüpfen wie die Damen, die sie manchmal sah, wenn sie sich von ihrer Mutter fortschlich um sich bei einem Empfang oder einem großen Fest hinter den riesigen Vorhängen zu verstecken und der hohen Gesellschaft zuzusehen.

„Ich heiße Rowenna", entgegnete sie höflich, während sie das Mädchen in eine Ecke hinter der Tür zog, um nicht mehr im Weg zu stehen als unbedingt nötig. „Und wer bist du?" „Ich bin Karîmà", krähte das Kind fröhlich „Soll ich dir die Küche zeigen? Meine Mama sagt immer, ich darf nicht mit den feinen Herrschaften sprechen, aber du bist mir doch nicht böse, oder? Ich mag dich!" Die erfrischende Ehrlichkeit Karîmàs tat Rowenna gut und sie freute sich, als sie eine kleine Hand spürte, die sich vertrauensvoll in ihre legte und sie mit sich zog. Bereitwillig lies sie sich führen. Die Gesellschaft dieses Kindes bereitete ihr bei weitem mehr Freude als die Nûemyns, die viel zu ehrerbietig und vorsichtig war. Hier ist alles so anders als zu Hause. Werde ich jemals wieder dorthin zurückkommen?

Sie gingen durch eine kleinere Holztür in einen Raum, der direkt an die Küche angrenzte. Hier standen nur ein Tisch mit einigen weinigen Stühlen darum und auf einem Haufen in einer Ecke stapelten sich Kartoffeln neben einem weiteren Haufen, der aus anderem frischen Gemüse bestand. Zwei Mägde saßen an dem Tisch und genossen anscheinend ihre kurze Arbeitspause, während auf dem Boden ein junger Mann mit dem Rücken an die Wand gelehnt saß, bedächtig an einem Apfel kaute und dem Gespräch der Frauen lauschte. Er hatte lange, hellblonde Haare und unheimlich blaue Augen, die starr ins Leere blickten. Offensichtlich dachte er gerade angestrengt über etwas sehr wichtiges nach und Rowenna wollte ihn auf keinen Fall stören, deshalb ging sie in einem großen Bogen um ihn herum, als sie an ihm vorbeikam.

Die beiden Frauen beachteten sie gar nicht sondern setzten nach einem gelangweilten Blick ihr Gespräch fort, das sich den Ausschnitten zufolge, die Rowenna aufgeschnappt hatte, um ein Fest drehte, wer welche Arbeit verrichtete, wer alles erscheinen würde, und und und... „Soll ich dir was zum Essen besorgen? Hast du Hunger?"Beinahe hätte sie Karîmà vergessen, die immer noch ihre Hand hielt und sich nun wieder bemerkbar machte. Sie freute sich ehrlich über das Angebot, denn ihr Hunger, egal wie sehr sie auch versuchte ihn zu unterdrückten, war nun einmal da und er wuchs von Minute zu Minute. „Danke, das wäre wirklich nett von dir. Leider habe ich das Abendessen verpasst und wusste nicht, woher ich noch etwas bekommen konnte..."

Die kleine Hand löste sich aus ihrer und das Mädchen verschwand fast lautlos, oder es kam ihr nur so vor, da es um sie herum so laut war, dass sich Schritte leicht darin verloren. Neugierig sah sie sich noch ein wenig um, während sie auf Karîmàs Rückkehr wartete. Die Wände waren auch hier rau und unverziert. Es gab nur ein winzig kleines Fenster, das den Raum aber nicht genügend erhellte, weshalb an jeder Wand eine Fackel angebracht war, deren Schein gespenstische Schatten an die Wände warfen.

