Kapitel 11

Der Elb ließ sich nichts anmerken, als er grüßend in Rowennas und Legolas' Richtung nickte. Einen Moment lang sagte keiner etwas, bis sich schließlich Thranduil räusperte.

„Nun, nehmt platz, damit wir beginnen können."

Ein eigentlich überflüssiger Kommentar, denn außer ihm saßen schon alle. Nun nahm auch er seinen Platz am Kopfende des Tisches ein und setzte von neuem an: „Ich habe diese Versammlung besonders deswegen einberufen, um euch Donvan vorzustellen. Seine Reisen führten ihn zufällig zu uns, und freundlicherweise hat er uns sofort seine Hilfe angeboten. Er hat schon im Ringkrieg erfolgreich an Schlachten teilgenommen und ist ein Meister mit Pfeil und Bogen, aber auch mit dem Schwert. Selbst, wenn in den letzten Tagen nichts Beunruhigendes mehr vorgefallen ist, so sollten wir uns doch recht bald gut beraten und uns auf eine Kampfstrategie einigen, mit der wir den dunklen Herrscher ein erneutes Mal besiegen können.

Die Garde Düsterwaldes steht selbstverständlich bereit, doch bezweifle ich, dass sie in diesem Kampf besonders viel ausrichten können wird. Immer wieder werden herumschleichende Orkgruppen gesichtet, doch nach dem Sturz Isengarts und Mordors vermehren sie sich kaum noch und können oft schon von kleinen Soldatengruppen vernichtend geschlagen werden.

Ihr alle habt den Ausführungen Sílawens zugehört, dass diese Schlacht in einer höheren Ebene ausgetragen werden muss."

Stimmen wurden laut, als alle gleichzeitig versuchten, Donvan in das einzuweihen, was bei der letzten Versammlung zusammen gekommen war. Rowenna hörte still zu und wieder einmal fühlte sie sich verraten. Diese Leute hatte so viel gewusst, und niemand war auch nur im Geringsten auf die Idee gekommen, ihr etwas zu sagen. Dabei ging doch alles nur um sie.

Aber alle taten so, als hätte sie am wenigsten damit zu tun. Sie suchte den Blick Sílawens, immerhin war sie es gewesen, die zu ihr hätten kommen müssen, doch diese war gerade in einem Gespräch mit dem König vertieft. Bestimmt reden sie wieder über etwas, das ich wieder einmal aus zweiter Hand erfahren darf. Ich will jetzt endlich wissen, was los ist, und was ich tun soll! Ich will nicht ständig auf die Happen warten, die man mir vorwirft.

„Entschuldigung...", setzte sie an, um ihrer Empörung Luft zu machen. „Ich..."

Niemand beachtete sie und so bemerkte auch niemand, dass sie plötzlich verstummte und sich in ihrem Sessel zusammenrollte. Immer, wenn sie versuchte, ihren Mund zu öffnen, durchzuckte ein Schmerz ihren Kopf, der sie alles vergessen ließ, woran sie noch gerade gedacht hatte, der ihr beinahe den Atem geraubt hätte, wenn sie nicht alle Energie darauf verwendet hätte, ihre Lungen wieder und wieder mit Luft zu füllen. Blitzschnell breitete sich der Schmerz in ihrem ganzen Körper aus, bis sie nur noch daraus zu bestehen schien. Es war wie ein akuter Befall von besonders aggressiven Bakterien, die sich in Windeseile ausbreiteten, ohne dass sie irgendjemand stoppen konnte. Ich... Was... Jeder Gedanke riss schon nach einen Augenblick ab und verschwand irgendwo dort, wo er niemals wieder gefunden werden würde. Es tat einfach alles zu weh, als dass sie versucht hätte, etwas anderes zu tun als nur zu atmen, denn allein das zehrte so sehr an ihren Kräften, dass sie ihren Körper nicht mehr aufrechterhalten konnte. Sie sackte immer mehr in sich zusammen und rutschte in ihrem Sessel nach unten, währen die Stimmen der anderen Anwesenden zu einer einzigen dröhnenden Geräuschkulisse verschmolzen, die ihr noch mehr Kopfschmerzen bereitete.

Rowenna klammerte sich an diesen letzten Rest ihres Bewusstseins, doch lange konnte sie sich nicht daran festhalten. Immer weiter schwand das Licht aus ihren vor Schreck geweiteten Augen, die ihr Umfeld längst nicht mehr wahrnahmen, bis sich alles in einen so tiefen Schwarz verlor, dass die ganze Welt darin hätte versinken können ohne dass auch nur eine Erinnerung übrig geblieben wäre.

Noch immer redeten alle wirr durcheinander. Legolas versuchte ohne viel Interesse, dem ein oder anderen zuzuhören, wie sie von den letzten Wochen erzählten. Auch sein zeitweiliger Tod, den niemand bis jetzt wirklich verstanden hatte, kam zur Sprache, und das war es, was ihn am Meisten störte. Sie redeten über ihn, als wäre er gar nicht im Raum, als würde er nicht dasitzen und mit anhören, wie sie diesen Tag als ein Wunder beschrieben.

