So, Kap 13 in einer Rekordzeit von knapp einer Woche stolz auf sich ist, und dann auch noch gleich 11 Seiten! noch stolzer ist

Das wird wohl das letzte vor Weihnachten sein, also frohe Weihnachten allesamt und vielleicht wollt ihr mir ja ein kleines Review schenken? g

Kapitel 13

Es war früh, viel zu früh. Rowennas erster Gedanke war, noch ein Weilchen zu schlafen, doch irgendetwas hinderte sie daran. Es war das gleiche, das sie auch aufgeweckt hatte, da war sie sich sicher. Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit in der man nur erahnen konnte, dass sie bald durch die ersten strahlen der morgendlichen Sonne erhellt werden würde. Aber kein Geräusch drang an ihr Ohr und ihre Augen, sosehr sie sie auch anstrengte, konnte keine Bewegung ausmachen. Aber da war etwas, etwas, das sie nicht in Ruhe ließ, das sie immer und immer weiter verfolgte.

In der letzten Nacht hatte sie nur wenig geschlafen, denn auch wenn sie sich müde und erschöpft gefühlt hatte, zu viele Dinge waren durch ihren Kopf gegangen und hatten wie Bergarbeiter gegen ihre Schädeldecke gehämmert, bis sie schließlich kapituliert hatte und wieder aufgestanden war.

Doch jetzt war ihr Kopf so gut wie leergefegt, und sie konzentrierte sich nur auf… Ja, worauf denn? Da ist nichts. Wahrscheinlich habe ich nur schlecht geträumt, ohne mich daran zu erinnern. Sie schloss die Augen. Ich sollte mich einfach wieder hinlegen und…

Da war sie, eine Bewegung, ganz deutlich. Aber ich habe die Augen zu, ich kann gar keine Bewegung sehen…Es ist genau wie gestern in der Bibliothek… Mehr Nachdenkens bedurfte es nicht, damit sie sich wieder einmal an das, was die Bewegung verursachte, klammerte. Wie sie es schon halb erwartet hatte, zog es sich schlagartig aus ihr zurück und zog sie mit sich. Es wurde schwarz um sie, jedoch nur für einen kleinen Augenblick.

Dann schlug sie die Augen auf – es wäre wohl besser zu sagen, ihr wurden die Augen aufgeschlagen, denn sie hatte keinerlei Kontrolle mehr über ihren Körper. Nicht einmal ein tiefes Durchatmen zur Beruhigung war ihr möglich, und das war der Moment in dem sie merkte, dass sie gar nicht atmen brauchte. Sie konnte ihren Körper nicht bewegen, weil sie sich gar nicht in ihm befand, und die Augen, durch die sie sah, waren nicht die ihren. Endlich schaffte sie es, sich auf ihr Umfeld zu konzentrieren: Sie sah ein kunstvoll eingerichtetes Zimmer, von dem mehrere Türen abgingen. Sie vermutete, dass sie sich auf dem Bett befand, da dieses in ihrem Gesichtsfeld fehlte. Dass es sich um ein Schlafzimmer handeln musste, erkannte sie an dem großen Kleiderschrank und den abgelegten Kleidern über einem Stuhl in einer Ecke des Raumes.

Plötzlich veränderte sich ihre Sicht; die Person, in der sie sich gewissermaßen befand, stand auf und wankte auf eine der Türen zu. Dabei kam sie an dem Stuhl vorbei und Rowenna konnte erkennen, dass unter anderem ein Gürtel mit einer kunstvoll verzierten Schnalle über der Lehne hing, bevor sie das Bad, das sich hinter der Tür befand, erreichten.

Es war fast genauso groß wie das Schlafzimmer, in den gleichen erdigen Farbtönen gehalten und strahlte die gleiche Geborgenheit aus. In der Mitte thronte eine Badewanne auf goldenen, wie die Pfoten eines Raubtieres geformten Füßen, auf dem Boden lagen flauschige Teppiche in braun und grün, einer zeigte einen Jäger, der ein Tier erlegte. Was sich auf den anderen befand, konnte Rowenna nicht erkennen, denn schon wieder änderte sich ihr Gesichtsfeld. An der Wand über einer vergoldeten Waschschüssel hing ein Spiegel und brachte sie auf eine Idee. Was wäre, wenn sie es schaffen wurde, diese Person vor den Spiegel zu bewegen und hineinzusehen? Dann musste sie doch unweigerlich erfahren, wer sie war. Doch wie sollte sie das tun; sie konnte nicht einmal mit dem Zeh wackeln.

Aber Tatsache ist doch, dass ich mich in jemandem, in seinem Kopf, befinde. Warum sollte ich dann nicht auch seine Gedanken verändern können? Näher an das Gehirn kann man schließlich gar nicht kommen.

Spiegel, Spiegel, Spiegel. Ich will zum Spiegel, Spiegel, Spiegel…

Immer wieder formte sie diese Gedanken. Eine Minute verstrich, ohne dass mehr geschah, als dass sie eine Hand auf sich zukommen sah, die einige Zeit lang erst in einem und dann in dem anderen Auge herum- und dann wahrscheinlich über die Wange fuhr.

Doch dann, endlich, bewegte sich der Körper, in dem sie sich befand, einige Schritte in Richtung des Spiegels. Weiter, weiter… , bettelte sie und sammelte ihre Konzentration erneut, nachdem diese kurz abgedriftet war. Spiegel, Spiegel!

Rowenna wusste, dass sich der Spiegel nun neben ihr befand, doch das Gesicht zeigte zur nächsten Wand, die Augen musterten gelangweilt die Mauer und den daran befestigten Wandteppich.

