Kapitel 3 Wie schon am Vortag wurde Rowenna durch die hellen Sonnenstrahlen geweckt, die ihr mit einer Intensität ins Gesicht leuchteten, dass sie es im Bett nicht mehr aushalten konnte. Instinktiv wollte sie auf die Uhr sehen, musste dann aber feststellen, dass keine vorhanden war. Also konnte sie nur versuchen, die Zeit zu schätzen. Bestimmt ist es schon nach elf Uhr, stellte sie nach einem Blick aus dem Fenster fest. Ein Blick in den riesigen Spiegel verriet ihr, wie unruhig sie geschlafen haben musste. Ihre Haare standen in alle Richtungen ab und ihre Augen wirkten ein wenig verquollen. Entschlossen nahm sie die goldene Bürste, die auf dem Frisiertischchen vor dem Spiegel lag und fuhr sich damit versuchsweise durchs Haar.

„Aber Herrin, lasst mich das doch machen!"

Nûemyn war hereingekommen ohne auch nur einen Laut zu verursachen. In jeder anderen Situation hätte Rowenna niemanden an ihre Haare gelassen, aber sie hatte auch keine Lust, alle Knoten herauszukämmen bis sie Muskelkater in den Armen hätte. So setzte sie sich auf den zierlichen Hocker, wobei sie hoffte, er möge ihr Gewicht halten, und reichte dem Mädchen die Bürste. „Danke, Nûemyn", sagte sie, bevor die Bedienstete anfing, so sanft wie möglich ihre Haare glatt zu kämmen.

„Das Frühstück habt Ihr wieder einmal verpasst, aber ich werde euch gleich mit Vergnügen etwas herauf bringen, wenn ihr es wünscht. Außerdem erwarten euch Prinz Legolas, König Aragorn von Gondor und Gandalf der Weiße in einer halben Stunde in der Bibliothek. Aber der Prinz möchte vorher noch einmal zu euch heraufkommen", fügte sie verschwörerisch hinzu, „vielleicht soll ich euch vorher noch eure Haare ein wenig mit Bändern zurecht machen?" Mittlerweile hatte sie die Bürste zur Seite gelegt und sah Rowenna im Spiegel fragend an. Doch diese antwortete nur: „Das wird nicht nötig sein." Sonst denkt der hinterher noch, ich würde mich extra für ihn schön machen. So weit kommt's noch! „Aber ich wäre dir dankbar, wenn du mir beim ankleiden ein wenig behilflich wärest."

„Aber natürlich. Darf ich fragen, ob ihr euch schon für ein Gewand entschieden habt?"Sie öffnete die Schranktür, wartete nicht auf eine Antwort sondern nahm schon ein blaues Kleid heraus. Es war nicht ganz so prunkvoll wie das gestrige, sondern sowohl vom Schnitt als auch von den Verzierungen her eher schlicht. Die Säume bestanden nicht aus Spitze, lediglich am auf der Vorderseite in Brusthöhe befanden sich silberne Knöpfe und eine passende Kordel hielt das Kleid an der Hüfte zusammen. Gerade diese Schlichtheit war es, die Rowenna sofort gefiel, und so suchte sie nicht erst nach einem schöneren Kleid sondern zog dieses an.

Nûemyn fragte noch einmal nach, ob sie nicht doch die Haare machen sollte, doch als sie keinen Erfolg hatte, verließ sie das Zimmer, um das Frühstück holen zu gehen. Sie war keine fünf Minuten zur Tür heraus, als es auch schon klopfte. Das ging aber schnell. Und ich habe gestern so lange bis zur Küche gebraucht.

„Herein!"