Doch Rowenna fühlte sich hier sofort zu Hause. Der Fackelschein hatte auch etwas sehr gemütliches an sich und der Duft nach Essen war einfach himmlisch, für sie war es geradezu eine süße Qual, da sie es nur riechen konnte und ihr Magen auch prompt seine Meinung kundtat. Sie hoffte, etwas Warmes zu bekommen, aber sie war auch nicht wirklich enttäuscht, als sie Karîmà mit einer dicken Scheibe Brot und einem Stück Käse zurückkommen sah, vor allem als sie merkte, dass das Brot noch warm war und fast so herrlich roch wie der Braten, der irgendwo hier über einem Feuer schmoren musste, den sie aber noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Was ja auch kein Wunder war, immerhin war sie ja nur kurz an dem Kochstellen vorbei gegangen und hatte sich anschließend nur in diesem kleinen abgeteilten Raum aufgehalten.

Sie wollte sich zum Essen an den Tisch setzen, doch mittlerweile waren ihr andere zuvorgekommen – alle Stühle waren besetzt. Sie sah sich ein wenig ratlos um, entschied sich dann aber, auf dem mit Stroh bedeckten Boden Platz zu nehmen, das war auf jeden Fall besser als zu stehen. Sie lies sich neben dem Mann nieder, der inzwischen seinen Apfel aufgegessen und die Überreste säuberlich neben sich abgelegt hatte.

Er schaute zwar kurz auf, schien sie dann aber nicht mehr wahrzunehmen. Rowenna biss vorsichtig von dem Brot ab. Es schmeckte köstlich, noch viel besser, als sie erwartet hatte. Karîmà stand vor ihr und sah ihr beim Essen zu. Entweder fällt ihr nichts ein, was sie sagen könnte, oder sie hat gelernt, dass es unhöflich ist, jemanden beim Essen zu unterbrechen.

„Karîmà!"Eine helle Frauenstimme hallte durch die Küche und wahrscheinlich noch durch die halbe Etage. Das junge Mädchen warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. „Meine Mutter ruft mich, ich muss gehen. Aber vielleicht sehen wir uns ja noch einmal wieder!", fügte sie hoffnungsvoll hinzu, bevor sie sich umdrehte und sich ihren Weg zwischen den Kochtöpfen und Kartoffelschalen suchte. Das leise „Ist schon gut, ich komme auch allein zurecht."Hörte sie gar nicht mehr.

„Ist sie nicht ein kleiner Sonnenschein?" Verwundert drehte Rowenna den Kopf zur Seite, als sie die Stimme des Mannes neben ihr hörte. Trotzdem antwortete sie: „Ja, ich denke schon. Ich kenne sie zwar erst seit ein paar Minuten, aber sie wirkte wirklich sehr nett und freundlich." Wieder nahm sie erst einen Bissen vom Brot und dann einen von Käse. Obwohl sie Käse sonst eigentlich hasste, diesen mochte sie auf Anhieb. Er hatte einen klaren, würzigen Geschmack und passte perfekt zu dem noch warmen Bauernbrot.

„Entschuldigt die Frage, aber wer seid Ihr? Ich habe Euch hier noch niemals zuvor gesehen und in eurem kostbaren Gewand seht Ihr nicht aus wie eine Magd." Verwirrt musste Rowenna feststellen, dass sie ihm die Antwort auf diese Frage nicht geben konnte, da sie sie selbst nicht kannte. Wieder hatte sie jemand daran erinnert, dass sie hier nicht her gehörte. Sie wusste ja nicht einmal, wo sie war! Nichts kam ihr irgendwie bekannt vor, alles war ganz anders als in ihrer Welt. Denn dass sie sich in einer anderen Welt befand, dessen war sie sich mittlerweile sicher. Sie glaubte seit ihrer Kindheit an fremde Welten, aber dass sie selbst einmal mutterseelenallein auf einer landen könnte, daran hätte sie im Traum nie gedacht.

