Hamlets Schlafgemächer
Hamlet
in zerrissener Wäsche. Es klopft.
HAMLET
Jetzt
nicht!
HORATIO
Horatio
hier. Ihr rieft.
HAMLET
Komm
rein!
Horatio
betritt das Zimmer, die Tür schließend, hält er einen
Moment inne.
HORATIO
Mein
Herr, wie seht Ihr aus?
Hamlet
lässt lachend die Kleidung, die er eben neu anziehen wollte,
zurück aufs Bett fallen
HAMLET
Schlimmer,
als der wahre Zustand, Horatio.
Horatio
atmet sichtbar erleichtert auf, beim Klang der durchaus aufgeweckten
Stimme.
HORATIO
Was
ist geschehen auf der Überfahrt? Ich ersuch' Euch, sprecht!
HAMLET
Sprechen
– verlang' das jetzt nicht von mir, Horatio. Ich bin allein froh,
hier zu sein. Alles andre – mag's im Morgen erörtert und
bedacht werden. Mein Geist ist müde, nach Ruhe verlangend.
HORATIO
Natürlich,
das versteh' ich. – Doch dann, welch' Zweckes rief Ihr mich?
HAMLET
Komm.
Horatio
geht mit leichtem Schritt auf ihn zu. Er bleibt vor Hamlet stehen,
abwartend. Das andauernde Schweigen beginnt eine Spannung aufzubauen.
Blaue Augen treffen blaue Augen und es scheint die Luft um beide
Männer zu elektrisieren. Ein erschöpftes, doch aufrichtiges
Lächeln, fern jeder Schauspielerei, legt sich auf Hamlets
Lippen. Dann, mit einer sachten Bewegung, legt er seinen Kopf
behutsam auf Horatios rechte Schulter und schließt die Augen.
HAMLET
Die
erste Nacht auf dem Schiff stand ich draußen, einen Moment lang
allein unter den Sternen.
Ich
hätte stundenlang dort stehen können. Es ist schon seltsam.
Manchmal habe ich Angst vor dieser allumfassenden Finsternis, aber an
manchen Tagen liebe ich sie.
Es
vom jeweils anderen nicht wissend, haben beide bei Hamlets
flüsterndem Monolog die Augen geschlossen. Horatio legt kaum
spürbar seine Hände auf Hamlets Rücken.
HAMLET
Man
steht da, fühlt des Windes Liebkosung im Gesicht und wenn man
ganz still ist, kann man all die armen Seelen im Wind spüren.
HORATIO
Seltsam,
dass Ihr das sagt.
HAMLET
während er wieder einen Schritt zurück tritt
Weshalb?
HORATIO
Entgegen
meiner Natur, stand auch ich in jener Nacht nach Eurer Abreise unterm
Firmament und lauschte stumm.
HAMLET
Und
hörtest auch die gepeinigten Seelen?
HORATIO
Nein,
mein Herz vernahm eine engelsgleiche Stimme – es war die Eurige.
Hamlet
lächelt unter diesen Worten, jedoch es stirbt das Lächeln,
als neue Gedanken sich in seinen Geist schieben.
HAMLET
Es
scheint mir, Horatio, als läge alles, was ich je zu besitzen
hoffte, je zu lieben vermochte, in einem
eisigen Grab. – Liebe, was für eine Illusion! Mutterliebe,
Frauenliebe – alles vergangen und dazu verdammt, nie
wiederzukehren!
HORATIO
Was
Euch bleibt, ist die Hoffnung.
HAMLET
Hoffnung? Was ist, wenn es keine Hoffnung mehr gibt, Horatio?
Was,
wenn es nur noch Schmerz gibt?
Mit einem schweren Seufzen holt
Horatio Hamlet zurück in die seltsame Halbumarmung.
HORATIO
Ich weissage Euch, dass der Quell Eures Leidens einst versiegen wird.
HAMLET
erstickt
Die
Narben sind es, die niemals verschwinden werden.
HORATIO
Aber
mit ihnen könnt Ihr leben lernen.
Hamlet
atmet in Horatios Nacken tief durch, unwissend, dass er eine
Gänsehaut hinterlässt.
HAMLET
sich wieder aufrichtend
Die
Matrosen, die mich an Land begrüßten, hießen mich
herzlich willkommen und segneten mich für meine glückliche
Heimkehr. Es war zynisch.
HORATIO
Wieso
sollte dies ihre Absicht gewesen sein?
HAMLET
Nah,
nicht zynisch ihre Zunge, nur der Klang ihrer Worte in meinem Herzen.
HORATIO
Warum
dies?
HAMLET
flüsternd, wobei er bei jedem Wort wieder ein Stückchen
näher auf Horatio zukommt.
Man
ruft mein Wiederkehren aus, aber in Wahrheit bin ich in meinem ganzes
Leben – noch nie wirklich nach hause gekommen.
Die
letzten Worte, Horatio ins Ohr gehaucht, hinterlassen in dessen
Nacken erneut diese verwirrendangenehme Gänsehaut.
Diesem
Gefühl erliegend, weicht er einen Schritt zurück. Hamlet
ringt für einen Moment mit dem Verlust Horatios Körperwärme.
Bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen, schluckt er einmal
hart und zeichnet sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen,
das in Horatios Augen schrecklich verzweifelt aussieht.
HORATIO
Bestraft
sie nicht für ihre Dummheit. Es wird Euch auch nicht die
Erlösung bringen.
HAMLET
Nein?
O, welch' trefflicher Gedanke, meine Fäuste so lange in ihrem
Gesicht bersten zu lassen, bis es nur noch eine rote Pampe ist und
man sehen kann, was sie wirklich sind – nichts!
HORATIO
wieder einen Schritt nach vorn richtend und Hamlets Schultern
packend
Eure
Gedanken sind gefährlich!
Hamlet
zuckt unter diesen Worten, sich selbst nicht eingestehend, dass es
weniger deren Inhalt, als der Hauch Horatios Atems auf seinen Lippen
ist.
HAMLET
Ich
stelle mir manchmal vor, wie es wäre einen Tag ihr Leben zu
leben. Wie sich das wohl anfühlt? – Aber dann denke ich mir,
vielleicht fühlt sich das auch nach nichts an.
Vielleicht
ist der Grund ihres Sorgloseins einfach das Fehlen tiefer Gefühle
und dann möchte ich doch nicht mit ihnen tauschen. Denn sie
werden irgendwann sterben, ohne gewusst zu haben, was hinter dem
Begriff „Emotionen" wirklich steckt. Ich glaube das ist es, was
uns zu etwas Anderem macht. Die Menschen werden uns immer hassen,
weil wir anders sind, vielleicht auf eine gewisse Weise perfekter. –
Ich stelle mir manchmal vor, wie schön es wäre, über
die Kadaver der Menschenbrut zu steigen, aber am Ende wäre ich
dann nicht besser als sie.
HORATIO
Und
Ihr seid in Eurem Herzen auch kein Mörder.
HAMLET
die Augen schließend
Mir
wird einmal mehr bewusst – gerade im schwärzesten Augenblick
der Zeit – wie wichtig Du mir bist...
Es
gibt tatsächlich noch etwas in mir, das zu lieben fähig
ist.
Bilde ich mir das ein, oder ist dieser Teil ziemlich „slashy" geworden? Also ich bin mir keiner Schuld bewusst (liedchen pfeif) ;)
Es kommt noch ein letzter, Abschlussmonolog Horatios, nach Hamlets Tod. Ich bin nun mal am Besten im Schreiben von Trauerspielen...
