-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
1. Gryffindor
Jedes Licht wirft einen Schatten.
Jedem Tag folgt eine Nacht.
Aber solange Tag und Nacht, Licht und Schatten sich die Waage halten,
lebt die Hoffnung in den Herzen der Menschen.
Das Schmiedefeuer erhellte die Hütte nur unzureichend. So heiß die Flammen auch sein mochten, so sehr der schmächtige Junge am Blasebalg sich auch abmühen mochte, um das Feuer zu schüren, die Schatten, welche die hinteren Bereiche des kleinen Bauwerks beherrschten, konnte es nicht vertreiben.
So, wie das Licht der weißen Magie niemals ausreichen würde, um das Dunkel der Schwarzen ganz zu bannen.
Der hochgewachsene, muskulöse Mann, dem der Schweiß in Strömen über den nackten Oberkörper rann, schwang mit einem verbissenen Lächeln den gewaltigen Schmiedehammer. Der Rhythmus seiner Schläge hatte sich in den vergangenen Minuten nicht ein einziges Mal verändert, während die Klinge, an der er arbeitete, langsam Gestalt annahm.
Es war kein gewöhnliches Schwert, das er da schmiedete. Es war nicht so lang und schon gar nicht so breit wie die Schwerter, welche die Ritter des Königs mit sich führten, die ihm in den Krieg gegen die Sarazenen gefolgt waren, um das Wort ihres Gottes unter den Heiden zu verbreiten.
‚Und natürlich zu rauben und zu morden, zu vergewaltigen und zu plündern', dachte er grimmig.
Englands Adel hatte in den letzten Jahrzehnten weit mehr Nachwuchs produziert, als seine Burgen aufnehmen konnten. Die ältesten Söhne, sofern sie ihre Kindheit überlebten, waren fein raus. Sie erbten die Pfründe der Familie, den Landbesitz, die Schätze. Die Töchter wurden gewinn- und nutzbringend verheiratet und waren entsprechend versorgt. Aber die jüngeren Söhne – die, denen keine glänzende, sorgenfreie Zukunft bevorstand – mussten sich dem Problem stellen, wie sie ihren Lebensunterhalt zukünftig bestreiten konnten. Was bot sich in dieser Situation mehr an, als dem Ruf des Königs zu folgen und im Heiligen Land gegen die Sarazenen zu kämpfen und dabei soviel Gold und andere Schätze zu erbeuten, wie sie zusammenraffen konnten.
Egal, was oder besser gesagt wen sie dafür aus dem Weg räumen mussten.
Das Problem bestand schlicht darin, dass auch die magischen Familien Englands vom raschen Verfall der allgemeinen ritterlichen Werte betroffen waren. Immer mehr Zauberer bekannten sich in der letzten Zeit ganz offen zur schwarzen Magie, nutzten gewissenlos ihre besonderen Kräfte, um sich selbst so viele Vorteile wie nur möglich zu verschaffen. Das hatte zur Folge, dass die magische Gesellschaft nicht mehr nur im Verborgenen wirkte. Und das wiederum bewirkte, dass in ganz England die Feuer loderten, in denen Hexen und Zauberer – und solche, vor allem solche, die man fälschlicherweise dafür hielt – verbrannt wurden.
Die Schwarzmagier, die für dieses sinnlose Blutvergießen verantwortlich waren, kümmerte das allerdings wenig. Sie hatte nur ihre eigenen Ziele vor Augen. Und, was ihn besonders schmerzte, einer seiner besten Freunde, ein Mann, dem er noch vor nicht allzu langer Zeit sein Leben und das seiner Familie anvertraut hätte, war einer von ihnen.
Was würde nun aus ihrer Schule werden, fragte sich Godric Gryffindor, während er das halbfertige Schwert in einen Kübel mit kaltem Wasser stieß, um das heiße Metall abzukühlen. Was würde aus ihren gemeinsamen Zielen werden, wenn Salazar nicht wieder zur Vernunft kam? Konnte er wirklich zulassen, dass in seinem geliebten Hogwarts die Schüler im Sinne der schwarzen Magie erzogen wurden?
Die Schule für Hexerei und Zauberei war Godrics wichtigstes Anliegen. In unruhigen Zeiten wie diesen war es besonders wichtig, dass die Kinder der magischen Familien und natürlich auch jene magisch begabten Kinder, deren Eltern Muggel waren, eine fundierte Ausbildung und einen hohen moralischen Wertestandard vermittelt bekamen. Das mit der Ausbildung war kein Problem. Da Salazar sich standhaft weigerte, die muggelgeborenen Kinder in seinem Haus aufzunehmen, wurden sie auf die drei anderen Häuser von Hogwarts aufgeteilt: Ravenclaw, Hufflepuff und Gryffindor. Nein, die Ausbildung in Sachen Zauberei war wirklich nicht das Problem.
Das Problem bestand in den moralischen Werten, die den Kindern in der Schule vermittelt werden sollten. Besonders seit Salazar Slytherin angefangen hatte, bei den Schülern seines Hauses die Reinblütigkeit zu propagieren und alle Halbblüter und Muggelgeborenen für unwürdig erklärt hatte, in einer so angesehenen Zaubererschule wie Hogwarts unterrichtet zu werden. Die Differenzen zwischen den vier Gründern der Schule waren immer größer, immer unüberwindbarer geworden. Bis zu dem Tag im letzten Winter, als der Streit zwischen ihnen eskaliert war und Slytherin das Schloss für immer verlassen hatte.
Godric schob die erkaltete Klinge erneut in die Flammen des Schmiedefeuers, während er an seine letzte Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Freund dachte. Und an dessen Drohung beim Abschied.
