Kapitel 18
Rowennas Gedanken überschlugen sich. Sie mussten sofort weg von hier! Doch ihre Füße bewegten sich keinen Millimeter vom Fleck. Verzweifelt sah sie sich um und erkannte, dass es den anderen ebenso zu gehen schien wie ihr. Ihr Blick traf sich mit dem Legolas' und was sie sah, schien sie selbst widerzuspiegeln. Es war auch Funken Resignation dabei, doch sie hoffte, dass dieser bei ihr noch nicht aufkeimte. Noch war nicht alles verloren. Nûemyn neben ihr stand ein wenig erstarrt da, anscheinend verwirrt von der Situation. Doch ihre Augen waren noch klar, im Gegensatz zu denen der meisten anderen. In einem Anflug von Müdigkeit schloss Rowenna die Augen. Vielleicht hoffte sie, klarer denken zu können, wenn sie nicht das Durcheinander um sie herum mitansehen musste. Doch als sie eigentlich nichts mehr hätte sehen sollen, war immer noch alles genauso scharf wie zuvor. Das kann doch nicht sein!, dachte sie und versuchte es noch einmal. Bin ich jetzt schon so verwirrt, dass ich nicht einmal mehr die Augen schließen kann?
Ihre Hand tastete nach der Sicherheit Nûemyns, die immer noch wie ein Fels in der Brandung zu ihrer Linken stand. Mit der anderen Hand wischte sie sich über das Gesicht, um irgendwie wieder zu klarem Verstand zu kommen. Und endlich, als sie fast gewaltsam Atem und Herzschlag beruhigt hatte, kam ihr plötzlich ein Gedanke. Absurd, dachte sie, das kann doch gar nicht sein. Aber wenn es so ist, dann könnte es uns alle retten...
Nûemyn bemühte sich, nach außen hin stark zu sein. Sie hatte gemerkt, dass das besonders für Rowenna, aber auch für Legolas wichtig war, selbst wenn dieser es wohl nicht zugegegeben hätte. Doch in ihrem Beinen stieg langsam eine schwere Müdigkeit hoch, gegen die sie kaum mehr ankämpfen konnte. Ihre Muskeln zitterten unter der Anspannung, das Gewicht ihres Körpers zu halten und ließen ihre Knie gegeneinander schlagen. Glücklicherweise verdeckten ihre weiten Röcke das, doch die Schweißperlen, die ihr auf die Stirn traten, konnte sie so leicht nicht verbergen. Sie spürte, wie Rowenna nach ihrer Hand griff und Halt suchte. Sie bot alle Kräfte auf, um ihr diesen zu geben, auch wenn sie meinte, dass ihr Kleid bald ebenfalls anfangen müsse zu vibrieren.
Erst jetzt begann sie zu verstehen, wie schwer dir Bürde wirklich gewesen war, die die anderen bereits die ganze Zeit getragen hatten. Sie war dankbar dafür, dass sie es nicht schon vorher gewusst hatte, denn sonst hätte sie vermutlich nicht so stark bleiben können. Ihre Füße ließen sich nicht bewegen und es gab für sie nichts mehr, das sie noch tun konnte.Jetzt war es an Rowenna, das Blatt zu wenden, und dass diese das ebenfalls wusste, merkte sie an ihrem verkrampften Händedruck. Doch mit einem Mal ließ dieser Druck völlig nach. Nûemyn hatte nicht mehr die Kraft, einen Blick nach rechts zu werfen, denn nur wenige Augenblicke später gaben ihre Beine unter ihr nach.
Rowenna musste sich ein paar Sekunden Zeit nehmen, um zurück in die Wirklichkeit zu finden. Hatte sie es wirklich geschafft? Unter dich fühlte sie die kalten, harten Steine des Bodens. Sie schlug die Augen auf und hätte einen Moment lang jubeln können. Sie hatte noch eine Chance!
Nachdem sie gemerkt hatte, dass sie durch ihre Augenlider hatte hindurchsehen können, war ihr der Gedanke gekommen, dass sie vielleicht gar nicht vollends zurückgekehrt war, als sie nach Hinweisen gesucht hatte. Zwar verwunderte es sie, dass die anderen sie hatten sehen können und auch mit ihr gesprochen hatten, aber einen Versuch war es auf jeden Fall Wert gewesen. Und wie sie ja nun feststellte, war die Hoffnung berechtigt gewesen. Seit sie in der Küche wieder zu sich gekommen und mit Nûemyn und Legolas zur großen Halle gegangen war, war sie nicht mehr gewesen als ein körperloses Abbild ihrer selbst. Doch jetzt hatte sie ihren Geist zurück in ihren Körper geschickt. Sie befand sich in der Küche, nicht mehr mit den anderen im Thronsaal. Das heißt, vorerst kann nichts geschehen.
