Währenddessen in New York.
Marissa kannte sich in ihrer neuen Schule noch nicht so gut aus. Sie musste manchmal noch andere Schüler fragen, wo denn welcher Raum lag.
Die Schule war schön. Es war auch eine Privatschule, wie die Harbor. Da sie eine Neue war, behandelte man sie noch als Außenseiterin, aber das war ihr ja nicht neu. Auch hier waren die Kids nicht anders als in Newport.
Newport. Schon allein der Name machte sie traurig. Sie hatte fürchterliches Heimweh.
Kirsten hatte für sie eine kleine Wohnung besorgt; sie kannte eine Maklerin hier. Doch ohne Freunde war es sehr einsam. Sie vermisste Summer; was sollte sie nur ohne ihre Freundin tun?
An Ryan konnte sie nicht denken, denn es tat einfach zu weh. Vielleicht war ihre Entscheidung falsch gewesen, aber sie hatte einfach das Gefühl, dass sie und er nicht zusammen gehörten. Außerdem wollte sie nicht Lindsay den Weg versperren. Sie war ja diejenige, die immer die Probleme anzog. Jetzt waren die Probleme gelöst.
Weiter konnte sie gar nicht denken, denn da klingelte es auch schon wieder. Die Mittagspause war vorbei. Sie packte ihre Sachen zusammen und ging in Richtung Biologie-Raum.
Sie war die Erste; hatte also freie Platzwahl. Gerade als sie sich setzen wollte, kam noch jemand ins Zimmer. Das Mädchen hatte sie heute Morgen das erste Mal gesehen. Die langen blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden; mit diesen kurzen engen Jeans, die in die braunen Stiefel reingesteckt waren, sah sie ziemlich gut aus.
Auch sie blickte etwas unsicher drein. Marissa packte die Gelegenheit beim Schopf:" Hallo."
„Hallo." Das Mädchen schaute sie freundlich an. „Ist bei dir noch frei?"
„Ja, klar."
Erleichtert setzte sie sich neben Marissa.
„Ich bin Charlotte. Aber die meisten nennen mich Charly."
„Ich heiße Marissa. Bist du auch neu hier?"
Charly nickte:" Ja, und du wohl auch."
Auch Marrissa nickte lächelnd.
„Dann sind wir schon zu zweit."
So langsam füllte sich das Klassenzimmer.
„Von woher kommst du?" fragte Charly.
„Aus Kalifornien. Newport."
„Dachte ich mir. Euch Kalifornier erkennt man gleich. Braungebrannt."
Marissa lachte. „Wieso ihr Kalifornier? Von wo kommst du?"
„Ich wohne schon eine Weile in New York, aber bin auf eine andere Schule gegangen. Jetzt gabs da einige Streitereien, also haben mich meine Eltern hierher geschickt."
Das Mädchen war Marissa sympathisch.
Dann kam Mr. Kings, der Biologielehrer, ins Zimmer und der Unterricht begann.
Nach der Stunde, als Marissa ihre Sachen wieder einpackte, fragte Charly:" Wenn du nicht von hier kommt, dann kennst du dich ja gar nicht aus, oder?"
„Nein, nicht wirklich."
„Vielleicht hast du ja mal Lust; ich würde dir New York zeigen. Bloß heute geht es nicht, da ich noch Training habe."
„Klar hätte ich Lust. Und was für Training hast du?"
Gemeinsam liefen sie den Flur runter.
„Ich spiele Volleyball. Hab ich in meiner alten Schule auch schon gemacht, und das war das Erste, zu dem ich mich hier angemeldet habe."
„Okay, dann sehen wir uns ja morgen."
Die beiden verabschiedeten sich.
Marissa fuhr in ihre Wohnung.
Sie war nicht groß, aber gerade groß genug für Marissa. Eigentlich würde sie sich hier schon wohl fühlen, aber es war nicht ihr Zuhause. Ihr Zuhause lag auf der anderen Seite des Landes.
Nein, es durfte nicht schon wieder eine melancholische Stimmung aufkommen! Schließlich hatte sie heute Charly kennen gelernt. Und sie schien wirklich nett zu sein.
Ihre Wohnung hatte auch einen kleinen Balkon. Hier draußen saß Marissa am liebsten, denn sie konnte das Meer weit hinten erahnen. Auch das Meer fehlte ihr. Diesen Ausblick, den sie jeden Morgen hatte, wenn sie aufgestanden war.
Gerade als sie die Tür aufmachen wollte, sah sie, dass das Licht an ihrem Anrufbeantworter blinkte. Nanu, wer hatte denn da angerufen?
Sie drückte auf die Taste, um das Band abspielen zu lassen.
Die erste Nachricht war von Summer. Sie sagte nur, dass sie später nochmal anrufen würde. Marissa lächelte traurig. Summer und sie telefonierten jeden Tag.
Der nächste Anrufer war ihr Dad. Er hatte vergessen, dass in New York ja nicht die gleiche Uhrzeit herrschte, wie in Haiti.
Dann ein Piep und die letzte Nachricht lief ab. Marissa erwartete schon die Stimme ihrer Mutter, aber es kam gar nichts. Sie stutzte und ging näher an den Anrufbeantworter ran.
Es war jemand am Telefon, denn ansonsten hätte das Band gestoppt, wenn niemand drauf gesprochen hätte.
Sie hörte ein Schnaufen. Plötzlich riss sie die Augen auf. Ryan!
Ihr Herz klopfte. Marissa war sich sicher, dass er es war. Sie hob ihr Ohr direkt an den Lautsprecher hin. Ein ganz leises schnelles Atmen war zu hören. Sie schloss die Augen.
Er war es! Sie konnte es spüren.
Dann machte es plötzlich laut „piep"; die Nachricht war zu Ende. Marissa erschrak von dem lauten Ton.
Er hatte sie angerufen!
Sie hörte die Nachricht noch fünf Mal ab und lauschte dem Atmen von Ryan. Dann schnappte sie sich das Telefon und wählte Summers Nummer.
Sie fragte ihre Freundin, ob diese Ryan ihre Nummer gegeben hätte.
Summer entschuldigte sich und sagte, dass er ihr so leid getan hätte. Er würde so schrecklich aussehen.
Doch Marissa unterbrach sie; sie wollte nicht von Ryan reden. Summer gab nach und hörte zu, wie Marissa von Charly erzählte.
Später setzte sie sich auf ihren Balkon und schwelgte in Erinnerungen.