Gelangweilt ließ er seinen Blick schweifen, und dann fiel ihm Rowenna wieder ein. Wie viel von dem allen hatte sie überhaupt gewusst? Von ihrer eigenen Unsterblichkeit hatte sie keine Ahnung gehabt, und das war schon recht zu Anfang herausgefunden worden. Es war doch Sílawens Aufgabe gewesen, ihr das alles zu erklären, oder nicht? Er beschloss, nach der Sitzung mit ihr über alles zu reden und wollte sehen, ob sie bis jetzt überhaupt schon etwas verstanden hatte, doch sie saß nicht mehr auf ihrem Platz. Er fragte sich gerade, wo sie wohl hingegangen sein könnte, als er sah, dass ihr Körper auf den Boden gerutscht war und sie nun zusammengerollt auf dem Teppich unter dem Tisch lag, ihre Augen weit geöffnet und starr geradeaus blickend.

„Barad!", entfuhr es ihm, als er eilig aufsprang. Endlich verstummten die Gespräche und alle sahen ihn fragend und empört an.

Niemand reagierte, als er Rowennas Sessel an die Seite zerrte, bis er ihren Körper fassen und sie unter dem Tisch hervorziehen konnte. Endlich stürmte auch Aragorn herbei und Gandalf versuchte verzweifelt, möglichst schnell aufzustehen, doch sein verzogenes Gesicht zeigte, dass sein Alter ihm zu schaffen machte.

„Was hat sie?", fragte Aragorn Legolas, als er sich neben ihn auf den Boden kniete.

„Ich weiß es nicht...", flüsterte der zurück, während er ihren Herzschlag kontrollierte. Es schlug noch, allerdings so schwach, dass er sich selbst mit seinen Elbensinnen fragte, ob er ihn sich nicht vielleicht nur eingebildet hatte. Hilflos kniete er auf dem Boden und starrte vor sich hin. „Wir können ihr jetzt nicht helfen", meldete sich Gandalf hinter ihm. „Sie muss das allein schaffen. Alles, was wir tun können ist sie in ein Bett zu legen und für sie zu beten, denn niemand wird jemals erfahren, welche Prüfung ihr diesmal auferlegt worden ist."

Es war so, wie Rowenna sich den Fall aus dem 50. Stock eines Hochhauses vorstellte: Sie fiel, ohne das Ende zu sehen und doch in dem Wissen, dass der Aufprall entsetzlich sein würde. Die Schmerzen hatten aufgehört, und sie wusste auch, warum: Diese Art von Schmerzen war an den Körper gebunden. Jetzt jedoch war da nur ihr Geist, der schwerelos war und doch fiel oder eher gezogen wurde, in einen Strudel von solch einer Macht, dass sie nicht einmal daran denken konnte, sich zu wehren.

Und plötzlich war alles still. Auch vorher hatte sie kein bewusstes Geräusch wahrgenommen, doch nun war es auf eine andere Weise still. Es war, als hätte dieser Ort noch niemals eine Stimme gehört, als wäre diese ewige Ruhe noch nie durch ein Lachen oder Schreien gebrochen worden. Und Rowenna wusste, dass das stimmte. Sie wusste nicht, warum, doch da war wieder diese Gewissheit, die ihr Dinge sagte, an deren Wahrheit sie einfach glauben musste.

Der Aufprall war ausgeblieben und er hinterließ das schale Gefühl, etwas nicht zu Ende geführt zu haben. Nach einem Sturz folgt der Aufprall, das war eines der unabänderlichen Gesetze, an die man sich mit Beginn des Lebens gewöhnen musste, und hier fehlte dieser bedeutende Teil.

Genauso, wie hierher noch nie ein Laut gedrungen war, hatte auch nie ein einziger Lichtstrahl den weiten Weg hierher gefunden. Es schien beinahe so, als wäre die Luft schwarz, als könne man sie in einen Behälter packen und an einem hellen Ort wieder herauslassen, sodass sie eine dunkle Wolke bildete. Doch wie sich im hellen eine Gestalt dunkel abzeichnet, so erschien auch jetzt jemand – oder etwas – vor Rowenna. Es sah fast aus, als wäre die Gestalt noch dunkler als die Luft, schwärzer als schwarz. Sie sagte keinen Ton, und doch drückte sie eine Hoffnungslosigkeit aus, die man seinem ärgsten Feind nicht zu fühlen wünschen würde.

Dieses Gefühl breitete sich in Rowennas Gedanken aus. Wofür sollte sie kämpfen? Der Feind war ihr übermächtig, sie kannte sich in allem nicht aus und außer ihrer Rolle als große Retterin war sie mehr geduldet als erwünscht. Niemand kümmerte sich wirklich darum, wie es ihr ging, solange sie ihre Aufgabe erfüllen und dann einfach wieder verschwinden würde.

Aber das ist doch nicht wahr. Legolas ist da, und Nûemyn ist eine echte Freundin.