Er hatte nicht gedacht, dass es so lange dauern würde. Gut, dass er sich über die Jahre schon an das ständige Warten gewöhnt hatte. Sonst ware er jetzt wohl vor Anspannung verrückt geworden. Er hatte seinen Blick vom Geschehen abgewandt und sich ein wenig zurückgezogen. Genauer gesagt hieß das, dass er sich auf einem Sofa niedergelassen hatte, das in dem kleinen Raum hinter dem Balkon stand. So hörte er noch das laute Tosen der Menge, was ihn glücklich aufseufzen ließ. So gut wie jetzt hatte er sich noch niemals in sienem langen Leben gefühlt. Er schloss die Augen und genoss es einfach; das war das Schönste, was er jemals getan hatte. Hatte er sich überhaupt jemals Zeit für sich selbst genommen, während der vielen Jahre, in denen er nur an seinen Plänen gearbeitet hatte? Er hatte immer nur gearbeitet, hatte Völker unterworfen und Orks zur Vernichtung von halb Mittelerde herangezüchtet. Aber ein Urlaub? Daran konnte er sich nicht erinnern. Eigentlich schade, dachte er. Dabei hätte ich den wirklich gut gebrauchen können. Und in Zukunft werde ich wohl auch keine Zeit mehr dazu haben.
Mit einem Mal sah er alldem, worauf er die ganze Zeit gewartet hatte, gar nicht mehr so erfreut entgegen. Wozu brauchte er die ganze Macht, die ihm nur Scherereien brachte? Er wäre viel lieber hinausgegangen, hätte die frische Nachtluft genossen und einen Spaziergang gemacht. Die vielen Stimmen erschienen ihm nun viel zu laut, sie hallten unangenehm von den hohen Wänden der Hallen wider und schienen sein Trommelfell bis zum Reißen dehnen zu wollen. War es wirklich das, was er immer angestrebt hatte? Das erschien ihm sehr unwahrscheinlich. Aber du bist doch Sauron, der dunkle Herrscher. Es ist deine Bestimmung, den Völkern dieser Welt Leid zu bringen und alle ihre Werke niederzubrennen, hörte er eine unangenehm schrille Stimme in seinem Kopf. Aber warum sollte er das tun? Warum sollte er ihnen Leid antun, anstatt mit ihnen zu feiern und unter ihnen zu leben? Er war des Kämpfens müde, und so hielt er seine Augen einfach weiterhin geschlossen. Sosehr er auch versuchte, den Lärm zu verdrängen, er war einfach zu laut und zu penetrant. Das alles musste aufhören, bevor es noch schlimmer wurde. Das alles war ein gewaltiger Irrtum gewesen, und nun würde er ihn rückgängig machen. Entschlossen stand er auf und trat auf den Balkon hinaus, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Zum ersten Mal spürte er, wie es war, nicht die gewaltige Last all dieser Sünden tragen zu müssen. Und er wollte nicht, dass jemand anders diese Bürde übernehmen musste.
Rowenna hetzte durch die Gänge. Zum Glück fand sie den richtigen Weg auf Anhieb - dachte sie zumindest. Doch wo die große Eingangshalle hätte sein müssen, endete dieser Gang einer schmalen, gewundenen Treppe, die in steilen Stufen nach oben führte. Hier war sie noch nie gewesen, und so wusste sie auch nicht, wie sie wieder zurückfinden sollte. Sie stieß einen gequälten Seufzer aus und zuckte erschrocken zusammen, als er von den Wänden als leises Echo zurückgeworfen wurde. Noch bevor sie die Treppe erreicht hatte, drehte sie um und lief zurück. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Auf ihr lag die ganze Verantwortung, und doch konnte sie nichts tun, weil sie den Weg nicht fand, obwohl sie ihn schon so oft gegangen war? Das war wirklich lächerlich. Doch das brachte sie nun auch nicht weiter. Egal, wie lächerlich es auch war, es war ein echtes Problem.
Die viel zu großen Schuhe klapperten auf dem Boden, als sie weiterrannte. Einer löste sich und rutschte ihr vom Fuß, woraufhin sie sich am Boden liegend wiederfand. Sie hätte heulen können. Es war schon schrecklich, wenn an einem normalen Tag alles schief lief, doch heute konnte es entscheidend für Millionen von Menschen, Elben und anderen Geschöpfen sein. Du darfst jetzt nicht panisch werden, sagte sie sich immer wieder, alles wird gut, Nur ganz ruhig bleiben... Doch es half alles nichts. Als sie den aufgegangenen Schuh wieder zuschnüren wollte, fielen ihr ihre wirren Haare ins Gesicht und versperrten ihr die Sicht. Sie wollte sie sich hinters Ohr klemmen, doch sie fielen wieder und wieder nach vorne.
Irgendwann gab sie es auf und blieb einfach dort sitzen, wo sie war. Heiße Tränen lösten sich nun endlich aus ihren Augenwinkeln und bahnten sich ihren Weg bis hinunter zum Kinn, wo sie sich sammelten und auf das Kleid tropften. Du bist erbärmlich, schimpfte sie sich selbst. Steh endlich auf und tu dein Bestes. Das ist nicht der Zeitpunkt zum Heulen.
Zwar schaffte sie es, aufzustehen, doch ihre Beine waren zittrig, und nachdem sie einige Meter gelaufen war bemerkte sie, dass sie wieder vor dem kleinen Treppenaufgang stand. Den einen Schuh hatte sie einfach liegen gelassen, und nun fror sie an einem Fuß. Was solls, sagte sie sich und stieg erst zögernd und dann entschlossener die Treppen hinauf. Sie zählte nicht die Stufen, die sich unerbittlich immer weiter und weiter in die Höhe wanden, sondern setzte einfach einen Fuß vor den anderen.
Wenn schon alles verloren ist, war ihr letzter Gedanke, dann will ich es wenigstens nicht mit ansehen müssen.
