Ryan war auf dem Weg nach Hause. Es fiel ihm schwer, sich auf den Verkehr zu konzentrieren, da er sehr müde war. Er hatte eine kurze und anstrengende Nacht hinter sich. Morgan hatte abends schon Fieber bekommen und in der Nacht hatte sie mehrere Male erbrochen. Theresa war erst spät nach Hause gekommen, da sie noch arbeitete.
Da er wusste, dass sie heute Morgen auch gleich wieder im Restaurant hatte sein müssen, wollte er sie auf dem Weg nach Newport abholen.
Als er auf dem Parkplatz des Restaurants ankam, klingelte sein Handy. Es war Sandy.
„Hy Sandy."
„Hallo Ryan. Wo bist du?"
„Ich hole Theresa von der Arbeit ab. Wieso?"
„Könntest du bitte auf dem Weg anhalten und beim Bäcker das bestellte Baguette mitbringen?"
„Ja, kann ich. Ist irgendwas Besonderes?"
„Heute Abend kommen doch Caleb und Julie. Schon vergessen? Ich hab es auch verdrängt, aber leider gelingt mir das nicht so gut."
„Hab ich vergessen. Okay, dann bis nachher."
Gerade als er auflegte, sah er Theresa aus dem Hintereingang rauskommen. Neben dran waren die Müllcontainer, wahrscheinlich würde sie da hin laufen. Doch sie blieb stehen und es sah so aus, als würde sie auf jemanden warten. Mit Ryan konnte sie nicht rechnen, denn er hatte ihr nicht gesagt, dass er sie abholen würde.
Er wartete im Auto.
Da fuhr ein alter dunkelgrüner Chevy auf den Parkplatz und hielt nahe bei Theresa. Erst konnte Ryan nicht sehen, wer da ausstieg, nur einen schwarzen Haarschopf. Die beiden umarmten und küssten sich.
Theresa hatte gar nichts von einem Freund erzählt. Ryan sah den Mann nur von hinten. Die beiden redeten miteinander; es schien, als wäre Theresa sauer. Der Typ wollte sie umarmen, doch sie schubste schüttelte den Kopf. Normalerweise wäre Ryan sofort aus dem Auto gesprungen und wäre rüber gerannt, aber irgendwas hielt ihn zurück. Er sah, dass Theresa was aus ihrer Handtasche herausholte; aus der Ferne konnte er es schlecht erkennen, aber es hatte die Form eines Briefumschlages. Sie gab es dem Typen, der sich daraufhin umdrehte, um den Umschlag ins Auto zu legen.
Ryan erkannte ihn sofort, doch er begriff nicht, was er hier wollte. Geschweige denn, was Theresa von ihm wollte. Er konnte sehen, wie sich die beiden noch mal leidenschaftlich küssten, bevor er in den Wagen stieg und wieder weg fuhr. Theresa blickte sich nach allen Seiten um, bevor sie wieder ins Restaurant rein ging.
Ryan saß eine Weile verwirt im Auto, dann stieg er aus, um Theresa zu holen.
Auf dem Heimweg sprachen sie kein Wort miteinander; er musste seine Gedanken sortieren und verdauen, was er dort gesehen hatte. Begreifen konnte er es nicht, und er konnte sich auch nicht denken, was Theresa mit ihm wieder zu tun hatte.
Bei den Cohens schaute sie gleich nach Morgan, doch diese schlief im Poolhaus. Kirsten sagte, dass sie immer noch Fieber hätte, aber den Tag über nicht mehr erbrochen hätte. Sandy und Morgan wären den ganzen Tag auf der Couch gelegen und hätten Zeichentrickfilme angeschaut.
Seth war auch erst gerade gekommen; er saß in der Küche und schaute sich einen Comic an. Kirsten deckte den Tisch für später.
„Wer ist eigentlich auf die Idee gekommen, die beiden einzuladen?" fragte Sandy mit gespielt verzweifeltem Unterton.
Kirsten schaute lächelnd zu ihm und antwortete:" Du kennst doch meinen Vater; er hat sich selbst eingeladen. Er möchte uns von seiner Reise erzählen."
