14. Kapitel

„Die Sonne scheint endlich wieder wärmer!", sprach Drizzt freudestrahlend, als er ins Innere der Höhle geschritten kam. „Es scheint fast so, als ob uns in den nächsten Tagen eine Abreise ins Haus steht, meint ihr nicht auch?"
Artemis und Jarlaxle drehten daraufhin ihren Kopf zum Eingang und sahen den jungen Dunkelelfen, als er lächelnd vor ihnen stand. Der ältere Drow teilte die Vorfreude und grinste ebenfalls über das ganze Gesicht. Nur Artemis schluckte einmal kurz, räusperte sich und sprach „Dann lass uns packen".
Doch plötzlich sah Drizzt seine beiden Freunde mit finsterem Blick an, die neben Diana saßen und das kleine Kind ein paar Wörter vor sich hin murmelte, die ihm bekannt vorkamen.
"Ihr habt ihr nicht schon wieder Drow beigebracht?", kam die besorgte Frage des Dunkelelfen.
Artemis und Jarlaxle schauten sich unschuldig an, dann gleich hinüber zu ihrem Freund herüber und sagten wie aus einem Mund, „Nein!"
"Ilha, ilha.", kam es plötzlich über Diana's Lippen und sie streckte ihre Ärmchen Artemis entgegen.
"Ich fürchte, das sollte wohl Ilharn heißen, werter Herr Vater", funkelte der Waldläufer daraufhin seinen Geliebten an, machte auf dem Absatz kehrt und rauschte aus der Höhle.
Während Jarlaxle der Kleinen lobend auf die Schulter tätschelte und ihr erneut das Wort „Ilharn" wieder und wieder vorsagte, schaute Artemis seinem Freund besorgt hinterher. Er hätte sich so sehr gewünscht, dass der Winter nie vergehen würde. Auch wenn er nach bester Kunst eine fröhliche Miene aufsetzte, stieg ihm die Angst in die Glieder. Dann richtete er wieder seinen Blick zu dem Drow und seiner Tochter, um sich abzulenken.

Nach einer Woche brachen die drei Freunde mit Diana von ihrer Höhle in Richtung Norden auf. Diana saß vor Artemis im Sattel und war begeistert von der Landschaft, die sich von Tag zu Tag immer mehr veränderte. Auf ihrer früheren Reise war sie noch klein gewesen, doch diesen Sommer im Monat des Kytorn wurde sie bereits vier Jahre alt.
Die kleine Reisegruppe versuchte nach Möglichkeit abseits der Straßen zu reiten, um allen Ärger im Voraus, aus dem Weg zu gehen. Ihr Pfad führte die Gefährten westlich an Langsattel vorbei und dann weiter nach Norden. Bis nach Mirabar waren die Freunde über zwei Monate unterwegs. Auf ihrer Wanderschaft feierten sie sogar den Geburtstag von Diana. Jarlaxle hatte zu diesem Ehrentag seiner kleinen Nichte sogar ein Geschenk dabei, wovon Drizzt und Artemis nichts wussten. Der Drow übergab Diana ein kleines Holzschwert. Seine Beweggründe waren einfach. Das Kind würde unter drei Kämpfern aufwachsen und die Kampftechniken sollte sie nach und nach lernen, laut dem Moto „Je früher desto besser". Er war sogar der Meinung, dass die drei Freunde eines Tages von ihr übertroffen werden würden. Seitdem das Mädchen das Holzschwert besaß, konnte sie es kaum bis zur nächsten Rast abwarten, um damit wild durch die Luft zu wedeln. Jedes Mal war der Anblick etwas, was den Dreien die Brust vor Stolz anschwellen ließ.
