Weiter geht es mit dem zweiten Teil... wahrscheinlich nicht so, wie ihr es erwartet habt. Trotzdem viel Spaß.
Am nächsten Tag zog Harry in den ‚Tropfenden Kessel' um. Tom gab ihm ein Zimmer mit Aussicht auf Londons Straßenverkehr. Es war irgendwie die erste Verheißung, dass er bald frei sein würde.
Frei war Harry in der Zauberwelt nicht mehr. Als er am darauf folgenden Morgen zum Frühstück in den Schankraum gehen wollte, wurde er von einem Blitzlichtgewitter und Mikrofonen, die in seine Richtung gehalten wurden, überrascht. Wenn er nicht von Tonks und einem weiteren Auror eskortiert worden wäre, hätte ihn die Journalistenmeute verschlungen. So schaffte er die Flucht in sein Zimmer. Am liebsten hätte er es gar nicht mehr verlassen. Das Essen wurde ihm von einem verschüchterten Hauselfen, der den Blick ständig gesenkt hielt, gebracht. Er hatte wohl Angst vor dem mächtigen Zauberer. Das missfiel Harry noch viel mehr als die aufdringliche Presse.
Den Nachmittag verbrachte er damit, aus dem Fenster zu starren. Der Himmel war von einem fast schon magischen Blau und hin und wieder zogen ganz weit oben Flugzeuge über den Himmel. Harry versuchte, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, so eine Maschine zu fliegen. Es war wahrscheinlich nicht mit dem Flug auf dem Besen zu vergleichen. Doch vielleicht sollte er sich bei einer Fluggesellschaft als Pilot bewerben. Er hatte zwar genug Geld, um nie wieder arbeiten zu müssen, nichtsdestoweniger wusste Harry um die Gefahr, sich in den dunklen Erlebnissen seiner Vergangenheit zu verlieren. Besser arbeiten und vergessen, als ständig vor der Vergangenheit zu fliehen.
Doch bevor Harry Pläne für seine Zukunft schmieden konnte, musste er sich noch einmal der Zauberwelt stellen, um seine Geldangelegenheiten zu regeln. Das tat er am nächsten Morgen.
Mittlerweile wurde er von sechs Auroren begleitet. Und sie sorgten wirklich dafür, dass Harry nicht belästigt wurde. Weder von den Journalisten, noch von den ganzen Neugierigen, die vor dem Wirtshaus standen und einen Blick auf ihn erhaschen wollten. Einige wollten sogar ein Autogramm von ihm.
Erst als er bei Gringotts war, konnte Harry ein wenig Atem holen. Die Kobolde ließen nicht zu, dass ein Kunde behelligt wurde, und baten Harry in einen der hinteren Räume. Zum ersten Mal verzichtete er darauf, sein Verlies persönlich aufzusuchen. Seine frisch verheilten Wunden würden die rasante Fahrt dorthin garantiert nicht gut vertragen.
Er vertraute den Kobolden, dass sie keinen Sickel unterschlagen würden. Er schilderte ihnen sein Problem, dass er noch nicht wusste, wo und unter welchem Namen er ein Konto eröffnen würde. Der Kobold, der ihn betreute – ein alter kleiner Mann, mit einem langen grauen Bart, der ein bisschen an Dumbledore erinnerte – schlug vor, dass Harry diese Angelegenheit Gringotts überlassen sollte. Man würde ihn per Eule informieren, wenn alles geregelt wäre. Es würde zwar eine geringe Gebühr kosten, wäre aber viel praktischer.
Ohne groß nachzudenken, entschied Harry, dieses Angebot anzunehmen. Er unterschrieb ohne hinzusehen alle Formulare, die der Kobold ihm vorlegte.
Der Rückweg war wieder ein Spießrutenlauf. Es war zu einem regelrechten Menschenauflauf gekommen, weil anscheinend alle Zauberer Harry sehen wollten. Es dauerte fast zwei Stunden, bis sie den sicheren Hafen des ‚Tropfenden Kessels' erreicht hatten.
Ziemlich erschöpft erreichte Harry endlich sein Zimmer – durch eine Tür und zwei Auroren vor der Menschenmenge geschützt. Er fragte sich, warum es immer nur diese Extreme gab: Entweder verehrte man ihn, weil er gerade die Welt gerettet hatte, oder er wurde vom Ministerium und der Presse niedergemacht, weil er nicht angepasst war und zu viele Fragen stellte.