Aber wie lange kannte sie die Beiden schon? Die kurze Zeit war kaum lang genug gewesen, um sie wirklich kennen zu lernen und herauszufinden, wie viel sie ihnen wirklich bedeutete. Ihre beste Freundin hatte sie verraten, ihre Familie würde sie vielleicht nie wieder sehen, und in diesem Leben sollte sie bis zur Unendlichkeit verharren. Wäre es dann nicht vielleicht sogar besser, einfach aufzugeben? Wofür soll ein Kampf gut sein, den man nicht gewinnen kann?

Die kluge Stimme in ihrem Kopf schaltete sich wieder einmal dazwischen. Kein Krieg war unmöglich zu gewinnen. Sie hatte die Kraft, ihn für sich zu entscheiden – sie sollte gegen alle Zweifel ankämpfen und für diejenigen siegen, die das nicht allein konnten. Die Bilder von leidenden Menschen zogen an ihr vorbei. Konnte sie so etwas verantworten, nur weil sie sich nicht bereit fühlte? Die Antwort war eindeutig: Nein, das konnte sie nicht. Entschlossen blickte sie der schwarzen Gestalt entgegen. Zuerst verspürte sie Angst, ihre Stimme an diesem Ort zu benutzen, doch dann holte sie tief Luft und schrie so laut sie konnte: „Verschwinde! Du wirst nicht gewinnen, niemals, denn ich werde immer stärker sein als du!"

Das Wesen krümmte sich wie im Schmerz, verformte sich zu einer trüben Masse, wurde kleiner und wieder größer. Ich will hier raus! Ich will wieder ans Licht!

Eine Weile geschah gar nichts, und erst als Rowenna mit aller Kraft ein Bild der Sonne heraufbeschwor, verwandelte sich das Schwarz in einen gräulichen Nebelschleier, der sich langsam verflüchtigte.

Legolas hatte darauf bestanden, Rowenna in ihr Zimmer zu tragen, wo sie jetzt in ihrem Bett lag und es so aussah, als wäre sie nur eingeschlafen. Sie sollte ihre Ruhe haben und deshalb war jeder von Gandalf herausgeschickt worden, doch nach einigen Minuten hatte sich der Prinz unbemerkt wieder herein geschlichen. Er hatte sich auf einen Stuhl nahe dem Fenster gesetzt und beobachtete die leblose Gestalt im Bett.

Das Knirschen der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Reflexartig sprang er auf. „Ich wollte nur kurz...", sagte er in Erwartung von Gandalf, verstummte jedoch, als er Nûemyn erkannte, die vorsichtig eintrat. Sie hatte gerade erst von dem Zwischenfall erfahren und war sofort hergekommen, auch wenn dadurch ein Teil ihrer Arbeit vorläufig liegen blieb.

„Aus dem, was Ihr sagen wolltet entnehme ich, dass Ihr auch nicht herbestellt worden seid. Das ist gut, denn so könnt Ihr mich wenigstens nicht wegschicken", meinte sie leise, aber mit einem spitzbübischen Lächeln. Dann jedoch wurde ihr Gesicht schlagartig wieder ernst. „Was ist passiert? Ich habe nur Bruchstücke gehört und selbst an denen war wahrscheinlich mehr Erfundenes als Wahrheit."

Legolas überlegte einen Augenblick und fasste dann alles Geschehene in wenigen Worten zusammen.

„Sie schafft das schon", meinte die Bedienstete, durchquerte den Raum und setzte sich auf die Bettkante, um der Bewusstlosen einige Haarstränen aus dem Gesicht zu strechen. „Ich glaube, so langsam bekommt sie ein wenig Übung in solchen Dingen", fügte sie nachdenklich hinzu.

In diesem Moment begann Rowenna sich zu bewegen. Ihre Augenlider flatterten einen Augenblick unruhig, bis sie sich schließlich gänzlich öffneten. Nachdem sie sich einen Moment lang orientiert hatte, setzte sie sich langsam auf.

„Wie geht es dir?", fragte Nûemyn sie und stand vom Bett auf. „Soll ich dir etwas zu trinken besorgen?"

„Das wäre lieb... Ich habe ein wenig Kopfschmerzen, aber das wird schon wieder. Ich erzähle dir gleich alles, wenn ich meine Gedanken wieder ein bisschen in Ordnung gebracht habe. Es ist immer alles so schrecklich durcheinander."

Nûemyn verließ auf leisen Sohlen den Raum und Rowenna schlug seufzend die Bettdecke zurück. Ihr war schrecklich warm, immerhin trug sie ein Kleid, das aus so vielen Lagen bestand, dass man damit eine ganze Armee hätte versorgen können. Sie stand auf und ging zur Kommode, in der sie vor einigen Stunden ihre Sachen untergebracht hatte.

Wie lange habe ich jetzt schon keine richtigen Klamotten mehr angehabt? Es kommt mir ewig vor. Höchste Zeit für Jeans und T-Shirt!

Sie zerrte das Gewünschte aus der Reisetasche und ignorierte dabei, dass der Rest völlig durcheinander geriet. Als sie ihren linken Arm nach hinten verdrehte, um die Schnürung ihres Kleides zu öffnen, hörte sie ein Räuspern hinter sich.

