Liebe und Angst

Kapitel 10: Deine letzte Chance, Chris

„Piper?"

Piper hörte die besorgte Stimme ihres Mannes, doch sie reagierte nicht. Sie wusste sie sollte etwas sagen, irgendetwas tun, aber sie war wie erstarrt. Als hätte jemand ihre eigene Zauberkraft gegen sie verwendet. Chris war verschwunden – schon wieder. Und dieses Mal war er bei Wyatt. Nicht das süße unschuldige Baby, das unten in seinem Bettchen lag, sondern das mordlustige Monster, das sich nicht im Geringsten um seinen Bruder sorgte. Der Chris für seinen Verrat bezahlen lassen wollte. Der seinen Bruder wahrscheinlich sogar töten würde.

„Piper, komm schon. Du musst dich zusammenreißen", sagte Phoebe drängend.

„Ja, wir müssen Chris finden, bevor…" Paige unterbrach sich. Sie hatte es nicht so sagen wollen.

Piper sah endlich zu ihnen auf. „Du meinst, bevor Wyatt ihn umbringt?", vollendete sie mit bitterer Stimme. Wie konnte ihr süßes Baby sich nur in etwas verwandeln, das so böse ist?

„Piper, er würde Chris nie umbringen", meinte Phoebe, während sie versuchte sich selbst genauso von ihren Worten zu überzeugen wie ihre Schwester.

Leo sah unbehaglich weg. Er wusste, dass Wyatt in der Lage dazu wäre es zu tun. Er hatte gesehen wie wenig er sich um den Tod seines Bruders gekümmert hatte. Aber was konnte er tun, um es zu verhindern? Wyatt war mächtiger, als die Mächtigen Drei und er hatte Chris und sich selbst von ihnen abgeschirmt. Und selbst, wenn sie sie finden würden, wären sie vielleicht schon zu spät… Nein, er durfte nicht so denken. „Hört zu, wir haben jetzt keine Zeit darüber zu diskutieren", sagte er fest und sah seiner Frau in die Augen. „Wir müssen Chris finden. Ich werde mich ein wenig umschauen und ihr versucht es mit Sprüchen und dem Kristall."

„Wenn Chris uns davon abhalten konnte ihn zu finden, dann kann Wyatt das auch, Leo", widersprach Piper in einem ergebenen Ton. Es war einfach viel zu viel passiert in den letzten Tagen.

„Also schlägst du vor, dass wir einfach nur herumsitzen und nichts tun?", rief Leo ungläubig. Er hatte Piper noch nie so gesehen.

Phoebe und Paige zuckten leicht zusammen, als sie seine laute Stimme hörten. In diesem Moment sah Leo überhaupt nicht wie sein normales, pazifistisches Selbst aus. Er hatte einen Ausdruck auf dem Gesicht, den Piper immer trug, wenn jemand versuchte Wyatt wehzutun. Er sah aus wie ein Vater, der zu allem bereit war, um sein Kind zurückzuholen. „Leo hat Recht. Wir müssen etwas tun und hoffen, dass mit etwas Glück…"

„Glück!", wiederholte Piper, plötzlich aufgeregt. „Das ist es! Wir brauchen etwas Glück!"

„Wie bitte?", fragte Paige verwirrt.

„Kobolde. Wir brauchen etwas von ihrem Glück, damit wir meine Söhne finden können", erklärte Piper und wollte zum Buch der Schatten gehen, als Wyatt unten anfing zu weinen. „Leo und ich sehen nach ihm und ihr holt einen Kobold hierher und zwar schnell", befahl sie ihren Schwestern.

Phoebe und Paige gingen sofort hinüber zum Buch, während Piper und Leo den Dachboden verließen. Sie konnten noch immer hören, wie Piper ihren gewöhnlichen Kampfgeist zurück gewann. „Und wenn wir sie gefunden haben, dann werde ich Wyatt mal den Kopf waschen. Es kümmert mich nicht was Chris gesagt hat. Ich bin noch immer seine Mutter und er wird auf mich hören! Sonst hat dieser Junge bis zum Ende seines Lebens Hausarrest!"

Trotz der ernsten Lage in der sie steckten, mussten die Schwestern leicht darüber grinsen. „Oh oh, Piper ist wieder auf Kriegspfad", sagte Phoebe in einer Sing-Sang Stimme, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Buch zuwandte.