„Es tut mir Leid, aber das kann ich Euch nicht sagen. Das heißt, ich kann Euch meinen Namen sagen, jedoch nicht, woher ich komme oder was ich hier tue. Vor weniger als zwei Stunden bin ich in einem Bett aufgewacht und konnte mich an nichts erinnern."Das entsprach nicht ganz der Wahrheit, aber sie konnte ihm ja schlecht erzählen, dass sie aus versehen aus einer anderen Welt angereist war und keine Ahnung hatte, wie sie das gemacht hatte oder wie sie wieder zurück kam. „Mein Name ist Rowenna."Sie war sich nicht sicher, ob sie ihm eine Hand reichen sollte, lies es dann aber bleiben. Wahrscheinlich stellte man sich hier nicht mit Handschlag vor und sie wollte auf gar keinen Fall irgendetwas tun, das nicht hierher gepasst hätte, da sie nicht für verrückt erklärt werden wollte.

Er schien sich den Namen durch den Kopf gehen zu lassen und lächelte dann. „Diesen Namen habe ich noch nie gehört. Seid Ihr aus fernen Landen? Aber nein, entschuldigt bitte, ich vergaß, dass ihr Euch nicht erinnern könnt. Das tut mir sehr Leid für Euch, aber vielleicht kommt die Erinnerung in einigen Tagen wieder zurück. So lange seid Ihr hier im Palast herzlich willkommen und dürft auch gerne zu dem großen Fest erscheinen, das morgen stattfindet. Sicher seid Ihr neugierig, den König kennen zu lernen. Jetzt erinnere ich mich auch wieder, wie er von Euch sprach. Ich glaube, eine Magd hat Euch im Palastgarten gefunden oder etwas in der art. Aber wollen wir jetzt nicht darüber reden. Geht es Euch wieder gut?"

Er hatte gesprochen, ohne Rowenna auch nur ein einziges Mal zu Wort kommen zu lassen, weshalb sie sich jetzt bemühen musste, auf alle seine Fragen zu antworten, bevor sie sie wieder vergaß. „Das ist sehr freundlich von Euch, aber seid ihr denn befugt, mir einen Aufenthalt im Palast zu erlauben und mich dazu noch zu einem Fest einzuladen, auf dem der König persönlich zugegen ist? Aber danke, ja, es geht mir schon viel besser." Sie hörte ein leises kehliges Lachen neben sich. „Entschuldigt, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Legolas Grünblatt und ich bin..."

„Herrin!"Nûemyn war überglücklich, ihren Schützling wieder gefunden zu haben. Es war ihr furchtbar peinlich, sie verloren zu haben. Anschließend hatte sie alle Räume des Palastes, die sie befugt war zu betreten, durchkämmt auf der Suche nach ihr. Umso erleichterter war sie, sie nun endlich zu treffen, auch wenn es aus dem dreckigen Boden der Küche war, wirklich kein Ort für eine Dame. Außer Atem kam sie vor Rowenna und Legolas stehen und machte eine ungeschickte Verbeugung. „Entschuldigt vielmals mein Verschwinden. Ihr müsst mir glauben, es war ganz und gar nicht meine Absicht aber ich dachte, Ihr würdet mir folgen... Es tut mir wirklich sehr Leid", beteuerte sie immer wieder. „Kann ich vielleicht irgendetwas für Euch tun? Möchtet ihr etwas essen oder soll ich Euch vielleicht ein Bad einlassen?" Sie tut so, als wäre es das größte Verbrechen, mich in den Gängen zu verlieren. Es war doch gar nicht schlimm, so habe ich wenigstens in diese wundervolle Küche gefunden. „Danke, Nûemyn, aber ich habe schon gegessen. Es war wirklich nicht deine Schuld, dass wir uns verloren haben. Es muss dir nicht Leid tun. Aber ich glaube, ein Bad wäre jetzt wirklich das Richtige für mich. Wenn du mir den Weg zurück zu meinem Zimmer zeigen kannst... ich habe ihn eben trotz allem Suchen nicht gefunden." „Aber natürlich Herrin, sofort... Möchtet Ihr vielleicht während Eurem Bad einige Trauben zu Euch nehmen? Wir haben ganz wunderbare Trauben, ganz frisch." Rowenna wollte aufstehen, als sich eine Hand fest auf ihren Arm legte. Diesen Legolas hatte sie ja völlig vergessen. „Danke, Nûemyn", sagte der gerade, „lass dieser Dame doch schon das Badewasser ein, ich führe sie zurück zu ihrem Gemach." Jetzt erst schien die Bedienstete zu erkennen, wer da neben ihrer „Herrin" auf dem Boden saß und sie bekam vor Schreck große Augen. „Natürlich, sofort, Herr", presste sie heraus und eilte aus dem Raum.