„Ich würde die Vorstellung ja wirklich noch einen Augenblick länger genießen, aber..."

„Legolas!" Erschrocken fuhr sie herum und nahm die Hand von den Bändern. „Jetzt hatte ich diesen verdammten Knoten fast auf, musst du mich so erschrecken?!"

Sie ging zu ihm hin und drehte ihm den Rücken zu. „Jetzt darfst du das machen. Ich habe keine Lust, mir wieder halb den Arm auszurenken. Diese Kleider sind wirklich Mord, ich würde gerne mal wissen, wer die entworfen hat. Dann würde ich ihm mit Vergnügen einen kleinen Besuch abstatten und dafür sorgen, dass ich in Zukunft von seinen Kreationen verschont werde. Danke."Sie schnappte sich ihre Jeans und das Shirt und verschwand damit im Bad, wo sie sich so schnell sie konnte umzog. Als sie wieder zurückkam, war Nûemyn schon wieder da und ein großer Krug mit frischem Wasser stand auf dem Tisch.

„... und ich muss gerade überhaupt nicht arbeiten, ich habe nämlich Pause!"

„Das kann ja jeder... Da bist du ja wieder! Was sind das denn für seltsame Sachen? Ich hoffe, du willst damit nicht raus gehen, das würde eine mittlere Katastrophe auslösen."Kritisch musterte Legolas ihren Bauch, als das T-Shirt ein Stück hoch rutschte. „Da ziehst du doch bestimmt noch etwas drüber, oder?"

„Nein, eigentlich hatte ich das nicht vor. Falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte, es ist wirklich warm draußen. In dem Kleid wäre ich fast umgekommen. Und ich weiß auch, dass das hier niemand sehen sollte... obwohl es vielleicht ganz gut wäre, die Mode hier mal ein bisschen zu reformieren..."

„Untersteh dich!"

„Oh ja, mach das!"

Legolas und Nûemyn sahen sich ärgerlich an.

„Nein!"

„Doch! Habt Ihr auch nur eine Stunde in einem Kleid herumlaufen müssen? Ich denke nicht!"

„Das kann so schlimm nicht sein, immerhin sind sie aus den feinsten Stoffen gearbeitet."

„Schon mal an einem zu langen Saum hängen beblieben und Euch die Nase gebrochen?"

„Wer das fertig bringt, dem hilft auch andere Kleindung nicht mehr."

„Ach ja? Und außerdem, wollt Ihr das hier einen feinen Stoff nennen? Er kratzt auf der Haut!"

„Und du glaubst, in einer anderen Form würde er nicht kratzen?"

„Ihre Sachen sehen nicht so aus, als würden sie das tun!"

„Weil sie aus einem anderen Material gemacht sind. Und überhaupt hat sie kein Recht, die ganze Ordnung dieser Welt umzukrempeln!"

„Das will sie doch auch gar nicht, nur die Mode. Und außerdem bleibt es doch jedem selbst überlassen."

„Aber..."

„Schluss jetzt!"

Rowenna hatte eine Weile amüsiert sie gehört, doch langsam wurde es ihr zu viel. Die beiden Streithähne hatten sie vollkommen vergessen und sahen sie nun überrascht an.

„Aber...", versuchte Legolas es noch einmal halbherzig, wurde jedoch wie erwartet sofort wieder unterbrochen. „Nichts aber! Ruhe jetzt!"

„Gib's ihm", kicherte Nûemyn. „Lass ihn spüren, wer hier das Sagen hat!"

„He!", wehrte der Prinz sich. „Hast du das gehört?", wandte er sich dann anklagend an Rowenna. „Man sollte denken, als Prinz wird man gut behandelt, und dann so etwas!"

„Na ja, vielleicht solltest du dir mal durch den Kopf gehen lassen, woran das liegt", konterte die und erntete dafür einen gespielt grimmigen Blick, der jedoch schnell einem Grinsen wich. „Ihr beide treibt mich irgendwann noch mal in den Wahnsinn. Ich kann mich gar nicht entscheiden, wer schlimmer ist."

„Hörst du das, Nûemyn? Er wird frech! Was machen wir denn mit so einem? Keine Manieren mehr, das heutige Königshaus!"

„Wie wäre es mit... Oh weh, wenn ich mich nicht beeile, schaffe ich die Zimmer nicht mehr... Wir sehen uns dann später, Rowenna. Ich komme vorbei, wenn ich fertig bin."

Und schon war sie aus der Tür, ohne dass noch jemand etwas hätte sagen können.

„Und was machen wir jetzt?"

„Jetzt hast du deinen Willen, jetzt zeig mal, was du kannst!"

„Ich habe doch gesagt, ich mache das zum ersten Mal und muss es noch lernen! Deswegen sollst du mir es doch zeigen!"

Legolas und Rowenna standen auf dem Hinterhof, während Letztere einen alten Bogen in den Händen hielt und verzweifelt versuchte, einen Pfeil in die richtige Position zu bringen, der nur unwesentlich neuer aussah als der Bogen.

