Am nächsten Tag kam es ihr vor, wie ein Traum. Doch als sie in den Spiegel sah, wusste sie, dass es kein Traum war. Ihr rechtes Auge war zugeschwollen und schimmerte in allen Farben. Auch ihre Lippe war dick angeschwollen, und außerdem tat ihr das ganze Gesicht weh.

Sie sah, dass ihre Bluse kaputt war und wollte nur noch raus aus den Klamotten. Sie ging unter die Dusche und blieb dort für eine halbe Stunde.

Was sollte sie nur tun? Sie hatte den Typen erkannt; er war auch auf Colins Party gewesen.

Sie musste es jemandem sagen.

Wäre sie noch mit Ryan zusammen, hätte er sie beschützt. Aber er hatte Lindsay und außerdem sprach er nicht mit ihr. Sie hatte ja sein Leben kaputt gemacht.

Sie konnte es ihm nicht sagen.

Tränen liefen ihr über die Wangen.

Sie zog sich an und setzte eine Sonnenbrille auf, die groß genug war, um das blaue Auge zu verdecken.

Marissa beschloss zu Colin zu gehen, und es ihm zu sagen. Schließlich war er ihr Freund; er würde schon etwas unternehmen.

Sie ging leise die Treppen hinunter. Die stimmen von Julie und Caleb drangen aus der Küche zu ihr.

Marissa schloss leise die Eingangstür hinter sich und fuhr Richtung Strand, in der Hoffnung Colin dort anzutreffen. Denn sie wusste nicht mal, wo er eigentlich wohnte.

Sie hatte Glück. Schon von weitem sah sie ihn. Er räumte die Überreste der Party zusammen.

Er sah sie herfahren und winkte ihr zu. Als sie bei ihm ankam umarmte sie ihn ganz fest.

„Hey, was ist denn los?" fragte er und drückte sie ein bisschen weg, um sie anzuschauen.

Marissa schluchzte laut.

Colin streichelte ihr den Rücken.

„Erzähl schon", forderte er sie mit sanfter Stimme auf.

Marissa schluckte und fing an zu erzählen. Colin hörte ihr zu und als sie geendet hatte, trat er einen Schritt zurück. Er schaute sie finster an.

„Du beschuldigst einen meinen Freund, dass er dich vergewaltigen wollte!" sagte er mit wütender Stimme.

Marissa erschrak, das war nicht die Reaktion, die sie erwartet hatte.

„Ich hab dich gesucht, gestern. Ich dachte du seiest gegangen. Und plötzlich kam Marc zu mir und erzählte, dass du ihn angemacht hättest. Ich hab ihm nicht geglaubt, aber nachdem du mir nun so eine total verrückte Geschichte vorlügst, muss ich ihm wohl glauben!"

„Nein, das ist nicht wahr! Ich habe ihn nicht angemacht. Er wollte mich vergewaltigen! Woher sollte ich denn sonst dieses blaue Auge herhaben?" Marissa trat einen Schritt zurück. Sie konnte das alles gar nicht glauben.

„Du hast mich betrogen, kaum ließ ich dich mal eine Weile allein! Du Schlampe! Und jetzt willst du meinem Kumpel so eine Geschichte anhängen! Hau bloß ab, hier!"

Marissa lief rückwärts. Das musste ein Traum sein. Colin war ihr Freund, er musste zu ihr halten, sie beschützen.

„Verschwinde!" rief er laut.

Sie rannte wieder zu ihrem Auto, von Schluchzern geschüttelt.

Daheim angekommen schloss sie sich in ihrem Zimmer ein und weinte.

Am Montag war ihre Lippe schon wieder etwas abgeschwollen, aber ihr Auge hatte nun eine dunkel lila Färbung.

Sie schwänzte die Schule und verkroch sich auf die Terrasse.

Caleb war im Büro und Julie recherchierte für ihre Zeitschrift, also war sie allein zu Hause.

Mehrmals versuchte Summer sie zu erreichen, aber sie nahm nicht ab.

Mittags klingelte es an der Tür. Sie konnte nicht aufstehen.

Dann hörte sie ihren Namen.

„Marissa?"

Es war Summer, die um das Haus gelaufen kam.

„Mensch, Coop, was ist denn los? Du kommst nicht in die Schule, gehst nicht an dein Handy und die Türe machst du auch nicht auf", schimpfte sie.

„Hast du wieder einen Kater? Naja, vielleicht geschieht dir das ganz Recht. Kannst du nicht mal die Finger von dem Zeugs lassen. Ich hab mir gestern echt Sorgen um dich gemacht. Du übertreibst maßlos…"

Summer hörte auf zu reden, als sie sah, dass Marissa weinte.

„Hey, Kleines. Das hab ich doch nicht so gemeint. Es tut mir leid, aber ich mach mir eben Sorgen." Sie nahm Marissa in den Arm.

Da verlor Marissa endgültig die Fassung und schluchzte heftig. Sie zitterte am ganzen Körper.

Summer wusste gar nicht was los war, aber streichelte ihr beruhigend über den Rücken.

Nach ein paar Minuten hörte Marissa langsam auf zu weinen. Sie griff nach einem Taschentuch und putzt sich die Nase.

Summer wartete ab, sah ihre Freundin aber besorgt an.

„Möchtest du mir jetzt erzählen, was los ist?" fragte sie und nahm Marissas Hand.

Marissa schüttelte den Kopf:" Ich kann nicht."