Schließlich drehte sich das Gesicht – Rowenna hätte gespannt den Atem angehalten, wäre es ihr möglich gewesen – zum Spiegel hin. Genau in dem Augenblick wurde es wieder schwarz. Sie hätte aufheulen können vor Wut und Enttäuschung. Sie hatte es fast geschafft und dann das… Doch da tauchte wieder ein schmaler Lichtschimmer auf; die Augen waren zwar geschlossen gewesen, doch sie befand sich noch nicht wieder in ihrem eigenen Körper.

Mach endlich die Augen auf, flehte sie inständig. Mach einfach die Augen auf und ich verschwinde.

Und als ob das den entscheidenden Ausschlag gegeben hätte, schossen die Lider urplötzlich in die Höhe.

Rowenna spürte, wie sich etwas in ihr zusammenzog, auch wenn sie zurzeit eigentlich gar keinen Körper besaß und dieses Gefühl somit logischerweise nicht auftreten konnte.

Es gab kein Spiegelbild. Alles, was sie sehen konnte, war das menschenleere Badezimmer.

Ruhelos tigerte Rowenna ins Bad und wieder zurück. Seit sie von ihrem kleinen „Ausflug" zurückgekehrt war, hatte sie nicht mehr still im Bett liegen und erst recht nicht wieder einschlafen können. Nun lief sie schon seit über einer Stunde hin und her, legte sich wieder hin und stand jedes Mal wenige Sekunden später wieder auf, noch unruhiger als vorher.

Sie versuchte nachzudenken und sich an möglichst viele Details zu erinnern, doch wie nach einem Traum war die Erinnerung verschwommen und unklar.

Da war das Zimmer, es kam ihr irgendwie bekannt vor, aber das konnte auch daran liegen, dass sämtliche Räume in Palast mit Möbeln der gleichen Art ausgestattet waren.

Mittlerweile war die Sonne so weit aufgegangen, dass ein rötlicher Schimmer das Zimmer erhellte und damit die unheimlichen Schatten der Nacht einigermaßen zurückdrängte. Die Vögel im Wald begannen zu zwitschern und die ersten Elben erschienen auf der Bildfläche.

Ich kann ja schlecht durch alle Zimmer schleichen und nachsehen, ob ich es wieder erkenne. Obwohl, warum eigentlich nicht? Wenn ich wieder auf diese Art schwebe, wie ich es gestern getan habe? Dann würde mich niemand sehen. Und außerdem muss ich es einfach wissen!

Der Gedanke gefiel ihr immer mehr. Ja, es war vielleicht nicht richtig, aber andererseits hatte sie eine große Verantwortung, und wenn sie etwas gelernt hatte, dann war es, dass auch Kleinigkeiten oft sehr wichtig sein konnten. Sie dachte kurz daran, dass sie andere ausspionieren würde, doch dann sagte sie leise zu sich selbst, dass es notwenig war.

„Was ist notwenig?"

Erschrocken zuckte Rowenna zusammen und wirbelte herum. Legolas stand in der Tür, die linke Hand noch am Griff.

„Kannst du nicht anklopfen?", entgegnete sie ein wenig ungehalten; sie hoffte, ihn von seiner Frage ablenken zu können. Auf keinen Fall wollte sie ihm sagen, worüber sie gerade nachgedacht hatte, das war ganz allein ihre Sache. Sie würde es durchziehen und niemand würde es bemerken, das war die beste und einfachste Lösung.

„Oh, ich habe geklopft, aber du warst anscheinend mit anderen Dingen beschäftigt und hast es nicht gehört." Er kam nun vollends ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

„Ist ja auch egal. Was machst du so früh hier? Die Sonne ist noch nicht einmal ganz aufgegangen."

„Ich wollte eigentlich meinem Lieblingszwerg ein paar Türen weiter einen Besuch abstatten, doch dann habe ich dein Gemurmel durch die Tür gehört und wollte nachsehen, ob alles in Ordnung war."

Durch die Tür? Ich habe ja nicht einmal gemerkt, dass ich alles laut gesprochen habe, und dann auch noch so laut, dass man es auf dem Flur noch hören konnte…

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, beschwichtigte er sie: „Keine Angst, so laut war es nicht. Nur, wenn es so still ist auf dem Gang hört man einfach mehr und ich glaube, du unterschätzt einfach mal wieder die Wahrnehmung eines Elben…"

„Ach ja, ihr habt ja so Superohren, da hört ihr natürlich alles mit. Dann muss ich ja aufpassen, was ich zu mir selbst sage, nicht, dass es hinterher der ganze Palast weiß", grinste sie schief und wickelte sich etwas fester in den feinen Morgenmantel ein, den sie trug, seit sie aufgestanden war.

„Also so gut sind unsere Ohren nun auch wieder nicht; du kannst also weiterhin unbesorgt Selbstgespräche führen, wenn du das willst."

„Dann bin ich aber beruhigt, wo ich doch so gerne mit mir selbst rede; immerhin bin ich der einzige Mensch, der mich versteht…"

„Ja ich weiß, du bist allein und verlassen, völlig auf dich gestellt und ungeliebt…", zog er sie auf und musste lachen.

Rowenna war froh, dass er sich mittlerweile genauso ungezwungen mit ihr unterhielt, wie ihre alten Freunde es getan hätten, denn es gab ihr einen gewissen Halt. Sie brauchte diese Vertrautheit, um sich ein bisschen mehr wie zu Hause zu fühlen.

„Also, mit mir ist alles in Ordnung", stellte Rowenna fest, um die einsetzende Stille zu unterbrechen. „Du kannst jetzt getrost zu Gimli gehen."

„War das ein Rauswurf?"

„Nein, ich dachte nur, dass du noch andere Sachen zu tun hast, als hier herumzustehen und dich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen."

„Genau gesagt habe ich mich gar nicht nach deinem Wohlbefinden erkundigt. Ich habe lediglich gesagt, dass ich deswegen hier bin, aber ich habe es nicht getan."

„Nun, wenn das so ist, dann war das ein Rauswurf."