„Ach ja genau. Die beiden hätten doch gleich auf der Insel bleiben können. Da hätten sie gleich eine ganze Insel gehabt, die sie sich untertan machen hätten können. Dann müssten wir nicht immer seinen Befehlen gehorchen."
Seth nickte zustimmend.
Später beim Essen sprachen nur Julie und Caleb; vor allem Julie. Sie schwärmte von den Seychellen und der Insel, auf der sie gewesen waren. Die anderen taten so, als würden sie interessiert zuhören.
Doch irgendwann hatte auch sie nichts mehr zu erzählen. Gerade als Sandy ein neues Gespräch beginnen wollte, fragte Julie Summer:" Hast du mal wieder was von Marissa gehört?"
„Nein", Summer schüttelte den Kopf, „schon eine Weile nicht mehr. Sie hat mir mal eine Email geschrieben."
„Mit mir telefoniert sie auch nicht sehr oft."
Für Kirsten war das kein Wunder. Das was Julie alles ihrer Tochter angetan hatte; da würde sie auch nicht mit ihr telefonieren wollen.
„Das letzte Mal ist jetzt einen Monat her. Aber hast du gewusst, dass sie einen Freund hat?"
Ryan verschluckte sich. Julie blickte ihn kurz herablassend an.
„Ähm ja, das hat sie mal kurz angedeutet", Summer wollte nicht weiter darüber reden.
„Er heißt Anthony. Und seinen Eltern gehören einige Hotels, nicht nur in New York. Ich bin froh, dass sie jemand gefunden hat, der zu ihr passt und sie glücklich macht." Sie warf Ryan einen triumphierenden Blick zu.
Bevor sie weiterfahren konnte, stellte Kirsten ihr eine Frage, die „Newport Living" betraf.
Ryan war der Hunger vergangen; er hatte nichts von diesem Anthony gewusst.
Nach dem Essen saßen die Erwachsenen noch am Tisch und tranken Wein, während Summer, Seth, Ryan und Theresa im Wohnzimmer saßen und MTV schauten. Ryan war ziemlich still, er hing seinen Gedanken nach. Theresa stand plötzlich auf und sagte, dass sie noch mal nach Morgan schauen würde.
„Es tut mir leid, wegen vorhin", begann Summer vorsichtig.
„Ist schon okay." Ryan drückte ihre Hand.
„Ich konnte es dir nicht sagen. Ich… ich dachte, dass würde dich nur verletzen, und außerdem weiß ich auch nichts über diesen Typen. Marissa hat ihn nur kurz erwähnt, mehr nicht."
„Hey, es ist wirklich okay. Ich bin dir nicht böse."
Summer war erleichtert, denn sie hatte befürchtet, dass Ryan wütend auf sie wäre.
„Ich geh kurz raus", sagte er und erhob sich.
„Sollen wir mit?" fragte Summer besorgt.
Bevor Ryan etwas erwidern konnte, meinte Seth:" Mensch, wenn du nur mich auch so bemuttern würdest!" Summer schlug ihn leicht auf den Kopf.
„Hey, aber so doch nicht!" Er fing an, sie zu kitzeln.
Ryan ließ die beiden allein und ging raus auf die Terrasse. Von dort sah er das sanfte Licht im Poolhaus. Er setzte sich auf eine Liege und nahm den Kopf in die Hände.
Wieso konnte er sie einfach nicht vergessen? Er spürte den Schmerz, wenn er an Marissa dachte, und dass sie einen Freund hatte. Vielleicht hatte Julie Recht. Vielleicht hatte er sie wirklich nicht glücklich machen können.
So in Gedanken merkte Ryan nicht, dass Theresa aus dem Poolhaus kam und sich ihm leise näherte.
„Alles okay?"
Er blickte auf:" Ja, alles in Ordnung."
Sie setzte sich ins Gras. Da fiel Ryan die Szene von mittags wieder ein. Er musste sie darauf ansprechen.
„Und wie war die Arbeit heute?"
„So wie immer."
„Hast du mal jemanden Bekanntes hier getroffen. Aus Chino, mein ich."
