Kapitel 8: Krebs

Cameron und ich saßen im Warteraum. Na ja, sitzen ist wohl nicht die richtige Bezeichnung. Eigentlich liefen wir die ganze Zeit auf und ab, wollten uns dann mal für fünf Minuten hinsetzen, aber das ging nicht, denn das Sitzen machte mich unruhiger als das Laufen. Die anderen Wartenden schauten uns teilweise schon grimmig an, doch mir war das so was von egal, denn wenn jemand mir sagen würde, dass ich ihn oder sie nerve, dann würde ich nur mit Beleidigungen um mich werfen.

Cameron biss sich die ganze Zeit auf die Fingernägel, so viel mal zu ihrer Nervosität.

Plötzlich kam ein Heiler direkt auf uns zu.

„Sind Sie Lily Evans?", fragte er mich.

„Ja", antwortete ich.

„Dann sind Sie sicher Cameron Long", sagte er zu Cammy.

„Das bin ich", antwortete sie.

„Es gibt Ergebnisse von Ihrer Freundin. Wenn Sie mir bitte folgen würden…"

„Können Sie es uns nicht gleich sagen?", fragte Cam.

„Bedaure, aber das ist eine Sache, die unter…sechs Augen geklärt werden muss."

Er ging voraus und wir gingen ihm hinterher. Der Heiler führte uns durch irgendwelche komischen Gänge, ist jetzt blöd das zu beschreiben, weil man sich das eh nicht merken kann. Erst hoch, dann links, dann rechts und so weiter und so fort.

Wir kamen in einen langen Flur, der einer Intensivstation eines normalen Krankenhauses glich. Der Heiler stoppte vor einem Zimmer mit der Nummer 449. Unter den Zahlen stand ‚Unter besonderer Beobachtung'. Das hörte sich nicht gut an, aber mein Vertrauen in die Heiler war groß und ich hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Sav wieder gesund werden würde.

„Ist das die Intensivstation?", fragte ich.

„Was ist eine Intensivstation?", fragte der Heiler. Na klar! Hast mal wieder nicht bis zum Ende gedacht, Lily! Ne Intensivstation gibt es bei Muggeln.

„Ist schon gut", sagte ich.

„Was ist denn nun mit Savannah?", fragte Cameron noch ungeduldiger als vorhin.

„Sie schläft gerade. Ich habe ihr vorhin das Diagnoseergebnis mitgeteilt und sie sagte, dass ich Sie herholen soll."

„Sie weiß, dass wir hier sind?"

„Ich habe es ihr gesagt. Sie hat gelächelt. Ich denke, dass sie sich nach dem Schlaf über ihren Besuch freuen wird", meinte der Heiler.

„Das ist schön", sprach ich trocken.

„Wie steht es um sie?", fragte Cam.

„Vergiss es Cam, Datenschutz", meinte ich, doch der Heiler unterbrach mich.

„Nein, in diesem Fall darf ich ihnen das Ergebnis mitteilen. Miss Myra hat mir gesagt, dass Sie das Ergebnis der Untersuchungen erfahren sollten."

„Was?", fragten wir beide überrascht.

„Das Ergebnis?", hakte ich nach.

„Echt jetzt?", fragte Cam.

„So ist es."

„Und das Ergebnis ist?", fragte Cam und hätte die Informationen am liebsten aus dem Heiler rausgeboxt, so nervös war sie.

„Es steht schlecht um ihre Freundin", begann er.

„Nun sagen Sie es mir, verdammt noch mal!", schrie Cam und der Heiler schaute grimmig.

„Bitte", mischte ich mich ein.

„Aber unterlassen sie diese Sprache das nächste Mal!"

„Ja", meinte Cameron grimmig.

„Also gut: Ihre Freundin Savannah hat einen Gehirntumor."

Ich wäre am liebsten umgefallen und auf der Stelle gestorben. Gehirntumor? Nein! Nicht Sav! Oh Herr im Himmel, bitte alles, nur das nicht. Ich dachte gleich an meine liebste Großmutter zurück, die an dieser Krankheit gestorben ist, nur weil sie zu spät erkannt wurde. Lange, sehr lange habe ich um sie getrauert.

„Aber dagegen kann man doch was tun!", warf Cameron ein.

