Die nächsten Monate vergingen schnell. Marissa und Dean waren damit beschäftigt weitere Sachen zu entwerfen, die sie dann bei den Colleges bei denen sie sich beworben hatten, einreichen würden. Und da bald die Prüfungen anstanden, musste ziemlich viel gelernt werden. Charly, Dean und Marissa trafen sich abends öfter um gemeinsam zu lernen.
Vier Tage vor der ersten Klausur saßen die drei bei Marissa. Auf dem Esstisch waren lauter Ordner und Bücher ausgebreitet.
„Oh man, ich kapier das einfach nicht", stöhnte Dean und ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen. „Chemie ist einfach nicht mein Fach."
„Vielleicht sollten wir auch mal eine Pause machen. Wir sitzen immerhin schon seit drei Stunden." Charly sprach ein Machtwort.
„Gute Idee. Hunger hätte ich auch." Marissa rieb sich die Stirn.
„Kommt, lasst uns zum Chinesen um die Ecke flitzen. So bekommen wir auch noch ein bisschen frische Luft ab", sagte Dean und stand auf.
Kurze Zeit später saßen sie beim Chinesen.
„Bin ich froh, wenn das ganze hier vorbei ist. Mein Kopf muss doppelt so groß sein, bei dem Stoff, was ich da hineingepaukt habe", meinte Charly mit vollem Mund.
„Du hast Recht. Und vor allem freue ich mich auf die Partys danach." Dean lachte.
„Und auf die langen Ferien", warf Marissa dazwischen.
„Wirst du zu deinem Dad fliegen?" fragte Dean.
„Ja, ich werde ihn für eine Weile besuchen. Dann wird Summer hierher kommen für ein, zwei Wochen."
Sie träumten noch eine Weile von den bevorstehenden Ferien, bis Dean sie zum Aufbruch ermahnte.
Auf dem Weg zu Marissas Wohnung alberten die drei herum. Marissa lief rückwärts, bis sie plötzlich mit jemandem zusammen stieß. Sie war so unvorbereitet, dass sie hinfiel.
„Oh, Entschuldigung. Das wollte ich nicht."
Doch Marissa und die anderen beiden lachten nur. Es musste urkomisch ausgesehen haben.
„Komm, ich helf dir hoch." Eine Hand streckte sich Marissa entgegen. Dann schaute sie hoch und sah den Rest, der zu dieser Hand gehörte. Und das, was sie sah, waren dunkle, fast schwarze Augen, und ein breiter Mund, der sie anlächelte. Sie nahm die Hand und ließ sich hochziehen. Der junge Mann vor ihr hatte schwarze, etwas längere Haare, die aussahen, als wäre er gerade aus dem Bett gekrochen. Er war größer als Marissa.
Ein ziemlich charmantes Lächeln, dachte Marissa. Plötzlich spürte sie, wie jemand sie in die Seite stieß; es war Charly.
„Oh, ähm danke. Es ist nichts passiert." Marissa wurde aus ihren Gedanken gerissen. Hoffentlich hatte sie ihn nicht angestarrt.
„Dann bin ich ja froh. Schönen Abend noch", verabschiedete er sich.
Die drei liefen auch weiter.
„Na, das war ja mal ein Netter", meinte Charly mit einem Grinsen.
„Ja, der war wirklich süß", stichelte auch Dean.
„Was wollt ihr? Ja, er war wirklich ganz nett", sagte Marissa mit leicht genervtem Unterton. Doch sie drehte sich noch mal um, ob er noch zu sehen war. Und tatsächlich, auch er hatte sie zu ihr umgedreht und lächelte nun. Schnell lief Marissa weiter.
In ihrer Wohnung angekommen, packten Charly und Dean ihre Sachen zusammen.
„Bis morgen dann in der Schule. Und vergiss nicht in der Mittagspause lernen wir noch ein bisschen", sagte Charly und umarmte Marissa.
Dean war schon an der Tür:" Ja, bis morgen. Und schlaf gut. Träum was Schönes. Vielleicht von einem netten Schwarzhaarigen!"
Bevor Marissa ein Kissen auf ihn werfen konnte, war er schon zur Tür hinaus.