„Nein, wie kommst du darauf", antwortete sie schnell; etwas zu schnell.
„Hätte ja sein können."
Theresa strich sich nervös durch die Haare. Es entstand eine kurze Pause, bis Ryan fragte:
„ Wer war dann heute Mittag, bevor ich dich abgeholt habe, bei dir?"
Sie drehte ruckartig den Kopf und schaute ihn mit großen Augen an.
„Ja, ich habe euch gesehen. Ich war schon da, um dich abzuholen, als ich ihn mit dir gesehen habe."
„Ryan…", warf Theresa dazwischen, aber er unterbrach sie:" Was wollte er von dir?" Seine Stimme klang nun nicht mehr ganz so freundlich.
„Ich…ich. Er wollte mich nur besuchen."
„Theresa, mach mir nichts vor! Warum war er da? Was verschweigst du mir?"
Ihre Hände zitterten leicht. „Er wollte nichts."
Ryan blickte sie wütend an.
Theresa seufzte und senkte den Kopf. „Ich hab ihm Geld gegeben."
„Geld? Wieso das denn?"
„Ihm geht es gerade nicht so gut."
„Theresa, für wie dumm hältst du mich? Eddie kommt doch nicht zu dir, wenn er Geld braucht. Das hat noch einen anderen Grund! Und was für Geld gibst du ihm? Du hast doch keines!" Er wurde lauter. Und bevor sie antworten konnte, kam ihm auch schon selbst die Antwort. Ryan sprang so ruckartig auf, dass Theresa erschrak.
„Du gibst ihm Geld von den Cohens? Du gibst ihm das Geld, dass dir die Cohens für Morgan geben?"
„Es ist nicht so, wie du denkst", wollte sie ihn wieder zur Ruhe bringen.
„Wie ist es dann, Theresa! Dann klär mich auf!" Jetzt schrie er schon. Aber er konnte und wollte sich nicht zurückhalten.
„Ryan bitte. Lass uns das doch in Ruhe klären." Doch sie sah, dass er damit nicht einverstanden war.
„Ja, ich gebe ihm das Geld von den Cohens." Tränen schossen ihr in die Augen.
Ryan konnte nicht glauben, was er da hörte. Sandy und Kirsten hatten mit ihm ausgemacht, dass sie Theresa Geld für Morgan geben würden, dass ihr eigentlich von ihm zustand. Aber da er noch kein Geld verdiente, hatten sie das übernommen. Ryan war ihnen unendlich dankbar dafür, denn so konnte er weiter auf der Uni bleiben.
„Und wieso?" In seiner Stimme schwang tiefe Enttäuschung mit.
„Er hat mich dazu gezwungen."
Das glaubte er ihr nicht. Ryan kannte Theresa schon seit dem Windelalter und sie hatte noch nie gut lügen können.
„Sag mir bitte die Wahrheit!" schrie er sie an.
Theresa schluchzte heftig, doch sie wusste, dass es nun keinen anderen Ausweg mehr gab, als die Wahrheit zu sagen. Also atmete sie tief ein und fing an:" Eddie und ich hatten kein Geld. Meine Mutter hatte mich und Morgan rausgeschmissen. Und wir wussten nicht wo wir Geld auftreiben konnten, da kam uns eben die Idee. Ich kam hierher und zeigte dir Morgan. Ich wusste, dass du alles für sie tun würdest, obwohl du am Anfang mich etwas verunsichert hast. Aber ich kenne dich, du würdest dich für andere aufgeben und schauen, dass es ihr gut geht. Ich wusste auch, dass du für sie Unterhalt zahlen musst. Im Grunde war ich ganz froh, dass du hier nicht weg wolltest; so hatten mir die Cohens das Geld gegeben. Und ich gab es Eddie."
Ryan war vollkommen gelähmt vor Schock. Das alles war ein abgekartetes Spiel.
„Und was wollte Eddie mit dem Geld?"
„Er wartete in Chino, bis ich und Morgan wieder kämen."
„Du wärst irgendwann einfach abgehauen. Mit meiner Tochter."
