Tag zusammen,
Tuschtrommelwirbel
Hier kommt also Kapitel zwei.
Für alle, die „Großstadtmagie" nicht gelesen haben: Eine Conjunktio ist nichts Unanständiges, ist ein magisches Phänomen und hat gar nichts mit Erwachsenenkram zu tun, nur dass da keine Missverständnisse entstehen :o)
feenian: Vielen Dank für Deine liebe Review. Stimmungstechnisch tendiere ich eher zum offenen Ende, ich bin keine, die ihre Figuren sitzen lässt, wenn sie richtig tief in der Sch stecken, aber ich erzähle auch selten bis zum „und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende". Meist lässt sich jedoch eine positive Tendenz erkennen.
alle anderen Leser: Kommt schon! Lasst Feenian nicht so alleine! Schreibt mir ein paar Zeilen.
Ich beantworte übrigens jede Review, und am liebsten per Email, das ist schneller und unmittelbarer als beim nächsten Update. Geht natürlich nur, wenn ihr eure Adresse angebt :o)
So, eine Runde Hundekekse für alle, und los geht's.
ZWEITES KAPITEL, IN DEM HUNDEKEKSE UND HERBSTLAUB EINE TRAGENDE ROLLE SPIELEN
Graues, trübes Tageslicht sickerte durch die blinden Fensterscheiben, als ich die Augen wieder aufmachte. Ich blinzelte, tastete nach meiner Brille auf dem Nachttisch und sah mich um. Ich war alleine in dem klammen Bett, der Wärmezauber lange verloschen. Dann schaltete sich mein Gehirn zu und ich schoss in die Höhe.
Warum hatte der blöde Wecker nicht geklingelt?
„Mist" sagte ich und schwang die Füße aus dem Bett. „Mist, Mist, Mist."
Ich angelte nach meinen Schuhen und warf mir meine Robe über. Dabei wischte ich ein Stückchen Pergament vom Nachttisch, das flatternd zu Boden glitt.
Oben, erkannte ich Remus' Schrift. Daneben hatte er einen entsprechenden Pfeil gemalt. Ich raffte meine Robe und beeilte mich, hinaus auf den Gang und auf die Treppe zu kommen.
Der zweite Stock lag dunkel und verlassen. Ich hatte wenig Lust, in jedes Zimmer zu sehen, ich wusste, die Weasleys hatten mehrere Kammerjäger-Aktionen hier oben veranstaltet, aber es war noch genug übrig, was ich mir am frühen Morgen nicht antun wollte. Ich stieg die Treppe weiter hinauf in den dunklen, muffigen dritten Stock, den so gut wie niemand je betrat, und tatsächlich fand ich eine offene Dachluke, zu der eine steile Leiter hinauf führte.
Ein frischer Wind zupfte mich an den Haaren, als ich oben den Kopf durch die Luke streckte. Von ferne drang das dunkle Rauschen des Londoner Stadtlärms zu mir. Ich befand mich auf dem schrägen, mit schwarzer Teerpappe gedeckten Dach des Anbaus. Links von mir ging es steil hinunter, ich sah die Regenrinne und darunter das rot gedeckte Dach von Nummer elf. Mir wurde schwindelig und ich klammerte mich an die oberste Stufe. Ich war es nicht gewohnt, eine Regenrinne aus der Vogelperspektive zu sehen. Rechts von mir erhob sich die Fassade des vierstöckigen Teils von Nummer Zwölf und bildete mit der schmutzigen Wand, die ich hinter mir hatte, einen geschützten Winkel. Dort hatte jemand mehr schlecht als recht einen groben Bretterboden eingezogen, um die Schräge auszugleichen, und dort fand ich auch den Mann, den ich lieber ohne waghalsige Kletterei an meiner Seite gefunden hätte, er lag ausgestreckt auf einer schmuddeligen Gartenliege aus Muggel-Plastik, hatte sich in eine Decke gewickelt und schien zu schlafen. In seinem Schoß lag ein Buch, der Wind blätterte sachte die Seiten um, und neben ihm auf einem Bretterstapel, der offenbar von den Bauarbeiten übrig geblieben war, stand ein Glas und der Wolfsbann in seinem kupfernen Gefäß. Ich atmete ein wenig auf.
Unbeholfen und umständlich kletterte ich aufs Dach und krabbelte hinüber zu dem Bretterboden, wo ich mich vorsichtig aufrichtete. Ich warf einen Blick auf das Buch. Es waren Verse. Kein Wunder, dass er schlief. Ich betrachtete sein Gesicht, das graue Tageslicht legte eine ungesunde Blässe über seine unrasierten, eingefallenen Wangen. Die silbrigen Strähnen in seinem hellbraunen Haar waren von stumpfem Grau. Ich überlegte gerade, ob ich ihn schlafen lassen und wieder nach drinnen klettern sollte, als er den Kopf drehte und mich ansah, hellwach von der einen zur anderen Sekunde.
Ich erschrak zu Tode. Etwas war mit seinen Augen geschehen, sie waren gelb und dunkel gemasert, und die Pupillen waren kleine schwarze Abgründe. Er nickte und lächelte matt.
„Guten Morgen" sagte ich, meine Stimme quietschte ein bisschen. „Was, ich meine, was ist denn mit deinen Augen?"
„Du musst keine Angst haben" sagte er. „Es passiert nichts weiter bis heute abend."
