In Newport hatte auch für Ryan wieder die Schule begonnen. Er merkte, dass ihm die Ablenkung gut tat, auch wenn er ständig an Marissa denken musste. Und Seth tat alles um ihn aufzuheitern.

Daheim saßen beide an ihren Hausaufgaben; Sandy und Kirsten saßen im Wohnzimmer und schauten fern.

Das Telefon klingelte. Keiner rührte sich vom Fleck; Seth schaute Ryan an:" Das Telefon liegt näher bei dir."

Ryan verdrehte die Augen, nahm aber ab.

„Hallo?"

Keine Antwort.

„Hallo?"

Immer noch Stille.

Seth sah zu ihm auf und Ryan zuckte die Schultern.

„Hallooo?"

Plötzlich ein unterdrücktes Schluchzen; ganz leise.

„Marissa?"

„Marissa, bist du das?" Ryan klang verzweifelt.

Seth beobachtete ihn.

Ryan schluckte und sagte mit leiser Stimme:" Marissa, sag doch was. Ich weiß, dass du es bist."

Doch dann hörte er, wie aufgelegt wurde und es war nur noch ein Tuten zu hören.

Für einige Sekunden starrte er das Telefon an, dann stand er auf, so dass der Stuhl rückwärts auf den Boden flog und stürmte raus ins Poolhaus.

Sandy kam von dem Lärm angelockt, in die Küche.

„Was ist denn hier los?" fragte er, als er sah, dass Seth den Suhl wieder aufhob. „Wo ist Ryan?"

„Er ist im Poolhaus. Ich glaube, Marissa hat gerade angerufen."

„Marissa? Was hat sie gesagt?"

„Sie hat nichts gesagt."

Sandy nickte mitfühlend und schaute Richtung Poolhaus, wo Ryan sich auf das Bett geschmissen hatte.

Wieso antwortete sie ihm nicht? Er wusste, dass sie angerufen hatte. Sie hatte geweint.

Aber warum redete sie nicht mit ihm?

Marissa saß auf der Couch, neben ihr das Telefon. Sie starrte auf die gegenüberliegende Wand.

Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Ihn anzurufen. Und er war auch noch ans Telefon gegangen. Er hatte gleich gewusst, dass sie es war, die anrief. Wie als wären sie irgendwie miteinander verbunden.

Marissa wollte die Tränen hinunterschlucken, aber sie kam nicht dagegen an.

Ich muss mich ablenken, ansonsten werde ich noch verrückt; dachte sie und wischte wütend ihre Tränen weg. Sie würde ihre restlichen Kisten auspacken, die noch ungeöffnet in einer Ecke standen.

Mit einer Schere schnitt sie das Klebeband von der obersten Kiste auf. Im Inneren lagen Sachen, dick in Zeitung eingewickelt. Marissa hatte keine Ahnung was da alles zum Vorschein kommen würde, denn Summer hatte ihr beim Packen geholfen. Besser gesagt, ihre Freundin hatte das meiste gemacht, denn es war alles auf einmal so schnell gegangen.

Sie machte sich daran das erste Päckchen aufzuwickeln. Ein Bild kam zum Vorschein; sie und Summer waren darauf zu sehen. Das Bild war letztes Jahr an Weihnachten gemacht worden, sie hatten beide Nikolausmützen auf. Marissa erinnerte sich noch an dieses Weihnachtsfest. Es erschien ihr, als wäre es erst gestern gewesen.

Das Bild stellte sie auf die Kommode gegenüber von ihrer Couch.

Dann holte sie das nächste eingewickelte Päckchen heraus. In diesen Karton hatte Summer wohl alle Bilder eingepackt.

Als sie das Papier entfernt hatte, drehte sie es um. Marissa hielt die Luft an; es war ein Bild von ihr und Ryan. Es war auf dem Debütantinnenball entstanden. Sie in ihrem weißen Kleid und Ryan in seinem Smoking; sie sahen gut aus.

Marissa stellte es auf die Kommode.

Während sie die nächsten Bilder auspackte, liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Auf den meisten waren sie und Ryan zu sehen. Eines da küssten sie sich; auf dem anderen lagen beide am Strand und Ryan kitzelte sie; dann gab es eines, das hatte Summer heimlich gemacht, aber es war ihr Lieblingsbild. Ryan hatte sie zum Tanzen aufgefordert; sie standen ziemlich nahe gegenüber und sahen sich tief in die Augen. Genau in dem Augenblick hatte Summer das Foto geschossen.

Auf dem nächsten waren sie alle vier zu sehen; es war in Seths Zimmer. Sie hatten es mit dem Selbstauslöser gemacht. Seth war gerade noch auf das Bett gesprungen, als es geblitzt hatte.

Damals waren sie alle noch glücklich gewesen. Es war vor der Zeit gewesen, als Ryan mit Theresa abgehauen war. Als alles noch friedlich war.

Als Marissa später die ganzen Bilder auf der Kommode ansah, wusste sie warum sie Ryan angerufen hatte. Sie musste es sich einfach eingestehen; sie vermisste ihn. Es gab nur einen Gedanken; und der war Ryan. Aber sie wollte nicht sein Glück zerstören und deswegen musste sie mit diesem Schmerz leben. Sie würde es schaffen. Schließlich war sie jetzt hier in New York. Weit weg von Newport; weit weg von all ihren Freunden und dem wichtigsten Menschen in ihrem Leben.