„Das ist wirklich nicht nötig. Ich hätte ihr genauso gut folgen können, wo sie doch sowieso dorthin..."Ihr Blick schweifte über sein Gesicht... „Ich wollte aber noch etwas mit Euch besprechen." ...über seine Augen, die in einem so strahlenden Blau funkelten, dass sie glaubte, sie spiegelten das Meer wider, und dann... „Was ist denn das?", entfuhr es ihr, wobei sie sich im nächsten Augenblick am liebsten die Zunge abgebissen hätte wenn sie dadurch ihre Worte ungeschehen machen könnte. Ich bin, verdammt noch mal, in einer anderen Welt. Da kann es schon mal vorkommen, dass manche Wesen spitze Ohren haben. Also führ dich gefälligst nicht so auf, das gibt nur wieder Probleme. Außerdem hast du diese spitzen Ohren doch vorhin schon bei Nûemyn gesehen, ohne so ein großes Theater zu machen. Aber es war schon zu spät. Legolas sah sie ein wenig verdattert an. „Was meint Ihr? Ich sehe nichts!"Er blickte über seine Schulter nach hinten um sich zu überzeugen, dass dort auch wirklich nichts Außergewöhnliches war.

Das kostete sie ihren letzten Rest Selbstbeherrschung. Obwohl sie sich selbst dafür verfluchte konnte sie nicht anders, zuerst kämpften sich nur leise glucksende Laute ihren Weg nach draußen, dann lachte sie laut los. „Entschuldigt, ich wollte nicht...", stieß sie zwischen zwei Prustern hervor, „Das war nicht..."Doch ihr eigenes Lachen lies sie nie ganz ausreden, was ihr gar nicht so Ungelegen kam, da sie eh nichts zu sagen gewusst hätte. „...böse gemeint!", vervollständigte sie ihren Satz, als sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte. Ihr Atem beruhigte sich wieder, dafür stieg ihr nun die Schamesröte ins Gesicht. Im Nachhinein kam sie sich reichlich lächerlich vor, wie sie da auf dem Boden saß und sich krümmte vor Lachen während niemand sonst auch nur ansatzweise verstand, warum. Sie strich sich eine widerspenstige Strähne ihres dunkelbraunen Haares aus der Stirn und versuchte ihre Wangen zu überreden, wieder eine normale Farbe anzunehmen.

Legolas sah sie immer noch genauso verständnislos an wie am Anfang, zuckte dann jedoch mit den Schultern und stand auf. Er wollte ihr schon eine Hand hinhalten, um ihr ebenfalls hoch zu helfen, doch sie kam schon von alleine auf die Beine. Immer noch lag ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen, welches aber nicht mehr unhöflich oder gar respektlos sondern einfach nur noch freundlich wirkte.

„Legolas!"Beide drehten sich gleichzeitig zur Quelle der Stimme um. Ein stattlicher Mann, der Legolas ziemlich ähnlich sah und deshalb von Rowenna direkt als sein Vater erkannt wurde, stand in der Türöffnung. „Was machst du denn schon wieder hier? Dass du dich aber auch immer bei dem Gesinde verstecken musst, wenn man dich mal sucht. Du weißt ganz genau, dass ich mit dir reden wollte, also hör auf, es noch weiter hinauszuzögern!"Seine Stimme donnerte und hallte leise von den Wänden wider, klang aber insgesamt weniger bedrohlich als viel mehr herrisch und selbstbewusst.