„Egal wie lange es dauern mag, Godric, egal was ich dafür tun muss, irgendwann werde ich diese Schule, werde ich ganz England von diesem halb- und schlammblütigen Gesindel befreien. Und wenn es mir nicht gelingt, dann wird es eben einer meiner Erben tun. Ihr solltet euch in Acht nehmen, du, Helga und Rowena. Was ihr hier tut, ist Verrat an unserem Blut. Und Blutsverräter werden nicht ungestraft davonkommen!"
Schwarze Magie, die auf Weiße prallte.
So wie der Schmiedehammer auf die noch unfertige Klinge.
Und während Godric Gryffindor die Klinge schmiedete, die vielleicht dereinst die dunklen und die hellen Magien wieder miteinander vereinigen würde, die vielleicht dereinst Salazar oder den Erben, von dem er gesprochen hatte, vernichten würde, murmelte er unablässig beschwörende Worte in die heißen lodernden Flammen. Und auf der Klinge erschien eine Inschrift in glühenden Lettern:
„Schwarz und Weiß, vereint im Blut,
entfesseln Macht in ihrer Glut."
Wieder traf der Schmiedehammer auf das heiße, formbare Metall, loderten die Flammen auf. Gryffindor sprach eine weitere Beschwörung, weitere Schriftzeichen leuchteten auf.
„An einem Ort, umkränzt von Stein,
soll heller Tag verdunkelt sein."
Die Schläge des Hammers folgten jetzt schneller aufeinander, der Rhythmus wurde drängender, als die Schutzzauber, die der Schmied sprach, ihren Höhepunkt erreichten. Immer heller flammten die Schriftzeichen auf der Klinge auf
„Wenn Hass in Liebe sich verwandelt,
der gierige Neider heldenhaft handelt,
bin ich in der Zeit nicht länger verloren,
hab meinen Träger ich mir erkoren.
In seiner Hand in jenen Tagen
werde ich Hass und Zwietracht zerschlagen."
Der schwere Schmiedehammer hatte seine Arbeit verrichtet und der Junge, der bisher wortlos die Glut geschürt und ohne Klage den Blasebalg bedient hatte, sank erschöpft zu Boden. Schweiß troff von seinem mageren Körper, ließ sein weißblondes Haar dunkler erscheinen. Aber seine hellen, blauen Augen folgten seinem Meister durch den Raum, als dieser zwei in Stoff eingeschlagene Pakete aus einer Truhe nahm.
Godric wickelte das kleinere Paket aus und zum Vorschein kam ein reich verzierter Schwertgriff, in Rot und Gold gehalten und mit dem Wappen der Gryffindors – dem Löwen – versehen. Ein großer Rubin funkelte mit den goldenen Einlegearbeiten um die Wette.
Es dauerte nicht lange, und die noch heiße Klinge war in das kunstvolle Heft eingepasst.
Dann schlug Gryffindor die Stoffbahnen des zweiten Paketes zurück, und legte ein weiteres Schwert frei. Nachdem die Klingen nebeneinander auf dem grob behauenen Holztisch lagen, musterte er sie prüfend – es war kein Unterschied zu erkennen, bis auf die glühenden Schriftzüge auf der neueren Klinge, die aber immer mehr verblassten, je kühler das Metall wurde.
Nach einem langen Moment schlug er das ältere Schwert wieder ein und legte es in die Truhe zurück. Es war vollbracht. Er hatte das Seine getan. Was jetzt folgen musste, lag nicht mehr in seiner Verantwortung.
„Bring das Schwert in euren Weiler, White!", wies er den Jungen an. „Die Druiden wissen, was sie damit zu tun haben. Richte ihnen meine ergebensten Grüße aus und meine Versicherung, dass ich ihren Wünschen auf das Genaueste entsprochen habe."
Der Junge nickte und sah zu, wie sein Meister die neu geschmiedete Waffe zuerst zum Erkalten in den Bottich hielt und sie dann in einige Stoffbahnen einschlug und verschnürte. Dann nahm er sie in Empfang, verbeugte sich respektvoll und huschte zur Tür hinaus.
Gryffindor sah ihm nicht nach. Er wusste, dass er sich auf White verlassen konnte, wie auf sich selbst. Der Junge würde ihn niemals hintergehen, ihn niemals enttäuschen. Er war ihm, seinem Meister, so ergeben, wie sein Bruder – Black – Salazar Slytherin ergeben war. Und das, dachte Godric Gryffindor, war vermutlich das deutlichste Zeichen dafür, was mit dieser Welt passierte. Bruder wandte sich gegen Bruder, Freund gegen Freund. Der Riss zog sich bereits wie eine tiefe Kluft mitten durch die magische Gesellschaft Englands. Und das war nur der Anfang.
Mit müden Bewegungen räumte er sein Werkzeug fort und löschte das Schmiedefeuer. Die Dunkelheit, die sich daraufhin über die Hütte senkte, ließ ihn unwillkürlich erschauern.
Es gab kein Licht ohne Schatten. Aber wenn die Finsternis sich über die Welt senkte, fürchtete er, würde es bald sehr wohl Schatten ohne Licht geben.
Und mit dem Licht starb die Hoffnung.
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Alle, die mich bereits kennen, wissen, dass ich absolut reviewsüchtig bin und die besten Ideen habe, wenn man das kleine lila Knöpfchen fleißig streichelt. Also tut mir den Gefallen, ja? °ganz lieb guckt° Bitte, bitte, bitte! Schwarzlesen ist doch so was von out...