Sie lag noch eine Weile wach in ihrem Bett und dachte an diesen Typen. Er war wirklich richtig süß gewesen, aber die Wahrscheinlichkeit ihn wieder zu sehen war in dieser Stadt ziemlich gering. Und war sie überhaupt schon soweit? Sie war jetzt seit knapp einem Jahr hier, aber seither war sie mit keinem Jungen ausgegangen. Eigentlich hatte sie auch nie das das Bedürfnis gehabt. Charly und Dean wollten sie mehrmals verkuppeln, aber irgendwas hatte sie immer an den Jungs auszusetzen gehabt. Entweder waren sie zu groß, zu klein, zu hässlich, zu langweilig. Doch im Grunde waren sie nur eines nicht: sie waren nicht Ryan. Sie wusste, dass das der einzige Grund war. Jeden Jungen verglich sie mit ihm und natürlich war keiner so wie er. Sie nahm ihren Share Bear in die Arme und betrachtete das Bild, das sie vor sich liegen hatte. Wieso war nur alles immer so kompliziert?
Unter Tränen schlief sie ein.
Nach ihrer ersten Prüfung war Marissa ziemlich erleichtert. Sie hatte es sich schwieriger vorgestellt, aber wahrscheinlich hatte das gemeinsame Lernen mit Dean und Charly was gebracht. Sie fuhr gleich nach Hause, denn sie war ziemlich müde. In den letzten Tagen hatte sie nicht viel geschlafen. Dort blinkte das rote Licht von ihrem Anrufbeantworter.
Die erste Nachricht kam von Summer, die ihr noch mal viel Glück wünschte und darauf bestand, dass Marissa sie später noch anrufen sollte. Die nächste kam von ihrem Dad, der ihr auch Glück wünschte.
Marissa lächelte; es war schön zu wissen, dass so viele Menschen an sie dachten.
Dann klingelte plötzlich das Telefon.
„Hallo", meldete sie sich.
„Ich bins!" Summer schrie ins Telefon.
„Hy Summer, gerade hab ich deine Nachricht abgehört."
„Und wie war deine erste Klausur?"
"Ich hatte es mir
schwieriger vorgestellt. Ich denke, es ist ganz gut gelaufen. Und du
hast morgen deine zweite?"
„Ja, erinner mich nicht daran. Seth macht mich schon ganz fertig. So eine Aufregung bekommt ihm nicht gut, er ist so was von nervös." Marissa lachte. Ja, das war Seth.
„Aber bald haben wir es geschafft. Und dann machen wir erstmal Ferien und feiern Partys und lassen es uns gut gehen."
„Ja, auf jeden Fall. Oh, ich soll dir von Kirsten einen schönen Gruß sagen."
„Danke. Bist du bei den Cohens?"
„Ja, wir haben vorhin gelernt." Plötzlich hörte Marissa im Hintergrund Babygeschrei und eine weibliche Stimme etwas rufen.
„Summer, was war das denn?"
„Ähm, was?"
„Das Babygeschrei bei dir?"
„Ach das. Das war nur der Fernseher." Marissa wurde misstrauisch, denn sie konnte deutlich hören, dass das nicht der Fernseher war.
„Summer, halte mich…", wollte sie sagen, doch da war wieder diese weibliche Stimme. Irgendwie kam ihr die bekannt vor, aber sie wusste nicht, wer es war.
„Shit", sagte Summer leise.
„Was ist los, Summer? Wer war das?"
„Das war Kirsten." Summer versuchte die Situation zu retten.
Marissa atmete tief ein:" Sum, das war nicht Kirsten. Ich hab die Stimme schon mal wo gehört, aber ich kann sie gerade nicht zuordnen. Jetzt sag schon, wer das war!"
Doch dann fiel Marissa das dazugehörige Gesicht wieder ein.
Das konnte nicht sein? Nein, es musste jemand anderes sein.
„Summer, sag nicht, dass es die Person ist, die ich denke."
Marissa hörte ihre Freundin tief seufzen; da wusste sie, dass ihre Vermutung stimmte. Es war Theresa.