Chris wurde zusehends frustriert. Er war in irgendeinem alten Gebäude und an die Wand gekettet. Das allein wäre schon frustrierend, doch die Versuche seines Bruders ihm Angst einzujagen waren einfach nervend. Wyatt war hier. Obwohl Chris seine Kräfte verloren hatte, konnte er die Gegenwart seines Bruders spüren. Aber er zeigte sich nicht. Chris wusste, dass er ihm Angst davor machen wollte was jetzt geschehen würde, doch Chris war nicht so leicht verängstigt. Er hatte fast sein ganzes Leben gegen seinen Bruder gekämpft und er hatte nie irgendwelche Angst ihm gegenüber durchscheinen lassen und er hatte vor es so zu belassen.

„Wyatt! Hör mit diesem Schwachsinn auf und zeig dich endlich!", rief er laut und vergewisserte sich, dass seine Stimme genervt klang. Es würde Wyatt wütend machen, das wusste er, aber das kümmerte ihn derzeit wenig. Wenn sein Bruder ihn umbringen wollte, dann konnte er sowieso nichts dagegen unternehmen.

Eine Sekunde später wurde Wyatt endlich sichtbar und Chris hätte vor Schreck einen Sprung gemacht, wenn er nicht zur Wand gekettet wäre. Wyatt stand direkt vor ihm, sein Gesicht war nur ein paar Zentimeter von seinem eigenen entfernt und er sah nicht sehr freundlich aus. Wyatt erkannte, dass sein Bruder sich erschreckt hatte und grinste. „Hast du Angst, kleiner Bruder?", fragte er spöttisch.

Chris schnaufte herablassend. „Ich dachte, du wärst jetzt ein bisschen erwachsener. Willst du vielleicht Verstecken spielen?", fragte er sarkastisch zurück.

Wyatt trat von ihm zurück, das Grinsen verließ dabei sein Gesicht nicht, aber er war eindeutig wütend. „Ich an deiner Stelle würde aufhören mich zu provozieren. Vielleicht lebst du dann etwas länger."

„Also willst du nicht Verstecken spielen? Oh, ich bin so enttäuscht", zog ihn Chris erneut auf.

„Halt den Mund!", schrie Wyatt. Er schoss einen Energieball nach Chris, der ihn in die rechte Seite traf.

Chris konnte einen Schmerzenschrei unterdrücken, fand sich jedoch unwillkürlich an den Vorfall erinnert, wo seine Mutter in gesprengt hatte. Das hatte auch wahnsinnig wehgetan, doch er dachte nicht daran, sondern was sie jetzt wohl tat. Versuchte sie ihn zu finden? Er war sich fast hundertprozentig sicher. Er war froh darüber, dass Wyatt sie abgeschirmt hatte. Chris wollte nicht, dass sie seinen Tod bei den Händen seines eigenen Bruder mit ansehen musste. „Ist das alles was du kannst?", fragte er und versuchte den Schmerz von seiner Wunde zu ignorieren.

Wyatt musste bei diesen Worten wieder grinsen. „Nein, ich hab da etwas, was ich dir zeigen muss." Ohne etwas anderes zu sagen schoss er elektrische Blitze in Chris' Richtung und ließ sie erstarren, bevor sie seinen Bruder treffen konnten.

Chris' Augen weiteten sich. „Woher hast du diese Zauberkraft? Das ist die Kraft eines Ältesten", sagte er mehr zu sich selbst. Er wusste, dass Wyatt seine eigenen Kräfte gestohlen hatte, aber war es wirklich möglich, dass das eine davon gewesen war? Chris konnte es nicht glauben. Er hatte nie eine andere Kraft außer Telekinese und Beamen benutzen können.

„Oh, das ist noch nicht alles", unterbrach Wyatt seine Gedanken. Mit einem Schwung seines Armes gefror der Blitz zu Eis und bewegte sich weiter.

Bevor Chris überhaupt darüber nachdenken konnte, was für eine Kraft Wyatt benutzt hatte, bohrte sich der Eisblitz durch seine Schulter und blieb in der Wand stecken. Chris keuchte schwer, doch es war ihm erneut gelungen einen Schrei zu unterdrücken. Cryokinesis, dachte er dann. Aber Wyatt war noch nie zuvor in der Lage gewesen Dinge einzufrieren. Also war diese Kraft auch neu. Doch war sie eigentlich seine eigene?