Sie lachte. „Kann ich dich hier eigentlich hinauswerfen, immerhin ist das ja mehr dein Palast?"

„Sagen wir so, es wäre mir einfacher, dich rauszuwerfen."

„Na gut, dann bitte ich dich ganz freundlich, jetzt das Zimmer zu verlassen, damit ich mich umziehen kann. Ich bin schließlich gar nicht gebührend gekleidet, um Eurer Hoheit gegenüber zu treten, mein Prinz." Sie versuchte einen Knicks, der jedoch eher unbeholfen wirkte.

Inzwischen war die Sonne weiter gestiegen. Rowenna wollte sich gar nicht wirklich anziehen, sie wollte vielmehr endlich damit beginnen, durch die verschiedenen Räume zu schleichen, da sie nicht wusste, wie lange sie ihren Entschluss noch halten konnte.

„Nun gut, dann gehe ich jetzt. Wir sehen uns dann hoffentlich später noch – gebührend gekleidet, meine Dame!" Er machte eine galante Verbeugung und verschwand dann auf lautlosen Sohlen.

Kaum hatte er die Tür hinter sich zugezogen, drehte Rowenna auch schon den Schlüssel im Schloss herum. Sie wollte auf keinen Fall gestört werden.

Sie stand etwas unentschlossen neben der Tür und wusste nicht recht, was sie als nächstes tun sollte. Sonst war sie fast wie von selbst geschwebt, doch wie sie diesen Zustand gezielt herbeirufen konnte, wusste sie nicht. Natürlich hätte sie Donvan um Hilfe bitten können, doch dann hätte sie ihm auch erklären müssen, wofür sie dieses Wissen benötigte.

Vielleicht ist es gar nicht so schwer. Ich versuche es einfach mal auf die gleiche Art, wie es sonst immer funktioniert hat.

Das bett war noch von der Nacht zerwühlt, also brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, es durcheinander zu bringen, als sie sich darauf legte. Sie schloss die Augen und nahm die Sonnenstrahlen wahr, die sie durch die Fensterscheibe hindurch wärmten. Eines der Fenster war geöffnet, weshalb sie einige Vögel zwitschern hören konnte. Sie entspannte ihren Körper, auch wenn das nicht so einfach war, wie sie es sich erhofft hatte. Einmal hörte sie ein Kind schreien und zuckte unweigerlich zusammen, ein anderes Mal gab es einen Streit auf dem Hof, von dem sie allerdings kein Wort verstand.

So viele kleine Dinge, die sie sonst gar nicht wahrnahm, konnten jetzt ihre gesamte Konzentration zerstören und taten das auch des Öfteren.

Genervt stand sie auf, um das offene Fenster zu schließen. Zwar fiel dann auch das entspannende Vogelgezwitscher weg, doch das konnte sie nun auch nicht ändern. Vielleicht hatte sie ihre Kräfte einfach überschätzt, oder vielleicht bedurfte es auch dieses einen bestimmten Ortes im Wald, um den gewünschten Zustand zu erreichen.

Auf dem Hof spielte gerade eine Gruppe kleiner Elbenkinder fangen und sorgte damit für eine menge Lärm. Rowenna streckte ihre Hand nach dem Fenstergriff aus, schaute dabei aber weiter nach draußen.

Ihre Hand griff ins Leere, also tastete sie weiter. Wieder war da nichts. Aber da muss doch ganz sicher der Griff sein, und außerdem fühle ich nicht einmal die Fensterscheibe, werde ich denn jetzt total verrückt?

Sie blickte auf ihre Hand und erschrak: Sie steckte mitten im Fensterglas! Vorsichtig zog sie sie zurück, doch sie spürte keinen Widerstand. Sie Griff nach der Wand und sah ihre Hand darin verschwinden. Dies war eindeutig anders als das Schweben, dass sie kennen gelernt hatte, doch es erfüllte seinen Zweck ebenso, wenn nicht sogar besser. Denn sie konnte ihre Bewegungen vollends kontrollieren, und ihre Wahrnehmung funktionierte anscheinend auch, immerhin hörte sie ja die Kinderschreie.

Sie schritt zur Tür, doch ihre Füße schwebten einige Zentimeter über dem Boden und sie merkte, dass sie ihre Beine gar nicht bewegen musste. Gewohnheitsmäßig wollte sie nach der Türklinke greifen bevor ihr einfiel, dass sie nichts bewegen konnte. Sie würde einfach durch die geschlossene Tür schweben müssen, auch wenn ihr bei dem Gedanken etwas unwohl war. Wie fühlte es sich wohl an, durch feste Materialien hindurchzugehen? Aber ich gehe ja nicht, ich schwebe. Als ob das einen Unterschied machen würde…

Sie zögerte, doch dann schloss sie einfach die Augen und schwebte nach vorne. Als sie die Augen wieder öffnete, befand sie sich im Gang und sah gerade Legolas aus Gimlis Zimmer einige Türen weiter kommen. Er ging nur wenige Zentimeter an ihr vorbei und verschwand hinter einer Biegung.

Zufrieden schwebte Rowenna weiter den Gang entlang, bis sie dessen Ende in Form einer Sackgasse erreichte. Von dort fing sie an und schwebte in jedes Zimmer. Anfangs fühlte es sich noch seltsam an, vor allem, weil sich in vielen Zimmern Menschen oder Elben aufhielten. Doch nachdem sie einige hinter sich hatte, machte es ihr mehr und mehr Spaß. Sie kam auch in Gimlis Zimmer vorbei und sah ihm einen Augenblick zu, wie er seine Axt mit einer grünlich schimmernden Tinktur einölte. Dabei ging er mit der Waffe so zärtlich um, als halte er eine gläserne Skulptur in den Händen, die leicht zerbrechen konnte.