Legolas trat ungeduldig von einem Bein auf das andere. Dieser Typ wollte seine Apokalypse? Bitte, aber er sollte sich ein wenig beeilen. Wenn der ihm noch einmal zwischen die Finger kam... Er stand jetzt schon seit... Ach was, die genaue Zeit speilt keine Rolle. Es ist einfach unverschämt, uns hier so lange herumstehen zu lassen. Der soll mir noch mal unter die Augen treten, dem werde ich's schon zeigen.
Als er merkte, dass Nûemyn neben ihm zusammengebrochen war, hätte er am liebsten laut geschrieen. Auch wenn er es nicht zugegeben hätte, am wütendsten war er auf sich selbst. Er fühlte sich ohnmächtig, weil er nichts tun konnte. Er wurde hier festgehalten von etwas, das er nicht sehen konnte. Lieber hätte er mit nichts als einer Stricknadel einer Truppe von hundert bis an die Zähne bewaffneten Orks gegenübergestanden. Denn dann konnte er seinen Gegner sehen und sein Bestes geben, um ihn zu bekämpfen. Doch so war er ein Gefangener, der hilflos und schwach in seinen Ketten lag.
Doch dann tat sich etwas. Auf dem Balkon erschien nun wieder der Umriss eines Körpers.
Irgendwann, nach zahllosen Stufen und Windungen erreichte Rowenna völlig außer Atem das Ende der Treppe. Sie trat durch eine kleine Tür, die den einzigen Ausgang darstellte, und gelangte auf eine ovale Plattform. Zwar herrschte um sie herum Nacht, doch über allem lag ein umheimlicher Schimmer, irgendwo zwischen weiß und schwarz, der sie gleichzeitig blendete und doch zu dunkel war, um etwas zu erkennen. Fetzen von Nebel schwebten umher und schienen alles mit ihren wattigen Schwaden einzuhüllen, bis jeder klare Blick im milchiger Dichte endete. Als Rowenna hinaustrat, hüllten sie auch sie ein und ließen sie leicht frösteln. Irgendwo in der Ferne sah sie die Gipfel mehrerer Berge, doch sonst wurde ihre Sicht von Wolken beeinträchtigt, die kurz unterhalb der Plattform ansetzten.
Wo bin ich hier, dachte sie verwundert und ging noch einige Schritte hinaus. Ich bin zwar viele Schritte gelaufen, aber doch nicht so weit, dass ich mich schon über den Wolken befinden könnte. Und doch war sie hier. Als sie nahe an das Geländer trat, das den festen, steinernen Untergrund vom wabernden Nichts trennte, durchströmte sie eine Wärme, wie sie sie noch niemals gespürt hatte. Obwohl einer ihrer Füße noch immer ohne Schuh war, fühlte sich der felsige Boden nicht kalt an. Vielmehr begann der andere zu kratzen, und sie musste ihn ebenfalls abstreifen. Ihr Kleid wehte in einer plötzlich aufkommenden Brise leicht um ihren Körper, und als sie an sich herunterblickte, sah sie sich ganz in weiß gehüllt. Der feine Stoff ihres Gewandes wirkte fast durchsichtig, hielt aber doch jedem Blick stand. Dinge, die sonst verfeindet waren, reichten sich hier die Hand; Gegensätze vermischten sich zu einer Einheit. Leben und Tod, Liebe und Hass. Alles gehörte unweigerlich zusammen, denn ohne Leben gab es keinen Tod, und ohne die Liebe keinen Hass. Aus Liebe konnte Hass entstehen und aus Hass Liebe, doch Gleichgültigkeit würde immer Gleichgültigkeit bleiben.
Der Ausblick war beruhigend und aufreibend; Rowenna fühlte sich in den ewigen Strudel aus Licht und Dunkelheit gezogen. Bald griffen die Arme des Nebels nach ihr, bald ließen sie sie wieder frei und wanden sich stattdessen um die Sprossen des Geländers. Der Stein unter ihren Füßen wurde zu Gras und zu den weichen Fellen von Tieren; und doch blieb er immer derselbe.
Das ist deine Bestimmung.
Die Stimme, die diese Worte formte und hinein in den leeren Raum schickte, war durchdringend und existierte zugleich nicht; sie verursachte keinerlei Schallwellen und war auch mit dem schärfsten Verstand nicht zu erklären. Es war weder die Stimme eines Mannes, noch die einer Frau, denn hier verlor jedes Geschlecht seine Bedeutung. Die Stimme schrie nicht, denn ihre Eindringlichkeit ging von ihrer unbarmherzigen Ruhe aus; und niemand, für den die Worte nicht bestimmt waren, würde sie jemals vernehmen können. Es war nicht nötig, sie zu wiederholen, denn sie konnten nicht vergessen werden, und doch hallten sie von unsichtbaren Wänden wider, bis sich die vielen Echos trafen und in einem melodischen Chaos verklangen.
Bestimmung. Das. Deine. Bestimmung. Ist. Deine. Bestimmung. Das.
Rowenna stolperte, doch sie fiel nicht. Sanft wurde sie von weichem Nebel aufgefangen und auf den Beinen gehalten. Das hier konnte nur ein Traum sein, doch es wirkte so real. Aber um Wirklichkeit zu sein, dafür war es zugleich zu wunderbar und zu grausam.
Deine. Bestimmung. Das.
Irgendwann hielten die Nebel ihren Fall nicht mehr auf.