„Aber Vater, ich... Muss diese Dame noch zurück in ihr Zimmer geleiten, da sie sich sonst möglicherweise verirrt. Anschließend komme ich gleich herunter in die Bibliothek und wir können uns wieder über dieses leidige Thema unterhalten." „Gut."Sein Vater setzte einen zufriedenen Gesichtsausdruck auf, schenkte Rowenna noch ein gütiges Lächeln, obwohl ihm deutlich anzusehen war, dass er sie nirgendwo einordnen konnte und sie wahrscheinlich für eine von Legolas' Freundinnen hielt, und verlies die Küche.

Erst jetzt, da alle ihre Arbeit wieder aufnahmen, fiel Rowenna auf, dass alle, ob groß oder klein, ihre Putztücher, Kochlöffel oder Küchenmesser beiseite gelegt und ehrfurchtsvoll zu dem stattlichen Mann aufgesehen hatten. Vielleicht der Küchenchef oder sonst irgendein Vorgesetzter. Sie wusste noch nicht, dass sie gerade Thranduil, dem König des Düsterwaldes, gegenübergestanden hatte, und so verschwendete sie keine weiteren Gedanken mehr an ihn sondern lies sich von Legolas zu ihrem Zimmer bringen, um in dem angrenzenden Raum ihr Bad zu nehmen.

In der Bibliothek zur gleichen Zeit

„Und du bist dir wirklich ganz sicher?" Das zierliche Mädchen, das zusammengekauert in einem der riesigen Sessel saß, schien sich noch kleiner machen zu wollen. „Ja, Herr Gandalf. Ich habe es gesehen. Ein Stück glänzendes Metall ragte aus ihrem Bauch. Es hatte die Form einer Sonne. Ich bin mir ganz sicher. Bitte, so glaubt mir doch. Ich bin nur eine kleine Magd, was hätte ich davon, Euch zu belügen?" „Nun gut."Gandalf stützte sich schwer auf seinen Stab. Er war in den letzten Jahren wahrlich nicht jünger geworden!

Außer ihm und der jungen Magd waren noch Gimli, Aragorn mit Arwen und die vier Hobbits Merry, Pippin, Sam und Frodo, die sich neben einem gewaltigen Berg Kuchen und Obst postiert hatten, anwesend. Erst an diesem Nachmittag waren sie alle angekommen, um an dem großen Fest teilzunehmen, das Thranduil anlässlich des fünften Jahrestages nach der Zerstörung des einen Rings veranstaltete, und schon standen sie anscheinend vor einer neuen Gefahr.

Vor fünf Tagen wurde von einem Gärtner ein Mädchen auf dem Anwesen des Schlosses gefunden. Zuerst hatte er geglaubt, sie sei tot, doch dann hatte er bemerkt, dass sie noch atmete und einen der Berater des Königs alarmiert. Es wurde veranlasst, dass das Mädchen in ein Zimmer getragen wurde, wo es heute zum ersten Mal erwacht war. Die Kammerfrau, dieses Mädchen, welches jetzt in der Bibliothek saß, hatte ihr die zerrissenen und verschmutzten Kleider ausgezogen und dabei etwas entdeckt, das sie dermaßen entsetzt hatte, dass ein anderes Mädchen nach der Gefundenen sehen musste. Erst am heutigen Tag war herausgekommen, warum Merit, das Mädchen, sich nicht mehr in das Zimmer traute und außerdem so verstört dreinblickte.

Der verwirrte König Thranduil, dem daraufhin alles gemeldet wurde, hatte beschlossen auf die Ankunft der ehemaligen Gefährten seines Sohnes zu warten, da er sich besonders von Gandalf einen weisen Rat erhoffte. Leider stand auch der Zauberer in diesem Fall vor einem Rätsel, da er mit dem gegebenen Hinweisen rein gar nichts anfangen konnte. Ein Mädchen, aus dessen Bauch eine silberne Sonne schaute? Das kam ihm unvorstellbar vor und der größere Teil von ihm schob alles auf die geistige Verwirrung Merits. Aber ein anderer Teil von ihm war zumindest neugierig, was es damit auf sich hatte.