Nach vielleicht einer Stunde war sie noch immer nicht fündig geworden. Die Gästezimmer hatten alle fast identisch ausgesehen, und in der Etage darunter befanden sich nur uninteressante Räume wie zum Beispiel das Frühstücks- oder Kaminzimmer. Trotzdem ließ sie keinen einzigen aus. Manchmal blieb sie etwas länger und beobachtete die Anwesenden, doch meistens waren es Elben, die sich in Sindarin unterhielten, sodass sie kein Wort verstand. Also wechselte sie den Gebäudeflügel und fand sich in den königlichen Gemächern wieder. Sie dachte kurz, dass wohl nur sehr wenige diese jemals betraten und schwebte lautlos durch eine steinerne Wand hinein. Einmal war sie ja schon hier gewesen, doch Legolas' Zimmer befanden sich direkt am Beginn des Flügels und nicht so weit hinten wie die seines Vaters. In genau dem befand sie sich jetzt, als sich die Tür öffnete.

Instinktmäßig wollte sie sich verstecken, doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie ja unsichtbar war. Also blieb sie stehen, wo sie war, und sah zu, wie erst Thranduil und hinter ihm Legolas und Aragorn das Zimmer betraten.

„… und du glaubst wirklich, dass jemand bei uns eingeschleust wurde?", fragte Legolas gerade seinen Vater. „Ich meine, fast alle Anwesenden bei den Versammlungen sind alte Freunde. Würdest du ihnen einen solchen Verrat unterstellen wollen?"

„Aber nicht alles sind alte Bekannte", gab Aragorn zu bedenken, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte.

„Das ist leider wahr", fügte Thranduil hinzu. „Aber es war nicht anders möglich. Jetzt gilt es, den Verräter zu finden und auszuschalten, bevor er Schlimmeres anrichtet."

„Hat von euch vielleicht schon jemand daran gedacht, dass es vielleicht…" Aragorn ließ seinen Satz unbeendet im Raume stehen.

„Dass es was?", hakte Legolas nach.

„…dass es vielleicht Rowenna sein könnte?", beendete er leise. „Ich meine, sie schneit hier einfach herein, und keiner weiß, woher sie kommt. Ist das nicht verdächtig?"

Rowenna glaubte, sich verhört zu haben. Glaubten sie wirklich, sie wäre eine Feindin? Nach allem, was sie getan und auf sich genommen hatte, um wenigstens ein bisschen zu helfen?

„Nein!", durchbrach Legolas ihre Gedanken, seine Stimme war lauter als sonst.

„Legolas, denk einmal darüber nach", versuchte Aragorn ihn zu beschwichtigen. „Alle Zeichen sprechen dafür."

„Aber sie hat mir das Leben gerettet."

„Das konnte genauso gut inszeniert gewesen sein. Vielleicht hat sie die Orks überhaupt erst hier eingeschleust, um dich niederzuschlagen. Es konnte dazu dienen, unser Vertrauen zu gewinnen und zu missbrauchen."

„Aber Gandalf hat an sie geglaubt. Er hat nach ihr gerufen, als er… als er…" Legolas' Stimme versagt ihm, doch die anderen beiden wussten sofort, was gemeint war.

Aragorn schwieg einige Sekunden und antwortete dann in der gleichen sanften Stimmlage wie zuvor. „Aber sie ist nicht gekommen, und das war sein Ende. Meinst du nicht, sie wäre gekommen, wenn sie ihm hätte helfen wollen?"

„Aber vielleicht war sie einfach nur unterwegs; sie geht manchmal in den Wald spazieren. Auf die Entfernung ist es gut möglich, dass sie ihn nicht gehört hat."

Nun schaltete sich auch Thranduil wieder ein, der bis dahin schweigend dagestanden und zugehört hatte. „Legolas, Zauberer kommunizieren nicht nur über den verbalen Weg. Sie können auch mentale Botschaften schicken, und das hat Gandalf getan. Sie kann ihn unmöglich überhört haben. Es sei denn…"

„Es sei denn was?", fragte Legolas, begierig, einen Ausweg zu erfahren.

„Es sei denn, sie befand sich am Hîthmirim."

Stille trat ein. „Das ist so gut wie unmöglich", flüsterte Legolas ehrfürchtig beim Klang dieses Namens.

Rowenna, die während der ganzen Zeit unbeweglich einige Meter entfernt schwebte, verstand gar nichts mehr. Was redeten diese drei Männer über sie? Und was oder wer war Hîthmirim? Hätte sie die Sprache der Elben beherrscht, hätte sie zwar verstanden, dass dies nicht mehr als ‚Bergsee im Nebel' hieß, die Bedeutung wäre ihr aber auch so verborgen geblieben.

„Es tut mir Leid, mein Freund, aber es scheint ganz so, als ob sie der Spion wäre. Ich weiß, dass du sie gern hast, aber du musst trotzdem versuchen, objektiv zu sein. In diesen Zeiten können wir uns keinen Fehler erlauben, zu groß ist die Verantwortung, die auf uns lastet."

„Du sprichst, als ob es keine andere Möglichkeit gibt. Aber Rowenna ist nicht die einzige, die keine alte Freundin ist. Was ist zu Beispiel mit Donvan? Er taucht hier auf und wird sofort in alles eingeweiht, obwohl niemand weiß, wer er wirklich ist."

„Du irrst", setzte Aragorn an und zog damit die volle Aufmerksamkeit des Elben auf sich. „Er ist kein Fremder. Er ist ein bewanderter Magier. Ich weiß, dass dies für einen Elben selten ist, doch ich kenne ihn noch aus meiner Zeit als Waldläufer. Er zog wie ich verdeckt durch die Lande und gab sich nur sehr wenigen zu erkennen. Das ist der Grund, weshalb er euch nicht bekannt vorkommt, doch er ist ein guter Freund und Verbündeter. Ich habe seine Glaubwürdigkeit über viele Jahre hinweg kennen gelernt, kannst du etwas Ähnliches über Rowenna sagen?"

