Gedankenspiel
Den restlichen Tag und fast bis in die Dunkelheit hinein liebten sich beide Freunde immer und immer wieder. Es war so, als ob sie nun mit einander Eins waren. Über ihnen die klare Nacht und die Sterne warfen ihr Licht auf die kleine Lichtung. Sie saßen eng umschlungen vor einem kleinen Lagerfeuer. Artemis hielt einen Arm um die Schulter von Drizzt während er mit seiner freien Hand die seines Liebsten streichelte.
"Ich habe dich schon lange geliebt", erklang die überraschende Stimme des Waldläufers. „Schon viel länger als du es dir vorstellen kannst".
Daraufhin drehte Drizzt seinen Kopf vom Feuer weg und schaute jetzt in die Augen seines Freundes. Sein Gesicht lief rot an und er hoffte, dass man es nicht erkennen würde.
"Und wieso hast du niemals etwas gesagt oder getan?", fragte Artemis einfach nur ruhig.
"Weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Ich glaubte nie, dass du was für mich empfandest", sprach Drizzt und ein sanftes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Dann beugte er sich nach vorne küsste seinen Freund. „Jetzt weiß ich es aber".
Der Dunkelelf wurde erneut von einer Woge der Leidenschaft erfasst und zog Artemis näher an sich heran. Er dachte daran, wie er sich damals so dumm vorkam und dabei stieg ein seltsames Gefühl in ihm auf. Doch die heißen Küsse des Mannes, die seine Berührung erwiderten ließen die Empfindung so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen war. Jetzt zählte nur noch Eins, sie liebten sich. Nicht nur körperlich, sondern mit ihren Herzen.
Gegen Morgen waren Beide erschöpft. Drizzt ließ sich zur Seite fallen und atmete mehrmals tief durch, während Artemis sich ebenfalls neben seinen Liebsten auf den Rücken fallen ließ.
Niemals in seinem Leben hatte der junge Drow solche Gefühle für jemanden entwickelt, nicht einmal für seine beste Freundin Catti-brie. Und jetzt war es plötzlich geschehen, er liebte diesen Mann, er hatte ihn schon seit Monaten begehrt und diese Empfindung wurde sogar erwidert. Er wusste einfach nicht, ob er alles nur träumte oder ob es Wirklichkeit war. Drizzt fühlte sich so glücklich, wie schon lange nicht mehr in seinem Leben. Und mit diesem Gedanken rückte er näher an Artemis heran, legte sanft seinen Kopf auf dessen nackte Brust und schloss die Augen. Dabei hörte er den regelmäßigen Herzschlag des Mannes und spürte, wie sein Kopf sich sanft durch das Atmen unter ihm hob und senkte.
Entreri berührte im Gegenzug die weichen, langen Haare seines Geliebten und strich zart über dessen Kopf. Während er fühlte, wie der junge Drow langsam dabei einschlief durchfuhr den Mann ein Kribbeln. Es war ein Gefühl, dass er niemals mehr missen wollte und so schloss nun auch er seine Augen. Doch statt einzuschlafen drangen immer mehr Bilder in seinen Verstand und er sah sich wieder als Junge von gerade mal Vierzehn Jahren, wie er durch die Straßen seiner eigenen, selbsterwählten Heimatstadt Calimhafen lief. Er erinnerte sich an seine Jugend, an seinen Aufstieg in der Basadoni-Gilde und seinen alten Mentor Basadoni selbst.
Das Leben lehrte ihn eiserne Disziplin. Bereits mit neun Jahren wusste er, seine Gefühle zu verstecken. Sie hinter einem schwarzen Vorhang der Gleichgültigkeit zu verschleiern und niemals etwas von sich selbst preiszugeben.
Die Jahre gingen viel zu schnell ins Land und er wurde zu einer gefühlskalten Hülle, die er schwor niemals wieder ablegen zu wollen. Fast jeden Menschen, den er kennen gelernt und mit dem er eine tiefgehende Bekanntschaft gepflegt hatte, förderten bewusst oder sogar unbewusst diese kalte Hülle. Sie wollten seine Fähigkeiten, aber kaum einer wollte den Menschen Artemis Entreri. Die einzigen Personen, die ihn besser kannten, als er sich selbst konnte er an einer Hand abzählen. Doch genau diese Freunde waren es gewesen, die, wenn auch selten, einen schwächlicheren Mann unter dem Deckmantel des Meuchelmörders zu sehen bekamen. Aber Schwäche hatte er trotzdem niemals gezeigt. Nicht LaValle, Dondon, Jarlaxle und Dwahvel gegenüber und bis heute Abend nicht mal seinem früheren Erzfeind Drizzt. Er spürte, dass er immer auf sie zählen konnte. Doch das Gefühl der Geborgenheit, das Gefühl sich einem Menschen mit dem Herzen zu öffnen, jemanden zu vertrauen, hatte er bereits in seinen ersten neun Lebensjahren verloren und kam nicht mehr zurück. Niemand wusste jemals was von seinen Schmerzen, die tief in seinem Herzen Tag für Tag vergraben lagen. Doch ein Mann, besser gesagt ein Drow brachte ihn vor Jahren zum ersten Mal ins Wanken. Genau dieser junge Drow lag jetzt auf seiner Brust und schlief angekuschelt auf ihm. Ja, Drizzt war die Person, die ihm den leeren Spiegel seiner Selbst gezeigt hatte, er zeigte ihm, dass es noch Hoffnung für ihn geben würde. Und er war sich wieder bewusst, dass er sein Leben verändern wollte. Besonders von dem Zeitpunkt, nachdem er die Stadt der Drow, Menzoberranzan, verlassen hatte. Artemis wusste sogar, dass ihn Drizzt damals die Möglichkeit sogar offen darlegte. Doch erst seitdem er Diana hatte, wurde ihm klar, dass er sein Leben grundlegend verändern wollte. Das Kind war unschuldig und so sollte es auch für immer bleiben. Niemals sollte seine Adoptivtochter Leid erfahren und niemals die Enttäuschung oder den Verrat einer der vertrauenswürdigsten Person kennen lernen, wie er es am eigenen Leib gespürt hatte. Sein eigener Vater machte den Anfang und vernichtete auf die grausamste Art und Weise die Unschuld seines eigenen Sohnes. Er zerstörte ein unschuldiges Leben. Als kleiner Junge war er schwach und ließ sich unterdrücken, aber diese Zeit war ein für alle mal vorbei. Artemis wollte sich für die Zukunft auf das Wesentliche konzentrieren. Denn nun hatte er Freunde gefunden – Drizzt und Jarlaxle. Und beabsichtigt oder intuitiv waren sie es schon von Anfang gewesen, er konnte es fühlen. Sie würden ihn nicht fallen lassen.