Summer verstand nicht ganz:" Doch Marissa. Du kannst mir alles erzählen. Dafür sind wir doch beste Freundinnen."

Marissa schluckte schwer, dann nahm sie die Sonnenbrille ab.

Summer stieß einen unterdrückten Schrei aus.

„Coop, was ist passiert?"

Marissa fing an zu erzählen. Zwischendurch musste sie so heftig weinen, dass Summer sie in den Arm nahm und ganz fest drückte.

Als Marissa fertig war wusste Summer nicht, was sie sagen sollte.

„Coop, du musst zur Polizei!"

„Und wer wird mir da glauben? Summer, ich habe so viel Alkohol getrunken, dass ich total unglaubwürdig bin. Und leider können das einige bestätigen, dass ich sehr betrunken war. Ich möchte nicht so viel Aufheben darum machen."

„Aber Coop, …"

„Nein Summer, es ist das Beste so. Es ist meine Entscheidung. Ich möchte es so."

Summer nickte traurig.

„Und ich möchte dich noch um etwas bitten. Sag es nicht Ryan."

Summer schaute sie fragend an.

„Er ist jetzt mit Lindsay zusammen, und ich habe begriffen, dass ich in seinem Leben keinen Platz habe. Meine Probleme interessieren ihn nicht und brauchen ihn auch nicht mehr zu interessieren. Außerdem möchte ich ihn nicht da mit reinziehen."

Summer stiegen Tränen in die Augen, aber sie versprach ihm nicht s zu sagen.

Später verließ Summer schweren Herzens das Haus. Da kam ihr Seth entgegen.

Auch das noch. Der hat mir gerade noch gefehlt.

„Hy Summer. Warst du gerade bei Marissa? Weißt du, ob mein Grandpa da ist?"

Sie verneinte und wollte schon ins Auto steigen, aber Seth hielt sie zurück.

„Ist was?"

„Nein, es ist nichts, Seth!" schrie Summer.

Doch nun wusste Seth, das etwas los war. Bevor sie den Wagen starten konnte, rannte er um das Auto herum und stieg auf die Beifahrerseite.

„Seth, lass mich einfach alleine", sagte sie entnervt.

„Nein, es ist etwas und ich möchte wissen, was passiert ist. Du bist so blass."

Summe liefen die Tränen über das Gesicht. Seth bekam ein schlechtes Gewissen; er dachte, dass er etwas falsch gemacht hätte.

Er wollte schon wieder aussteigen, als sie leise sagte:" Es ist wegen Marissa."

Seth rückte wieder auf den Sitz und schloss die Tür.

Summer erzählte, was Marissa ihr gerade erzählt hatte.

„Oh mein Gott, das ist ja schrecklich! Und dieser Colin. Ich wusste, dass er ein Arsch ist!"

Seth war sichtlich geschockt.

„Ich musste Marissa versprechen, es nicht Ryan zu sagen. Und dieses Versprechen musst du mir auch geben."

„Summer, ich weiß nicht…"

„Seth, bitte. Sie möchte nicht, dass er davon erfährt. Sie sagt, dass sie keinen Platz mehr in seinem Leben habe."

Seth schaute sie traurig an, nickte nur und sagte, dass er es versprechen werde.

Daheim wusste Seth nicht, wie er sich Ryan gegenüber verhalten sollte.

Doch Kirsten sagte, dass Ryan bei Lindsay wäre. Seth war erleichtert, so wurde das Treffen noch etwas hinausgezögert und er konnte erstmal alles verarbeiten.

In seinem Zimmer dachte Seth nach.

Er konnte Marissa verstehen, dass sie nicht wollte, dass Ryan davon erfuhr. Sie wollte sich nicht zwischen Lindsay drängen. Sie wollte Ryans Glück, denn sie sah, dass er mit Lindsay glücklich war.

Doch Seth wusste auch, dass wenn Ryan davon erfahren würde, er diesen Typen umbringen würde.

Gut gelaunt kam Ryan von Lindsay zurück. Überrascht blickte er ins Wohnzimmer. Kirsten und Sandy saßen vor dem Fernseher.

„Oh, hy Ryan. Wieder zurück von Lindsay?" fragte Kirsten, als sie ihn bemerkte.

„Hmh. Ist Seth nicht da?"

„Doch, er ist oben in seinem Zimmer. Seit er heute gekommen ist, hat er sich nicht mehr blicken lassen."

Ryan ging hinauf und klopfte an Seths Tür.

„Ich schlafe!" kam es von drinnen.

Ryan machte die Tür auf:" Das glaub ich dir nicht!"

Seth lag auf seinem Bett und hatte Captain Oats neben sich liegen.

„Hast du Kummer?" fragte Ryan und setzte sich auf einen Stuhl.

„Nein. Wie war es bei Lindsay?" wich Seth ihm aus.

„Schön. Wir haben zu Abend gegessen und dann einen DVD angeschaut."

„Cool", war das Einzige was Seth antwortete. „Sorry, aber ich möchte jetzt schlafen. Bin irgendwie fertig."

„Okay, Gute Nacht."

Ryan ging nachdenklich ins Poolhaus rüber. Dort klingelte sogleich das Telefon. Es war Lindsay; sie wollte ihm eine „Gute Nacht" wünschen. Sie plauderten noch eine Weile und darüber vergaß er, dass Seth sich so komisch verhalten hatte.