„Ich hab' keine Angst" sagte ich. Er lächelte wieder.
„Doch" sagte er. „Ich kann es riechen."
„Es ist nur… ich klettere nicht so gerne auf Dächern rum, am frühen Morgen" sagte ich in einer heldenhaften Anstrengung. „Was machst du hier draußen?"
„Ein bisschen frische Luft atmen" sagte er. „So frisch diese Stadt sie eben hergibt. Ich entwickle gelegentlich ein Problem mit geschlossenen Räumen."
„Oh" sagte ich. „Aber du wirst nicht den ganzen Tag auf dem Dach verbringen, oder? Es soll wieder regnen."
„Nein" sagte er. „Ich denke nicht."
„Hast du nicht geschlafen?"
„Kaum."
„Und du hattest Wolfsbann, um halb drei…"
„Und um halb sechs. Es ist nicht mein erster Vollmond, weißt du. Ich bin es gewohnt, Anweisungen zu befolgen."
„Ja" sagte ich und kam mir blöd vor.
Er nestelte unter seiner Decke und hielt mir dann den Wecker hin.
„Ich konnte ihn nicht ausschalten" sagte er. „Er hat immer wieder angefangen zu piepen. Ich hab' hinten die Dinger rausgenommen. Dann war Ruhe."
„Die Batterien" sagte ich.
„Ja" sagte er.
„Wollen wir nicht rein gehen?" sagte ich. „Frühstücken?"
„Geh nur" sagte er. „Ich bleib' noch ein bisschen hier."
Ich blieb stehen, unschlüssig, ich fragte mich, ob ich gerade weggeschickt worden war. Er drehte den Kopf weg und schloss die Augen. Ich fühlte mich ziemlich einsam auf diesem windigen Dach irgendwo in London.
„Was von Sirius gehört?" fragte er, ohne mich anzusehen.
„Nein" sagte ich.
„Gut" sagte er. „Tu mir einen Gefallen, ja?"
„Klar" sagte ich.
„Kümmer dich ein bisschen, wenn er auftaucht. Wir hatten noch ein kleines Handgemenge, heute Nacht. Er hielt es für eine gute Idee, sich aus dem Fenster zu stürzen. Ich musste ihn petrifizieren, und meine Sprucharbeit war nicht mehr ganz sauber."
„Und das heißt?"
„Er wird einen Riesenkater haben."
„Als ob das nicht ohnehin zu erwarten gewesen wäre."
Er nickte und sah mich immer noch nicht an.
„Also" sagte ich, „ich geh dann mal wieder rein."
„Ja" sagte er.
„Ja" sagte ich. „Okay." Ich machte einen Schritt. Er tat nichts, sah mich nicht einmal an. Ich kletterte durch die Luke wieder ins Innere. Ich fror. Mir war plötzlich bewusst, wie schlecht ich es in diesem seltsamen Haus mit seinen seltsamen Bewohnern aushielt, wenn er nicht mit seiner freundlichen Normalität an meiner Seite war.
Ich war nicht sonderlich ausgeschlafen, aber ich wollte auch nicht alleine zurück in das kalte Bett, Wärmezauber hin oder her. Ich beschloss, die Zeit zu nutzen und nahm mir einen Klassensatz Aufsätze zum Thema „Die Grenzen des Polyjuice oder warum sich aus einem Troll kein Gnom machen lässt" mit hinunter in die Küche.
Ich hatte das Konzept von Hauselfen bisher so verstanden, dass sie hinter den Zauberern her räumten, man mochte davon halten, was man wollte, dieser Hauself allerdings tat nichts dergleichen. Der Raum war muffig und kalt, und die Spuren von Sirius' Gelage waren unverändert auf dem Küchentisch – fast unverändert. Ein kleiner dünner Zeigefinger hatte sich bemüßigt gefühlt, aus einer Pfütze Feuerwhiskey das Wort BASTARD auf die Tischplatte zu schreiben. Ich machte mich ans Werk. Ich lüftete und wischte den Tisch ab und warf den Ofen an, ich setzte noch einen Hitzezauber drauf, damit es schneller ging. Ich schaltete jede Lichtquelle ein, die ich fand, einschließlich meines Stablichtes, und sah dann in die Speisekammer. Es war ein Rest Eintopf drin, der sich dank des Kältezaubers ganz gut gehalten hatte, aber trotzdem nicht das war, was ich mir zum Frühstück vorstellte, ein paar Dosen Fisch, eine Dose rote Bohnen, eine Tube Senf, eine Packung – ich grinste – Hundefutter, zwei Zwiebeln und ein Stapel Magie-Fix Tütensuppen. Ein Frühstück ließ sich davon nicht bestreiten. Ich schloss die Tür, die hässlich quietschte, nahm mir Muggel-Geld aus dem Marmeladenglas neben dem Herd und ging Brötchen holen.
Als ich mit einem Arm voll duftender Tüten zurück kam, saß Sirius in der Küche, die Beine von sich gestreckt, mit wirrem Haar und blassem Gesicht, er sah aus, als käme er geradewegs von Azkaban, seine Robe war zerknittert und verdreht, er hatte ganz klar darin geschlafen. Auf dem Schoß hielt er eine blau schimmernde Packung, und er biss gerade von einem Keks ab, der verdächtig die Form eines Knochens hatte.
„Morgen" sagte ich und lud die Tüten auf dem Tisch ab.