Rowenna stand mit dem Rücken zum Raum und blickte aus dem Fenster. „Das ging aber schnell", sagte sie, ohne sich umzudrehen, „aber gut, ich habe schon einen Bärenhunger." Die Tür schlug zu und in Erwartung eines prall gefüllten Tablettes mit frischem Brot und Käse, was ihr das Wasser im Mund zusammen laufen lies, drehte sie sich um. „Ich bringe zwar nichts zu essen mit, aber ich hoffe, du heißt mich trotzdem gerne willkommen."Vor ihr stand nicht Nûemyn, sondern Legolas! Sofort färbten sich ihre Wangen wieder einmal rot, wie so oft schon seit sie hier war. „Oh, ich dachte, Nûemyn wäre mit dem Essen zurück. Aber wenn ich es mir recht überlege, so schnell konnte es dann doch nicht gehen. Was verschafft mir die Ehre?", fragte sie dann.

Sein Gesicht wurde ernst. „Ich wollte nur noch kurz mit dir darüber reden, weil Gandalf und Aragorn dich doch gleich treffen wollen... Sie werden bestimmt wissen wollen, warum das Mädchen so einen..." Er unterbrach sich, als die Tür sich mit einem leichten Quietschen öffnete und schwere Schritte herein polterten. „Hier steckst du also! Nanu, und wen haben wir da?", fragte Gimli, der wie üblich keinen besonderen Wert auf unnötige Höflichkeiten legte.

Das ist also dieser Zwerg. Na ja, er ist irgendwie... klein. Und unhöflich, aber das hatte Legolas ja schon gesagt. „Du wolltest sagen, warum dieses Mädchen so einen Zwergenaufstand gemacht hat?", vervollständigte sie Legolas' Satz mit einem Lächeln auf den Lippen, bevor sie sich zu dem schnaufenden Zwerg herunterbeugte und sich vorstellte: „Mein Name ist Rowenna, und wie ich mir vorstellen kann, müsst ihr der Herr Gimli sein. Ich habe schon einiges von euch gehört!" „Also na ja, das hört man natürlich immer gerne", erwiderte Gimli erfreut, „was habt ihr denn so von mir gehört? Nur gutes, will ich hoffen!" Rowenna richtete sich wieder auf und drehte sich zu Legolas um, der die ganze Szene belustigt beobachtet hatte ohne etwas zu sagen. „Ich weiß nicht so genau, was habe ich noch über ihn gehört? Könntest du mir bitte kurz auf die Sprünge helfen, Legolas?", fragte sie gespielt liebwürdig, wobei sie sich ein Grinsen jedoch nicht verkneifen konnte. Einen halben Meter unter ihr wurde ein empörtes Schnaufen laut. „Hört bloß nicht darauf, was dieser Elb euch über mich erzählt! Es beliebt ihm, mich immer und überall schlecht zu machen und bloß zu stellen. Sicher hat er euch nur schlechte Sachen berichtet. Also das ist ja..." Er hatte sich so in seine kleine Ansprache hinein gesteigert, dass er erst jetzt bemerkte, dass die beiden anderen bereits angefangen hatten, lauthals loszulachen. Entrüstet blickte er von einem zum anderen, schüttelte den Kopf, fiel dann aber mit ein.

Durch Gimlis Auftauchen blieb keine Zeit mehr für das, was Legolas mit Rowenna hatte besprechen wollen, sie gingen zu dritt hinunter in die Bibliothek.

In der Bibliothek „Warum müssen wir dieses Menschenmädchen eigentlich treffen, wenn es doch eh alle für nicht wahr halten?", fragte Pippin mit vollem Mund, während er sich gerade ein weiteres Stück von dem Kuchen abschnitt, der vor ihm auf dem Tisch stand. „Das weiß ich auch nicht, aber es ist doch okay, solange wir dabei genug zu essen haben", erwiderte Merry und schob sich gleich mehrere Trauben gleichzeitig in den Mund. Er kaute kurz, schluckte und sagte dann: „Außerdem müssen wir ja gar nicht, glaube ich. Gandalf hat nur gesagt, wir dürfen, nicht dass wir müssen." Sam schaltete sich ungeduldig ein: „Also ich finde das ganz spannend. Nicht wahr, Herr Frodo?"Doch dieser grummelte nur leise vor sich hin und machte sich an einem Strang Würstchen zu schaffen.