Das musste sofort aufhören. All dieser Krach und das Chaos im Saal machten ihn noch ganz verrückt. Gewohnheitsmäßig hätte er beinahe nach einem Diener gerufen, doch dann fiel ihm ein, dass er ja ganz allein war. Diesmal hatte er sich auf niemand anderen gestützt, denn so konnte ihn niemand verraten. Er hatte sehr schlechte Erfahrungen mit untreuen Dienern gemacht und wollte diesen Fehler nicht wiederholen. Doch jetzt wünschte er sich jemanden, mit dem er sich hätte beraten können.
Aber trotzdem - dann musste er es eben alleine bewerkstelligen. Es war ja nicht so, dass er das nicht gekonnt hätte. Zuerst musste er die Zauber, die er ausgesprochen hatte, wieder rückgängig machen. Und dann musste er die Sünden wieder von denen nehmen, denen er sie aufgebürdet hatte. Letzteres würde sich als deutlich schwerer erweisen, da er sie ja irgendwohin bringen musste, wenn er sie nicht selbst wieder übernehmen wollte. Und das würde er nie wieder tun, lieber würde er auf der Stelle sterben.
Unruhig ging er auf und ab. Er musste sich bewegen, vielleicht würde ihm dann der rettende Einfall kommen. Also verließ der den Balkon und trat hinaus in den Gang. Er wollte die Bannzauber noch nicht lösen, bevor er nicht eine Lösung im Hinblick auf die Sünden gefunden hatte, denn sonst würde ein noch schlimmes Durcheinander ausbrechen. Verängstigte, sich in die Enge getrieben fühlende Menschen und Elben waren noch schwieriger zu bändigen als verzauberte. Beinahe wäre er, in Gedanken versunken nicht auf den Weg achtend, über etwas gestolpert. Er blickte nach unten und sah einen menschlichen Körper, der zusammengerollt dort auf dem Boden lag. Nach genauerem Hinsehen erkannte er das Mädchen, gegen das er schon so oft gekämpft hatte. Wie war noch ihr Name? Rowenna,erinnerte er sich. Warum hatte er ihr das Leben so schwer gemacht? Sie sah so erschöpft aus, und ihre Wangen waren ganz mager und eingefallen. Ihre Finger fuhren unruhig über den Boden, als würden sie Halt suchen. Wie sie dort lag sah sie nicht wie die starke Magierin aus, als die er sie kennengelernt hatte. Von Anfang an war sie eines seiner größten Hindernisse gewesen, und hätte öfter als einmal beinahe alles ins Wanken gebracht.
Vielleicht... Nein, das ging nicht. Sie wirkte so krank und schwach, sicher konnte sie nichts tun... Doch wenn er so weitermachte, würde er nie zu einer Lösung kommen. Er kniete neben ihr nieder und versuchte sie vorsichtg wachzurütteln. Schließlich öffnete sie langsam die Augen und blicke verwirrt um sich. Dann sah sie ihn an, und als brauchte sie erst noch Zeit, um ihn zu erkennen, zuckte sie nach einer Weile zusammen. Ihre vorher abwesenden Augen begannen gefährlich zu funkeln.
"Nimm sofort deine Finger von mir", zischte sie und richtete sich mühselig auf. "Ich werde... Ich werde..." Verzweifelt suchte sie nach Worten und schnappte immer wieder nach Luft.
Noch immer sah sie überall Nebel, obwohl sie sich ganz eindeutig nicht mehr an diesem seltsamen Ort befand. Sie bemühte sich, ihre Gedanken beisammen zu halten, um sich dem zu stellen, was im Hier und Jetzt geschah und nicht in irgendeiner Traumwelt. Und was hier geschah, gefiel ihr ganz und gar nicht. Doch der Ausdruck in seinen Augen irritierte sie. Außerdem hatte er natürlich die Gestalt Elrohirs, und sie musste sich anstrengen, um sich von dieser Fassade nicht täuschen zu lassen. Schließlich hatte sie Elrohir und auch seinen Zwillingsbruder Elladan als Freunde kennengelernt. Jetzt hatte sie doch, was sie gewollt hatte: endlich hatte sie ihren Feind erreicht und konnte ihn vernichten. Doch irgendwie war ihr Kopf wie leergefegt und sie bemerkte, dass sie sich nie Gedanken über diesen Moment gemacht hatte. Sie hatte wohl gedacht, dass ihr im richtigen Moment schon eine Idee kommen würde, die jedoch jetzt auf sich warten ließ. Und so saß sie jetzt Sauron/Elrohir gegenüber und brachte keinen vernünftigen Satz heraus.
Doch dann formte sich endlich irgendwo ein Gedanke in ihrem Kopf. Sobald sie dies bemerkte, versuchte sie ihn nach vorne zu ziehen, um ihn ganz bewusst wahrnehmen zu können. Endlich hatte sie ihn da, wo sie ihn haben wollte - und seufzte frustriert auf. Elrohir sieht ja auch als Böser gar nicht so übel aus.
Sie hasste diese Sünde. Sie ließ sie nicht mehr wie einen normalen Menschen denken. Endlich stand Rowenna auf; sie hatte es satt, so schwach und hilflos am Boden zu sitzen. Sauron, der neben ihr in die Hocke gegangen war, richtete sich nun ebenfalls wieder auf. Doch seine Bewegungen wirkten gar nicht so stark und siegessicher, wie sie Rowenna's Meinung nach hätten sein müssen. Bei genauerem Hinsehen wirkte er müde und vielleicht sogar ein wenig krank.