Er wartete Legolas' Schweigen ab und fuhr dann fort: „Nein, das kannst du nicht. Sei nicht traurig, jeder kann einmal irren. Jetzt gilt es nur zu erkennen, was sie im Schilde führt. Wir können es umdrehen, denn wenn sie nicht weiß, dass wir ihr Geheimnis entdeckt haben, können wir durch gezieltes Beobachten herausfinden, was die dunkle Seite plant."

„Du hast ja schon einen kompletten Schlachtplan im Kopf", staunte Legolas. „Aber alles baut darauf auf, dass sie es wirklich ist. Was passiert aber, wenn sie tatsächlich die gesandte Retterin ist und wir sie… wir sie handlungsunfähig machen?"

„Glaube mir, das wird nicht der Fall sein, doch zu deiner Beruhigung: Wir werden nichts tun, bis wir es nicht mit eigenen Augen gesehen haben. Deshalb sollten wir sie beobachten, unter größter Vorsicht natürlich. Niemand weiß, was sie alles wahrnehmen kann. Vielleicht ist es das Beste, wenn du diesen Teil übernimmst, Legolas. Du kennst sie am Besten und bei dir ahnt sie wohl zuletzt etwas."

Rowenna sah den Prinzen schlucken, doch dann willigte er widerwillig ein. „Aber ihr unternehmt nichts, bis ich nicht den Beweis habe."

„Natürlich nicht."

„Gut. Wohl ist mir bei dem Gedanken aber nicht. Ich kann deine Gedanken nachvollziehen, aber ich kann es nicht glauben. Ich werde jetzt gehen und über alles nachdenken, bevor ich meiner Aufgabe als Beobachter nachgehe." Er grinste gequält. „Wenn du erlaubst, Vater."

„Natürlich, Junge, geh nur. Aber vielleicht solltest du sofort beginnen. Geh mit ihr in den Garten, dort kannst du auch nachdenken. Wir haben nur sehr wenig Zeit, niemand weiß, was die andere Seite zuschlägt. Da zählt jede Stunde."

Legolas gab sich geschlagen, verbeugte sich vor seinem Vater und verließ das Zimmer. Aragorn und der König wechselten noch ein paar Worte, bevor ersterer ebenfalls verschwand. Thranduil blieb und ging zu einem alten, jedoch auf Hochglanz polierten Bücherregal, doch das interessierte Rowenna schon nicht mehr. Sie musste erst einmal verarbeiten, was sie gerade gehört hatte. Sie sollte wirklich eine Verräterin sein? Sie sollte auf der anderen, auf der dunklen Seite stehen, die sie, seit sie hier war, unter Einsatz ihres Lebens zu bekämpfen versuchte? Das konnte nicht wahr sein, sicher träumte sie nur. Gleich würde sie aufwachen und in ihrem warmen, weichen Bett liegen und froh sein, dass alles nicht wirklich passiert war. Doch wie oft hatte sie sich das schon gewünscht und wie oft war dieser Wunsch Realität geworden? Sie beantwortete sich selbst die Frage: Sehr oft und nie.

Ein neuer Gedanken formte sich in ihrem Kopf: Hatte sich Legolas schon auf den Weg zu ihrem Zimmer gemacht? Aus dem Gespräch war das zu entnehmen gewesen. Was, wenn er ihre Tür verschlossen fand? Würde er darin Aragorns Vermutung bestätigt sehen?

Sie musste so schnell sie konnte zurück. Sie bewegte sich durch die Wände und versuchte, den kürzesten Weg zu finden, doch schon bald hatte sie die Orientierung verloren. Schließlich schwebte sie nicht jeden Tag durch sämtliche Hindernisse und außerdem war sie erst einmal in diesem Flügel gewesen.

Aber es kann doch nicht sein, dass ich meinen eigenen Körper nicht wieder finde. Es muss doch eine Möglichkeit geben, dorthin zurückzukommen…

Mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich auf das Bild ihres Zimmers, auf ihren Körper, der leblos auf dem Bett lag.

Als sie nach einer Weile wieder aufblickte, lag sie auf ihrem Bett und fühlte ein unangenehmes Kribbeln in ihrem rechten Bein; es war eingeschlafen, weil sie es zu lange nicht bewegt hatte. Sie war wieder in ihrem Körper.

„Rowenna? Ist alles in Ordnung?", hörte sie jetzt Legolas' Stimme von draußen, sie war also noch rechtzeitig gekommen.

„Ja!", rief sie hastig zurück und sprang auf, um die Tür zu öffnen. „Was ist denn?", tat sie erstaunt, obwohl sie wusste, dass sie eine schlechte Schauspielerin war.

„Warum hast du abgeschlossen?"

Jetzt brauche ich eine gute Erklärung… Sie zögerte und sah einen Funken Enttäuschung in seinen Augen aufblitzen, doch vielleicht war es auch nur Einbildung gewesen.

„Unziehen. Ich meine, ich wollte mich gerade umziehen, und man weiß ja nie, wer einfach so hereingestürmt kommt…", meinte sie wohl etwas zu hastig, denn er zog argwöhnisch eine Augenbraue hoch.

„Ich bin eben eingeschlafen und gerade erst wieder aufgewacht", versuchte sie es mit einer weiteren Erklärung. Schließlich wurde sie sich bewusst, dass sie immer noch im Türrahmen standen und sie ließ Legolas an sich vorbei eintreten.

„Wolltest du nicht Gimli besuchen?", fragte sie möglichst beiläufig. Sie musste sich entspannen, sonst würde er noch glauben, sie verberge etwas vor ihm und Aragorns Vermutungen wären berechtigt. Doch immer wieder spannte sich alles in ihr an, denn ohne Unterlass zogen einzelne Gesprächsfetzen durch ihre Gedanken.