„Morgen" murmelte er mit einer Stimme wie ein Reibeisen.
„Kleinen Exzess gehabt, gestern?"
„Ich bin ein Gesellschaftstrinker" sagte Sirius kauend. „Ich kann einfach nicht nein sagen."
„Ach so" sagte ich grinsend.
„Moony gesehen?"
„Auf dem Dach. Soll ich ihn zum Frühstück holen?"
Sirius schüttelte den Kopf und fasste sich stöhnend an die Stirn.
„Nein" sagte er blinzelnd. „Lass ihn. Er kommt schon runter, wenn ihm danach ist. Ich müsste ihm ohnehin gleich eins verpassen. Er hat mich behext, der Mistkerl."
„Er hat dich von einem Fensterbrett runter geholt, wenn ich das recht verstanden habe" sagte ich.
„Sein Hex hat mir fast die Beine abgerissen! Er sollte wirklich nicht herumlaufen und Leute hexen, so kurz vor Vollmond."
„Beeinträchtigt das denn?"
„Blöde Frage. Es beeinträchtigt alles."
„Dann sag ihm doch, wenn du das nächste Mal Hund und Adler verwechselst, soll er dich deinen Irrtum selbst bemerken lassen" sagte ich. „Und hör auf, dieses Zeug zu essen!"
„Auch einen?" sagte er und hielt mir die Tüte hin. Ich wandte schaudernd den Blick von dem glücklichen Spaniel, der mich von der Packung angrinste. „Ich hab' Muffins geholt" sagte ich. „Und Käsebrötchen. Geht eigentlich einer von euch jemals einkaufen?"
„Ich nicht" sagte er. „Ich gehe nirgendwohin. Ich bin ein Gefangener, schon vergessen?"
„Schutzhaft, wohl eher" sagte ich.
„Eines wie das andere" sagte er.
Ich nahm mir ein Muffin und kramte eine Kaffeekapsel aus meiner Robe.
„Coffea arabica, mit Milch und Zucker" sagte ich und tippte sie mit meinem Stab an. Mit leisem Plopp öffnete sich die Kapsel und sprang zu einer hübschen, blauen Henkeltasse auf, aus der es dampfte.
„Oh" sagte Sirius. „Liebenswerte, großherzige Emilia. Ich würde sterben für eine Tasse Kaffee. Weißt du, wie es mir auf die Nerven geht, mit einem Teetrinker zusammen zu leben?"
Ich schob sie ihm rüber und machte mir eine neue. Ich wandte den Blick ab, als er sich einen neuen Hundekuchen aus der Packung nahm und ihn eintunkte.
„Hmmm" sagte er. „Es gibt nichts Besseres gegen einen kapitalen Kater."
Ich zog mir meine Aufsätze herüber und begann zu lesen, aber ich konnte mich nicht konzentrieren.
„Sirius?" sagte ich nach einer Weile.
„Hm?" machte er.
„Ist er immer so, am Tag davor? Ich meine, er sitzt auf dem Dach, und… er hat mich kaum angesehen."
„Nein" sagte Sirius. „Ich würde sagen, euer komisches Experiment ist schuld. Oder er meidet dich. Eines von beiden."
„Er meidet mich? Aber warum…?"
„Er ist ein bisschen empfindlich in Wolfsdingen. Er hat diesen Tick, seine Umwelt möglichst wenig davon spüren zu lassen. Es macht ihn krank, wenn er nicht vor aller Welt der nette Junge sein kann."
„Oh. Und ich dachte, er geht ganz souverän damit um."
„Zu Neumond vielleicht."
Ich seufzte.
„Lass ihm Zeit" sagte Sirius. „Er ist ein bisschen fest gefahren in seinen Gewohnheiten. Er hat gerade erst wieder gelernt, sich von mir helfen zu lassen. Wir sollten ihn nicht überfordern."
„Okay" sagte ich.
„Ich bin ja da" sagte er, und ich wusste nicht, ob mich das trösten sollte.
Drei Aufsätze später kam Remus in die Küche, seine Haare waren feucht. Sirius, der auf der Eckbank vor sich hin gedöst hatte, blinzelte.
„Morgen" sagte er. „Und? London von oben doch langsam langweilig?"
„Es regnet" sagte Remus. Ich sah ihm zu, wie er Wasser aufsetzte, Teebeutel aus der Dose nahm und sie in eine Tasse hängte. Er stand am Herd und kippelte unruhig mit dem Fuß, während er darauf wartete, dass das Wasser kochte. Er schwieg und sah mich nicht an. Ich wandte mich wieder meinem Aufsatz zu, ich tat wenigstens so, denn eigentlich starrte ich blind hinunter auf Joselyn Briggs' schlampige Schrift, ich war aufgeregt und beklommen und verunsichert. Ich machte mir noch einen Kaffee.
Das Wasser kochte, Remus goss den Tee auf und setzte sich mir gegenüber, er tat sich Zucker in den Tee, rührte und spielte mit dem Löffel herum, er strich sich Haare hinter die Ohren und sah aus dem Fenster, dann sprang er plötzlich auf und tauchte mit einer blitzschnellen Bewegung in die dunkle Nische zwischen dem Feuerholz und dem Geschirrschrank, etwas quiekte schrill, dann tauchte er wieder auf, er hatte einen hässlichen Stadtgnom bei den Füßen gepackt. Mit zwei großen Schritten war er beim Fenster, riss es auf, warf den kreischenden Stadtgnom hinaus und schloss klirrend das Fenster.