Aber davon darf ich mich nicht täuschen lassen; das ist alles nur wieder eine Masche.
"Du...", setzte sie an, stockte jedoch. Eigentlich hatte sie gar nicht vorgehabt, etwas zu sagen, doch irgendwie musste sie ja dieses Schweigen durchbrechen. Und eine Beleidigung für den Erzfeind konnte ja nie schaden - wenn einem denn eine einfiel.
"Ja?", fragte Sauron/Elrohir. Rowenna antwortete nicht. Er wirkte so menschlich. Oder elbisch, korrigierte sie sich in Gedanken. Doch egal, was es war, es konnte einfach nicht sein. Sie hatte sich immer die grausamsten Kreaturen vorgestellt, besonders, nachdem sie Bekanntschaft mit seinen Orks gemacht hatte.
Als sie verbissen schwieg, holte ihr Gegenüber tief Luft. Als wäre er nervös, bemerkte sie in Gedanken. Das alles wurde immer seltsamer. Schließlich sagte er stockend: "Ich... Also..." Er atmete noch einmal tief durch und schien sich dann gefasst zu haben. "Ich habe ein Problem, und ich hoffe, dass du mir vielleicht helfen kannst."
Rowenna blieb für einen Augenblick die Luft weg. Sie musste träumen. Vielleicht war sie gerade gar nicht aufgewacht, sondern noch weiter in irgendeine andere Traumwelt abgedriftet. Du musst verrückt geworden sein, sagte sie sich bestimmt. Du siehst deinen Erzfeind vor dir stehen und dich um Hilfe bitten. Langsam drehst du wirklich durch. Doch alles half nichts, sosehr sie es auch nicht glauben wollte, Sauron/Elrohir blieb und sah sie noch immer bittend an.
Gut, wenn das hier alles ein verrücktes Spiel ist, was bleibt mir dann anderes, als mitzuspielen?, beschloss sie schließlich. Wenn sie hier keine Wurzel schlagen wollte, war das der einzige Ausweg.
"Gut", sagte sie deshalb. "Worum geht es?"
Er fühlte eine tiefe Erleichterung, als sie ihre Zustimmung kundgab. Jetzt würde er nicht mehr alleine mit alledem fertig werden müssen. Doch es ist alles deine Schuld, und du hättest es verdient, es alleine bereinigen zu müssen, dröhnte eine Stimme durch seine Gedanken.
Ich weiß, gab er ihr schuldbewusst zurück, aber das kann ich nicht. Und im Moment ist nur wichtig, dass es überhaupt getan wird.
"All dieses Chaos", sagte er leise. "Ich wollte das nicht. Ich habe diese Sünden freigelassen, und nun kann ich sie nicht mehr unter Kontrolle halten." Er hielt seine Lider gesenkt, denn er schämte sich für seine Schuld. "Du musst mir helfen, sie zu vernichten, bevor sie noch mehr Unheil anrichten. Und wir müssen uns beeilen, denn sobald alle Betroffenen von ihren Sünden überwältigt werden, ist es vorbei..." Er blickte auf, denn erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass ja auch sie eine der 'Betroffenen' war. Und wahrscheinlich war sie die letzte, die dem noch standhielt.
Sie deutete seinen Blick richtig. "Ja, vielleicht müssen wir uns beeilen", meinte sie. "Doch nicht, weil meine Sünde Überhand nimmt, sondern weil wir sie sonst nicht mehr aufhalten können." Sie deutete in Richtung des Saales, wo die Schreie immer lauter wurden. "Ich kann zur Not meinen Körper verlassen, denn mein Geist ist gegen die Versuchung immun. Aber jetzt los, was soll ich tun?"
Wüsste sie nicht, dass es in Mittelerde keine Kameras gab, hätte sie darauf wetten können, dass gleich ein Team hinter einer Säule hervorgesprungen kam und 'Willkommen bei der versteckten Kamera!' rief. Als Sauron/Elrohir ihr zerknirscht eingestand, dass er mit der Situation nicht mehr fertig wurde, kniff sie sich verstohlen in den Arm um zu prüfen, ob sie dann aufwachte. Doch natürlich geschah nichts, und so musste sie sich doch der Aufgabe stellen. Sie hätte jetzt wirklich lieber ausgeschlafen in ihrem Bett gelegen und sich von Nûemyn ein Frühstück servieren lassen.
Und dann wusste er nicht einmal eine Lösung! Schließlich hatte er dies alles hier verursacht, und alles, was er nun dazu zu sagen hatte, war ein hilfloses Schulterzucken.
"Gut", meinte Rowenna, obwohl sie ihn am liebsten ausgeschimpft hätte wie einen ungezogenen Schuljungen. "Dann muss ich mir halt etwas einfallen lassen."
Dabei wusste sie, dass das nicht einfach werden würde. Auf einen Einfall wartete sie schließlich nicht erst sein ein paar Minuten.
"Also gut", überlegte sie laut. "Diese Sünden müssen weg, weil sie zu stark sind. Sie lassen die Befallenen durchdrehen und zu einer Gefahr werden. Aber Sünden gab es doch immer schon, oder nicht? Ich meine, jeder wird doch einmal zornig oder maßlos, nicht wahr?"
"Aber niemals in diesem Maße", versuchte Sauron/Elrohir den Gedanken weiterzuführen. "In kleinen Mengen sind sie ganz normal."
