Liebe und Angst

Kapitel 4: Verlass mich nicht wieder

Piper schlug das Buch der Schatten zu und stöhnte in Frustration und Angst auf. „Ich kann nichts finden, das wir noch nicht versucht haben", sagte sie und ging hinüber zu Paige, die auf einen Stuhl saß und mit dem Kristall auf dem Stadtplan suchte. „Hast du ihn gefunden?"

Paige schüttelte ihren Kopf und sah zu ihrer älteren Schwester auf. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war voller Schmerz und sie stand schnell auf und umarmte Piper. „Wir werden ihn finden", sagte sie entschlossen, obwohl sie selbst nicht davon überzeugt war.

„Was ist, wenn wir ihn zu spät finden?", fragte Piper, während sie gegen Tränen kämpfte.

„Piper, so kannst du nicht denken", versuchte Paige sie zu beruhigen.

Plötzlich kam Phoebe in den Raum und Piper ging schnell zu ihr und fragte sie hoffnungsvoll: „Und? Was hat Darryl gesagt?"

Phoebe zögerte. Sie sah die Hoffnung in Pipers Augen und sie fühlte sich mies, da sie wusste, dass sie es mit ihren Neuigkeiten wieder schlimmer machen würde. Sie holte tief Luft, bevor sie schließlich antwortete: „Er hat nichts gehört über Chris."

Die Angst um ihren Sohn schien sie überwältigen zu wollen, aber Piper wusste, dass sie ihn finden musste. Sie sammelte ihre ganze Selbstbeherrschung und setzte sich an den Tisch, um erneut mit dem Kristall nach ihm zu suchen. Phoebe und Paige standen nur da, unsicher was sie noch tun konnten. Das Buch half ihnen dieses Mal nicht und das einzige was ihnen übrig blieb war zu hoffen, dass entweder Leo oder Piper ihren Neffen finden würden, bevor es zu spät war.

Ein paar Minuten später beamte Leo herein und schritt schnell hinüber zu seiner Frau. Sie fragte nicht einmal, ob er ihren Sohn gefunden hatte, denn sie wusste, wenn das der Fall wäre, dann wäre er nicht ohne ihn gekommen. Als Leo Pipers verängstigtes Gesicht sah, schloss er wieder die Augen, um noch mal nach ihren Sohn zu suchen. Nach einer Weile wollte er aufhören, doch schlich sich plötzlich ein Bild vor seine Augen. Er sah Chris, ohnmächtig und blutend, in einer Gasse liegen.

Leo öffnete schnell seine Augen und rief aus: „Ich hab ihn gefunden!" Im selben Moment landete der Kristall auf einer Gasse in China Town. Piper verschwendete keine Zeit und nahm die Hand ihres Mannes, der sie sofort wegbeamte.

„Hey! Wartet auf uns!", rief Phoebe und nahm Paiges Hand, um ihnen zu folgen.


Barbas sah zu, wie der junge Mann, der zu seinen Füßen lag aufhörte zu atmen und grinste. Sein Grinsen verschwand jedoch, als er das Geräusch von Beamen hörte. „Verdammt, sie sind zu früh dran", fluchte er und wurde schnell unsichtbar.

Eine Sekunde später materialisierten Leo und Piper neben Chris. „Oh Gott!", keuchte Piper, als sie ihren Sohn sah. „Leo!"

Leo kniete schon neben ihm und hielt seine Hand über Chris' Wunde. Das goldene Leuchten kam, doch die Wunde schloss sich nicht. Phoebe und Paige kamen jetzt auch an und stellten sich hinter die zwei, die neben Chris knieten. Piper rannen Tränen über die Wangen und sie nahm die eiskalte Hand ihres Sohnes in ihre eigene. „Leo", brachte sie mühsam hervor. „Er – er ist nicht… Ich meine, er ist nicht…" Sie konnte diesen Satz einfach nicht beenden.