Kaum vier Wochen, nachdem sie Diana's Geburtstag gefeiert, Mirabar und den Grat der Welt hinter sich gelassen hatten, kamen sie endlich auf die weiten Ebenen von Zehn-Städte. Ein traumhafter Anblick, wenn man als Fremder diese Landschaft betrachtete, wo man in der Ferne bereits den großen Berg Kelvins Steinhügel erkennen konnte. Früher, vor mehr als vierzig Jahren, als Drizzt diese Gegend das erste Mal betreten hatte, war er genauso ein Fremder gewesen. Jetzt fühlte er sich allerdings Zuhause. Wie sehr er diese Aussicht genoss. Ein zufriedenes Lächeln machte sich auf dem Gesicht des jungen Drow breit.
Für diesen Tag schlugen sie unmittelbar vor Zehn-Städte ihr Nachtlager auf. Erst am nächsten Morgen wollten sie ihre Reise bis nach Kelvins Steinhügel weiter fortsetzen. Zuerst passierten sie die Stadt Bryn Shander, an die selbst Artemis klare Erinnerungen hatte. Der Mann erinnerte sich an mehr Details, als er sich selbst eingestehen wollte. Es war ihm, als ob es erst gestern gewesen wäre, als er durch Regis Haus gestreift war, um einen Anhaltspunkt für den Halbling zu finden. Dann kam ihm Catti-brie in den Sinn und die hitzige Verfolgungsjagd bis nach Mithril-Halle. Auf einmal rutschte Artemis unruhig auf seinem Sattel herum.
"Was ist los, mein Freund?", kam die überraschende Frage von Jarlaxle. Doch Artemis winkte die Worte nur mit einer kleinen Handgeste ab, so als ob nichts wäre. Zum ersten Mal wurde der Drow stutzig, aber erklären konnte er es sich nicht. Seit diesem Zeitpunkt beschloss er jedoch, Entreri im Auge zu behalten.

An diesem Tag, früh am Abend, stiegen die Freunde von ihren Pferden und ließen sie auf einer steil ansteigenden Wiese weiden. Drizzt, der jetzt kaum noch seine Vorfreude unterdrücken konnte, bald wieder seine Freunde zu sehen, ging eilig voraus. Jarlaxle folgte ihm dicht auf den Fuß, nur Artemis, der Diana auf seinen Schultern trug, blieb ein wenig hinter den Beiden zurück. Jetzt war die Angst in ihm unausweichlich. Nie in seinem Leben hatte er Furcht gezeigt, auch wenn er sie in manch einer Situation kannte. Er dachte an sein eigenes Versprechen, es für Drizzt, den er liebte und für Diana zu tun.
Über die Hälfte des Weges, hinauf zu Bruenor Heldenhammers Festung brachten die drei Freunde hinter sich, als der Waldläufer plötzlich anhielt. Der junge Drow wusste gar nicht, wie er dem Zwerg, seiner Freundin und den Rest der Sippe die neuen Gegebenheiten erklären sollte. Doch kurz darauf schüttelte er nur seinen Kopf und somit alle Zweifel aus seinem Gedächtnis und lief schnurstracks weiter.
Jarlaxle und Artemis blieben in gebührendem Abstand zurück, wie sie es besprochen hatten und warteten hinter einer Reihe von Bäumen. Nun begann die Zeit des Wartens und gleichzeitig Hoffens für Entreri. Der Mann hielt sich krampfhaft an dem Anblick des Kindes fest, wie es spielte. Seine innerliche Anspannung vor dem Unerwarteten zerriss Artemis förmlich.

Noch während seine zwei Freunde mit Diana warteten, wurde Drizzt herzlich begrüßt. Bruenor war froh, endlich seinen Elfen wieder zu sehen und Catti-brie schien ihren damaligen Trennungsgrund gut überstanden zu haben. Denn wie sich herausstellte, war sie Mutter eines drei Jahre alten Sohnes geworden, nach dem sie Eons zu Mann genommen hatte. Sogar Regis wohnte nun bei dem Zwerg in der Festung von Kelvins Steinhügel und nicht mehr in Waldheim. Der Halbling fand es hier bequemer, als unten in der kleinen Stadt und bei Bruenor hatte er stets gutes Essen, wie er wusste.