„Ich hasse diese Dinger" sagte er. „Dieser ständige Lärm, und sie stinken."
Ich sah Sirius an, der leicht mit den Schultern zuckte. Die Küche war für meine Begriffe frisch gelüftet und vollständig ruhig gewesen.
Remus setzte sich wieder und schloss die Hände um seine Tasse, ich sah, wie die Anspannung seine Fingerknöchel weiß hervor treten ließ. Ich fingerte ein zusammen gefaltetes, mittlerweile etwas verknittertes Pergament aus meiner Gesäßtasche und räusperte mich.
„Wie geht's dir?" fragte ich, fast rechnete ich damit, das Schicksal des Stadtgnoms zu teilen, aber er hob nur den Blick von seiner Tasse und sah mich an, seine Augen leuchteten wie Bernstein. Ich hielt seinen Blick aus. Er versuchte ein Lächeln, es wirkte wie eine Grimasse.
„Ich habe hier diese Liste" sagte ich. „Den Fragenkatalog zum Experiment. Fühlst du dich gut genug… ich meine, könnten wir…?"
„Ich bin nicht krank" sagte Remus. „Ich kann wohl ein paar Fragen beantworten."
„Okay" sagte ich nervös und faltete das Pergament auf.
„Dein Gesamtbefinden? Wie würdest du das beschreiben?"
„Nicht besonders" sagte er. „Unruhig, eingesperrt. Angespannt."
„Körperliche Beschwerden?"
„Nur die üblichen."
„Ich glaube nicht, dass Severus sich mit dieser Antwort zufrieden gibt."
Remus seufzte. „Kopfschmerzen" sagte er. „Lichtempfindlichkeit, verschwommene Sicht. Rückenschmerzen, und so etwas wie Schüttelfrost. Das übliche, wie gesagt."
„Oh, Mann" sagte ich. „Und ich dachte, PMS sei ein Fluch."
Er sah mich an. Ich wurde rot.
„Entschuldige" sagte ich. „War vielleicht eine blöde Bemerkung."
„Ja" sagte er und deutete auf die Liste. „Weiter."
„Okay" sagte ich zerknirscht. „Nächste Frage… sonstige Auffälligkeiten? Überempfindlichkeiten, Verlangen nach bestimmten Lebensmitteln oder ähnliches?"
„Ich hab' ein Problem mit Gerüchen" sagte er. „Alles, was künstlich ist, oder stark riecht. Und nein, ich verspüre nicht das Verlangen, ein Steak roh zu verschlingen, oder ähnliches."
„Aber der Jagdtrieb ist vorhanden" sagte Sirius grinsend.
„Quatsch" fauchte Remus.
„Aber ja doch" sagte Sirius. „Ich dachte, du drehst dem armen Gnom den Hals um."
„Ich versuche nur, das Haus einigermaßen bewohnbar zu halten" fauchte Remus, und Sirius lachte und klopfte ihm auf den Arm. „Mach ruhig weiter" sagte er zu mir.
„Ja" sagte ich. „Äh… wo war ich – hier. Schlafverhalten."
„Dreieinhalb Stunden, mit Unterbrechungen."
„Träume?"
„Ja."
„Was für welche?"
„Was geht das Severus an?"
„Hier steht: Falls ja, Art und Inhalt benennen."
„Art: schwer und unerfreulich. Inhalt: Privatsache."
Ich seufzte. „Ich werd's ihm ausrichten" sagte ich. „Letzte Frage. Emotionale Auffälligkeiten?"
„Was, bitte, ist eine emotionale Auffälligkeit?"
„Ich weiß nicht" sagte ich. „Frag Severus. Besondere Reizbarkeit vielleicht, oder etwas Ähnliches."
„Besonders im Vergleich wozu?"
„Ich weiß es doch nicht, Remus."
„Ich bin nicht besonders gereizt" fauchte er mich an. „Ich bin in völlig vertretbarem Maß gereizt. Ich habe ein verdammtes Recht darauf, gereizt zu sein! Ich habe niemanden gebeten, mich zu beißen und mir damit mein ganzes Leben zu versauen! Ich habe nicht drum gebeten, ein verdammter arbeitsloser Lehrer zu sein, der nichts als Absagen kriegt und nicht mal für sich selbst sorgen kann! Ich habe, verdammt noch mal, nicht drum gebeten, ein beschissenes Leben als Monster zu führen!"
„Besondere Reizbarkeit trifft es" sagte Sirius unbeeindruckt.
„Und" schrie Remus ihn an, „ich habe nicht drum gebeten, mit dir in diesem Geisterhaus fest zu sitzen und mir nichts als beschissene Geschichten von früher anzuhören!"
„Schon gut" sagte Sirius und legte ihm die Hand auf den Arm, doch Remus riss sich mit solcher Wut los, dass er seine Teetasse umwarf. Er starrte auf die Pfütze, die sich rasch auf der Tischplatte ausbreitete, dann wischte er mit einer heftigen Bewegung Tasse samt Unterteller hinunter auf den Boden, wo sie zu Scherben zersprangen.