Aragorn und Gandalf hatten sich bereits in den riesigen Lehnstühlen niedergelassen und warteten auf die Ankunft von Legolas, Gimli und dem Mädchen. Aragorn konnte noch immer nicht ganz verstehen, warum Gandalf plötzlich doch auf ein Treffen bestanden hatte, aber er hatte in vielen Jahren gelernt, lieber auf die Anweisungen des Zauberers zu vertrauen und so hatte er nichts dagegen gesagt. Doch als er auf seine Fragen keine Antworten bekam, fing er trotz allem an, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Jetzt lehnte er sich einfach nur zurück und amüsierte sich still über die Unterhaltung der Hobbits, soweit er sie unter ihrem Geschmatze hervor verstehen konnte.

„So, ich bin da, wir können loslegen!"

Wenn man Gimli nicht an seiner Sprechweise hätte erkennen können, so wäre dies zweifellos doch jedem anhand seines üblichen Getrampels gelungen. Hinter ihm folgten Legolas und Rowenna, die hinter sich die Tür leise ins Schloss zog. „Setzt euch, meine Freunde", sagte Gandalf ohne sich zu erheben. „Und du, mein Kind, setz dich bitte neben mich."Er wies auf den Sessel, der ihm am nächsten stand und sie setzte sich mit einem mulmigen Gefühl. Sie wusste nicht, was kommen würde und sie war sich auch nicht sicher, ob sie es überhaupt wissen wollte. Trotzdem setzte sie sich gehorsam auf den ihr zugewiesenen Platz.

„Wir sind hier zusammengekommen", fuhr der Zauberer fort und fuhr sich bedächtig mit der Hand über seinen langen Bart, „um heraus zu finden, was an den Gerüchten über euch wahr ist, die mittlerweile jeder Küchenmagd bekannt sind und von denen der halbe Palast spricht. Daher verzeiht mir meine direkte Frage, aber seid ihr eine Hexe oder habt ihr jemals mit magischen Dingen und Zauberformeln Kontakt gehabt?" Das kann ja wohl nicht wahr sein! Die setzen mir hier einen Zauberer vor die Nase, der aussieht, als wäre er gerade frisch aus dem Märchenbuch gesprungen, und dann fragt der auch noch, ob ich eine Hexe bin! Vielleicht brauch ich einfach nur einen guten Psychologen...

Obwohl sie teilweise noch immer damit rechnete, dass gleich jemand hinter dem Vorhang hervorsprang und ‚Willkommen bei der versteckten Kamera' rief, antwortete Rowenna zögernd: „Äh, nein. Ich...ich..."Ihr fiel nichts ein, was sie noch sagen könnte, und so schwieg sie. Eine unangenehme Stille machte sich breit, als sich plötzlich die Tür öffnete. Herein trat ein Mädchen mit einem Tablett, voll beladen mit Kuchen und Keksen. Es ging zur Mitte des Raumes, beobachtet sowohl von Rowennas Augen, die nicht wusste, wohin sie sonst schauen sollte, als auch von denen der Hobbits, die sich auf Nachschub freuten. Es hatte den Tisch noch nicht erreicht, da wendete es den Blick ein wenig zur Seite.

„Das ist sie!", schrie sie ohne Vorwarnung, wobei ihr das Tablett entglitt und mit einem Krachen auf dem Boden aufschlug. Der Lärm dröhnte in den Ohren der Anwesenden, er war fast unwirklich und wurde nur übertönt von den entsetzten Schreien des Mädchens. „Das ist die böse Hexe! Sie soll brennen in den ewigen Feuern der Hölle, oder sie wird uns alle vernichten. So tut doch etwas! Das böse ist mitten unter uns! Es wird..."