„Doch, und das habe ich auch getan. Aber das ist jetzt fast zwei Stunden her." Er setzte sich auf ihr Bett und beobachtete jeden ihrer Schritte. Dabei schien er sich genauso unwohl zu fühlen wie sie.

„Hat deine Anwesenheit einen bestimmten Grund?", fragte sie, um ein Gespräch in Gang zu bringen. Sie wollte Legolas unbedingt beweisen, dass sie nicht auf der dunklen Seite stand, doch wie konnte sie das tun, ohne zuzugeben, dass sie das Gespräch belauscht hatte? Und wenn sie es ihm doch gestand, würde er ihr glauben? Oder würde er denken, dass es nur wieder ein neuer Trick war?

Sie hätte ihn am Liebsten aus dem Zimmer geworfen, um ein bisschen nachdenken zu können, doch das hätte sie noch verdächtiger gemacht. Es war wirklich erstaunlich und vor allem beängstigend, wie schnell sie von der großen Retterin zur feindlichen Spionin degradiert wurde. Plötzlich musste sie bei allem, was sie tat, darauf achten, ob es verdächtig wirken könnte; sie war von einem Wimpernschlag auf den nächsten zu einer Gefangenen geworden.

Sie schaute aus dem Fenster, wo die Sonne warm auf die Wipfel der Bäume schien, als wolle sie Rowenna verspotten, dass es ihr nicht so gut ging, wie die Welt dort draußen zu sein schien.

Sie hörte, dass Legolas etwas sagte, doch sie realisierte es nicht und musste nachfragen, wofür sie eine besorgte Miene erntete.

„Bist du sicher, dass es dir gut geht?", fragte er. „Du wirkst so nervös und aufgebracht, ganz anders als eben noch. Was ist passiert?"

„Nichts", behauptete Rowenna weiterhin hartnäckig, obwohl sie wusste, dass sie ihm nichts vormachen konnte.

Ich muss es ihm sagen, doch was? Tut mir leid, aber ich habe euch belauscht, auch wenn mich keiner von euch sehen konnte? Und euer Verdacht ist leider falsch? Wie viel würde er mir davon wohl glauben? Wahrscheinlich alles bis auf das letzte. Aber andererseits war er der Einzige, der nicht an meine Schuld geglaubt hat. Wenn ich es irgendjemandem sagen kann, dann doch wohl ihm.

„Legolas, ich…", setzte sie an, wusste aber nicht, wie es weitergehen sollte.

Als sie eine Weile nichts sagte, stand er auf und ging zu ihr. Vorsichtig nahm er sie in die Arme und wiegte sie sanft hin und her, als wolle er ihr zeigen, dass sie alle Zeit der Welt hatte. Sie war ihm dankbar für diese Geste, denn sie wurde dadurch ein wenig ruhiger, auch wenn ihr Herz immer noch bis an den Hals schlug.

„Was ist den passiert?", murmelte er leise in ihr Haar.

„Ich weiß es nicht", antwortete sie, und es war kaum ein Flüstern, mehr ein kleines Schluchzen, das zu undeutlichen Worten geformt wurde. Und irgendwie entsprach das ja auch der Wahrheit, denn sie wusste nicht, woran sie glauben sollte, wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wusste so vieles nicht, das wurde ihr klar, so vieles, das es wert gewesen wäre, es zu wissen.

Und so begnügte er sich, sie einfach im Arm zu halten und auf das Schlagen ihres Herzens zu hören, das sich langsam beruhigte und wieder in seinen normalen Rhythmus zurückfand.

„Ich…", setzte Rowenna nach einer Weile zu einem neuen Versuch an. Sie unterbrach sich und schob Legolas von sich. „Ich…"

„Traritrara, die Putzkolonne ist… oh, störe ich?"

Nûemyn, mit sämtlichen Putzutensilien auf einmal bewaffnet, stand plötzlich mitten im Zimmer. „Das tut mir leid, aber ich muss genau jetzt hier putzen, weil ich schon viel zu spät dran bin. Wenn euch das stört, müsst ihr woanders hingehen."

Rowenna wusste nicht, ob sie froh oder wütend über die Unterbrechung sein sollte.

„Wir können in mein Zimmer gehen", bot Legolas an, denn er hatte gemerkt, dass Rowenna mehr als nur ein paar Sätze zu sagen hatte.

Also ließen sie die schon geschäftig hantierende Nûemyn allein und liefen den Weg durch die Gänge, wobei sich Rowenna immer ein Stück hinter Legolas hielt, da sie den Weg nicht genau kannte, auch wenn sie sich eben noch dort befunden hatte. Aber die Wahrnehmung war nun einmal eine total andere, wenn man durch die Wände schweben konnte.

„So, da wären wir." Galant ließ er ihr den Vortritt und ließ hinter ihnen die Tür ins Schloss fallen. Rowenna erinnerte sich an das Zimmer, weshalb sie sich nicht erst umschauen musste.

Sie setzte sich auf die Bettkante und spürte unangenehm Legolas' abwartenden Blick auf sich.

So wird das nichts. Ich weiß nicht was oder wie ich es sagen soll, ich weiß nicht einmal, was ich hier eigentlich tue…

„Kann ich mal dein Bad benutzen?", fragte sie, als sie es nicht länger aushielt. Vielleicht ging es besser, wenn sie sich ein wenig Wasser ins Gesicht spritzte und einen Moment hatte, um ihre Gedanken sammeln zu können. Noch immer hatte sie keine Zeit gehabt, um über das belauschte Gespräch nachdenken zu können, und es rumorte in ihr wie in einem Bienenstock.

„Sicher. Die linke Tür."