Ich stand am Tisch, ich konnte mich gar nicht erinnern, aufgestanden zu sein. Er legte den Kopf auf den Arm und spielte mit der anderen Hand an seinen Haaren, die ihm über den Kragen fielen. Er sah aus wie einer, der einen Haarschnitt bitter nötig hatte. Und eine Umarmung. Ich ging zu ihm und legte die Hand auf seinen Nacken. Er ließ mich, und ich streichelte vorsichtig seine kühle Haut.
„Besser jetzt?" sagte Sirius vorsichtig.
„Entschuldigung" sagte Remus erstickt. „Ich… tut mir leid. Es ist schon vorbei. Ich hab' mich schon wieder im Griff."
„Es liegt alles an diesem fürchterlichen Haus" sagte ich. „Wisst ihr was? Lasst uns in Familie machen. Gehen wir Stöckchen werfen, und danach irgendwo einen Kaffee trinken."
„Ich kann nicht raus, mit diesen Augen" sagte Remus in den Ärmel seiner Robe hinein.
„Wir gehen nach Muggel-London" sagte ich. „Man wird dich für einen Freak mit seltsamen Kontaktlinsen halten, sonst nichts. Und wenn dich das nervt, kauf ich dir eine Sonnenbrille."
Ein wildes Jaulen kam von der Tür. Snuffles stand dort und kratzte am Türspalt, sein buschiger Schwanz wedelte wild.
„Also gut" sagte Remus zögernd und erhob sich. „Wir sollten das nicht Dumbledore wissen lassen. Es ist in doppelter Hinsicht riskant."
„Es ist Vormittag. Ich denke, wir werden es schaffen, bis Einbruch der Dunkelheit wieder da zu sein."
Wir statteten uns im Fundus des Ordens mit Muggel-Mänteln und einem großen schwarzen Regenschirm aus, schlugen die Kragen hoch und gingen raus in das graue Londoner Wetter. Snuffles umkreiste uns euphorisch, sprang in Pfützen, bellte Autos an und jagte eine alte, nasse Zeitung den Gehweg hinauf und hinunter. Wir sprachen nicht über den Vorfall in der Küche. Wir sprachen überhaupt kaum. Wir gingen ein paar Querstraßen, Remus hatte die Arme um sich geschlungen und den Blick gesenkt, er wirkte ein wenig unsicher auf den Füßen, und wenn er sich umsah, kniff er die Augen zusammen, als sei er geblendet. Dann kamen wir auf eine kleine Grasinsel zwischen zwei Häuserreihen, einige halbwüchsige Bäume rieben ihre mageren Äste gegeneinander, und Snuffles schoss davon und wirbelte Wolken von nassem Laub auf und rannte mit wehenden Ohren hinter einigen trägen Großstadttauben her. Wir bleiben stehen, nahmen uns bei den Händen und vertrieben uns die Zeit mit einigen vorsichtigen Küssen, und zum ersten Mal an diesem Tag wich er mir nicht aus, sein Blick war golden wie Herbstlaub.
Pünktlich um halb zwölf zum nächsten Wolfsbann waren wir zurück in Nummer Zwölf, bepackt mit Tüten aus einem nahen Supermarkt, mit deren Inhalt ich mehr als nur ein vernünftiges Mittagessen würde kochen können. Die Stimmung hatte sich deutlich gehoben. Sirius hatte seinen Kater überwunden und philosophierte über die Vorteile eines rohen Steaks im Vergleich zu Hundekeksen, und Remus machte sich neuen Tee und lächelte gelegentlich. Ich wollte gerade meinen neuen Gemüseputz-Zauber, den Molly mir beigebracht hatte, an einem hübschen dunkelgrünen Broccoli ausprobieren, als mir etwas einfiel.
„Mist" sagte ich. „Och nö."
„Was?" sagte Sirius.
„Ich hab' vergessen, mich heute morgen bei Severus zu melden."
„Na und?"
„Er wird mich vergiften. Zumindest verbal."
„Was macht der Typ nur mit dir, dass du so eine Angst vor ihm hast? Du bist schließlich keine Schülerin."
„Ich hab' keine Angst vor ihm" sagte ich.
„Na ja" sagte Remus hinter mir, sein Löffel klingelte am Tassenrand.
„Nein!" sagte ich. „Nicht so wie vor Hunden. Fremden Hunden. Es ist eher so ein… gesteigertes Unwohlsein. Manchmal."
„Hex ihm eine hässliche Nase an" sagte Sirius unbeschwert. „Ach nein. Hat er ja schon. Lass ihn rosa Seifenblasen spucken. Ich versprech' dir, es verhunzt seinen ganzen Auftritt."
„Nein, vielen Dank" sagte ich. „Über das Niveau bin ich hinaus."
„Ach was" sagte Sirius.
„Ich hexe ihm gar nichts an" sagte ich. „Ich mag ihn. Auf eine Art. Eine etwas, ähm, seltsame Art. Zumindest… so lange er mich nicht verbal vergiftet."
„Emilia" sagte Sirius. „Das kann nicht dein Ernst sein. Denk mal nach, von wem du sprichst. Snivellus, der eklige, schleimige, widerliche Bastard."
„Ich weiß nicht, von wem du sprichst" sagte ich aufgebracht. „Ich spreche von Severus, einem Kollegen, mit dem ich mal conjungiert war, und den ich, äh… schätze. Auf eine Art, wie gesagt."
„Oh, Merlin" sagte Sirius und gab Würgegeräusche von sich. „Conjungiert, das ist fast so schlimm wie verlobt, oder nicht?"