„Oder…etwa…nicht?", fragte ich in gebrochenen Worten.

„In diesem Fall nicht", meinte der Heiler.

„Aber wir sind doch alles Magier! Irgendeine Lösung muss es doch geben!", kreischte Cam und begann zu weinen. Ich stimmte in den Tränenfluss mit ein. Wieso trifft es immer die Falschen? Wieso kann dieser Mensch nicht glücklich sein?

„Was ist der Grund, warum Sie die Krankheit nicht heilen können?", fragte ich.

„Sehen Sie, wir Zauberer können Flüche und so was kurieren, aber wir sind nicht spezialisiert auf Muggelkrankheiten."

„Dann soll sie verdammt noch mal in ein Muggelkrankenhaus gehen! Was ist denn daran so schwer?", verzweifelte ich.

„Das Bittere ist, dass ein Muggelkrankenhaus ihr auch nicht helfen kann, da der Tumor schon zu weit fortgeschritten ist."

„Nein!", brach ich zusammen und dachte zurück an meine Omi. Warum tust du mir und all den anderen Beteiligten das an, du schreckliche Welt?

Cameron half mir wieder auf die Beine, doch ich fühlte mich immer noch schwach.

„Es tut mir sehr leid, aber ihre Freundin hat höchstens noch zwei Wochen zu leben", sagte der Heiler.

Mich traf nochmals der Schock und ich sank auf den Boden zurück, doch diesmal konnte mir Cameron nicht helfen, denn sie brach direkt neben mir zusammen. Nur noch zwei Wochen? Und das auch noch höchstens? Oh Mann, wir hatten doch so viel vor nach der Schule. Wir wollten zusammen wohnen, sie sollte irgendwann mal meine Brautjungfer werden, sofern sie nicht vor mir geheiratet hätte. Oh mein Gott! Ich fühlte mich, als hätte mir jemand ein Messer ins Herz gerammt. Zwei Wochen waren doch gar nichts! Wie soll ich denn in zwei Wochen Abschied von ihr nehmen können?

„Dazu war ja noch der Husten", sagte der Arzt.

„Warum hatte sie diesen Hustenanfall?", fragte ich.

„Zu dem Gehirntumor kommt noch eine schwere Bronchitis hinzu. Die konnten wir zwar unter Kontrolle bringen, aber auch die Zauberei ist in der Krebsforschung nur so weit vorangeschritten wie die Muggelmedizin. Sie haben mein Beileid."

„Aber die Bronchitis haben sie wieder hingekriegt. Warum nicht den Tumor? Warum forscht denn hier keiner danach?", kreischte Cameron.

„Es tut mir leid, aber die Leute tun ihr Bestes."

Ich stand da und schniefte in mein Taschentuch. Cameron tat es mir gleich.

„Warum?", wimmerte ich zu dem Heiler.

„Ich kann es Ihnen nicht erklären", sagte dieser. „Wollen Sie zu ihr?"

Cameron und ich nickten, zogen die speziellen Kittel dafür an und betraten den Raum.

„Sie nur, wie friedlich sie schläft", flüsterte Cam.

„Wie ein Engel", meinte ich.

Wir setzten uns neben das Bett und betrachten Sav noch für eine Weile. Sie sah nicht krank aus. Sie sah aus, als wäre sie in den schönsten Traum aller Zeiten versunken.

„Sollen wir sie wecken?", fragte Cam.

„Nein, lassen wir sie noch etwas ausruhen. Wir kommen morgen wieder."

Dann gingen wir aus dem Zimmer hinaus, legten die Kittel ab und machten uns auf den Weg in Richtung Ausgang.

„Wir müssen Sirius, James und Remus Bescheid sagen, die machen sich sonst Sorgen um uns. Morgen nach dem Besuch bei Sav kehren wir dann nach Hogwarts zurück", sagte Cam.

„Du hast Recht. Professor McGonagall sollte auch wissen, wo wir sind", antwortete ich und wir wollten eine Eule schicken lassen, da kam uns Professor McGonagall entgegen.

„Professor!", sagten Cam und ich erstaunt.

„Was ist mit Savannah?", fragte sie.

„Wie bitte?", fragten wir.