„Ryan, hast du es nicht kapiert? Morgan ist nicht deine Tochter! Sie ist das Kind von mir und Eddie. Eigentlich dachte ich, dass du es erkennen würdest, aber manchmal bist du einfach zu naiv. Aber vielleicht hab ich auch einen guten Zeitpunk erwischt, denn du warst ziemlich down wegen Marissa."
Zu mehr kam sie nicht, denn da schrie Kirsten:" Verlass sofort mein Haus! Nimm dein Kind mit und verschwinde! Und trete mir niemals wieder unter die Augen!"
Drinnen waren sie von Ryans Geschrei aufmerksam geworden und nach draußen gegangen. So hatten sie fast alles mitbekommen.
Sandy hielt Kirsten am Arm, denn er hatte die Befürchtung, dass sie sonst auf Theresa losgegangen wäre. Diese nickte nur und ging ins Poolhaus, um zu packen.
Ryan stand immer noch völlig schockiert da, bis Seth ihn am Arm berührte. „Komm, wir gehen rein." Er ließ sich von ihm ins Haus führen. Dort standen Sandy, Kirsten, Summer, Caleb und Julie in der Küche. Als die beiden rein kamen, sagte Caleb zu Kirsten:" Siehst du Kiki, dass hast du davon, wenn ihr lauter solche Leute in euer Haus lasst."
Doch dieses Mal war es Sandy, der antwortete. Mit leiser, wutunterdrückter Stimme sagte er:
„Caleb, das ist jetzt einfach zu viel. Auch du wirst jetzt unser Haus verlassen. Denn schließlich bestimmen immer noch wir, wer hier ein und aus geht."
Caleb sagte nichts, sondern nickte, nahm Julie an der Hand und verließ die Cohen- Villa.
Später saßen sie immer noch in der Küche. Theresa war wohl gegangen, denn im Poolhaus war es dunkel.
„Wie konnte ich nur so dumm sein?" Ryan schüttelte den Kopf.
„Du kannst doch nichts dafür", wollte Sandy ihn trösten.
„Doch, wäre ich nicht hier, dann wäre sie nie aufgetaucht und ihr hättet ihr nie Geld geben müssen. Es ist alles meine Schuld."
„Hey Sweetie. Es ist nicht deine Schuld! Hörst du! Keiner von uns hatte ihr zweites Gesicht gesehen und so etwas geahnt. Und wir sind froh, dass du hier bist", sagte Kirsten und nahm ihren Adoptivsohn in den Arm.
In den nächsten Tagen verbrachte Ryan viel Zeit an der Uni. Er war froh, dass er so viel Arbeit hatte, denn das lenkte ihn ab.
Als er an einem Abend nach Hause fuhr, hatte Kirsten schon den Tisch gedeckt, und sie und Sandy warteten auf ihn.
„Ist was Besonderes?" fragte er und setzte sich zu den beiden an den Tisch.
„Nein, aber wir wollten einfach mit dir zu Abend essen", antwortete Kirsten und servierte das Essen. Seth war nicht da. Er war morgens nach LA gefahren und würde dort für zwei Tage bleiben, um seine Graphic Novel bei einem Verlag vorzustellen.
Nach dem Essen saßen sie noch eine Weile am Tisch und Ryan erzählte von der Uni.
Bevor sie dann das Geschirr abräumten, sagte Kirsten:" Ich hab noch eine kleine Überraschung für dich."
Ryan sah sie fragend an, doch sie forderte ihn auf, ihr zu folgen. Sie lief raus, Richtung Poolhaus. Dort machte sie die Tür auf; es war dunkel, so dass Ryan nichts erkennen konnte.
Sandy kam ihnen hinterher, dann machte Kirsten das Licht an.
Ryan schaute sich überrascht um. Sie hatte seine ganzen Sachen von dem Gästezimmer wieder hergebracht und alles was an Theresa und Morgan erinnerte, raus getan. Nun war es wieder sein Poolhaus!
„Danke." Er umarmte Kirsten, und Sandy, der hinter ihnen stand, konnte sehen, dass Ryan sich wirklich darüber freute.