Und Leo konnte nicht antworten. Seine Kräfte arbeiteten schon ein paar Sekunden, aber es war noch immer nichts passiert. Er konnte hören, wie Piper Chris beruhigende Worte zuflüsterte und konzentrierte sich stärker. Er konnte seinen Sohn nicht sterben lassen, das würde er nicht tun. Das Leuchten von seinen Händen wurde heller und alle seufzten erleichtert auf, als sie sahen, dass Chris' Wunde endlich anfing sich zu schließen.

Barbas, der etwas entfernt von ihnen stand, fluchte erneut, als er sah, wie dieser verdammte Älteste den Jungen heilte. Paige sah daraufhin auf und runzelte verwirrt die Stirn. Sie hätte schwören können, dass sie etwas gehört hatte. Phoebe bemerkte ihren Gesichtsausdruck und fragte: „Was ist los?"

Paige starrte weiterhin in die Richtung aus der sie etwas vernommen hatte, doch dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Neffen zu und antwortete: „Nichts, vergiss es."

„Wieso konnten wir ihn plötzlich finden?", fragte Phoebe nun.

„Er war zu schwach, um uns noch länger abzublocken", antwortete Leo und sah erleichtert zu wie sich die Wunde seines Sohnes komplett schloss.

Chris versuchte sofort sich aufzusetzen, doch Leo legte ihm eine Hand auf die Brust, um ihn zurückzuhalten. „Ganz ruhig. Wir bringen dich jetzt nach Hause und dort kannst du dich etwas ausruhen, okay?", sagte er sanft und bevor Chris überhaupt reagieren konnte, beamte er sie weg.

Piper drehte sich schnell zu ihren Schwestern, damit sie zusammen Leo folgen konnten.


Als sie in Pipers Zimmer ankamen waren sie jedoch geschockt über das was sie sahen. Leo lag auf dem Boden und Chris stand beim Bett und schrie ihn an: „Fass mich nicht an!"

„Chris…", find Piper an zu sagen, doch sie wurde schnell unterbrochen.

Deine verdammten Ausreden brauch ich auch nicht!", schrie Chris weiter, während sein Vater aufstand. „Wieso habt ihr mich nicht einfach sterben lassen? Schließlich ist es das, was ihr wollt!"

Er wollte wegbeamen, doch Leo lehnte sich geistesgegenwärtig nach vorne und hielt ihn zurück. „Du bleibst hier. Und wir werden herausfinden was zum Teufel mit dir nicht stimmt", rief er aufgebracht aus, dieses wütende Benehmen seines Sohnes nicht gewöhnt.

„Mit mir nicht stimmt?", brüllte Chris ungläubig. „Ihr seit einfach unglaublich! Lasst mich verflucht noch mal in Ruhe!" Er versuchte mit allen Mitteln sich aus Leos Griff zu befreien, doch sein Vater ließ ihn nicht los. Verärgert benutzte er noch mal seine Kräfte und Leo flog gegen die Wand.

„CHRIS! DU HÖRST SOFORT DAMIT AUF!", schrie Piper und hoffte ihren Sohn aufzuhalten.

Unglücklicherweise funktionierte es nicht. Als Chris wieder sprach war seine Stimme zwar leiser, aber genauso harsch wie vorher. „Was ist? Hast du Angst, dass ich deinem verdammten Mann wehtue? Wo warst, als er mir wehtat? Wo warst du, als er entschied, dass ich nichts wert bin und mich im Stich gelassen hat? Sag's mir! Oh warte, die Frage kann ich auch beantworten. Du warst bei Wyatt und später bist du GESTORBEN!"

Piper fühlte sich, als hätte ihr jemand ein Messer ins Herz gerammt. Sie hatte nie geglaubt, dass Chris jemals so mit ihr reden würde. Und was sie noch mehr betroffen machte war, dass sie ihn enttäuscht hatte… Sie war eine miserable Mutter für ihn gewesen. Sie hatte ihn allein gelassen. Die Tränen kamen zurück in ihre Augen, während sie ihren Sohn ansah.