"Aber wo ist denn dann das Problem!", rief Rowenna aus. Endlich war sie da, die lang ersehnte Idee. "Du konntest doch die Leute mit den Sünden infizieren." Er nickte, und sie fuhr fort: "Dann kannst du sie doch auch wieder von ihnen nehmen und neu verteilen, oder nicht?" Wieder nickte er. "Aber dann würde sich doch alles wiederholen und genauso enden wie jetzt..."
"Nicht, wenn du sie nur in kleinen Mengen verbreitest. Du teilst sie auf alle Bewohner Mittelerdes auf, dann entfällt auf jeden ein so geringer Bruchteil, dass er das normale Maß nicht überschreitet. Kannst du das?"
Er überlegte und bejahte dann. "Das müsste gehen. Also dann werde ich wohl anfangen..." Er drehte sich um und ging weg.
"He, wo willst du denn hin?", rief Rowenna ihm nach und lief dann hinter ihm her. Doch er kehrte nur in das HInterzimmer des Balkons zurück, um sich dort auf das Sofa zu legen. "Ich muss mich doch konzentrieren können", meinte er lächelnd. "Und auf dem harten Boden da draußen geht das bestimmt nicht so gut."
Während er sich in einen tranceartigen Zustand versetzte, trat Rowenna auf den Balkon hinaus und schaute hinunter auf die Menge. Noch immer stand die Gruppe von nach ihrem Verschwinden nur noch sechs Mann isoliert in der Mitte; genauer gesagt standen nur noch vier, denn Nûemyn und Sam lagen am Boden.
Rowenna fing Legolas Blick auf, der wirr umherirrte. Es war wohl wirklich höchste Zeit, wenn niemand mehr zu Schaden kommen sollte. Plötzlich sackte Legolas' Körper in sich zusammen, und Rowenna wusste, dass er als erstes wieder frei von diesem Ausmaß an Sünde sein würde.
Kurz darauf wurde auch ihr schwindelig, und sie konnte sich noch rechtzeitig auf den Boden legen, um nicht hinzufallen. Dann wurde es schwarz um sie.
Rowenna merkte, dass sie aufzuwachen drohte, und kuschelte sich etwas tiefer in ihre Bettdecke. Sie wollte noch nicht wach werden, dafür waren ihre Träume viel zu schön. Doch dann fing direkt vor ihrem Fenster ein Vogel an zu zwitschern, und sie konnte jede Hoffnung, schnell wieder einzuschlafen, endgültig begraben. Mit einem leisen Seufzer drehte sie sich auf den Rücken und schlug die Augen auf. Die Sonne stand schon hoch und schien hell in ihr Zimmer - wahrscheinlich war es kurz vor Mittag. Wovon hatte sie noch gleich geträumt? Sie wusste es schon nicht mehr, aber es war schön gewesen.
Doch dann kämpften sich andere Gedanken in den Vordergrund - Gedanken an das zuletzt Geschehene. Wie war sie in ihr Bett gekommen? Ihre letzte Erinnerung zeigte ihr den Thronsaal mit einer aufgebrachten Menschen- und Elbenmasse darin, deren Geschrei Tote zum Leben erweckt hätte. Als sie an sich heruntersah bemerkte sie, dass sie noch ihr Kleid trug. Die Schnürung war halb aufgegangen, und überall waren Flecken und Risse. Auch die begabtesten Näherinnen würden es nicht mehr retten können. Schade eigentlich, es hatte mir wirklich gefallen. Aber das Kleid war jetzt wirklich nicht ihr größtes Problem. Was war geschehen, nachdem die ohnmächtig geworden war? War jetzt alles bereinigt, oder war das alles nur ein Teil von Saurons Plan gewesen? Mit einem Mal konnte sie nicht mehr ruhig liegen bleiben. Sie schlug die Decke zurück und wollte schon aus dem Zimmer stürmen. Doch dann nahm sie sich doch noch die Zeit, eben ein anderes Kleid ein Paar Schuhe anzuziehen. Das alles dauerte kaum drei Minuten, sosehr beeilte sie sich. Sie hatte sich sogar extra ein Kleid ohne aufwendige Schnürung ausgesucht, die sie wahrscheinlich in ihrer Unruhe erst gegen Abend geschlossen bekommen hätte.
Schon schlug die Tür hinter ihr ins Schloss, und als der Knall von den Wänden widerhallte, war sie schon ein ganzes Stück den Gang hinunter gelaufen. Doch als sie an der ersten Kreuzung ankam, musste sie kurz stehen bleiben und überlegen. Wohin wollte sie eigentlich? Am Besten zuerst zum Saal. Sie musste sehen, inwiefern alles wieder normal war beziehungsweise sich einen ersten Überblick über den Schaden verschaffen. Also hechtete sie den Weg entlang, den sie ausnahmsweise sofort fand. Wäre sie nicht sosehr in Eile gewesen, hätte sie sich selbst auf die Schulter geklopft.
Sie betrat den Saal durch die zweiflügelige Haupttür, die direkt von der Eingangshalle abging. Das erste, was sie sah, war der Tisch. Es war einer der beiden riesigen Tische, die am Vortag für das Essen aufgebaut worden waren. Und er schwebte etwa drei Meter hoch über dem Boden.