„Was macht sie in Newport?" Marissas Stimme klang schrill.
„Coop, ich wollte es dir sagen, aber ich konnte es nicht. Ich hab es nicht über das Herz gebracht. Was hätte ich dir sagen sollen? Ja, es ist Theresa. Und sie ist wieder hier; mit ihrem Kind."
„Kind?"
„Ja, mit ihrer Tochter." Summer zögerte. „Mit Ryans und ihrem Kind."
In Marissas Kopf pochte es: Theresa war in Newport! Und sie hatte eine Tochter! Und das Kind war von Ryan!
„Es tut mir leid." Zu mehr kam Summer nicht, denn Marissa hatte aufgelegt. Sie saß auf ihrer Couch und starrte an die Wand.
Theresa war zurück! Und sie hatte das Kind doch bekommen. Theresa war bei Ryan, mit ihrem und seinem Kind. Sie hatte ihn verloren, für immer.
Tränen schossen ihr in die Augen. Sie musste hier raus, sie bekam kaum Luft.
Blind vor lauter Tränen lief sie auf die Straße und rannte in irgendeine Richtung.
Irgendwann ging ihr die Puste aus und sie blieb stehen und setzte sich auf eine Treppe. Sie stützte ihren Kopf in die Hände.
Das alles konnte nur ein schrecklicher Traum sein. Wenn sie wieder aufwachen würde, dann wäre sie in Newport und würde neben Ryan im Poolhaus liegen und sie wäre nie von dort weg gegangen.
Sie musste schon lange so dagesessen haben, denn langsam wurde es dunkel. Plötzlich merkte sie, dass jemand vor ihr stand.
„Es würde Ryan sein", dachte sie voller Hoffnung. Doch als sie aufschaute, sahen sie keine eisblauen Augen an. Trotzdem kamen ihr diese Augen bekannt vor. Marissa wischte sich unbeholfen mit ihrem Ärmel die Tränen weg und da erkannte sie, wer vor ihr kniete. Es war der Typ, den sie vor ein paar Tagen angerempelt hatte.
Er streckte ihr immer noch seine Hand entgegen. „Möchtest du nicht aufstehen? Ich denke, so langsam wird es hier ungemütlich."
Marissa zögerte, doch dann nahm sie seine Hand und ließ sich aufhelfen. „Danke", sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
„Soll ich dich nach Hause bringen?" Noch immer hielt er ihre Hand fest, und als Marissa das bemerkte, ließ sie sie ruckartig los.
„Nein, danke. Ich finde alleine zurück." Was wollte er von ihr?
„Das glaube ich dir, aber vielleicht möchtest du ja jemanden haben, der dich begleitet." Er ließ nicht locker.
„Eigentlich brauche ich gerade keine Gesellschaft." So langsam wurde Marissa ärgerlich. Konnte er sie nicht in Ruhe lassen?
„So siehst du mir aber gar nicht aus", stellte er fest.
Sie hatte keine Chance, also zuckte sie mit den Schultern und lief voraus. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Marissa liefen immer noch vereinzelte Tränen über das Gesicht; sie fühlte sich vollkommen leer.
Sie kamen zu dem Haus, in dem sich ihre Wohnung befand.
„Hier wären wir."
„Okay. Geht es dir besser?" fragte er teilnahmsvoll.
Marissa runzelte die Stirn und sah ihn wütend an:" Sehe ich so aus, als würde es mir besser gehen?"
Er war etwas erschrocken von ihrem Ausbruch, aber er ließ sich nichts anmerken.
Marissa schaute zu Boden und sagte:" Ich geh dann jetzt rauf." Sie wollte sich schon umdrehen, als er nur noch sagte:" Ich bin übrigens Anthony. Gute Nacht." Dann drehte auch er sich um und ging weiter. Marissa schaute ihm nicht nach, sie war viel zu sehr mit sich selber beschäftigt.
Auf ihrem Anrufbeantworter blinkte es; sie hatte sieben Nachrichten. Doch sie ging nur in ihr Schlafzimmer, legte sich mit ihren Kleidern ins Bett und starrte an die Decke.