„Ja ja, ich weiß. Nimm den linken Arm hier hin und fester spannen! Auf diese Weise kannst du kein Kaninchen erschießen, wenn es zwei Meter vor dir steht."

Er korrigierte ihre Haltung und bewirkte damit, dass dieser Pfeil den letzten um das doppelte übertraf. Trotzdem handelte es sich hierbei nur um wenige Meter.

„Also, so wird das nie was. Du stehst ja total falsch!"

„Du hast mich selbst so hingestellt! Und außerdem, ich kann das ja noch besser, aber dann meckerst du auch wieder."

„Weil du es auch nicht lernst, wenn du ihn ganz ohne Bogen fliegen lässt."

„Ist doch egal, wie er fliegt, Hauptsache, er tut es überhaupt. Ich hab keine Lust mehr. Du bist ja nur neidisch, weil ich das Ziel auf Anhieb getroffen habe und du bestimmt viel länger dafür gebraucht hast."

„Ich hatte ja auch keine Zauberkräfte, mit denen ich den Pfeil beschworen habe!"

„Pass lieber auf, was du sagst, sonst beschwöre ich den Pfeil noch, dir in den Hintern zu pieken!"

„Das würdest du wagen?"

„Jawohl, und wie ich das würde, pass mal... he!"

Blitzschnell hatte er sich auf sie gestürzt und hielt nun ihre Arme auf dem Rücken fest.

„Legolas, du bist wirklich nicht der Hellste, oder?"

Verdutzt über dieser Frage lockerte er seinen Griff kurze Zeit, packte dann aber wieder fester zu. „Wieso?"

„Weil ich dafür meine Hände doch gar nicht brauche."

Ohne, dass er es bemerkte, ließ die den Inhalt seiner rechten Hosentasche in der Luft schweben. Er war so auf sie konzentriert, dass er die Bewegung gar nicht wahrnahm. Ohne sich die Gegenstände anzusehen ließ Rowenna sie alle in ihrer Tasche verschwinden, ebenfalls unbemerkt.

Soll ich die Sachen wirklich behalten? Ich weiß nicht... Na ja, ich kann sie mir ja mal ansehen, so geheim wird es schon nicht sein, und wenn doch, stecke ich sie ihm heimlich wieder zu.

„Warum grinst du so?", fragte er misstrauisch, noch immer hielt er ihre Handgelenke umklammert, jedoch bei Weitem nicht mehr so kräftig und sie hätte sich ohne große Anstrengung herauswinden können. Stattdessen lehnte sie sich mit dem Rücken an ihn. „Weil ich was weiß, was du nicht weißt."

„Ach, und was ist das?"

„Das sage ich dir ja eben nicht, sonst wüsstest du es ja! Keine Logik, diese Elben!"Sie seufzte theatralisch.

„Ich zeige dir gleich, was für eine Logik ich habe!"Endlich ließ er ihre Arme los, schlang stattdessen seine um ihren Körper und setzte nacheinander mehrere kleine Küsse in ihre Halsbeuge.

Einen Moment lang ließ Rowenna sich seine Berührungen gefallen und registrierte dabei, dass sein Mund immer weiter nach vorne wanderte. Dann schob sie jedoch energisch seine Arme zur Seite und löste sich abrupt von ihm.

„Lass das."

„Warum?"

„Frag nicht, warum", entgegnete sie eisig und wandte sich zum gehen. Sie beschleunigte rasch ihre Schritte und lief schließlich durch die einzige Tür an dieser Seite des Palastes hinein und verschwand so aus seinem Blickfeld.

Natürlich war Rowenna noch nie in diesem Teil des Palastes gewesen und wusste absolut nicht, welche Richtung sie einschlagen musste. Sie wusste ja nicht einmal, wohin sie wollte, und so bog sie mal hier, mal dort ab, bis sie schließlich wieder in ihr bekannte Gänge vorstieß.

Die ganze Zeit über war sie in Gedanken versunken. Habe ich zu heftig reagiert? Aber andererseits, wäre ich nicht weggegangen, wer weiß, wo das geendet hätte... Unweigerlich musste sie an das denken, was ihr auch vor wenigen Minuten durch den Kopf gegangen war.

Es war vielleicht zwei Tage her, da war sie mitten in der Nacht von einem Geräusch geweckt worden. Nachdem sie es nach einiger Zeit geschafft hatte, eine Kerze anzuzünden, hatte sie die Bruchstücke der Vase gesehen, die auf den kleinen Nachtschränkchen gestanden hatte. Sie waren im halben Zimmer verteilt, denn die Vase war nicht etwa heruntergefallen sondern regelrecht explodiert. Sie hatte die größten Scherben aufgesammelt und mit der flachen Hand das Bett ausgefegt, und dabei war ihr wieder eingefallen, dass sie von genau dem Elben geträumt hatte, vor dem sie nun davon lief. Sie kam zu der niederschmetternden Erkenntnis, dass sie ihre Kräfte so wenig im Griff hatte, dass sie sogar auf Gefühle aus Träumen derart stark reagierten. Was erst würde passieren, wenn der Inhalt ihres Traumes plötzlich Realität würde? Würde ihr dann der ganze Palast um die Ohren fliegen? Das Risiko kann ich nicht eingehen. Es ist besser, wenn ich ihn vorerst auf Abstand halte, damit dieses Problem gar nicht erst entsteht.