Rowenna stand auf und ging ins Bad. Irgendetwas kam ihr bekannt vor; doch das musste wohl einfach daran liegen, dass hier im Palast die gesamte Einrichtung von ein und derselben Person entworfen zu sein schien. Sie stieß die Tür auf und –

Geräuschvoll stieß sie den Atem aus. Das konnte doch nicht wahr sein!

„Geht es dir gut?"

„Ja, alles in Ordnung", murmelte sie belegt und taumelte ins Bad, um schnell die Tür hinter sich ins Schloss zu werfen und zu verriegeln.

Das war genau das Badezimmer, das sie in der Nacht gesehen hatte. Alle stimmte – die Wanne in der Mitte, der Spiegel über der Waschschüssel – einfach alles. Es gab keinen Zweifel, dies war das Zimmer.

Aber das musste heißen… Sie traute sich gar nicht, diesen Gedanken zu Ende zu bringen. Der einzig mögliche Schluss, den sie ziehen konnte, war, dass Legolas… konnte wirklich er der Verräter sein? Aber das war doch unmöglich!

Bitte, mach, dass das nicht wahr ist! Aber er war es doch, der mich verteidigt hat. Wie passt das denn zusammen? Es wäre für ihn doch viel besser, wenn jemand anders unter Verdacht stünde…

Mit zitternden Beinen ging sie zur gegenüberliegenden Wand und schaute in den Spiegel. Fast erwartete sie, nichts zu sehen, doch natürlich erschien eine perfekte Spiegelung ihres Gesichtes. Sie schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ihr Spiegelbild tat es ihr nach; alles war ganz normal.

Was sollte sie nun tun? Konnte sie einfach wieder hinausgehen und Legolas vorspielen, dass alles in Ordnung war? Wieder fühlte sie sich leer. Es schien, dass jeder, dem sie auch nur ansatzweise zu vertrauen begann, sie betrogen hatte. Die Menschen, die ihr immer am nächsten gestanden hatten, waren plötzlich Fremde geworden, und nun hatte sie es beinahe geschafft, alles zu verdrängen und sich ein neues Leben aufzubauen. Sie wünschte, einfach nur einschlafen zu können und alles hinter sich zu lassen.

Sie ging langsam zur Tür; sie wollte sich der Situation nicht stellen. Hätte es einen Hinterausgang gegeben, hätte sie ihn mit Sicherheit genutzt, doch dem war leider nicht so.

Nachdem sie noch einmal tief durchgeatmet hatte, trat sie zurück in Legolas' Zimmer. Er saß nicht mehr auf dem Bett, sondern stand am Fenster und sah hinaus. Zögernd blieb Rowenna stehen. Er hatte ihr zwar den Rücken zugewandt doch sie war sich sicher, dass er sie gehört hatte. Anscheinend wollte er ihr Gelegenheit geben sich auszusprechen, ohne sie dabei unter Druck zu setzen.

„Du darfst dich ruhig umdrehen", sagte sie bitter. Sie wollte nicht mehr über irgendwelche Probleme reden, sie wollte nur noch ihrer Enttäuschung Luft machen. Als er ihrer Aufforderung folgte, suchte sie fast verzweifelt nach verräterischen Spuren in seinem ausdruckslosen Gesicht, irgendetwas, das ihn als Vertreter der dunklen Seiten auswies.

„Ich finde, wir sollten zur Abwechslung mal über dich reden", beschloss sie schnippisch. „Wo warst du denn zum Beispiel heute Nacht?"

Die einzige Regung, die er zeigte, war ein kurzer Ausdruck der Verwunderung, doch er antwortete nicht, denn schon fuhr sie fort: „Ich meine das nicht körperlich. Fällt dir jetzt vielleicht etwas ein?"

Seine linke Augenbraue zuckte etwas gen Stirn. „Bist du sicher, dass…"

„Nein!", unterbrach sie ihn resolut. „Frag mich nicht wieder, ob es mir gut geht und sag auch nicht, dass ich mich ausruhen soll oder etwas in der Art. Ich weiß verdammt noch mal Bescheid und jetzt will ich die ganze Wahrheit hören!" Im Moment war ihr alles egal. Das Bedürfnis nach der Wahrheit war so stark, dass sie erst zu spät merkte, wie viel sie gesetzt hatte. Was, wenn er sie angreifen würde und sie dem nicht standhalten konnte? Zwar waren ihre Kräfte gut herangereift und sie hatte sie fast unter Kontrolle, doch ob es für einen wirklichen Kampf reichen würde, das wusste sie nicht. Vorsichtshalber ging sie schon einmal in Kampfstellung und versuchte ihre Gedanken auf eine Ebene zu bringen, von der aus sie jeden Angriff sofort starten konnte.

„Du willst die Wahrheit wovon hören?", fragte er ruhig. Es schien, als könne ihn nichts und niemand aufregen oder auch nur durcheinander bringen.

„Jetzt versuch nicht, mich hinzuhalten!", stieß sie wütend aus. „Aber wenn du einen kleinen Hinweis brauchst: Jemand hat in meinen Gedanken herumgeschnüffelt. Wer könnte das nur gewesen sein?", fügte sie sarkastisch hinzu.

„Rowenna, du weißt ganz genau, dass ich so etwas nicht kann, also warum glaubst du es trotzdem? Ich bin ein Elb und kein Zauberer."

„Donvan ist auch ein Elb und das hält ihn nicht davon ab, ein Zauberer zu sein. Und jetzt will ich alles hören."

Um ihre Forderung zu Unterstreichen konzentrierte sie sich auf die Gardine hinter ihm, die daraufhin in Flammen aufging.

„Was tust du da?!"

Befriedigt stellte sie endlich eine Spur Panik in seiner Stimme fest. Mit einer Decke versuchte er, die Flammen auszuklopfen, doch als diese ebenfalls zu brennen begann, gab er es auf. Es war kein natürliches Feuer und konnte daher auch nicht mit den üblichen Methoden gelöscht werden. „Lass das!", rief Legolas, doch Rowenna rührte sich nicht. Auf ihren Wunsch hin versiegten die Flammen und ließen schwelende Stofffetzen zurück.