„Still, du törichtes Mädchen!", donnerte Gandalf und erhobt sich flinker, als man es ihm aufgrund seiner Haltung zugetraut hätte. Seine Stimme lies Merit verstummen. Nun breitete sich die Stille sowohl angenehm als auch gespenstisch in Rowennas Kopf aus. Sie war so erschrocken, dass ihr ganzer Körper wie zu Stein erstarrt war. Sie hätte sich nicht rühren können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Tausende Stimmen schienen ihr wild durcheinander zu schreien, doch kein einziges Wort drang laut genug zu ihr, als dass sie es hätte verstehen können. So dröhnte es nur, viel lauter, als ein irdisches Geräusch es je gekonnt hätte.

Legolas löste sich als erstes aus der Starre und lief zu Merit, die nun auf dem Boden kauerte, verwirrt, kreischend und wild um sich schlagend. Er musste mehreren Hieben ausweichen, bis er sie schließlich zu fassen bekam, kurzerhand aufhob und mit sich trug. Doch es gelang dem Mädchen, sich so weit zu befreien, dass sie wieder mit ihren Armen schlagen konnte, während sie böse Verwünschungen auf Rowenna losließ. Aragorn kam seinem Freund gerade noch rechtzeitig zur Hilfe, bevor dieser endgültig die Kontrolle verlor. Gemeinsam trugen sie Merit durch die noch offen stehende Tür in den Gang und verschwanden damit aus Rowennas Blickfeld.

Sie schloss die Augen, die einzige Bewegung, zu der sie fähig war. Doch es brachte ihr keine Erleichterung. Tausende Bilder blitzten durch ihre Gedanken, wie um den Stimmen, deren Lautstärke sich weiter erhöhte, noch zu untermalen. Ich will weg von hier, war alles, was sie denken konnte. Einfach nur weg von hier. Nach Hause. Dann umgab sie ein seltsames Gefühl, das sie jedoch kaum wahrnahm. Es war, als würde sie fliegen. Sie berührte den Boden nicht und ein gleißendes Licht blendete ihre Augen, obwohl sie sie weiterhin geschlossen hielt. Ein leichter Nebel wand sich um ihren Verstand und trübte ihn soweit, dass sie glaubte, friedlich einzuschlafen.

Nein!

Sie wusste nicht, woher dieses Gefühl kam, aber es war da. Es fühlte sich plötzlich falsch an, das, was sie noch vor wenigen Augenblicken als himmlischen Frieden empfunden hatte. Sie zwang sich, die Nebel zu vertreiben, sie wie einen Schwarm Bienen zu verscheuchen. Wieder griffen silberne Schleier nach ihr, doch diesmal ließ sie sie nicht an sich heran. Alles wurde mit einem Mal klarer, ihr Verstand, ihre Gedanken, ihre Sinne. Sie spürte etwas Weiches unter sich. Vorsichtig öffnete sie die Augen, immer noch in der Erwartung, von dem übernatürlich hellen Licht geblendet zu werden, das sie umgeben hatte. Sie lag auf einem Bett, auf ihrem Bett. Sie war wieder zu Hause.

Die Tapete an den Wänden, die Farbe der Gardinen, der Computer auf dem Schreibtisch, alles erschien ihr plötzlich nicht mehr wirklich. Und doch war sie hier, in ihrer Welt. In ihr war keine Müdigkeit mehr, nur noch Verwirrung. Was war passiert? Hatte sie nur geträumt? Das schien ihr die einzig wahre Erklärung, doch warum war die Erinnerung so real? Sie schüttelte den Kopf, doch die erhoffte Klärung blieb aus.

Es roch nach Kaffee, als sie die steile Treppe herunter stieg. Die Tür zur Küche war nur angelehnt, und Rowenna hörte Stimmen, die leise miteinander sprachen. Sie blieb an die Wand gelehnt stehen und hörte eine Weile zu.