Als die erste Wiedersehensfreude sich gerade legte, stürmte ein Zwerg auf Bruenor zu, der sich tief verbeugte und aufgeregt sagte, „Mein König, ein Dunkelelf und ein Mann mit einem Kind sind vor unserer Feste aufgetaucht. Sie haben sich im Wald versteckt".
"Was hast du gerade gesagt?", fragte Bruenor ungläubig.
Im gleichen Moment fiel es Drizzt wie Schuppen von den Augen, er hatte ja noch gar nichts über Artemis, Diana und Jarlaxle gesagt. Er war so froh gewesen, dass er das Wichtigste beinahe vergas, schimpfte er sich selbst in Gedanken. Sogleich räusperte sich der junge Drow und sagte, „Ich kann das erklären … Ich habe neue Freunde mitgebracht", und bei diesen Worten erschien ein Lächeln auf dem ebenholzfarbenen Gesicht, was immer breiter wurde. „Es hat sich einiges in meinem Leben getan und ich bin noch nie glücklicher gewesen als jetzt. Ihr müsst wissen …", sprach er weiter, musste aber gleich darauf nach den richtigen Wörter suchen, um seiner Freude den passenden Ausdruck zu verleihen. „Zuerst müsst ihr wissen … ich bin jetzt Onkel … und glücklich verliebt. Und meine Freunde, die ich mitgebracht habe sind Jarlaxle und Artemis En…".
Doch weiter kam Drizzt nicht mehr als er in die entsetzten Gesichter des Zwerges, Catti-brie und Regis schaute. Sie hatten vor lauter Ungläubigkeit ihre Augen weit aufgerissen und starrten ihren Dunkelelfenfreund an. Der Einzige, der keine Regung zeigte war Eons, da er die Beiden nicht kannte.
Im gleichen Moment schrie auch schon Bruenor auf, „Wen hast du mitgebracht? Bist du verrückt oder einfach nur Lebensmüde … du hast doch nicht allen Ernstes diesen verruchten Söldner und den stinkenden Meuchelmörder in unser Zuhause geschleppt. Du scheinst wohl dein Gehirn in der Sonne verbrannt zu haben. Schon vergessen, was er unserem Freund Knurrbauch angetan hat?"
Bruenor war wütend und schaute mit funkelnden Augen zu Drizzt hinüber und fing daraufhin an seinen Kopf zu schütteln. Dann wandte er sich seiner Wache zu und schrie, „Passt mir bloß auf, dass sie sich nicht unserem Eingang nähern … ich werde es nicht zulassen, dass die Beiden meine Feste betreten".
Regis, der eben noch mit hoch erhobenen Haupt vor Catti-brie gestanden hatte, war gleich darauf, als er den Namen Artemis hörte, zwei Schritte nach hinten ausgewichen und schaute sich unwohl zu allen Seiten um. Seine Freundin starrte den jungen Dunkelelfen einfach nur mit offenen Augen fassungslos an.
Drizzt sah ungläubig zu seinen Freundin hinüber und nach einer kurzen Pause verteidigte er sich mit zitternder Stimme, "Aber, aber … ich wollte euch gerade erzählen, wie es dazu gekommen ist … und die kleine Diana müsst ihr kennen lernen".
Er hatte sich so auf ein Wiedersehen mit seinen Freunden gefreut, doch nicht auf solch eine Szene. Da hörte er plötzlich, wie eine wohl vertraute Stimme hinter ihm „Drizzt" sagte und er wirbelte herum. Der Drow sah nach unten und vor ihm stand Diana.

Während Drizzt gerade im Inneren der Zwergenfeste verschwand, saßen Artemis und Jarlaxle in der Abenddämmerung und schaute in Richtung Zehn-Städte. Allem in allen war es ein ruhiger Fleck Erde und Entreri bekam eine Vorstellung davon, was sein Freund hier her zurückzog. Der Mann hatte soeben seine liebe Müh und Not, die kleine Diana fest zu halten, die Drizzt hinterher laufen wollte. Doch das Kind wollte keine Ruhe geben. Und so passierte es in einem kurzen Augenblick der Unachtsamkeit der beiden Freunde, das Diana plötzlich verschwunden war.