„Brauchbar, denkst du nicht?", fragte Wyatt und trat ein paar Schritte auf ihn zu. „Und ich muss dir dafür danken."

Chris sagte nichts. Was sollte er denn schon darauf erwidern? Komm schon Wy, gib mir meine Kräfte zurück, damit ich dir in den Hintern treten kann? Er hätte es gerne gesagt, aber was würde es bringen? Wyatt würde ihm seine Kräfte nicht zurückgeben und wäre wahrscheinlich nur noch wütender, als er es ohnehin schon war.

„Weißt du was?", fragte Wyatt plötzlich.

Chris konnte der Versuchung widerstehen, ‚Nein was?' zu sagen.

„Ich würde dein erbärmliches Leben vielleicht verschonen", sagte Wyatt in einem letzten Versuch seinen Bruder klar zu machen wie ernst er es meinte. „Ich gebe dir deine telekinetischen Fähigkeiten zurück und du kannst für mich arbeiten. Und wenn du beweist, dass du von nun an loyal bleibst, dann werde ich…"

„Hast du was auf den Kopf bekommen? Ich werde mich dir niemals anschließen", zischte Chris entschlossen.

Ohne Warnung griff Wyatt nach dem Eisblitz, der noch immer in Chris' Schulter steckte und zog ihn mit einem Ruck heraus. Chris war darauf nicht vorbereitet und konnte es nicht verhindern, dass ihm ein kleiner Schrei entwischte. Zufrieden warf Wyatt den blutigen Eisblitz auf den Boden, wo er in tausend Stücke zersprang. Dann trat er wieder zurück und sagte mit etwas endgültigem in der Stimme: „Deine letzte Chance, Chris."

Chris atmete scher. Er wusste, dass wenn er sich jetzt weigerte, dann würde Wyatt ihn umbringen. Aber er konnte sich Wyatt nicht anschließen. In dem Moment, in dem er den Befehl gab ihre Familie zu töten, hatte sich Chris geschworen, dass er das niemals tun würde. Er würde niemals alles wofür seine Familie, seine Mutter, gestanden, gekämpft und gestorben waren verraten. Chris sah in die eiskalten Augen seines Bruders und schaffte es dieselbe Kälte in seine eigenen zu legen. „Fahr zur Hölle, Wyatt! Ich werde mich dir nie anschließen!"

Bevor er den Satz richtig beendet hatte, hatte Wyatt schon seine Hände erhoben und elektrische Blitze auf ihn geschleudert. Nur dieses Mal verwandelte er sie nicht in Eis, sondern ließ sie seinen Bruder volle Kraft treffen. Für ein paar Sekunden konnte Chris stark bleiben, doch dann fingen seine schmerzerfüllten Schreie an in dem Gebäude wiederzuhallen.

Wyatt war zu abgelenkt, um Barbas zu bemerken, der in dem Raum materialisierte. Er sah amüsiert dabei zu wie ein Bruder den anderen quälte. Das also waren die Nachkommen der Mächtigen Drei. Es war einfach zu bizarr. Sie sollten die mächtigsten guten Hexer sein und kämpften jetzt gegeneinander. Und sie waren abgelenkt. Es war die perfekte Gelegenheit seine Rache zu bekommen. Er hatte heute schon zweimal versagt, doch er war sich sicher, dass er es dieses Mal schaffen würde.


„Habt ihr sie gefunden?", fragte Piper hoffungsvoll, als sie auf den Dachboden zurückkehrte und sah wie ein Regenbogen gerade verschwand.

Phoebe nickte. „Ja. Wo ist Leo?"

„Er bringt Wyatt in die Zauberschule. Er sollte in einer Sekunde hier sein", antwortete Piper und als ob er ihre Worte bestätigen wollte, beamte Leo herein.

„Habt ihr…"

„Ja, haben wir", unterbrach ihn Paige, die wusste was er fragen wollte. „Können wir gehen?"

Piper und Leo nickten und gaben sich die Hände. Es war Zeit ihren jüngeren Sohn von seinem bösen Bruder zu retten. Sie waren wenig darauf vorbereitet, was sie finden würden…

Fortsetzung folgt… (Seht ihr, hab doch gesagt es gibt gleich ein zweites Kapitel! Schickt mir schön Reviews, dann schreib ich die letzten zwei Kapitel am Wochenende fertig!)