„Ich weiß, es ist schlimm, mein Schatz. Aber es hilft ihr nicht mehr, wenn du dich aufgibst." Das war eindeutig die Stimme ihres Vaters, doch der übliche heitere Ton war vollends daraus verschwunden. Die eintretende Stille wurde unterbrochen durch Schluchzen und dem Geräusch eines Lastwagens, der vor dem Haus vorbeifuhr. „Wie kannst du nur so etwas sagen! Sie ist... war unsere Tochter, und nun ist sie tot!" Ihre Mutter konnte nicht weiter sprechen, wieder wurde sie von heftigen Schluchzern geschüttelt.

Rowenna hielt es nicht mehr aus. Dass ihre Eltern um sie weinten war eindeutig, denn sie hatte keine Geschwister. Aber warum? Sie war doch hier, und es ging ihr gut! Vorsichtig, als hätte sie Angst, sie zu zerbrechen, schob sie die Tür auf, doch niemand bemerkte sie. Ihr Vater stand mit unbewegtem Gesicht am Fenster und starrte hinaus, während seine Frau über den Küchentisch gebeugt dasaß und aussah, als wäre das Gewicht dieser Welt zu viel für ihre Schultern.

„Mama!"Es war mehr ein Flüstern, was sich aus ihrer Kehle löste, doch es reichte um gehört zu werden. „Jetzt höre ich sie schon sprechen. Oh mein Gott, was..." „Mama!"Rowenna hatte ihre Stimme wieder gefunden und sprach nun fest und deutlich. „Rowenna!"Das nicht Verstehen und nicht Glauben waren wie eingemeißelt auf dem Gesicht der älteren Frau zu lesen. Ihre Augen waren verquollen, die Reste eines Lidstriches bildeten schauerliche Schatten und Figuren auf ihren Wangen. Trotz allem fand sie die Kraft, sich aus dem Stuhl zu erheben und in die Arme ihrer Tochter zu fallen. „Aber... aber das kann doch nicht sein! Wir... wir dachten, du seiest... du seiest..."Sie schaffte es einfach nicht, dieses Wort noch einmal auszusprechen, doch das war auch nicht nötig. Sie hielten sich gegenseitig, bis ihr Vater sich räusperte. Auch er war mehr als nur überrascht, doch schaffte er es, seine Emotionen nicht so sehr zu zeigen. Egal, von welcher Seite sie es auch zu sehen versuchte, nun musste sich Rowenna eingestehen, dass sie nicht geträumt haben konnte. Etwas war vorgefallen, und sie musste herausfinden, was es war, bevor sie die Ungewissheit zerstörte.

„Sein Zustand ist weiter kritisch. Wir können noch nichts Genaues sagen", betete der behandelnde Arzt leiernd herunter, als sagte er so etwas jeden Tag. Nun, wahrscheinlich tat er das sogar. Fast direkt, nachdem sich ihre Mutter beruhigt hatte, waren sie in das städtische Krankenhaus gefahren. Für Rowenna war es ein Schock zu erfahren, dass ihr Bruder Michael noch immer im Krankenhaus lag. Zwar war sein Zustand stabil, doch das konnte sich jeden Moment ändern. Und trotz drängender Fragen an ihre Eltern weigerte diese sich noch immer, ihr zu sagen, was mit den anderen war. Wie ging es Martin, Sarah und Nadine? Sie öffnete den Mund, um den Arzt zu fragen, wurde jedoch von ihrer Mutter schon weiter geschoben. „Warum sagt mir denn keiner etwas? Ich will es endlich wissen: Wie geht es den anderen?" „Ach, Kind", war die traurige Antwort ihres Vaters, „vielleicht sollten wir zu Hause in Ruhe darüber sprechen. Es bringt nichts, jetzt hier..." „WAS IST MIT IHNEN???"Sie schrie die Worte schon fast heraus. Ein älterer Mann, der an ihnen vorbeiging, sah sie mitleidig an, eine Mutter zog eilig ihr kleines Kind mit sich, als hätte sie Angst, Rowenna könnte ihm in ihrem Ausbruch etwas zu Leide tun.