"Diana?", rief Artemis, „Diana, wo bist du?"
Es kam keine Antwort von seiner Tochter. Erschrocken ließ er seinen Blick durch die nähere Umgebung schweifen, da erkannte er auch schon die Kleine, als sie den Pfad nach oben rannte, direkt auf Weg, den Drizzt vor nur einigen Minuten genommen hatte.
"Diana, bleib stehen! Ich hol' dich!", rief erneut Artemis dem Kind hinterher. Doch sie machte keine Anstalten stehen zu bleiben. Aus den Augenwinkeln erkannte Entreri gerade noch, wie Jarlaxle ihm folgte und schon standen sie direkt vor dem Eingang zur Feste von Bruenor Heldenhammer.
"Sie ist hinein gegangen", sprach der Mann gleich darauf zu dem Drow gewandt, der nun direkt neben ihm stand.
"Dann hol sie!", antwortete der Dunkelelf schnell, „Ich warte hier auf euch".
Was hatte soeben sein Freund zu ihm gesagt, er solle Diana holen? Wenn das nur so einfach wäre, wie es sich anhört, dachte Artemis. Die Angst machte sich in ihm breit und fuhr ihm durch die Glieder. Doch ihm blieb letztendlich nichts anderes übrig, als dem Kind hinein zu folgen und den Überraschungseffekt vorne weg zu nehmen.
Entreri streckte sich, räusperte sich gleich darauf und lief in einen dunklen Gang hinein.
"Diana, wo steckst du nur?", flüsterte Artemis, „Diana?" Dabei zitterte seine Stimme ein wenig, da er fürchtete er könnte entdeckt werden, bevor sein Geliebter eine Erklärung für ihr Auftauchen und auch für ihre Freundschaft abgeben konnte.
Er hatte das Gefühl, dass seine Stimme durch den Gang tausendfach zu ihm zurück geworfen wurde, obwohl er versuchte ganz leise zu sein. Als er weiter ging, war das hintere Ende des Ganges plötzlich hell erleuchtet. Abrupt blieb er stehen und lauschte, doch er hörte niemanden. Seit er hier drinnen nach dem Kind suchte, hatte er auch niemanden gesehen. Wenigstens ein gutes Zeichen, dachte sich Entreri.
Jäh erspähte er den schwarzen Schopf von Diana zu seiner Rechten und er rannte dem Kind hinterher. Doch sie war bereits um eine Ecke gebogen und durch eine geöffnete Tür gelaufen. Als er ihr folgte und fast im gleichen Moment in einem hell erleuchteten Raum ankam, blieb er wie angewurzelt stehen.

Artemis ließ seinen Blick von Diana nach oben schweifen und erkannte seinen Geliebten, der zu ihm gewandt stand. Dahinter schauten ihn die Freunde von Drizzt mit funkelnden Augen und offenen Mündern an. Sofort rief Entreri diesmal mit kräftiger Stimme, „Diana, komm her".
Er hatte das Gefühl, dass er auf solch eine Situation überhaupt nicht gefasst gewesen war und ihm blieben schon nahezu selbst die Worte im Hals stecken. Die Kleine schaute stattdessen erst zu dem jungen Drow und dann zu ihrem Vater herüber. Flugs rannte sie jedoch in die offenen Arme von Artemis, der sie sofort nach oben nahm und fest an sich drückte. In diesem Moment brauchte er ihre Nähe am meisten. Nichts auf der Welt hätte ihn auf dieses Zusammentreffen vorbereiten können.
Gleich darauf folgte für Bruenor, Catti-brie, Regis und Eons ein weiterer Schock, als ein Drow hinter Artemis durch die Tür geschritten kam.
"Ich dachte, du brauchst Hilfe", ertönte die freudige Stimme von Jarlaxle, der ebenfalls wie Entreri kurz zuvor, vor ihm wie angewurzelt stehen blieb.
