Als Ryan in New York landete, war er ziemlich kaputt, denn es war sein erster Flug. Da er kein Gepäck dabei hatte, ging es schnell, bis er draußen stand und einem Taxi winkte.

Seth hatte von Summer die Adresse von Marissas Highschool herausgefunden; die nannte er nun dem Taxifahrer.

Auf der Fahrt wusste Ryan gar nicht, wo er zuerst hinschauen sollte. Newport war doch etwas ganz anderes, als diese Großstadt.

Nach einer halben Stunde hielt der Fahrer an. Ryan bezahlte, stieg aus und stand vor einem roten Backsteingebäude.

Es musste noch Unterricht sein; Ryan sah auf die Uhr: es war kurz vor elf.

Was sollte er jetzt tun? Er wusste ja nicht, wann Marissa aus hatte. Etwas hilflos sah er sich um. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein Diner. Dort ging er rein und bestellte sich einen Kaffee. Dann würde er eben warten; irgendwann musste sie ja aus diesem Gebäude kommen.

Ryan kaufte sich eine Zeitung und fing an sie zu lesen.

Um viertel nach zwölf strömten schon die ersten Schüler aus der Schule. Ryan saß am Fenster, so dass er alles genau beobachten konnte. Irgendwie wollte er nicht raus und dort warten bis sie auch aus der Schule kommen würde.

Es vergingen zehn Minuten, aber von Marissa war noch nichts zu sehen. Ryan zweifelte schon, ob er überhaupt an der richtigen Adresse war, als er sie sah. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, aber er erkannte sie gleich. Sie hielt die Eingangstür mit der einen Hand auf und in der anderen hatte sie einen Stapel Bücher. Dann kam ein blondes Mädchen heraus und die beiden liefen lachend die Treppen hinunter. Ryan stand auf; bezahlt hatte er schon.

Marissa und das Mädchen liefen über den Park; er stand auf der anderen Seite vor der Eingangstür des Diners und beobachtete die beiden. Langsam lief er los; ihnen hinterher.

Er wollte schon rufen, als plötzlich ein Junge hinter den Mädchen her rannte. Bei Marissa angekommen, hob er ihr von hinten die Augen zu. Ryan blieb stehen und beobachtete die Szene.

Marissa drehte sich lachend um, und als sie sah, wer da vor ihr stand, umarmte sie den Jungen herzlich. Dieser gab ihr einen Kuss, auf den Mund, wie Ryan von der Entfernung feststellen konnte.

Dann legte er seinen Arm um ihre Schultern und sie ihren um seine Hüften. So gingen sie weiter.

Ryan war wie erstarrt. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Er konnte ihr nicht hinterherlaufen; es brach ihm das Herz sie mit einem anderen zu sehen.

Wie hatte er nur denken können, dass sie ihn vermisste? Schließlich war sie wegen ihm aus Newport weggegangen.

Aber vielleicht war es besser so. Sie erschien ihm glücklich. Warum sollte er jetzt reinplatzen und alles wieder kaputt machen?

Sie sollten wohl einfach nicht zusammen sein. Schweren Herzens drehte er um und winkte ein Taxi zu sich heran. Er würde auf den Flughafen fahren und dort warten, bis er wieder zurückfliegen konnte. Er musste sie vergessen, denn das hatte sie wohl auch getan.

Gerade als er ins Taxi einsteigen wollte, drehte sich Marissa zufällig noch mal um. Sie sah nur noch seinen Schopf. Abrupt blieb sie stehen und runzelte die Stirn.

Das konnte nicht möglich sein, oder doch? Sie sah in Richtung Taxi, konnte aber nicht erkennen, wer dort drin saß. Charly und Dean sahen sich an und zuckten mit den Schultern, als Marissa wieder ein Stück zurück lief.

Sie hoffte, dass das Taxi vorbei fahren würde, aber es wendete und fuhr weg.

Er konnte es nicht gewesen sein! Wie sollte er hierher kommen? Sie schaute dem Taxi so lange hinterher, bis es nicht mehr zu sehen war. Charly berührte sie an der Schulter; Marissa erschrak.

„Hey, Riss. Was ist los?" Charly klang besorgt.

„Ich weiß nicht. Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen."

Nach dem Gesichtsausdruck zu beurteilen, ahnte Charly schon, wen Marissa gesehen haben wollte.

„Meinst du, er war es?"

„Ich weiß nicht. Ich hab es nicht gesehen, aber er hätte es sein können. Nach den Haaren zumindest. Das war alles was ich gesehen habe."

„Aber glaubst du, dass er hierher kommen würde? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er es wirklich war?"

Marissa zögerte:" Du hast Recht. Wie sollte er nach New York kommen. Es war bestimmt jemand anders; schließlich hab ich ja nur die Haare gesehen."

Doch tief in ihrem Herzen zweifelte sie an ihrer Aussage.

Sie hakte sich wieder bei Charly unter und zusammen gingen sie zu Dean, der am Auto auf sie wartete.

„Was habt ihr denn gemacht?"

„Marissa meinte jemand Bekanntes gesehen zu haben."

„Aha, und wen?"

„Einen Freund aus Newport", antwortete Marissa und schloss das Auto auf.

„Du meinst wohl, diesen bestimmten Freund. Wie heißt er noch gleich? Ryan?"