„Es hat nicht mal zwei Tage gedauert" sagte ich. „Eine eher kurze Affäre, würde ich sagen."
Ich hatte kaum den Mund wieder geschlossen, als da plötzlich Remus war, er hatte mich vorne an der Robe gepackt und schob mich gegen den Herd, seine gelben Augen waren kalt und lauernd.
„Du hattest eine Affäre?" sagte er. „Mit ihm? Mit Snape? Komm schon. Sag's mir."
„Aua" sagte ich. „Lass mich los! Du tust mir weh, verdammt."
„Sag's mir!"
„Ho" sagte Sirius. „Lass sie los, Moony. Es war nur ein Scherz."
Er presste mich gegen den Herd, ich sah, wie seine Nasenflügel zitterten, als würde er Witterung aufnehmen. Ich bemühte mich verzweifelt, nicht an Severus zu denken, wie ich ihm den Kopf gehalten hatte in dieser Ausnüchterungszelle, nicht an die zufällige Berührung in der Garderobe, und nicht, nicht an den Baum aus silbernem Licht, aber es war wie mit rosa Kängurus, meine Gedanken konnte nicht mehr aufhören, darum zu kreisen, die Sache bekam plötzlich ein Gewicht, das sie längst nicht verdient hatte.
Remus schüttelte mich ein wenig, die Kante des Herdes drückte schmerzhaft gegen meinen unteren Rücken. Ich sah seine Eckzähne zwischen seinen Lippen blitzen, ich fragte mich, was passieren würde, wenn ich jetzt gebissen würde. Ich nahm an, es genügte bereits. Ich versuchte, seine Hände von meiner Robe zu lösen, mir wurde himmelangst.
„Moony" sagte Sirius und hatte plötzlich seinen Stab in der Hand, „lass sie los, oder ich hexe dich, dass du drei Tage nicht mehr laufen kannst."
Remus' Griff lockerte sich, er stieß sich von mir ab und machte einen Schritt rückwärts, seine Augen brannten.
„Da ist was" sagte er. „Ich spür's."
„Was du spürst, ist der Vollmond" sagte Sirius und senkte den Stab. „Und jetzt setz dich und trink deinen Tee."
Widerstrebend ließ Remus sich auf seinen Stuhl sinken. Ich hustete ein wenig und zog meine Robe zurecht.
„Vielleicht ist es gut, wenn du jetzt nach Hogwarts aufbrichst" sagte Sirius zu mir. „Und lass dir ruhig Zeit dort."
„Und komm nicht in seine Nähe" knurrte Remus. „Komm bloß nicht in seine Nähe! Ich reiß ihm die Kehle raus, wenn ich ihn an dir rieche."
„Schon gut" sagte ich und fragte mich, wie ich das machen sollte, wo ich ihm doch Bericht erstatten wollte. „Ich, ähm… also, ich geh dann mal."
Ich war schon fast in der Halle, als Sirius mir hinterher kam und mich am Ärmel nahm.
„Du kannst Snivellus ein paar Sachen ausrichten" sagte er gedämpft. „Das hier ist keineswegs wie sonst."
„Nein?" sagte ich erstaunt.
„Nein" sagte er. „Es ist hundertmal schlimmer. Normalerweise ist er ein bisschen geknickt, am Tag vorher, er fühlt sich nicht besonders, schleicht herum und knurrt die Leute an, nichts Besonderes. Er war nie offen aggressiv, vor der Wandlung."
„Oh" sagte ich.
„Es sollte besser nicht an eurem Experiment liegen" sagte Sirius finster, „denn sonst komm ich bei ihm vorbei und reiß ihm was ab, was er mehr vermissen wird als seine Kehle."
„Woran sollte es denn sonst liegen?" fragte ich. „Ist irgendwas mit dem Mond anders?"
„Nicht mit dem Mond" sagte Sirius. „Mit dem Wolf. Er ist verliebt."
„Oh" sagte ich wieder.
„Ich hab' mal irgendwo die Theorie gehört, dass Werwölfe sich besser nicht verlieben sollten, weil es sie unberechenbar macht" sagte Sirius.
„Aber Liebe ist doch nichts, was man beeinflussen kann" sagte ich.
„Deshalb ist es wohl auch nur eine Theorie" sagte Sirius mit einem Anflug seines Grinsens. „Ich erinnere mich allerdings an einige sehr turbulente Vollmondnächte zu Schulzeiten, und er war verliebt damals. Sehr, und sehr unglücklich. Könnte natürlich auch sein, dass das den Unterschied macht."
Ich seufzte.
„Du hattest es dir einfacher vorgestellt" sagte Sirius. „Romantischer, wahrscheinlich."
„Ja" sagte ich.
„Keine Sorge" sagte er. „Man gewöhnt sich."
„Ich ertrage den Gedanken nicht, dass es vielleicht an mir liegt" sagte ich.
„Mach ihn bloß nicht unglücklich" sagte er. „Ein verliebter Werwolf ist schon schlimm genug, aber ein unglücklich verliebter ist mehr, als ich im Augenblick meistern kann."
„Ich hab's nicht vor" sagte ich.
„Na gut" sagte er. „Ich geh mal wieder runter. Bevor er mir etwas abreißt, nur weil ich zu lange mit dir in dieser Halle gestanden bin."
„Ist gut" sagte ich. „Bis später."