Die Tür öffnete sich und der König des Düsterwaldes trat ein. „Ich entschuldige mich aufrichtig für mein verspätetes Erscheinen, aber ich musste mich erst auf die Suche nach meinem lieben Sohn machen, der sich schon wieder in der Küche herumtrieb. Ach ja, wenn er so weitermacht bringt er es noch eher zu einem Koch als zu einem würdigen König über das Volk von Düsterwald", seufzte er und lies sich in den Sessel fallen, der ihm am nächsten stand. Erst jetzt fiel sein Blick auf das verstörte Mädchen, das durch sein Auftauchen nicht gerade mutiger wurde. „Wer ist das?", fragte er in die Runde und bekam eine zögerliche Antwort von Gandalf, der sich noch immer auf seinen Stab stützte und mit langsamen Schritten das Zimmer durchquerte. „Dies ist das Mädchen, das behauptet sie hätte eine glänzende Sonne aus dem Bauch eines Mädchens hervorschauen sehen, das hier unter Eurem Dach lebt, König Thranduil."

„Ach so", war der einzige Kommentar des Königs. Er überlegte, was am besten als nächstes zu tun sei. Er konnte unmöglich den ganzen Palast in Aufruhr versetzen, wenn es möglich war, dass es sich nur um die Hirngespinste einer jungen Dienstmagd handelte. „Ich schlage vor, dass wir morgen wie geplant das Fest feiern und uns an dem darauf folgenden Tag um dieses Problem kümmern sollten. Ihr seid angereist um Euch an einem Ball zu erfreuen, nicht um Euch hierüber den Kopf zu zerbrechen. Vorerst sollten wir unsere gemeinsame Zeit ein wenig genießen. Oder ist da jemand anderer Meinung?"

Zustimmendes Gemurmel ertönte, vor allem von Seiten der Hobbits, die schon befürchtet hatten, ihr Aufenthalt, der als Urlaub gedacht war, würde zu echter Arbeit ausarten. Aber auch die anderen waren nicht allzu sehr interessiert an der Sache und so senkte sich eine Stille über den Raum, die nur von dem leisen Schmatzten der Halblinge gestört wurde. Das Schweigen dauerte solange an, bis die Tür geräuschvoll aufflog und Legolas hereinstürmte. „So Vater, jetzt können wir... oh!"Erst jetzt bemerkte er, dass sein Vater nicht allein im Zimmer war. „Aragorn! Gimli! Arwen! Und die Hobbits habt ihr auch dabei, natürlich schon wieder am essen! Wie schön, Euch alle zu sehen! Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ihr schon angekommen seid!" Er umarmte Aragorn, der aufgestanden war um seinen Freund zu begrüßen. Bei Gimli gestaltete sich das schon etwas schwieriger, deshalb beschränkte er sich auf ein kräftiges Händeschütteln und freundschaftliche Begrüßungsworte. Den Hobbits winkte er nur kurz zu, denn ihre Hände waren von Kuchen zu verschmiert, als dass er darauf bestanden hätte sie zu schütteln.

„Das ist aber schade", er grinste seinen Vater an, „jetzt haben wir Gäste und können uns gar nicht richtig unterhalten. Aber das können wir ja auch immer noch auf später..." „Nichts da, mein Sohn! Ich empfinde es nicht als störend, dass deine Freunde anwesend sind. Vielmehr hoffe ich, dass sie dich zur Vernunft bringen können. Aragorn, mein lieber Freund", wandte er sich an den König von Gondor, „vielleicht glaubt er Euch, wenn Ihr ihm sagt, dass er als mein Thronfolger schnellstmöglich eine würdige Frau finden muss? Er kann doch nicht unverheiratet auf den Thron steigen. Das Volk braucht eine Königin!" „Aber Vater, bitte! Das können wir doch wirklich auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Ich habe noch viel mit meinen ehemaligen Gefährten zu besprechen und auszutauschen und es wäre wahrhaftig unhöflich, unsere Gäste gleich nach der Ankunft mit deinem Gerede über Hochzeiten zu belästigen."