Doch ein ganz anderes Bild drängte sich mit einem Mal in sein Gedächtnis. Er sah eine junge Frau, ihr schwarzes Haar fiel ihr lockend über die Schulter. Mit ihren grünen Augen schaute sie Artemis an und er erkannte Tricia. Sie war seine Frau. Sie hatte ihm unbewusst genau das gegeben, was er sich immer gewünscht hatte. Doch er überlegte, Was war es genau gewesen? fragte er sich. Vielleicht Ruhe und Frieden? Oder war es die Geborgenheit eines anderen Menschen? Das Gefühl sich fallen zu lassen ohne Angst zu haben Schwäche zu zeigen? Nie mehr in seinem restlichen Leben alleine sein zu müssen? Vielleicht war es etwas von allem. Und ihm wurde allmählich bewusst, dass er es war, der diese junge unschuldige Frau getötet hatte. NEIN, es war ein Unfall, schrie er sich geistig selbst an. Und doch habe ich sie für meine eigenen Zwecke benutzt. Ich hatte gedacht, diese Frau wird mir helfen können, so wie Drizzt und Jarlaxle es nur einige Zeit vorher getan hatten. Hatte ich wirklich gedacht, dass ich sie lieben würde? Ich habe mich eher in ein neues Abenteuer gestürzt ohne dabei auch nur ein einziges Mal über die Konsequenzen einen Gedanken zu verschwenden. So wie ich es schon zu oft in meinem erbärmlichen und leeren Dasein getan hatte. Ihm wurde langsam bewusst, dass er mit Tricia's Gefühlen gespielt hatte. Genauso wie er es schon viele Jahre zuvor mit einigen Frauen getan und sie letztendlich fallen gelassen hatte. Für ihn waren sie in diesen Momenten der Zweisamkeit stets ein Instrument seine eigene momentane Lage in Griff zu bekommen und in diesen Augenblicken zählte nur Artemis Entreri und niemand anderer. Er gab vor, sie zu lieben, und bei Tricia war er sich noch nie so sicher gewesen. Aber er hatte sich so schmerzlich geirrt. Vielleicht war es wirklich der größte Fehler in seinem Leben gewesen? warf er sich selber vor.
Im gleichen Moment bewegte sich Drizzt's Kopf auf seiner Brust und er war sich plötzlich wieder gewahr, wen er wirklich liebte. Das wohlige Kribbeln durchfuhr erneut seinen Körper und dabei schlang er einen seiner Arme um die schmalen Schultern seines Geliebten. Bei dieser Geste wurde ihm schlagartig auch bewusst, dass er wohl zum ersten Mal in seinem Leben wirklich liebte und zwar Drizzt. Der erste Kuss zwischen den Beiden war vor einigen Wochen mehr als nur eine zärtliche Geste, die er unter Alkoholeinfluss zugelassen hatte. Immerhin war er derjenige der beiden Freunde gewesen, der dieser Empfindung freien Lauf gelassen hatte. Dieses neue Gefühl, sich in den Armen des jungen Drow nackt und wehrlos zu fühlen und sein Inneres nach außen zu kehren war für ihn völlig unbekannt. Aber gleichzeitig war es das Angenehmste, was er bisher jemals empfunden hatte und er wünschte sich mit einem Mal, dass es niemals enden würde. Es gab plötzlich jemandem, der ihn verstand.
Und dann, ganz langsam traten ihm erneut Tränen in die Augen. Er sah auf der einen Seite Tricia, seine junge Frau und auf der anderen Seite die leuchtenden Augen von Drizzt. Er hatte ein weiteres unschuldiges Leben geopfert. Doch Artemis wollte so etwas nie mehr zu lassen. Nie wieder würde er mit Gefühlen spielen, nicht mit seinen eigenen und erst Recht nicht denen, die ihm andere entgegen brachten. Er würde versuchen die Empfindungen dieser Personen, die er tief in seinem Herzen trug, für immer und ewig einzuschließen und sie in Ehren halten. Artemis schwor sich in diesem Moment lieber sein eigenes Leben zu verlieren, bevor er noch einmal zuließ, unschuldige Seelen zu opfern. Diana und Drizzt sollten nach dieser Nacht sein Lebensinhalt werden und er würde alles daran setzen, dass er für den Tod seiner jungen Frau irgendwann seine gerechte Strafe bekommen würde.