Harry wusste, dass es in der Muggelwelt nicht anders lief, aber da er dort keine Berühmtheit war und niemals eine werden wollte, musste es möglich sein, dort in Frieden zu leben.
Vielleicht würde er dann endlich einen Menschen finden, den er lieben konnte, ohne um dessen Leben zu fürchten.
Ein Blick aus dem Fenster zeigte Harry, dass die Sonne den Horizont berührte. Es war ein herrlicher Tag gewesen, den man besser nicht in einem Zimmer verbringen sollte. Und schon gar nicht, um sich von aufdringlichen Mitmenschen abzuschotten. Seufzend legte er seinen Kopf gegen die kühle Glasscheibe. Zur Ruhe kommen konnte er trotz seiner Erschöpfung nicht. Zu viele Gedanken, zu viele Wünsche, zu viele Hoffnungen. Eigentlich konnte der Wechsel in die normale Welt gar nicht funktionieren. Nicht bei dem Glück, das er immer hatte.
Ein Klopfen an der Tür riss Harry aus seinen Gedanken.
„Ja, bitte?"
Vielleicht war es ja Arthur, der Neuigkeiten brachte. Doch es war Tonks mit dem Abendessen. Eigentlich war das ja die Aufgabe des Hauselfen, doch Harry hatte darum gebeten, dass dieser nicht mehr in seiner Gegenwart erscheinen sollte. Harry wollte niemanden sehen, der sich vor ihm ängstigte.
Tonks stellte einfach nur das Tablett ab – erstaunlicherweise ohne zu stolpern oder etwas umzuwerfen - und verließ dann wieder den Raum. Seit Remus' Tod war sie sehr ruhig und in sich gekehrt.
Der Geruch verführte Harry, sich anzusehen, was der Hauself gezaubert hatte. Und nachdem er den ersten Bissen gekostet hatte, hörte er nicht eher auf, bis der Teller leer war. Das Beste war jedoch das Getränk. Eine eiskalte Cola. Ein Vorgeschmack auf seine Zukunft.
Den Rest des Abends verbrachte Harry lesend im Bett. Er hatte nicht nur die aktuelle Ausgabe des Tagespropheten von Tom bekommen, sondern auch die Times.
Den Propheten hatte Harry schnell durch. Selbst die Tatsache, dass man ihn für den Merlinorden nominiert hatte, ließ ihn kalt. Er würde nicht mehr da sein, um ihn in Empfang zu nehmen.
Viel mehr interessierten ihn die Nachrichten aus der Welt der Muggel. Doch die ersten Seiten waren nur voll vom mysteriösen Tod von Prinzessin Diana und ihrer Beerdigung. Ansonsten standen nur belanglose Sachen in der Zeitung. Es schien, dass sich selbst die Politiker zurückhielten, um die Trauer des Volkes nicht zu stören. Es war schon seltsam: Die magische Welt feierte einen Tod und die Muggel betrauerten einen. Frustriert legte Harry die Zeitung zur Seite und schloss die Augen.
Erstaunlich schnell schlief er ein.
Kurz darauf wachte er schreiend auf. Es dauerte einen Moment, bis Harry klar wurde, dass er in einem Bett lag. Viel zu realistisch waren die Bilder in seinem Kopf gewesen. Rons verzerrte Miene, als er vom ‚Crucio' getroffen wurde, Ginnys seltsam verrenkter Körper, den die Todesser einfach liegengelassen hatten, nachdem sie sie mit einem ‚Avada Kedavra' getötet hatten.
Resigniert griff Harry zum ‚Traumlosen Schlaf'-Trank. Er wusste, dass man davon süchtig werden konnte. Aber da er innerhalb kurzer Zeit keine Möglichkeit mehr haben würde, den Trank zu kaufen oder ihn selbst zu brauen – fast alle Zutaten gab es nur in der magischen Welt -, verschwendete er keinen weiteren Gedanken an diese Gefahr.
Den Rest der Nacht schlief er durch. Wirklich erholt fühlte er sich am nächsten Morgen allerdings nicht. Das war eine weitere Nebenwirkung des Trankes.