"Die scheinst du wohl nicht mehr zu brauchen, mein Freund. Wir haben gleich Alle auf einmal gefunden … Wunderbar!", sprach er munter weiter. Dann erschien ein breites Grinsen auf seinem Gesicht und er schaute amüsiert in die Runde. Jarlaxle ging an Artemis und Drizzt vorbei, wobei der junge Dunkelelf sich herumdrehte, um den Söldner nicht aus den Augen zu verlieren. Der Mann tat es ihm gleich und beide Freunde folgten nun mit ihrem Blicken den Schritten ihres Drowfreundes, der in der Mitte des Raumes Halt machte. „Nun können wir mit dem Wiedersehensfest beginnen, oder nicht?", stellte der Dunkelelf eher fest, als das er fragte.

Der restliche Abend verlief nicht ganz nach dem Geschmack von Artemis und Drizzt. Der Einzige, der seinen Spaß zu haben schien, war Jarlaxle selbst.
Zähneknirschend ließ Bruenor ihr erstes, nicht feindseliges Zusammentreffen in der Feste von Kelvin's Hügel über sich ergehen, doch er hatte dabei stets ein wachsames Auge auf Artemis und Jarlaxle. Catti-brie schien ebenfalls den Mann nicht aus ihrem Blick zu lassen, ganz geschweige von Regis. Der Halbling saß geschützt durch den Zwerg, seiner Adoptivtochter und ihres Mannes in deren Mitte und versuchte seine Fassung zu wahren.
Nachdem sie alle einem klärenden Gespräch auf Drizzt's Drängen hin zugestimmt hatten, fielen viele Worte und keiner ließ dabei ein gutes Haar an dem ehemaligen Meuchelmörder. Nur der junge Drow ergriff für ihn Partei, ganz gegen den Geschmack seiner alten Freunde, die oft nur dasaßen und ungläubig, manchmal sogar fassungslos ihren Elfenfreund anstarrten. Nachdem Drizzt die ganze Geschichte ihres letzten Kampfes der ehemaligen Erzfeinde bis hin zum heutigen Tag geschildert hatte stimmte Bruenor mürrisch zu, das die kleine Familie in die alte Höhle des Drow, die nur eine Meile von hier entfernt lag, überwintern durften. Doch danach müsste sich eine andere Lösung für die angespannte Situation finden lassen.
Jarlaxle, der dem Ganzen einfach nur ruhig zu gehört hatte, verstand mit einem Mal mehr, als das er sich anmerken lassen wollte. Keiner der früheren Freunde von Drizzt würde hier sich hier nur annähernd einen Schritt auf Artemis oder ihn zu gehen, wie er wusste. Für sich selbst war es ihm egal, aber er wusste, dass Artemis für Drizzt zurzeit alles tun würde. Jarlaxle kannte nur eine Person im Raum etwas näher als seine eigenen Freunde und Diana, es war Catti-brie, die auch ihm ab und an einen verächtlichen Blick zuwarf. Hier würde sich kein gemeinsamer Nenner für Alle zusammen finden lassen, wurde dem Söldnerführer klar.
So kam es, dass die drei Freunde sich verabschiedeten und sich auf den Weg, weiter nördlicher von Kelvin's Hügel zur alten Wohnhöhle des Waldläufers machten. Diese war schon mehr nach dem Geschmack von Jarlaxle, der sich um Diana kümmerte, während seine beiden Freunde jeder für sich, über die Geschehnisse der letzten Stunden nachdachten.
Für Drizzt schien eine heile Welt dem Untergang geweiht zu sein. So viel hatte er für Catti-brie, dem Zwerg und auch für den Halbling getan, wieso konnten sie dann nicht akzeptieren, dass er einen neuen Lebensabschnitt begonnen hatte. Er war am Anfang selber skeptisch wie sich alles entwickeln würde. Doch er wollte den ehemaligen Söldnerführer und den Mann, den er über alles liebte, nicht mehr verlieren. Diana mit ihrem aufgewecktem Wesen, Artemis und Jarlaxle hatten mehr Leben in sein eigenes gebracht, als dass es bisher irgendjemand anderer gekonnte hätte. Er beschloss, mit seinen alten Freunden nochmals ein klärendes Gespräch zu führen, in Ruhe und alleine. Vielleicht würden sie dann endlich einsehen, dass sie mit ihren Ansichten falsch lagen.