Nach genauerem Hinsehen erkannte Rowenna schließlich auch die Gestalt, die ihn anscheinend dort oben hielt: Sauron/Elrohir stand mitten im Saal und ließ nun den Tisch mit einer leichten Handbewegung wieder dort landen, wo er ursprünglich gestanden hatte. Sobald die Tischbeine wieder festen Boden unter sich hatten, drehte er sich um und kam auf sie zu.
"Was tust du da?", fragte sie, noch bevor er sie erreicht hatte. Sechs Schritte später stand er vor ihr und drehte sich so, dass er in die gleiche Richtung blickte wie sie. "Was denn?"
"Der Tisch."
"Ach so, der Tisch. Ich räume auf. Und auch wenn dieser Elb hier ganz gute Muskeln hat, für das Monstrum an Tisch reichen sie dann doch nicht. Also musste ich dem ein wenig auf die Sprünge helfen. Aber ich bin jetzt fertig, ich muss nur noch den Müll hier entsorgen." Er deutete auf einen aufgeschichteten Berg von altem Essen, zerbrochenem Geschirr und kaputten Stühlen, den er nun ebenfalls mit einer Handbewegung in die Luft hob und zur weit geöffneten Außentür hinausschweben ließ.
Als er von 'diesem Elb' sprach, fiel Rowenna wieder Elrohir ein. Was war eigentlich mit ihm? Natürlich, sein Körper stand vor ihr, doch was war mit seinem Geist? Als sie Sauron/Elrohir danach fragte, nahm sein Gesicht nachdenkliche Züge an. "Ich weiß, ich muss diesen Körper bald verlassen, wenn ich ihm keinen Schaden zufügen will. Aber ich weiß nicht, wohin ich dann gehen soll. Ich will nicht wieder in einer dieser Zwischenwelten hausen müssen", fügte er hinzu und sah Rowenna bittend an, als ob sie noch ein Ass für ihn im Ärmel hätte - oder im diesem Fall noch zufällig irgendwo einen Körper, den niemand mehr brauchte.
"Das tut mir Leid", sagte sie und meinte es zu ihrer eigenen Verwunderung sogar ernst. "Aber du kannst nicht länger in Elrohirs Körper bleiben. Wir werden schon eine Lösung finden."
Doch seinem traurigen Gesichtsausdruck konnte sie ansehen, dass er nicht daran glaubte.
"Ich danke dir für deine Hilfe", sagte er und ging dann an ihr vorbei aus der Tür. "Und sag diesem Elb, dass ich mich auch bei ihm bedanke, Es war ein sehr schönes Gefühl, wieder einen Körper zu haben."
Damit verschwand er aus ihrem Blickfeld, und sosehr sie sich auch sagte, dass es paradox war, irgendwie wünschte sie doch, ihm helfen zu können.
Rowenna lief ziellos durch den Palast. Es war ruhig, doch es war nicht mehr die bedrohliche Stille des gestrigen Tages, sondern ein entspanntes Schweigen. Es kündigte einen neuen Tag an, einen Tag, den es beinahe in dieser Form nicht mehr gegeben hätte. Rowenna versuchte, sich klarzumachen, was alles hätte passieren könne, doch dann ließ sie diesen Gedanken fallen. Sie wollte es eigentlich nur vergessen.
Schließlich erreichte sie die Küche, die nun wieder aufgeräumt war, als wäre nie etwas geschehen. Dort nahm sie sich ein Stück Brot, von dem sie sich immer wieder kleine Stückchen abbrach und in den Mund steckte. Durch den kleinen Hintereingang trat sie ins Freie, wo sie von hellen Sonnenstrahlen und dem vereinten Lied vieler Vögel begrüßt wurde. Wo die Sonne es noch nicht erreicht hatte, war das Gras noch feucht, doch die Blumen hatten ihre Blüten schon geöffnet und wandten sich der Sonnen entgegen. Rowenna musste mit einer Hand ihre Augen abschirmen, um nicht geblendet zu werden. Erst dann stellte sie überrascht fest, dass am Rand des Parks eine ihr abgewandte Gestalt stand. Als sie näher kam, erkannte sie die Silhouette Legolas'. Sie wusste, dass er sie kommen hörte, denn ihre Schritte knirschten auf dem Kies. Doch er drehte sich nicht um, sondern begrüßte sie nur mit einem 'Guten Morgen', als sie neben ihm stand.
"Was ist?", fragte Rowenna. Sein Gesicht wirkte verschlossen und seine Worte waren knapp und kühl gewesen.
"Nichts", entgegnete er ebenso knapp wie zuvor, doch als sein Blick auf ihren durchdringenden traf, seufzte er ergeben. "Es ist nur... es wäre so einfach gewesen, das hier alles zu verlieren. Ich weiß kaum noch etwas von dem, was gestern abend geschehen ist, aber ich weiß, dass es knapp war. Vielleicht kannst du mir mehr darüber erzählen."
Doch Rowenna wollte nicht darüber sprechen, zumindest jetzt noch nicht. Sie musste die ganze Zeit an die seltsame Verwandlung Saurons denken.
"Belassen wir es vorerst dabei, dass alles gut ausgegangen ist", meinte sie bestimmt und wich seinem fragenden Blick aus. So standen die beiden auch noch schweigend nebeneinander, als in ihrem Rücken der Palast wieder zum Leben erwachte.