„Na los, sagen Sie es mir! Sav ist schließlich eine Gryffindor und somit bin ich ihre Hauslehrerin."

„Müssten Sie nicht in der Schule sein, Professor?", fragte ich.

„Ach pappalappapp, als wenn Sie mir das zu sagen hätten! Was ist nun mit Savannah Myra?"

„Sie wird sterben…und zwar in etwa zwei Wochen", sagten wir betrübt und heulten mal wieder.

„Oh nein!", meinte Professor McGonagall erschrocken und wir gaben ihr ein Taschentuch. Dann wollten wir auch weiter gehen.

„Wo wollt ihr hin?", schnäuzte sie.

„Unseren Freunden eine Eule schicken. Wir fahren erst morgen in die Schule zurück, nachdem wir Sav noch mal besucht haben. Ihnen wollten wir auch eine Eule schreiben", murmelte ich.

„Kommt nicht in Frage!", sagte Professor McGonagall. „Eure Freundin steht schon mit halbem Bein im Sarg und ihr geht zur Schule und paukt irgendwelche Zaubertrankformeln!"

„Ja, das ist schon richtig, aber wir müssen doch wieder in die Schule. Es führt kein Weg dran vorbei", sagte Cameron diplomatisch.

„ Ach nun hören Sie doch auf, Miss Long! Sie bekommen beide eine Freistellung von der Schule und um Savannah Myra werden Sie sich kümmern! Sie sind doch ihre besten Freundinnen. Immerhin kann jeder Tag jetzt ihr letzter Tag sein."

„Jawohl Professor", meinte Cameron und wir gingen unseren Freunden die Nachricht schicken.

Danach verließen Cameron und ich das Hospital und wir wanderten zu dem Haus in der Straße, das Zimmer vermietete. Cameron und ich nahmen ein Doppelzimmer. Als wir ankamen, legten wir uns auf die Betten und schliefen sofort ein.

Wir wachten am nächsten Morgen sehr früh auf. Das war kein Problem für uns, denn wir wollten so schnell wie möglich zu Sav. Nichts konnte uns mehr abhalten. Wir mussten mit ihr reden, denn es war schlimm, die Wahrheit zu kennen, doch noch schlimmer war es, nicht mit dem Betroffenen darüber reden zu können.

Als wir in der Wartehalle im St. Mungo ankamen, stachen uns drei bekannte Personen ins Auge. Es waren James, Sirius und Remus. Sie kamen direkt auf uns zu. James nahm mich in seine Arme und Remus nahm Cam in seine Arme. Sirius muss sich beschissen gefühlt haben, jetzt so allein ohne Sav und zukünftig auch ohne seine Liebste. Er tat mir sehr leid, dass ich wieder zu heulen anfing. Es war so schlimm, ich weiß, ich wiederhole mich, aber warum trifft es immer die Falschen?

James musste mich erstmal trösten und hielt mich ganz fest in seinen Armen. Es tat gut, aber ich konnte das nicht so richtig genießen, da ich immer nur an Savannah denken musste.

„Wir konnten es erst gar nicht glauben", sagte James.

„Wir waren auch geschockt. Es kamen so viele schreckliche Nachrichten auf einmal an, die kann man doch so schnell nicht verarbeiten!", heulte Cameron.

„Wie habt ihr die letzten 24 Stunden überstanden?", fragte Remus.

„Sehr schwer. Es war, als würde etwas auf meinen Kopf knallen, durch meinen Körper ziehen und unheimliche Schmerzen verursachen. Und dieser Schmerz hört nicht auf", beschrieb ich.

Sirius brach in Tränen aus. Ach du scheiße, niemand konnte ihn jetzt fest halten. Ich löste mich aus James Umarmung und schubste meinen Freund zu ihm rüber. Oh Gott, wenn ich dran denke, dass ich Sirius am Anfang des Jahres für einen Obermacho hielt! Er ist in Wirklichkeit ein sehr sensibler Junge. Warum kann er nur nicht glücklich sein. (A/N: Die Frage stelle ich mir immer bei Ryan aus O.C. California)

„Sirius, du musst wissen, dass wir immer für dich da sind", sagte James.

„Danke", antwortete Sirius.

Der Heiler, der uns die Nachricht mitgeteilt hatte, kam auf uns zu.