„Nadine geht es gut. Sie ist bereits wieder auf den Beinen, wenn auch etwas unsicher", schaltete sich ihre Mutter nun ein. „Martin hat einige schwerwiegende Verletzungen davongetragen, aber es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Er lebt noch."

„Was willst du damit sagen? Was ist mit Sarah? Lebt sie noch?"

Alle Zurückhaltung fiel von ihr ab. Wirbelnde Bilder zogen vor ihren Augen her, Sarah mit ihr im Kindergarten, in der Grundschule und schließlich sie beide zusammen in den Ferien. Sarah war ihre beste Freundin, immer schon gewesen, so lange sie sich erinnern konnte. Sie war es, die bei allem dabei gewesen war, der sie von ihrem ersten Freund erzählt hatte und die ihr ohne zu fragen 100 Euro geliehen hatte. „Was ist mit ihr?" „Sie liegt auf der Intensiv. Sie lebt noch, aber die Chancen stehen schlecht." So. Es war raus. Bis zum letzten hatte sie gebetet, dass es nur ein böser Scherz war. Irgendetwas in der Art, dass es nicht so war wie es war. Aber sie war nicht tot.

Ihr wurde plötzlich ganz schrecklich übel. Grüne Schilder zeigten den Weg zur Toilette und sie folgte ihnen, bis sie vor einer schmuddeligen, ebenfalls grünen Tür ankam. Die Toilette dahinter war dreckig und kaputt. Ich will weg hier, einfach nur weg. Bitte, lass mich nicht hier in dieser... Hölle.

In der Bibliothek „Wo ist sie?"Legolas kam als erstes wieder durch die schwere Holztür. Mit vereinten Kräften hatten er und Aragorn Merit in ihr Zimmer gebracht und anschließend eine Wache dazu abkommandiert, darauf zu achten, dass sie nicht verschwand. „Sie ist weg!", informierte Gimli den verblüfften Elb, „einfach so verschwunden. Es hat so geblitzt und dann war sie weg. Da soll noch mal einer sagen, das war keine Hexe! Wenn ich die in die Finger kriege!"Er fuchtelte demonstrativ ein wenig mit seiner Axt herum, die er zur Sicherheit die ganze Zeit neben seinem Sessel stehen hatte.

Auch Gandalf hatte Rowennas Verschwinden bemerkt, und auch er machte sich so seine Gedanken, doch hielt er sie nicht für bedrohlich. Sie schien sogar selber einigermaßen überrascht und vielleicht sogar ein bisschen ängstlich.

Jedoch musste er seine Fragen zurückhalten, bis sie wieder auftauchte, falls sie das je tat. Und wenn nicht, daran wollte er erst gar nicht denken. Er hatte sich so sehr gefreut auf eine etwas geruhsamere Zeit nach all den Strapazen des Ringkrieges, da war er nicht allzu scharf auf neue Abenteuer. „Ruhig, Gimli Gloinssohn!", schalt er den Zwerg. Wenn erst einmal jemand in Panik geriet, konnte er ein ruhiges Fest am heutigen Abend getrost vergessen. „Ich schlage vor, dass wir unsere Versammlung auf den morgigen Abend vertagen. Sicher gibt es noch viel zu tun für das Fest, und ihr solltet einem armen alten Mann wie mir auch etwas Ruhe gönnen." Damit erhob er sich ein wenig übertrieben ächzend aus seinem Stuhl und schritt zur Tür. Hinter sich ließ er unbekümmert weiter essende Hobbits nebst ärgerlichem Zwerg und verwirrten Legolas und Aragorn zurück.

„Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll. Ich meine, sie kam mir doch so normal vor, als ich gestern Nacht bei ihr..." Aragorn sah Legolas grinsend von der Seite an, als sie gemeinsam die Treppe zu den Gästezimmern hochstiegen. „Du warst gestern Nacht bei ihr? Warum hast du das nicht gleich gesagt?" Der Elb brauchte einen kleinen Moment, bis er bemerkte, worauf sein langjähriger Freund anspielte, so sehr war er in seinen Gedanken versunken. Als Mensch wäre er wahrscheinlich rot angelaufen, aber als Elb bekam er nur leicht rosane Ohrenspitzen. „Doch nicht so! Ich habe ihr nur eine Kette gebracht, die ich gefunden hatte und von der ich dachte, es wäre ihre. Du kannst einem aber auch ganz schön die Worte im Mund verdrehen."
„Ach, so ist das. Du hast ihr also nur eine Kette wiedergebracht. Wie ungewohnt edel von euch, mein Prinz!"Für diese Bemerkung zog sich der König von Gondor einen Knuff in die Seite zu, doch es störte ihn wenig sondern amüsierte ihn nur noch ein bisschen mehr. „Außerdem habe ich dir gar nicht die Worte im Mund umgedreht. Wenn du dich noch einmal hören könntest wüsstest du, dass du es genauso gesagt hast. Und jetzt, mein Freund, habe ich noch wichtige Dinge zu erledigen. Wir sehen uns dann auf dem Fest." „Ich dachte, du bist hier zu Gast bei einem Fest. Was hast du denn da für wichtige Dinge zu tun?"
„Ich habe eine Verabredung mit Arwen." Nun war es an Legolas, wissend zu grinsen. „Da dann wünsche ich euch beiden viel Spaß. Und passt auf, dass der Baldachin nicht einstürzt, das soll schon einmal in diesem Zimmer passiert sein."Mit einem Lachen trennten sich die beiden, Aragorn ging zu seinem Zimmer und Legolas hinunter in die Küche.

Schon im Gang war der Lärm deutlich lauter als normalerweise, doch in der Küche war es fast nicht auszuhalten. Glücklicherweise war es in dem kleinen Nebenzimmer etwas leiser, so dass Legolas in Ruhe nachdenken konnte. Zumindest hatte er das vor, doch dann... „Willst du auch einen Apfel? Wir haben ganz Tolle, die sind richtig lecker!" Eigentlich hätte er ja damit rechnen müssen, Karîmà zu begegnen, immerhin war fast das komplette Gesinde hier versammelt. Erst wollte er sie wegschicken um seine Ruhe zu haben, doch dann bemerkte er, dass ihm ihre Gegenwart gut tat und er gar nicht wirklich wollte, dass sie ging. Also nahm er ihr Angebot an, und als hätte sie schon damit gerechnet zog sie zwei Äpfel aus ihrer Schürze, von denen sie ihm einen reichte und herzhaft in den anderen hinein biss. Es dauerte einige Minuten, bis wieder einer der Beiden etwas sagte, solange aßen sie einfach nur genüsslich das süße Obst und schwiegen. Karîmà war als erste fertig. „Ist das wahr, dass die Frau von gestern eine Hexe ist?", fragte sie, ohne auf ihre Ausdrucksweise zu achten.

Legolas verschluckte sich an einem kleinen Apfelstück und musste husten. So weit hatte es sich also schon herumgesprochen, dass sogar die kleine Karîmà bescheid wusste. Während er verbissen versuchte, den unerwünschten Eindringling aus seiner Lunge zu entfernen, überlegte er angestrengt, was er ihr erzählen sollte. Er konnte ja kaum sagen, dass es nicht so war, nach allem, was heute in der Bibliothek geschehen war, aber er hatte auch keine Beweise dafür, dass es so war. Der Zufall eilte ihm zur Hilfe, denn schon dröhnte eine altbekannte Stimme von den Felswänden wider: „KARÎMÀ!!!" „Oh oh! Mama ist bestimmt böse, weil ich doch die Kartoffeln schälen sollte, also sollte ich sie nicht warten lassen."Ohne ein Abschiedswort sprang das kleine Mädchen auf und verschwand im Gedränge.