„Bis später."
oooOOOooo
Die große Halle in Hogwarts war still und verlassen, als ich mit einem Plumps in den Kamin floote. Es war kurz nach zwölf, der Unterricht lief noch. Ich kletterte aus dem Kamin und zögerte. Ich war nicht sicher, ob ich Snape wegen meines verspäteten Berichts tatsächlich aus dem Unterricht holen wollte, aber andererseits konnte es nicht von Nachteil sein, wenn er nicht alle Zeit der Welt hatte, um mich genüsslich zur Schnecke zu machen. Ich machte mich auf den Weg in den zweiten Stock. Vor der Tür zum Verteidigungs-Klassenzimmer lauschte ich. Es war still dahinter. Ich zog meine Robe glatt, räusperte mich und klopfte.
„Herein" hörte ich seine Stimme. Ich öffnete die Tür und steckte den Kopf durch den Spalt.
Es herrschte Totenstille. Ich blickte über eine Landschaft aus gebeugten Köpfen. Die Klasse war damit beschäftigt, etwas abzuschreiben. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Snape stand im Mittelgang, die Hände auf dem Rücken verschränkt, seine Finger spielten mit seinem Zauberstab, er drehte sich erst zu mir um, als ich mich erneut räusperte und „Ähm, hallo" sagte. Seine schwarze Robe bauschte sich um ihn und verlieh der abgezirkelten Bewegung zusätzliche Grazie. Sein Gesicht war weniger gewinnend.
„Emilia" sagte er. „Bemerkenswert. Lediglich vier Stunden Verspätung."
„Entschuldigung" sagte ich. „Man hat's nicht immer in der Hand."
„Sprechen Sie nur von sich selbst" sagte er und kam den Mittelgang entlang auf mich zu. Einer seiner Schüler hob den Kopf und musterte mich verstohlen, und im Vorbeigehen klopfte Snape hart mit seinem Stab auf das Pult des Jungen, so dass er erschreckt den Kopf einzog und sich in sein Pergament vertiefte. Ich schauderte.
Snape wies mit dem Kopf hinaus auf den Gang, und ich machte ihm Platz. Er ließ die Tür halb offen stehen und zog mich hinüber auf die andere Gangseite.
„Berichten Sie" sagte er. „Beschränken Sie sich auf das Wesentliche. Ich bin mitten im Unterricht, wie Sie vielleicht bemerkt haben."
Ich verkniff mir eine Bemerkung über seine Methoden und zog den Fragenkatalog aus der Tasche.
„Er hat es vorschriftsmäßig eingenommen" sagte ich, „aber es wirkt wohl nicht besonders. Er ist sehr gereizt und unausgeglichen, Sirius sagt, viel schlimmer als sonst. Könnte es nicht sein, dass die Einzelkomponenten höher dosiert sein müssen, um die gleiche Wirkung zu erzielen?"
„Definieren Sie gereizt und unausgeglichen."
„Na ja" sagte ich. „Gereizt, eben. Er schreit die Leute an und schmeißt Sachen runter. Er hält es nicht in geschlossenen Räumen aus. Er hat Kopfschmerzen und sieht nicht richtig."
„Träume?"
„Seltsam, dass Sie gerade danach fragen. Er sagt ja, aber den Inhalt würde er lieber für sich behalten."
„Bedauernswerter Mangel an Kooperation" sagte Snape.
„Warum ist es gerade so wichtig, was er träumt?"
„Lykantrophie hat weit reichende Auswirkungen auf das Unterbewusstsein, und Träume spiegeln selbiges" sagte er.
„Aber sollte er dann gerade nicht träumen? Schließlich unterdrücken wir die Lykantrophie, oder nicht?"
„Falsch" sagte Snape. „Ich befürchte, all die Stunden, die ich in Ihre Weiterbildung investiert habe, waren verschwendet."
„Bitte, Professor" sagte ich. „Ziehen Sie mir keine Punkte vom Haus ab, ja?"
„Sie gehören zu keinem" sagte er, ohne eine Miene zu verziehen. „Wenn gleich es Ihnen offen steht, sich um den Posten eines Hauslehrers zu bewerben. Sie werden nicht auf Lebenszeit vergeben, wie Sie vielleicht wissen. Ich schlage Gryffindor vor. Das sollte Ihren Neigungen am ehesten entsprechen."
„Merlin" sagte ich. „Gryffindnor, ausgerechnet! Die Mutigen. Ja, das wäre passend."
Er sah auf mich hinunter, etwas wie Belustigung tief in seinen kohlschwarzen Augen.
„Also" sagte ich. „Warum soll er träumen oder nicht?"
„Wir unterdrücken nicht die Lykantrophie" sagte er. „Wir stärken das klare Bewusstsein, bis es das wölfische überlagert. Oder, um es für Sie ganz einfach zu formulieren: wir schwächen nicht den Wolf, wir stärken den Menschen."
„Und Sie wollen erfahren, wie der Wolf sich fühlt, indem Sie sich die Träume des Menschen ansehen."
„So in etwa" sagte er. Leises Gemurmel drang durch die halb geöffnete Tür zu uns. Snape riss die Tür auf und machte einen Schritt in den Klassenraum. Das Gemurmel erstarb.
„Ich sehe Sie beim Mittagessen" sagte er über die Schulter zu mir. „Ich bin leider nicht in der Lage, diesen undisziplinierten Haufen auch nur eine Sekunde unbeaufsichtigt zu lassen."
