Hamlets Schlafgemächer
Hamlet in Schlafkleidung. Es klopft.
HAMLET
Dienerschaft
um diese graue, mitternächt'ge Stunde? Geht! Euren Fürsten
um diese Zeit zu bestürmen. Schande über euch!
Das Klopfen reißt nicht ab.
Daraufhin Hamlet eilend im wütigen Sturmschritt zur Tür
gelangt und im Aufreißen derselben schreit er
HAMLET
Bei
Gott, welch' Seel' will gen Hölle fahren, beim Herausfordern
meiner Geduld! – Horatio!
HORATIO
Verzeiht,
mein Prinz.
HAMLET
Nicht,
guter Horatio, nicht! Mein soll die Entschuldigung sein. Die erhob'ne
Stimme rechnete nicht mit Deiner lieben Erscheinung. Aber die Frage
brennt, was tust Du um diese fragliche, nächtg'e Stunde!
Hamlet dreht sich um,
zum Bett den Gang richtend. Er bleibt stehen, als er merkt, dass
Horatio ihm nicht folgt. Irritation im Mienenspiel dreht er sich zu
ihm zurück.
HAMLET
Horatio?
Willst Du Dir den Tod holen, im eisigen Gang? Weshalb kommst Du mir
nicht nach?
HORATIO
In
des Prinzen Schlafgemach? Zur nächtlichen Stunde jemand dies
sieht, was soll man denken!
HAMLET
amüsiert
Ei, interessiert's uns! Herein mit Dir!
Und sag' mir dabei, wie lang' ist's her, dass Anstand, dieses
nöt'ge Adelsübel zwischen uns stand, Horatio?
Horatio schließt leise die Tür, wonach
er sich sichtlich etwas leichter fühlt.
HORATIO
Gute
13 Jahre, mein – Hamlet.
HAMLET
So
lang schon bist Du der Mann, der die tiefsten Geheimnisse meiner
Seele herzubeten weiß und doch stets den Finger auf dem Mund
hat. Welch' Wunder Gott einem armen Sünder wie mir schenkt.
HORATIO
Gott
behandelt jeden nach seinem Verdienst. Seine Meinung von Euch, mag
demnach meiner in nichts nachstehen. Und solang' das Herz in dieser
Brust schlägt, mag nichts meine Liebe endigen.
HAMLET
Sowenig,
wie die meine. Darauf Edelschwur, Horatio. – Aber sag', was Dich
zu dieser Stunde an meine Tür trieb.
HORATIO
Ich
fürcht', mich zu blamieren.
HAMLET
Ach,
ich möchte aufs Heftigste abstreiten, dass ein Gedanke aus
diesem so vertrauten, wachen Geist je des Spottes Opfer werden kann.
Setzen wir uns aufs Bett und dann geradeheraus gesagt!
Horatio geht zögerlich zu dem großen,
mit Kissen ausstaffierten Bett. Hamlet, daraufhin lachend, tritt
neben ihn und zieht ihn beinah zu herzlich zum Sitzen nieder.
HORATIO
nachdem das Gleichgewicht er wiedergefunden hat
Denkt
Ihr manchmal an unsre gemeinsame Zeit in Wittenberg?
HAMLET
O Gott, Horatio, manchmal? Wie vermiss' ich die unbeschwerten
Jugendtage. Damals dachte ich noch, dass es sie ewig geben wird:
Tage, Stunden, Momente, in denen man völlig zufrieden, völlig
frei und entspannt ist.
HORATIO
Es werden neue Tage dieser Art
kommen.
HAMLET
Ich bezweifle es, Freund Horatio. Mag
dies alles auch einst vorbei sein und ein gutes Ende genommen haben,
nie werde ich wieder völlig entspannen, niemals wieder völlig
zufrieden sein können. Die Antwort auf das Warum? Weil ich
erinnere; weil meine Erinnerungen an Kummer und Qual mich niemals
mehr loslassen.
HORATIO
Ich glaube, das ist es nicht allein.
HAMLET neckend
O, jetzt reizt Du mich, alter
Philosoph. Was ist denn in des Gelehrten Augen der Grund?
HORATIO
Die Naiven glauben die Welt zu
kennen, aber sie erahnen nicht einmal die Stöße, die man
auf ihrer dunklen Seite ertragen muss. Ihr habt es erlebt, in aller
Härte, wie sie einem Menschen nur überhaupt zu Teil werden
kann.
Nun seht Ihr die Welt allzu genau, um
Euch noch wirklich fallen lassen zu können. Ihr wisst zuviel, um
noch wirklich glücklich sein zu können.
Stille.
HAMLET
Oha, jetzt erinnere ich mich wieder,
wieso so viele Prüfungen ich nur Deinetwegen bestanden habe.
HORATIO
Ihr habt außer in Mathematik
nie wirklich Hilfe für den Stoff gebraucht, nur
–
HAMLET
– Hilfe gegen meine Faulheit?