Es war heiß. Ihr Körper schien in Flammen zu stehen, die die von Innen heraus zu verzehren drohten. Doch gleichzeitig fror sie, als hätte ihr Herz aufgehört, das wärmende Blut durch ihre Adern zu pumpen. Obwohl sie ihre Augen geschlossen hielt, sah sich doch das alles umhüllende Licht und die zehrende Dunkelheit, die sich vermischten, trennten und sie einhüllten.

Weg, ich will hier weg. Das ist die Hölle.

Das Licht wurde greller und durchleuchtete ihre Lider, als seinen sie gar nicht vorhanden. Unsichtbare Kräfte zogen von allen Seiten an ihr, bis die Spannung sie zu zerreißen drohte.

NEIN!

Plötzlich war alles vorbei. Das Licht verschwand, ebenso die Dunkelheit. Zurück blieb nur ein trübes Grau, das ihr im Gegensatz dieser Extreme einfach nur... normal vorkam. Keine Kraft berührte sie mehr, sie spürte nur noch ihren eigenen Körper und ihr heftig schlagendes Herz. Atmen. Das war alles, als das sie denken konnte, atmen. Geräusche näherten sich und hallten in ihrem Kopf, der sich so leer anfühlte, als hätte sie noch nicht einmal eine Stunde gelebt. Keine Erinnerungen, keine Gedanken, keine Welt. Nur atmen und leben. Noch mehr laute Geräusche. Sie quälten ihren Geist und ihren Körper gleichermaßen. So laut. Ein leises Wimmern entfuhr ihr, zu leise für menschliche Ohren und doch empfand sie es lauter als einen Paukenschlag.

Stimmen, überall Stimmen. Warum taten sie das? Warum quälten sie sie so? Ruhe! Das war es, was sie wollte. Sie fühlte sich so unendlich schwach. Etwas legte sich auf ihrem Arm und ein brennender Schmerz durchfuhr sie. In blinder Angst schlug sie die Augen auf. Alles verschwamm um sie herum, und sie nahm zum ersten Mal den kalten, harten Boden unter sich wahr. Kalt, wie das Gefühl, das von dieser Berührung ausging.

„WEG!"

Sie war selbst erstaunt von der Festigkeit ihrer Stimme, denn die hörte sie wie ein endloses Dröhnen. Sie wusste nicht, dass es gerade laut genug gewesen war, um als Flüstern erkannt zu werden. Der Schmerz verstummte nicht. Es tat unendlich weh, doch gleichzeitig klärte es auch ihren Kopf soweit, dass sie nicht mehr nur fühlte, sondern auch sah. Sie sah schwarze Schatten, so dunkel, dass sie alles Licht der Welt verschlingen konnten. Sie griffen nach ihr, wie eine schreckliche Fratze ballten sie sich vor ihr zusammen und stürzten sich auf sie. Wieder spürte sie diese unbeschreibliche Kälte.

Genug!

Sie wollte nicht mehr leiden. Die ungenaue Erinnerung an das Licht erschien wieder vor ihrem geistigen Auge, wie es mit der Dunkelheit gerungen hatte. Vielleicht konnte es auch diese Schatten besiegen, wenn sie es schaffte, es herbei zu rufen. Licht! Sie rief sich das Strahlen zurück ins Gedächtnis, das Leuchten, die Wärme. Plötzlich, ohne dass sie hinterher noch einmal hätte beschreiben können, wie es genau geschah, verschwand Dunkelheit und nichts als helles, wärmendes Weiß trat an seine Stelle. Es fühlte sich richtig an. Alles war gut. Sie konnte wieder in Ruhe atmen. Ihre Kraft war verzehrt und so fiel sie ohne einen weiteren Gedanken in einen tiefen, traumlosen Schlummer und merkte auch nicht mehr, wie sie hochgehoben und fort getragen wurde.