„Ihre Gruppe hat sich wohl vergrößert", meinte er.

„Ja", antwortete Cam.

„Können wir zu ihr?", fragte ich.

„Sie ist auf ein anderes Zimmer verlegt worden. Ihre Schmerzen konnten wir stillen, doch der Tod lässt sich nicht mehr verhindern. Bitte schreien sie mich nicht mehr an, ich habe Ihnen das alles schon gestern erklärt", sagte er. „Sie liegt in Zimmer 596. Ich kann ihre Verzweiflung gut verstehen."

Ich stand blitzschnell auf und bahnte mir den Weg durch das Krankenhaus. Ich hatte die anderen hinter mir, das hoffte ich jedenfalls. Sonst dackeln die mir doch auch hinterher. Als ich an der Tür mit der Nummer 596 stand, wartete ich noch auf meine Verfolger. Dann betraten wir alle gemeinsam das Krankenzimmer.

Diesmal war ja wohl alles anders: Erstens stand unter der Nummer nicht mehr ‚Unter besonderer Beobachtung', zweitens war das hier auch keine Intensivstation und drittens war Savannah diesmal wach und schaute uns alle wie in Trance an! Was? Sav war wach? Oh Mann, ich lief sofort zu ihr hin, um zu kontrollieren, ob sie wirklich wach war.

„Hallo Sav", sagten wir alle betrübt.

„Hey Leute, macht nicht so einen auf megatraurig. Findet euch mit der Sache ab, so wie ich! Dann sterbe ich halt! Irgendwann sehen wir uns doch eh im Jenseits wieder."

Hääää? Findet sie sich so leicht mit der Sache ab, obwohl sie es ist, die stirbt? Ist das bei Bald-Sterbenden immer so, dass sie den Tod nicht fürchten, oder spielt uns Sav diese Lockerheit nur vor? Abwarten, was sie wohl als nächstes sagt.

„Sav, wir können die Nachricht schwer verkraften", sagte Sirius.

„Ich weiß, aber ihr müsst es…"

„Ach Sav, wir können es aber nicht. Das ist total schwer für uns!", heulte Cameron.

„Besonders für mich", meinte Sirius.

„Du wirst es überstehen. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber eines Tages wirst du dir sagen, dass du von der Sache losgelassen hast und darüber hinweggekommen bist. Lebe - und denke nicht an morgen."

Wir redeten noch eine lange Zeit über das Leben, doch ich war nicht richtig anwesend, denn ich stellte mir meine eigene Beerdigung vor. Lieber würde ich sterben, als dass Savannah das Leben genommen wird! Zudem wurde ich mit Rückblenden vom schrecklichen Tod meiner Omi erschreckt. Ich habe damals mit sechs Jahren genau mit angesehen, wie sie starb und wie viel Leid sie erleiden musste. Und das sollte Sav auch durchmachen?

„Wisst ihr, was mein letzter Wunsch ist?", fragte Sav.

„Nein", meinten wir alle.

„Ich möchte ein letztes Mal so richtig mit euch tanzen gehen. Einfach so, als Abschied."

„Aber Sav, du bist im Krankenhaus!", ermahnte ich sie.

„Außerdem ist uns nach Tanzen und Feiern wohl am wenigsten zumute!", heulte Remus.

„Ach Lily, als wenn man nicht aus einem Krankenhaus ausbrechen könnte", widersprach mir Savannah. „Bitte, Leute! Mein letzter Wunsch vor dem Übergang in eine andere Welt."

„Okay", stimmten wir nach längerer Zeit der Überlegung ab. Einem sterbenden Menschen soll man nicht den letzten Wunsch abschlagen.

Die nächsten Tage verbrachten wir an Savannahs Bett. Ich wusste, dass es ihr sichtbar immer schlechter ging, doch sie plädierte immer noch darauf, eine letzte Party zu feiern. Sirius wurde immer blasser und man konnte ihm seine Angst um Savannah richtig mit ansehen. Er war derjenige unter uns, dem der Abschied am schwierigsten fallen wird. Ich habe sehr viel Mitleid mit ihm.

Wir verabredeten die Feier schließlich für einen Freitag, womöglich Savannahs vorletzten Freitag im Leben…