Nachdem sie sich erst einmal wieder orientiert hatte, fand sie den Weg zu ihrem Zimmer recht schnell. Noch völlig in Gedanken öffnete sie sie Tür und trat ein.

„Wieso bist du so plötzlich weggelaufen?"

Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie die Stimme hörte. Bitte, lass mich jetzt einfach in Ruhe. Ich habe wirklich mehr als genug damit zu tun, meine Kräfte unter Kontrolle zu bringen.

„Was willst du?", fragte sie Legolas deshalb unhöflich und in einem Ton, der förmlich schrie: „Geh weg und lass mich alleine!"

„Ich habe meine Frage zuerst gestellt", triumphierte er und trat von hinten an sie heran, während er mit einer Hand die Tür ins Schloss schob. Er war so nah, dass sein Atmen ihren Nacken streifte und dort eine leichte Gänsehaut hinterließ. Dann wurde seine Stimme leiser, als er seine Frage wiederholte: „Warum bist du weggelaufen? Hältst du mich für so gefährlich, oder hast du einen Drachen gesehen?"Obwohl seine Worte ironisch waren, sprach er sie nicht so aus.

Geh bitte einfach weg. Ich muss nachdenken,dachte Rowenna halbherzig, denn eigentlich hatte sie gar keine Lust, sich schon wieder mit ihrer Situation auseinander zu setzen.

Sie ließ zu, dass er sie umdrehte, so dass sie sich gegenüberstanden, mit kaum einigen Zentimetern Raum zwischen sich.

„Ich..."

Sie konnte nicht zu Ende sprechen, was ihr ganz gelegen kam, weil sie eh nicht gewusst hatte, was sie sagen sollte. Vorsichtig drückte er seine Lippen auf ihre, immer darauf gefasst, dass sie sich ihm wieder entzog. Doch sie blieb unbeweglich stehen, als bekäme sie gar nicht mit, was um sie herum geschah.

Sie schloss die Augen, um alles auszusperren. Dieser Augenblick gehörte ihr, und sie wollte zumindest für diese kurze Zeitspanne nicht über das nachdenken müssen, was ihr bevorstand.

Sie erwiderte den Kuss zuerst zaghaft, doch es reichte, um Legolas in dem zu ermutigen, was er tat. Als er mit seiner Zunge langsam weiter vordrang, löschte er damit jeden weiteren Gedanken aus ihrem Kopf. Sie legte ihm die Hände in den Nacken, um ihn noch näher an sich zu ziehen, als...

Es gab nur ein kleines Geräusch, ein leises Klirren, wie wenn ein Weinglas auf dem Boden zerschellt, das aus geringer Höhe herunter gefallen ist. Legolas gab ein erschrockenes Stöhnen von sich und ließ wie von einer Tarantel gestochen von ihr ab. Er fasste sich mit der rechten Hand an die Schulter und gab wieder einen gequälten Laut von sich.

„Was ist denn?", fragte Rowenna völlig verwirrt. Dann sah sie die Blutspritzer an seiner Hand, als er sie wieder nach vorne nahm, und als er sich einen Schritt zur Seite bewegte, konnte sie die Überreste einer kunstvoll verzierten Vase erkennen – alles war hier kunstvoll verziert. Jetzt war sie aber vor allem ein Trümmerhaufen, oder vielleicht eher Trümmerkonfetti, denn ihre Einzelteile hatten sich elegant im Umkreis von teilweise bis zu vier Metern zerstreut.

Und da ist es auch schon passiert. Warum habe ich nur wieder mal nicht nachgedacht? Verfluchte Kräfte!

„Setz dich auf das Bett!", bestimmte sie kurzerhand, nachdem sie endlich die ganze Situation begriffen und eine ungefähre Vorstellung davon hatte, was zu tun war. Er leistete keine Widerworte, was sie zufrieden zur Kenntnis nahm, auch wenn es sie ein wenig verwunderte. Sie öffnete die große Kommode und musste eine Zeit lang in ihrer Tasche wühlen, fand jedoch relativ schnell eine Pinzette. Sie war froh, sich mit allen Dingen reichlich eingedeckt zu haben, so dass sie jetzt nicht noch wertvolle Zeit mit der Suche nach Ersatz verschwenden musste. Aus dem Badezimmer holte sie ein Handtuch, das sie in einer bereitstehenden Wasserschüssel durchnässte und kehrte zu Legolas zurück, der wieder aufgestanden war und nun sich vor dem Spiegel drehend und wendend versuchte, das Ausmaß seiner Verletzungen zu erkennen. Sein Hemd lag zusammengeknüllt auf dem Boden, es hatte schon an einigen Stellen eine dunkelrote Färbung angenommen.