Nûemyn stand auf und fühlte sich munter und ausgeruht. Nach dem Stress der letzten Tage war das für sie eine willkommene Abwechslung, denn obwohl sie kurze Zeit dienstfrei gehabt hatte, hatte sie sich ja trotzdem nicht ausruhen können. Ich musste ja schließlich noch eben mithelfen, Mittelerde vor einer erneuten Dunkelheit zu bewahren, dachte sie ironisch, als sie ihr Gesicht wusch und ihre blonden Haare zu einem Zopf flocht, den sie anschließend im Nacken zusammenlegte.
Ihre Erinnerungen waren wie die Legolas' recht beschränkt, doch für das Wesentlich reichte es noch. Sie erinnerte sich daran, dass sie mit Legolas und Rowenna in den Saal gekommen war, und dass sie plötzlich alleine in der Mitte gestanden hatten, doch danach war alles schwarz. Entschlossen schüttelte sie den Kopf und schnürte ihre Schuhe. Wenn sie weiter so verbissen darüber nachgrübelte, würde ihr das auch nicht weiterhelfen. Obwohl sie doch gerne gewusst hätte, wie sie in ihr Bett gekommen war... Schluss jetzt mit der Grübelei, ermahnte sie sich streng. Sieh lieber nach, wie es den anderen geht.
Also verließ sie ihr Kämmerchen und machte sich auf den Weg zu Rowennas Zimmer. Nachdem sie es jedoch verlassen vorfand, lief sie wieder die Treppen hinunter. Ihr Magen meldete sich mit einem durchdringenden Knurren, also machte sie einen kleinen Umweg durch die Küche, in der schon wieder einige Mägde und Köchinnen mit der Essensbereitung beschäftigt waren. Eine wollte ihr schon eine Gans zum Rupfen in die Hand drücken, doch Nûemyn hob abwehrend die Hände. "Bin nicht im Dienst", rief sie, nahm sich schnell ein Stück trockenes Brot und lief aus der kleinen Tür ins Freie. Sie wollte auf keinen Fall die Gefahr eingehen, doch noch eingespannt zu werden, vor allem, da noch nicht alle angetreten waren und ein Mangel an Arbeitskräften herrschte. Die schimpfende Stimme ienr Köchin verfolgte sie noch durch die geschlossene Tür, doch sie kümmerte sich nicht darum. Schon sah sie Rowenna und Legolas am Park stehen und ging von hinten auf sie zu.
Sie stellte sich einfach zwischen die beiden, und versuchte, ihre Blicke zu verfolgen. Doch wohin sie auch sah, überall waren nur Bäume oder Blumen.
"Was gibt es denn so Interessantes?", fragte sie, als es ihr zu langweilig wurde, immer nur in eine Richtung zu starren. "Wollt ihr nicht lieber ein Frühstück organisieren? Ich glaube, wenn ich da jetzt noch einmal reingehe, komme ich nicht mehr so glimpflich davon."
Legolas sah sie zuerst ein wenig seltsam an, erklärte sich dann aber bereit: "Ich gehe schon. Ich komme dann wieder hierhin, oder wo würden die Damen gerne essen?"
Rowenna blickte noch einmal um sich und entdeckte eine kleine Rasenfläche in ihrer Nähe. Sie lag in der Sonne und war deshalb schon vollständig getrocknet. "Wir können uns doch dorthin setzen", schlug sie vor. Die anderen nickten, und so ließen sich Nûemyn und sie schon dort nieder, während Legolas in der Küche verschwand.
Nach den ausgiebigen Frühstück fühlten sich die drei gleich wieder etwas besser. Legolas fühlte sich sogar so gut, dass er Nûemyn spontan das Du anbot. Diese wurde daraufhin ein wenig rot, nahm aber dankend an und machte ein paar Witze darüber. Rowenna sah dem nur zu, knabberte an einem Stück Käse und freute sich, dass sich ihre beiden besten Freunde endlich verstanden. Sie erinnerte sich nur zu gut an deren anfängliche Auseinandersetzungen und musste bei dem Gedanken daran grinsen.
"Was grinst du denn so?", kam auch schon sofort die Bemerkung von Nûemyn.
"Ach, nichts", wehrte Rowenna ab, doch das nahm Nûemyn nicht hin.
"Doch, sag schon. Du machst dich über uns lustig! Legolas, sie macht sich über uns lustig, sag doch auch mal was dazu!", beschwerte sie sich kichernd.
"Ist ja gar nicht wahr!", versuchte sich Rowenna zu verteidigen, scheiterte jedoch kläglich, denn nun schaltete sich auch Legolas ein.
"Ja, sie macht sich über uns lustig, ich sehe es ganz genau", meinte er und sah dann grinsend zu Nûemyn. "Was machen wir denn mit jemandem, der sich über uns lustig macht? Das können wir doch nicht ungestraft lassen!"
"Genau! Sie wird so leiden müssen, dass sie es nie mehr wagt..."
Und als hätten sich die beiden im Geheimen abgesprochen, stürzten sie sich gleichzeitig auf Rowenna und kitzelten sie. Die wusste erst gar nicht, wie ihr geschah, und konnte nicht einmal mehr ein Wort der Verteidigung hervorbringen, sosehr musste sie nach Luft schnappen. "Ihr... das... unfair..."
"Ja?", fragte Nûemyn scheinheilig. "Was denn?"
"Warum spricht sie denn so komisch?", wollte Legolas schmunzelnd wissen, und mit einem Mal wurde Rowenna etwas klar: Das einzige, das schlimmer war, als zwei sich streitende Freunde, das waren zwei sich nicht streitende Freunde!