Charly warf ihm einen wütenden Blick zu.

„Ja, so heißt er. Ich dachte wirklich, dass er es wäre. Na ja, lasst uns losfahren."

Die beiden anderen stiegen ein.

„Ach Schätzchen, manchmal möchte man auch einfach jemand sehen, obwohl er es gar nicht war."

„Vielleicht hast du Recht, Dean. Kommt ihr noch zu mir?"

Charly schüttelte den Kopf:" Nein, meine Grandma hat heute Geburtstag. Da muss ich hin. Du musst mich also gleich heim fahren."

„Ich wollte ja sowieso zu dir. Wir müssen doch noch für morgen unser Projekt ausarbeiten."

Marissa lieferte Charly Zuhause ab und sie und Dean fuhren zu Marissas Wohnung. Dort bediente er sich erstmal an ihrem Kühlschrank. „Ich hab so Hunger!"

„Tja, da sieht es da drin ziemlich schlecht aus. Lass uns doch erst eine Weile arbeiten und dann können wir uns ja vom Chinesen was bringen lassen."

„Gute Idee." Dean und Marissa setzten sich an den Tisch. Sie breiteten ihre Vorlagen aus, die sie morgen im Design-Club vorstellen würden. Dean war auch im Club. Alle anderen vermuteten, dass er schwul war. Denn welcher Junge würde sonst Kleider entwerfen? Marissa war sich da gar nicht ganz sicher. Ihr war nur klar, dass er ein guter Freund war, mit dem man über alles reden konnte; auch über Klamotten. Oftmals war er noch hipper angezogen, als sie. Er liebte es einkaufen zu gehen. Für Marissa war er so etwas, wie eine männliche Summer. Aber ansonsten war er überhaupt nicht ihr Typ. Sie stand eher auf richtige Männer. Solche, die sie auch beschützen konnten. Und das war Dean definitiv nicht.

So ein Typ war Ryan.

Ja, er hatte sie beschützt.

Dieser saß zum gleichen Zeitpunkt im Flughafen auf einer Bank. Sein Flug nach Hause würde erst in fünf Stunden starten.

Was war das nur für eine dumme Idee von ihm gewesen hierher zu kommen? Sie war schließlich nach New York gekommen, weil sie es gewollt hatte. Also, warum sollte sie dann keinen neuen Freund haben? Marissa hatte hier ein neues Leben begonnen. Er gehörte nicht mehr dazu. Aber es tat schrecklich weh; die Gewissheit, sie für immer verloren zu haben.

Seth holte ihn vom Flughafen ab. Er sah schon von Weitem Ryans Gesichtsausdruck und er fragte gar nicht erst, wie es gelaufen war. Schweigend legten sie die Fahrt nach Hause zurück. Dort ging Ryan gleich ins Poolhaus, ließ die Jalousien hinunter und legte sich aufs Bett.

Seth hatte ihn nicht gefragt, was in New York passiert war und dafür war er seinem Freund dankbar. Er wollte noch nicht darüber reden.

Ryan drehte sich auf den Rücken, da spürte er etwas Hartes unter dem Kissen. Er griff danach und hervor kam ein Bild. Es war eines von Marissa und ihm; Summer hatte es ihm geschenkt. Ihm und Marissa; sie hatte das Gleiche. Sie waren beide darauf zu sehen; beim Tanzen. Traurig legte er es sich direkt auf sein Herz und erinnerte sich an diesen Abend und an die Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten.

Am nächsten Tag erzählte er Seth von New York. Dieser sagte nichts darauf, sondern stand auf und nahm Ryan in die Arme. Er wusste, dass für ihn eine Welt zusammen gebrochen sein musste.

Sandy und Kirsten merkten auch, dass es Ryan nicht so gut ging, wollten ihn aber nicht danach fragen.

Eines morgens, Ryan war noch nicht da, ergriff Sandy den Moment und fragte Seth:" Was ist eigentlich mit Ryan los?"

„Dad, es kann nicht gesund sein, so neugierig zu sein, wie du!"

„Ich bin nicht neugierig, ich mache mir nur Sorgen um ihn." Sandy sah in fordernd an.

Seth wollte schon rausgehen, denn er war nicht gut im Lügen und sein Vater würde sofort merken, dass da etwas nicht stimmte.

„Halt! So einfach kommst du mir nicht davon!"

Kirsten kam in die Küche:" Was habt ihr zwei denn?"

„Ich möchte nur von unserem Sohn wissen, was mit Ryan los ist."

„Seth, du wirst da bleiben, wenn du etwas weißt." Kirsten hielt ihn am Arm fest.

„Oh nein, das könnt ihr mir nicht antun." Er setzte sich auf einen Stuhl an die Theke. Seine Eltern sahen in beide mit fragenden Blicken an, die keine Ausrede duldeten.

Also erzählte er, dass Ryan nach New York geflogen war und wie er Marissa mit einem anderen gesehen hatte.

Sandy und Kirsten sahen sich an; so etwas hatten sie schon geahnt. Sie wollten nicht mit Seth schimpfen, dass er Ryan Geld für den Flug gegeben hatte. Sie würden auch nicht mit Ryan darüber reden, denn der hatte schon genug damit zu kämpfen, mit seinem Kummer fertig zu werden.