„Hinlegen, sofort!", kommandierte Rowenna weiter und freute sich ein weiteres Mal über die sofortige Ausführung ihrer Anordnung. Er hatte sich auf den Bauch quer über ihr Bett gelegt, so dass ihr selbst kaum mehr als die Kante übrig blieb. Vorsichtig begann sie, einen Splitter nach dem anderen zu entfernen und die vielen kleinen Wunden mit dem Handtuch auszuwaschen. Jedes Mal, wenn sie ein weiteres Stück des feinen Porzellans herauszog, erntete sie einen heftig ausgestoßenen oder eingesogenen Atem, der ihr zeigte, dass ihr Patient noch lebte. Kaum hatte sie den letzten Splitter entfernt, schlossen sich schon die ersten Schnitte wieder.

„So, fertig!", bemerkte sie zufrieden eine halbe Stunde später. „Du kannst wieder aufstehen und äh... dir ein neues Hemd kaufen. Das hier ist nicht mehr sehr brauchbar."Sie hielt das leicht durchlöcherte Exemplar hoch und betrachtete es mit zweifelnden Blicken, bevor sie es wieder zu Boden fallen ließ.

„Ich würde aber viel lieber...", setzte er an, legte blitzschnell einen Arm um ihre Hüfte und zog sie damit nach hinten, bis sie halb auf und halb unter ihm lag, „...mit dir reden!", vollendete er seinen Satz nahe ihrem Ohr. „Wir haben noch so viel zu besprechen", fuhr er dann ernster fort. „Das gerade zum Beispiel. Was war das? Ich weiß nur, dass es plötzlich weh tat und dass du anschließend an meinem Rücken herumoperiert hast. Darf ich den Grund erfahren, warum das nötig war? Und jetzt sag nicht wieder ‚später', sonst werde ich..."Er rollte sich einmal halb herum, so dass er über ihr lag und ihre Handgelenke über ihrem Kopf in die Kissen drücken konnte.

„Sonst wirst du was?", fragte sie herausfordernd und grinste ihn schelmisch an. Sie wusste genau, dass er sich in dieser Position nur sehr schwer auf irgendwelche komplizierten Erklärungen konzentrieren konnte und das auch gar nicht wollte. Genauso wenig wie sie, denn noch immer hatte sie das Gefühl, dass alles nicht reell war, dass sie von Dingen erzählen würde, die sie erfunden hatte, ohne es zu merken. Mittlerweile konnte sie schon kaum mehr unterscheiden, wo die Wirklichkeit aufhörte und die Fantasie begann. Doch dass das hier echt war, das spürte sie schon allein an seinem Atem, der ihre Wange streifte und ihre Gedanken daran hinderte, wieder in ein anderes Land abzudriften, das es womöglich gar nicht gab.

„Sonst werde ich dich hier alleine lassen und dir nie wieder zuhören, egal, was du sagen willst, und dann wirst du... was?"Legolas brach ab, als sie anfing zu kichern.

„Nichts", antwortete sie lächelnd, „ich fürchte, dann wirst du wohl gehen müssen. Denn wenn so ein Monster auf mir liegt, kann ich unmöglich nachdenken, das verstehst du doch sicherlich."

„Du kleines Biest", flüsterte er noch und im nächsten Moment hatte er schon seine Lippen auf ihre gepresst. Ich wusste es doch, dachte sie vergnügt und erwiderte seinen Kuss.

Als er von ihr abließ und sich wenige Zentimeter von ihr zurückzog, musste sie zuerst nach Luft schnappen und brachte dann noch immer schwer atmend hervor: „Du... musst mich... loslassen!"

„Aber warum denn?", murmelte er und arbeitete sich mit seinen Lippen bis zu ihrer Halsbeuge vor. „Wer weiß, was du dann wieder anstellst."

Wer weiß, was ich anstelle, wenn du mich nicht loslässt...

Noch immer lag er auf ihr und drückte sie mit seinem Gewicht tiefer in die Kissen. Plötzlich, ohne Vorwarnung, begann sie sich unter ihm zu winden und ihre Hüfte in leichten Kreisen zu bewegen, die schon ausreichten, um ihm ein Stöhnen zu entlocken und seinen Griff soweit zu lockern, dass sie sich befreien konnte. „Du hast es nicht anders gewollt..."sagte sie mit geschlossen Augen, legte ihm die Arme in den Nacken, um ihn noch näher an sich zu ziehen.

„Hmm...", brachte er undeutlich hervor und überbrückte zum wiederholten Male die wenigen Zentimeter Raum zwischen ihnen.

In dem Moment polterte es lautstark an der Tür.

Oh verdammt, das kann doch wohl nicht wahr sein... Aber vielleicht geht ja, wer immer das auch ist, wenn er merkt dass keiner die Tür öffnet.

Legolas reagierte nicht einmal mit einem Wimpernschlag auf die Störung, doch als es wieder klopfte, wurde Rowenna unruhig. Seufzend löste er sich ein Stück von ihr. „Was ist?"

„Es poltert wie verrückt an der Tür und du fragst mich, was ist? Vielleicht kommt gleich jemand herein und dafür finde ich diese Situation etwas unpassend."Sie musste zwischendurch mehrmals tief Luft holen und schaute durchweg zur Tür.