Artemis dagegen verspürte immer noch dieses beklemmende Gefühl, was ihm den ganzen Abend über bereits die Kehle zuschnürte. Er verstand die ablehnende Reaktionen des Halblings und das Drizzt's Freunde zu Regis hielten, es war auf eine gewisse Art verständlich. Doch wieso ließen sie seinen Geliebten sprichwörtlich im Regen stehen. Drizzt, der seit dem letzten Winter immer vom Eiswindtal und dessen Bewohnern geschwärmt hatte, konnte diesen Ort nicht wirklich gemeint haben, denn für Entreri war er weniger ein Zuhause denn je. Am liebsten wäre er in diesem Frühling nach Süden geritten, aber er tat es alles nur für den Drow, den er so sehr liebte. Für Jarlaxle schien die Richtung egal gewesen zu sein, doch auch er hatte sich wohl einen anderen Empfang vorgestellt. Wenn jetzt Artemis über all die gefallen Worte ihres anscheinend so klärenden Gespräches nachdachte, wäre Drizzt ohne ihn besser dran. Keine Entschuldigungen der Welt würde das frühere Verhalten des ehemaligen Meuchelmörders rechtfertigen und er kam sich, wie vor Jahren bereits schon öfters, einfach Fehl am Platz vor.

In der nächsten Woche kam es erneut zu einem Treffen zwischen Drizzt und seinen Freunden, aber ohne Artemis und Jarlaxle. Beide hatten zugestimmt, dass Diana ihn begleitete. Der junge Drow gab die Hoffnung nicht auf, dass das Kind, die Herzen der so erkalteten früheren Familie, erweichen könnte. Und es war tatsächlich so. Alle waren bereit, es auf ein erneutes Zusammentreffen ankommen zu lassen. Doch diesmal auf ganz neutralem Boden. Da bot sich die nicht weit entfernte Siedlung Waldheim an, in der Regis sich zwischen all den bekannten Gesichtern am wohlsten fühlte. Alles im allem eine viel versprechende Art, einen neuen Versuch zu starten. Und als der Waldläufer zwei Tage zuvor, überglücklich mit dieser Nachricht zu seinen zwei Freunden zurückkam, schien er voller Hoffnung.
Und heute sollte der große Tag gekommen sein. Diana blieb bei den Zwergen zurück, um das Kind würde sich liebevoll gekümmert werden, so versprach es Bruenor. Doch der Einzige, der diesem Frieden nicht trauen wollte, war Entreri. So lief er nochmals zurück, um nach seiner Tochter zu schauen. Währenddessen waren Drizzt und Jarlaxle bereits weit voraus gegangen.
Die Dämmerung setzte bereits ein, als Artemis an den ersten bewohnten Häusern vorbei schritt. In den Wohnstuben schien Licht, was seinen Weg entlang erleuchten ließ. So ging der Mann frohen Mutes weiter, immer die Straße entlang. Plötzlich jedoch hörte er hinter sich ein Echo. Es war der Klang weiterer paar Stiefel. Doch Entreri ließ sich nichts anmerken, es war immerhin eine Stadt, durch die er lief. Dann erklang ein weiteres Echo und es wurden innerhalb einer Minute immer mehr. Vielleicht wäre er weniger beunruhigt gewesen, wenn er nicht Drizzt versprochen hätte, seine Waffen gut versteckt in der Höhle zurück lassen. Augenblicklich spürte Artemis, wie immer mehr Menschen hinter ihm her liefen. Dann, ganz abrupt blieb er stehen. Sie taten es ihm gleich. Im ersten Moment wusste er nicht, ob er sich herum drehen oder einfach nur weiter gehen sollte. Als er sich entschloss sich doch umzudrehen, erkannte Artemis mehr als zwanzig stämmige Männer, mit Keulen, Schlagstöcken, Schaufel und sonstigem Werkzeug bewaffnet, die hinter ihm standen. Er wollte gerade die Straße weiter laufen, als auch schon eine Hand nach seiner rechten Schulter griff. Eh sich der Mann versah, wurde er von einer großen Menschentraube umringt und funkelende Augenpaare starrten ihn an.