Phoebe und Paige waren gleichermaßen geschockt über das Benehmen ihres Neffen. Sie wussten, dass Chris Piper liebte, sie hatten das genau gesehen. Paige konnte leichter verstehen wie Chris sich jetzt gerade fühlen musste, da sie früher eine Sozialarbeiterin gewesen war. Sie war sich sicher, dass Chris ihre ältere Schwester sehr liebte, doch Piper – sie alle – hatten ihm sehr wehgetan in den letzten Monaten. Eigentlich war Paige ja überrascht gewesen, dass Chris ihnen einfach so vergeben hatte und überhaupt nicht wütend zu sein schien.

„Ja, DU BIST GESTORBEN!", schrie Chris erneut und riss sie aus ihrem Schockzustand. „Du hast mich verlassen! Ich hatte niemanden in den letzten acht Jahren außer Bianca und jetzt ist sie auch tot! Und du hast die Nerven mich zu fragen was mit mir nicht stimmt?"

„Chris, ich weiß du bist verletzt und du hast jedes Recht auf uns wütend zu sein, aber…", versuchte Leo seinen Sohn zu beruhigen, doch Chris unterbrach ihn schnell. „Ja, da hast du verdammt Recht! Ich bin wütend auf euch! Du hast gesagt, dass du mich liebst und dann hast du – " Seine Stimme brach und das erste Mal seitdem Piper angekommen war konnte sie etwas anderes als Wut in den Augen ihres Sohnes erkennen.

Sie entschloss sich diese Chance zu nützen und umarmte ihn. „Ich hab dich wirklich sehr lieb. Du bist mein Baby, ich…"

Chris löste sich sofort von ihr und rief: „Nenn mich nicht so!"

„Chris…"

„NEIN!", schrie Chris mit Tränen in den Augen. „Ich will es nicht hören! Ich hab eure Lügen und Versprechungen so satt!"

„Wir haben dich nicht angelogen", sagte Leo ruhig. „Wir haben es ehrlich gemeint, als wir sagten, dass wir dich lieben."

„Ja sicher, das ist auch der Grund wieso Piper dir später gesagt hat, dass sie mich hasst", spottete Chris.

Piper zuckte kurz zusammen, als sie merkte wie er sie wieder beim Vornamen ansprach, doch sie fing sich schnell. „Schätzchen, das hab ich nie gesagt. Noch wirst du mich jemals so etwas sagen hören."

Chris fing an zittern, als er versuchte seine Emotionen in Zaum zu halten. Er war wütend auf sie, doch er fühlte sich schon schuldig dafür, dass er seine Mutter angeschrieen hat. Aber wieso kümmerte es ihn überhaupt? Es war ja nicht so, als würde sie sich um ihn kümmern… oder tat sie es? Er war so verwirrt. Ein Teil von ihm konnte es einfach nicht glauben, dass Piper ihn jemals so zurückweisen würde, aber er hatte sie doch gehört. „Ich hab dich gehört", sagte er nun, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Piper und Leo zogen verwirrt die Stirn in Falten, während Phoebe und Paige sich eher zurückhielten. Sie wussten, dass ihre ältere Schwester und ihr Schwager diese Situation meistern mussten, doch blieben sie im Raum, um zu sehen was passierte. „Chris, ich hab nie so etwas gesagt", versuchte Piper nun ihren Sohn zu überzeugen.

„Das hab ich auch nicht", fügte Leo hinzu.

Während Chris seine Eltern anstarrte und versuchte herauszufinden, ob sie ihm die Wahrheit sagten, erschien Barbas, unsichtbar, im Zimmer. Er sah, wie sein Plan drohte zu scheitern. Der junge Mann fing an seinen Eltern zu glauben. Na ja, dann müssen wir etwas anderes probieren, dachte Barbas und konzentrierte sich, um Chris noch eine Vision zu erschaffen.

Jeder im Raum zuckte erschreckt zusammen, als Chris plötzlich laut „Dämon!", schrie. Sie drehten sich schnell in die Richtung in die er blickte, doch sie sahen niemanden. Chris benutzte seine Telekinese, um den ‚Dämon' wegzuschleudern, doch da der Dämon nicht wirklich existierte traf seine Kraft eine Vase und sie fiel zu Boden und zersplitterte. Verwirrt drehten sich alle wieder zu Chris um und Paige fragte: „Was machst du da?"