Nun drehte er sich von ihr herunter und setzte sich hin. „Du kannst mir einfach sagen, dass ich gehen soll, aber bitte erzähl mir nicht so einen Schwachsinn. Ich denke, ich kann von mir behaupten, dass ich recht gute Ohren habe, sogar für einen Elben, und ich habe keinen Laut gehört."

„Aber..." Wieder unterbrach ein Poltern die Stille. „Da! Hörst du das denn nicht?"

Er sah ihr kurz ins Gesicht. „Du hörst das wirklich, oder?"

„Was willst du damit sagen, natürlich höre ich das, ich bin ja nicht taub! Ich sehe jetzt nach, wer da ist."

Sie stand auf, ging zur Tür und öffnete diese. Sie blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen und starrte auf den leeren Flur, dann kehrte sie zu Legolas zurück.

„Wer immer es war, er wird gedacht haben, ich wäre nicht da", murmelte sie verwirrt, ohne selbst genau zu wissen ob sie das glauben konnte. Hatte der Elb wirklich nichts gehört? Wenn es so war, was war dann das Klopfen gewesen? War es wieder eine von diesen seltsamen Erscheinungen, die nur sie hören oder sehen konnte? Das war am wahrscheinlichsten, auch wenn sie lieber eine andere Lösung gefunden hätte.

„Woran denkst du?", riss er sie sanft aus ihren Gedanken.

Sie zögerte kurz. „Und du hast wirklich gar nichts gehört?" Sie wusste, wie die Antwort lauten würde und wie wollte sie eigentlich gar nicht hören, trotzdem zwang sie sich, diese Frage zu stellen. Wenn sie nicht herausfand, was mit ihr passierte, konnte das vielleicht gefährlich werden.

„Nein."

„Das habe ich mir schon gedacht. Aber es war da, laut und deutlich. Wenn ich daran denke, kann ich es sogar noch leise in meinem Kopf widerhallen hören. Das ist schon wieder etwas, das ich nicht kenne. Ich weiß nicht, ob das jemals aufhören wird. Das mir Dinge passieren, von denen ich nicht weiß, was sie bedeuten, meine ich."

Sie stellte sich vor das Fenster und blickte hinaus. „Hast du etwas Zeit?", fragte sie und schlang die Arme um ihren Körper. Plötzlich war ihr kalt.

„Sicher", antwortete er hinter ihr und war dann wieder still um sie nicht zu unterbrechen in dem, was sie ihm sagen wollte.

„Dann werde ich dir jetzt etwas erzählen."

Sie fing an mit dem Tag, an dem sie den Unfall gehabt hatte und hierher gelangt war. Sie erzählte von jeder neuen Fähigkeit, die sie an sich entdeckt hatte, doch bei allem blieb sie sachlich und ließ keinen Ton verlauten von den Gefühlen, die sie durchlebt hatte. Sie wollte nicht, dass er Mitleid mit ihr empfand, denn auch wenn sie sich selbst auch noch nicht ganz damit abgefunden hatte, so war sie doch als Retterin hierher gesandt worden. Sie war hier, um einen Kampf zu bestreiten, der allein schon hart genug war und sie brauchte jede Hilfe, die sie bekommen konnte. Wenn sich jemand Sorgen um sie machte, schadete ihr das mehr als alles andere. Also hielt sie mit Mühe eine Träne zurück, als sie von ihrer ersten Reise zurück nach Hause berichtete, unterdrückte ein Schluchzen, als sie bei der Rückkehr ihrer ehemals besten Freundin angekommen war und kaschierte einige Seufzer, indem sie tat als ob sie sich verschluckt hätte und laut hustete. Die ganze Frustration darüber, dass sie ihre Kräfte noch so wenig unter Kontrolle und die Trauer über alles, was sie verloren hatte, kam mit voller Gewalt zurück und legte sich wie ein schwerer Schleier um ihr Herz.

Nachdem sie geendet hatte, war es still im Raum. Draußen ging die Sonne unter und tauchte die Welt in ein gespenstisches Zwielicht. Rowenna starrte noch immer hinaus, die ganze Zeit lang hatte sie sich nicht von ihrem Platz entfernt. Es fiel ihr leichter zu sprechen, wenn sie Legolas dabei nicht ansehen musste und seine Reaktion nicht miterlebte.

Sie legte eine Hand an die kalte Scheibe und spürte, wie ihre Finger auskühlten. Wieder einmal war ein Tag vorbei, wieder war der Zeitpunkt ihres Kampfes einen Tag näher gerückt. Sie schloss die Augen und atmete tief durch. Sie war noch nicht bereit, sie kannte nicht einmal ihren Gegner. Wieder legte sich eine kalte Hand um ihr Herz und sie spürte, dass es ihre eigene Angst war, die sie zu erdrücken drohte. Und sie konnte noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, wovor sie sich dermaßen fürchtete, denn schon so manches Mal hatte sie darüber nachgedacht, dass der Tod nicht so grausam sein konnte wie manche Augenblicke des Lebens.