"Wo bleibt nun jetzt endlich Artemis?", kam bereits die fünfte Frage innerhalb einer Minute von Drizzt, der dabei Jarlaxle mit besorgten Blick ansah. Der Drow zuckte nur mit den Schultern. Sie standen vor der Taverne, in der sich die Freunde treffen wollten, aber niemand schien bis jetzt eingetroffen zu sein.
"Vielleicht hat er sich verlaufen?", antwortete der ehemalige Söldnerführer. Doch sein Tonfall verriet, dass es wohl selten wie nie vorkam, dass sein ein Mann wie Entreri sich verlaufen würde. Selbst sein so gewohntes Lächeln verriet auch Jarlaxle's Sorge um seinen Freund.
"Komm, wir gehen ihm ein Stück entgegen!", erklang wieder die besorgte Stimme des jungen Dunkelelfen. Und gleich darauf war er um eine Straßenecke gebogen. Doch so schnell wie er davon gerauscht war, blieb Drizzt auch schon stehen. Jarlaxle trat neben ihn. Vor den Beiden, knapp hundert Fuß entfernt, war eine Menschentraube, die wie ein aufgestachelter Mob auf etwas einschlug. Eine komische Vorahnung machte sich mit einem Mal in dem Waldläufer breit und so rannte er schnell der Mengenmensche entgegen, dicht gefolgt von seinem Freund.

Was nun Drizzt vor sich sah, der sich durch die wilde Horde einen Weg gebahnt hatte, machte ihn traurig und rasend zugleich. Die Männer, allesamt mit Gerätschaften ausgestattet und als Waffen benutzend, begruben Artemis fast schon unter sich, der inzwischen mehr tot als lebendig war. Sie hatten so lange auf ihn eingeschlagen, bis der Mann blutend auf dem Boden lag. Es schien, dass es nicht mal den Hauch eines fairen Kampfes gegeben hatte.
"Haut ab, los macht schon!", schrie Drizzt den Männern entgegen, „Haut ab!".
Erst zögerlich, dann in mehreren Gruppen löste sich die Menschentraube auf, keine fünf Minuten später war die Straße Menschenleer. Der Waldläufer kniete sich vor Artemis und betrachtete die Wunden. Er schien mehrere Knochenbrüche und unzählige tiefe Kratzer und Schnitte davon getragen zu haben. Sein Atem ging schwer, wie Jarlaxle bemerkte, der sich zu seinem Freund ebenfalls auf dem Boden kniete.
Als Drizzt nur kurzzeitig seinen Blick erhob, sah er gar nicht weit entfernt seine alten Freunde, die auf der Straße ihnen entgegen kamen. Auf dem Gesicht des Halblings erschien ein breites Grinsen und selbst Bruenor und Catti-brie lächelten. Beinahe wäre er auf alle Drei zugestürmt, doch im letzten Moment hielt ihn Jarlaxle davon ab.
"Sind sie es denn noch Wert?", kam die einfache Frage seines Drowfreundes und er beruhigte den Waldläufer ein wenig damit.
Nein, schoss es Drizzt in diesem Moment durch den Kopf, seine früheren Freunde waren es nicht wert, wenn sie zuließen, dass der Mann den er liebte, wild zusammen geschlagen wurde und dabei hätte sterben können. Dann wären sie es gewesen, die Artemis auf dem Gewissen gehabt hätten.
Der Anblick von Entreri ließ für Drizzt keinen anderen Schluss mehr zu. Er wollte im nächsten Frühling wieder weg von hier, egal wohin, es wäre besser, als bei diesem wilden Mob zu bleiben.