HORATIO grinsend
Das habt Ihr jetzt gesagt, mein
Prinz.
Hamlet lässt sich lachend
nach hinten aufs Bett fallen. Dann wird er wieder ernst und die Arme
hinterm Kopf verschränkend, blickt er zur Stuckdecke.
HAMLET
Wie kreisen jetzt die Erinnerungen an
jene schönen Tage durch meinen Kopf, Horatio und wecken doch nur
weiberhafte Melancholie. – Wieso stelltest Du mir die Frage nach
meinem Gedenken an Wittenberg?
HORATIO sich bewusst nicht nach
hinten drehend, um Hamlets Blick auszuweichen
Ich dachte, wenn nach Eurer Heimkehr
eine Sehnsucht Euer Herz bewohnte, könntet Ihr nachvollziehen,
wie ich mich jetzt fühle, in Anbetracht Eures morgigen Aufbruchs
nach England.
Hamlet, sich auf seine Ellenbogen
aufstützend, starrt einen Moment sprachlos Horatios Rücken
an.
HAMLET
Ist das Dein Ernst?
HORATIO nicht umblickend
Ja.
HAMLET
Heda, Horatio!
Hamlet drückt sich vom Bett
hoch, steckt 2 Finger in Horatios Kragen und zieht den überrascht
Aufschreienden mit sich rücklings aufs weiche Bett.
HORATIO
Mein Prinz, ich bitt' Euch!
HAMLET lachend
Worum?
HORATIO
Wenn jemand kommt!
HAMLET
Das Risiko steigt, wenn Du so
rumschreist.
HORATIO
Aber –
HAMLET
Widersprichst Du Deinem Prinzen?
Horatio öffnet den Mund zur
erneuten Erwiderung, als Hamlet neben sich greift, ein Kissen nimmt
und mit halber Kraft auf Horatios Kopf schleudert. Horatio nimmt das
Kissen und für einen Moment ist die Szene wie eingefroren:
Hamlets herausforderndes Grinsen und Horatios Unschlüssigkeit.
Dann grinst er ebenfalls und schlägt das Kissen mit voller Wucht
zurück. Ein tolles Handgemenge entsteht, als die Beiden sich auf
dem Bett rollend gegenseitig wild lachend bewerfen.
Nach einigen Minuten gewinnt –
wie zu erwarten war – Horatio die Oberhand und über Hamlet
kniend, holt er zu einem letzten Schlag aus.
HAMLET die Arme vors Gesicht
haltend
O Gott, Gnade!
Gnade, Horatio!
Innehaltend wird sich Horatio in
Anbetracht der Kissen wieder bewusst, in welchem Raum er ist und
welche nächtliche Stunde herrscht.
HORATIO
Wir
haben die Zeit vergessen!
HAMLET
Und?
Horatio klettert, jetzt doch in Anbetracht der
Stellung errötend, von Hamlet herunter.
HORATIO
Ich
sollte gehen, Euer Schiff bricht im Morgengrauen auf.
HAMLET
Ich
bin nicht müde.
HORATIO
Die
schwarzen Ringe unter Euren Augen zeugen gegen Eure Worte.
HAMLET
Gut,
Du hast recht. Es ist wohl eher die unvernünft'ge Angst.
HORATIO
Wovor?
HAMLET
Es
ist der Gedanke des Einschlafenden, am nächsten Morgen wieder
die Augen öffnen zu müssen und wieder einen ganzen, ewigen
Tag vor sich zu haben. Das entsetzt mich so sehr.
HORATIO
Ich
bitt' Dich, kuschle Dich
fest in die Decken, gönn' Deinem
Körper die verdiente Ruhe und die Augen schließe,
dass sie Ungerechtigkeit einige Stunden nicht sehen mögen.
Dies befolgend und an Horatios Hand ziehend,
bewegt Hamlet den Sitzenden dazu, sich wieder hinzulegen. Mit einem
winzigen Lächeln kuschelt er sich behutsam an Horatios Seite.
HAMLET mit
geschlossenen Augen flüsternd
Ich
möchte nicht, dass wir morgen scheiden.
HORATIO ebenfalls
flüsternd
Vergiss'
das Morgen. Vergiss' des Geistes
Racheauftrag. Heute Nacht ist eine andere Welt.
Schlaft, mein Prinz.
Ich werde beten.
HAMLET
Wofür?
HORATIO
Das
zur Vollendung Eurer Bestimmung ein Wunder geschehen mag.
Hamlet
hebt noch einmal die Lider und sieht in die blauen Augen des
handbreitentfernten Gesichtes
HAMLET
Horatio,
weißt Du, es gibt keinen Menschen, der mich nicht mindestens
einmal völlig an den Rand der Beherrschung und des Verstandes
gebracht hat. Nur Du hattest irgendwie immer diese seltsame Gabe. Bei
Dir bin ich immer mehr ich selbst, als irgendwann sonst.
Das
ist mir Wunder genug.
TBC – Once again ;)