Chris hörte sie nicht. Er bekam langsam Panik, als er bemerkte, dass seine Kräfte gegen diesen ‚Dämon' nicht wirkten. „Piper, spreng ihn!"

„Wen denn?", fragte sie, jetzt etwas besorgt.

„Den Dämon, er ist dort…", fing Chris an, doch unterbrach er sich in Horror, als er sah, wie der ‚Dämon' einen Energieball in die Richtung seiner Mutter schoss. Er versuchte Piper aus dem Weg zu stoßen, doch er war zu spät. Der Energieball traf sie in den Rücken und sie flog zu Boden, direkt vor seine Füße.

„Neiiiin!", schrie Chris ängstlich und kniete sich hin, um seine ‚Mutter' in die Arme zu nehmen. „Mom! Bitte, nein…"

Piper sah total geschockt zu, wie Chris mit ihr sprach, als würde sie in seinen Armen liegen. Sie schluckte hart, bevor sie sanft sprach: „Chris, Schätzchen, ich bin hier. Mir geht's gut."

Wieder hörte Chris sie nicht. Er sah auf, um seinen Dad um Hilfe zu bitten, aber er war nicht da. Auch seine Tanten waren verschwunden. Sie waren alle weg. Sie hatten ihn alle verlassen. Tränen drohten sich ihren Weg zu bahnen, während er seinen Griff um seine ‚Mutter' verstärkte und leise sagte: „Es tut mir so Leid, Mom, ich wollte dich nicht anschreien… bitte verlass mich nicht wieder, ich brauche dich… bitte…"

„Chris!", rief Piper wieder. Sie bekam jetzt wirklich Panik, genau wie ihre Schwestern und ihr Mann.

„Zu wem spricht er denn?", fragte Phoebe leise.

„Es scheint, als würde er mit Piper reden", antwortete Paige.

„Aber ich bin hier!", kreischte sie und drehte sich zu Leo um. „Was ist mit ihm?"

Leo sah seinen Sohn für eine Weile an, doch dann antwortete er: „Ich weiß es nicht."

„Mom!", schluchzte Chris. „Mom, bitte, es tut mir Leid, bitte verlass mich nicht wieder… DAD!"

„Was zur Hölle?", stieß Leo hervor, als er die herzzerreißende Stimme seines Sohnes hörte. „Chris, ich bin ja hier!"

„Mom… bitte, wach auf, Mom", weinte Chris weiter. „Es tut mir so Leid… Bitte, stirb nicht… verlass mich nicht wieder. Du hast jedes Recht mich zu hassen… Ich werde alles tun was du willst – nur verlass mich nicht wieder…"

„Chris?", sagte ‚Piper' mit schwacher Stimme, als sie ihre Augen ein wenig öffnete.

„Mom!", rief Chris aus. „Mom, es tut mir Leid… bitte – "

„Ich hasse dich… wie konntest du das tun? Das ist alles nur deine Schuld", sagte ‚Piper' zu ihm und Chris schluchzte noch lauter. „Nur wegen dir werde ich nicht für Wyatt da sein können… meinem Baby… Ich werde dir das nie verzeihen…" Mit diesen Worten schloss ‚Piper' wieder die Augen.

„Nein! Mom! Bitte, nicht… es tut mir Leid", weinte Chris. Oh Gott, was hatte er getan? Er war schuld am Tod seiner Mutter… aber hatte ihr doch nie wehtun wollen. Die Schuld und die Angst wurden fast unerträglich. Er hatte seine Mom getötet… wie sollte er jemals wieder ohne sie leben können? Er konnte sie nicht wieder verlieren… „Nein… nein", schluchzte er. „Ich hab dich so lieb, Mom, es tut mir Leid… bitte verlass mich nicht…"

Piper, ihre Schwestern und Leo waren total geschockt. Was zur Hölle ging hier eigentlich vor? Plötzlich fiel Piper etwas Merkwürdiges auf. Eine Strähne von Chris' Haar war grau geworden. Innerhalb einer Sekunde verstand Piper was los war und sie keuchte erschrocken auf: „Barbas…"

Fortsetzung folgt…