„Also mir machte das gar nichts aus!", tönte es einen halben Meter unter ihm. Immer und überall musste dieser Zwerg Ärger machen! Er könnte ihm ruhig einmal den Rücken stärken anstatt sich auch noch über ihn lustig zu machen und so schadenfroh zu grinsen wie er es gerade tat. „Da hörst du es, mein Sohn! Ich habe erst kürzlich mit einem alten Freund von mir gesprochen, der hat eine ganz reizende junge Tochter. Sie ist ein wenig jünger als du, vielleicht 500 Jahre, aber was macht das schon. Ich glaube, ihr würdet ein wirklich hübsches Paar abgeben, ihr beiden!" Legolas seufzte abgrundtief, während Gimli sich prächtig amüsierte und die Hobbits gespannt zuhörten und nebenher noch mehr Kuchen in sich hineinstopften.

Im Bad eines Gästezimmers des Palastes

Genüsslich aalte sich Rowenna im warmen Wasser. Es duftete nach Rosen und Lavendel, und leichter Dampf stieg aus der Wanne auf, in der sie lag. Legolas hatte sie zu ihrem Zimmer geleitet und war dann eiligst verschwunden. Das Wasser war schon eingelassen als sie das Zimmer betreten hatte und so brauchte sich nichts weiter zu tun, als sich das Kleid und ihre Unterwäsche auszuziehen und in die Wanne zu steigen. Wieder einmal ging ihr durch den Kopf, wo sie war und wieder einmal verdrängte sie es. Jetzt wollte sie einfach nur genießen, aber so sehr sie sich auch bemühte, gewisse Bilder schlichen sich immer wieder in ihren Kopf. Die letzten Fetzen, an die sie sich noch erinnern konnte. Der Autounfall, die schrecklichen Augenblicke der Ungewissheit in der sie nicht wusste, was sie erwartete. Ob ihre Freunde wohl auch hier waren? War sie tot? Gerade jetzt, wo sie allein war und keine Ablenkung hatte stürmte eine wahre Flut an Bildern auf sie ein, die sie gar nicht auf einmal verarbeiten konnte. Ohne es zu merken stieg die salzige Flüssigkeit in ihren Augen immer höher, bis sich eine einzelne Träne ihren Weg über ihre Wange suchte, bis sie kurz an ihrem Kinn hängen bleib und sich dann mit einem leisen platsch mit dem Badewasser vermischte. Zu der einen Träne gesellten sich bald viele, die in kleinen Sturzbächen ihr Gesicht herunter rannen. Sie konnte sie nicht zurückhalten und wollte es auch gar nicht. Sie war allein in dieser Welt, in der sie sich nicht auskannte. Sie fühlte sich einsam und verlassen, womit hatte sie das verdient? Zwar waren an diesem Tag alle freundlich zu ihr gewesen, aber es lag immer eine gewisse Vorsicht in allem was sie taten. Nicht das ungezwungene Verhalten ihrer Freunde zu Hause. Zu Hause. Es hörte sich so fern an. Würde sie ihre Freunde jemals wieder sehen? Wahrscheinlich nicht. Aber was blieb ihr anderes übrig, als in diesem Spiel ihre Rolle zu spielen, in einem Spiel, in das sie gar nicht hineingehörte? In dem sie völlig fremd und unerfahren war? Ihr blieb nichts anderes übrig, und das war ein schreckliches Gefühl. Sie hatte in ihrem Leben immer eine Wahl gehabt, egal ob es sich nur darum handelte, was sie anzog oder was sie zum Mittagessen kochte. Jetzt aber fühlte sie sich eingeengt wie in einem goldenen Käfig. Aber trotz allem, sie musste weitermachen. Es war die einzige Möglichkeit. Und sie würde sie nutzen.