„Ich habe niemals geglaubt, dass du es sein könntest. Aber da du es bist, bleibt mir keine andere Wahl." Traurig dachte Rowenna daran, wie Legolas ihr besonders in den ersten Tagen geholfen hatte und unwillkürlich spürte sie wieder die Berührung seiner Lippen auf ihren. Doch das durfte sie nicht davon abhalten zu tun, was sie tun musste! Ein noch so kleiner Fehler von ihr konnte den Tod vieler unschuldiger Menschen bedeuten, und das konnte sie nicht auf sich nehmen.

„Bist du nun eher zum Reden bereit oder muss ich dir noch eine kleine Kostprobe geben?"

Sein Gesicht war so fassungslos, so erschrocken über ihr Verhalten. Rowenna hatte bis jetzt kaum eine Gefühlsregung bei ihm gesehen, doch jetzt war es fast so als läge ein offenes Buch vor ihr. Ihre Hände begannen zu zittern und ihre Beine drohten nachzugeben. Was war, wenn sie sich geirrt hatte? Vielleicht gab es dutzende von diesen Badezimmern hier im Flügel der Königsfamilie – immerhin war dieses das erste, das sie zu Gesicht bekam. Und der Blick in den Spiegel war ohne Ergebnis geblieben – es konnte jeder gewesen sein.

Kraftlos sank sie auf das Bett, vor dem sie stand. Vermutlich hätten ihre Beine sie keine Minute länger gehalten. „Ich…"

Legolas löste sich endlich aus seiner Starre und kniete sich vor sie, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Er schob ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und klemmte sie hinter ihr Ohr. Es herrschte eine unheimliche Stille, bis Rowenna sich endlich dazu durchgerungen hatte, ihre Sicht der Dinge offen zu legen.

Nachdem sie ihre Ausführungen beendet hatte, kniete Legolas noch immer an derselben Stelle. Die ganze Zeit hatte er nachdenklich zugehört, und am Ende machte er ein betroffenes Gesicht. „Es gibt wirklich mehrere dieser Zimmer. Hast du tatsächlich gedacht, ich wäre ein Verräter?", fügte er dann leiser hinzu, und es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

Halbherzig versuchte Rowenna, sich zu rechtfertigen. „So viele Menschen, denen ich vertraut habe, haben mich betrogen. Du wärest nur ein weiterer in einer Reihe gewesen – ich habe so gebetet, dass es nicht wahr ist. Du und Nûemyn, ihr seid die einzigen, an die ich noch glauben kann, und ich kenne euch beide erst so kurz. Wenn ich mich sogar in meiner besten Freundin, die ich ein Leben lang gekannt habe, täuschen konnte,…"

„Aber ich schwöre dir, ich bin niemand anderes, als ich vorgebe zu sein. Und jetzt müssen wir versuchen herauszufinden, wer es wirklich ist. Da du das Gespräch belauscht hast, weiß du ja auch, dass du allgemein verdächtigt wirst und ich dich beschatten soll. Wenn wir also den Schuldigen finden können, wären wir beide von diesem Verdacht frei."

Bei dem Gedanken, aktiv etwas zu unternehmen, fühlte sich Rowenna erheblich besser. Die ganze Zeit nachzugrübeln und sich Sorgen zu machen, machte sie noch verrückt.

„Also los!" Gespielt elanvoll sprang sie auf und hätte dabei um ein Haar mit ihrem Knie Legolas' Kinn getroffen.

„Nicht so schnell", lächelte er zurück. „Wir wissen ja noch gar nicht, wo wir anfangen sollen. Dieser jemand hat also immer nur Kontakt zu dir aufgenommen, aber niemals umgekehrt, richtig?"

Rowenna bejahte.

„Meinst du, du könntest es schaffen, ihn zu finden? Auf mentaler Ebene, meine ich?"

„Ich weiß nicht – ich habe so etwas noch niemals versucht. Ich kann doch keinen Kontakt zu jemandem aufnehmen, wenn ich nicht weiß, wer er ist. Ich brauche ein Bild, an dem ich mich orientieren kann."

„Und wenn du es einfach einmal versuchst? Das ist der einzige Anhaltspunkt, den wir haben."

„Na gut." Seufzend ließ sich Rowenna wieder auf dem Bett nieder, streckte sich darauf aus und versuchte, eine entspannende Position einzunehmen. Mit geschlossenen Augen dachte sie an die letzte Nacht und daran, wie sie den Bewegungen aus ihrem Kopf gefolgt war. Konnte sie den Weg auch alleine finden? Sie konzentrierte sich so stark, dass sie einen Moment sogar das Atmen vergaß. Erst der Sauerstoffmangel zwang sie dazu, einen Teil dieser Konzentration wieder aufzugeben, um tief Luft zu holen. Sie musste es ruhiger angehen lassen, auch wenn sie unter dem Druck stand, unbedingt Erfolg haben zu wollen.

Sie begann noch einmal von neuem. Zuerst sammelte sie ihre Gedanken, wie sie es schon oft getan hatte; soweit war es kein Problem. Doch sonst hatte sie ein bestimmtes Ziel gehabt, auf das sie ihre Kraft hatte richten können, während sie jetzt orientierungslos war und auf irgendeine Reaktion wartete. Natürlich blieb diese Reaktion aus und Rowenna musste sich einen anderen Weg einfallen lassen. Noch einmal wiederholte sie alles, was sie wahrgenommen hatte, als sie sich in dem anderen Körper wieder gefunden hatte.

Und tatsächlich, da war etwas, eine kleine, kaum wahrnehmbare Veränderung…