„Okay" sagte ich irritiert. „Also dann."
Beim Mittagessen arbeitete ich mich durch eine Flut anteilnehmender Nachfragen meiner Kollegen. Mir wurde gerade rechtzeitig klar, dass ich Remus wohl keinen Gefallen tat, wenn ich im Kollegium herum erzählte, dass er mit Sachen schmiss und die Leute anschrie, also erfand ich eilig eine Grippe, die ihm die Verwandlung diesmal zusätzlich erschwerte, und wurde daraufhin mit Genesungswünschen und ermunternden Grüßen überschüttet.
„Sie kommen bei mir vorbei und nehmen ein Grippemittel mit" wies Madam Pomfrey mich an, und ich traute mich nicht, abzulehnen. Snape sagte nichts, wofür ich ihm dankbar war, ich hatte, während ich die Grippegeschichte verbreitete, fast damit gerechnet, dass er mit der einen oder anderen beißenden Bemerkung die Wahrheit ans Licht bringen würde, aber er war ungewöhnlich milde gestimmt, stocherte in seinem Essen (was wiederum nichts ungewöhnliches war) und ließ mich gewähren.
Er ließ die Gabel fallen, sobald ich den letzten Bissen hinunter geschluckt hatte.
„Begleiten Sie mich" sagte er zu mir, und es war ein Befehl, keine Frage.
„Äh… okay" sagte ich und erhob mich gehorsam.
Er ging mir voran in die Eingangshalle. „Holen Sie sich eine Überrobe" sagte er. „Wir unternehmen einen Spaziergang."
„Was" sagte ich perplex.
„Waren nicht Sie es, die mir Betätigung an der frischen Luft empfahlen? Damit ich, so Ihre Worte, ein bisschen Farbe ins Gesicht kriege?"
„Sind Sie sicher, dass Sie nicht zu Staub zerfallen, wenn Sie sich in die helle Sonne wagen?"
„Ich verstehe nicht" sagte er.
„Natürlich nicht" sagte ich grinsend. „Sie haben auch nicht so viele schlechte Muggel-Vampirfilme gesehen wie ich."
Er sah mich finster an. „Fünf Minuten, Gewächshäuser" sagte er. „Und lassen Sie Ihren schlechten Humor in Ihrem Quartier."
„Ist gut" sagte ich und sah ihm verblüfft und amüsiert nach, wie er davon rauschte.
Er wartete schon, als ich wenige Minuten später um die Ecke des Astronomieturmes bog und zu den Gewächshäusern hinüber hastete. Ich konnte kaum glauben, dass ich den ersten Spaziergang des Tages bei feuchtem, grauem Nieselwetter gemacht hatte; hier in Hogwarts war die Luft kalt und klar, der Himmel azurblau und das Herbstlaub leuchtete golden und rot. Das einzige, was nicht leuchtete, war Snape, er trug einen schweren schwarzen Umhang, der das Licht vollständig zu schlucken schien. Seine schönen Hände hatte er in schwarzen Handschuhen versteckt, und er hatte einen kleinen hölzernen Eimer dabei, in dem ein Messer lag.
„Gut" sagte er. „Gehen wir."
„Wohin?" fragte ich, während er sich schon in Bewegung setzte.
„In den Verbotenen Wald" sagte er.
„Aha" sagte ich und fand mich wieder einmal in der Lage, ihm auf meinen kurzen Beinen hinterher zu hasten. „Meine erste Wahl für einen Herbstspaziergang."
„Sie wissen sicher, dass er nur für Schüler verboten ist" sagte er über die Schulter. „Der alberne Name hat sich leider eingebürgert."
„Ich war trotzdem noch nicht drin" sagte ich. „Ich hab' mich mal mit Hagrid unterhalten, was da alles darin herumläuft. Das hat mir eigentlich gereicht."
„Üben Sie den Umgang mit Monstern" sagte er. „Sie pflegen schließlich eine romantische Verbindung mit einem."
„Das war nicht nett!"
„Ich bin nicht gerade bekannt für meine Nettigkeiten."
Ich legte einen kleinen Spurt ein, um an seine Seite zu gelangen. Der steinige, steil abschüssige Weg und Snapes umfangreiche Roben bremsten sein Tempo, so dass ich in der Lage war, Schritt zu halten. Wir passierten Hagrids Hütte und gingen durch das gelbe, raschelnde Gras auf den Waldrand zu. Die Luft roch würzig, nach Pilzen und Harz, und die Bäume hatten einen braunen und goldenen Laubteppich zu ihren Füßen ausgebreitet.
„Sie verbringen viel Zeit in Nummer Zwölf" sagte Snape, als wir in den Schatten der Bäume traten.
„Na ja" sagte ich. „Ich nehme an, Sie können sich denken, warum."
„Die Natur romantischer Beziehungen ist mir nicht vollständig fremd" sagte er, und ich frage mich unbehaglich, worauf er hinaus wollte.
„Ja" sagte ich. „Na, dann."
„Bedauerlich" sagte er nach einer längeren Weile.
„Was?" sagte ich perplex.
„Entgegen meiner ursprünglichen Einschätzung verfügen Sie über ein recht profundes Grundwissen in der Tränkekunst. Es wäre durchaus etwas damit anzufangen, wenn Sie nicht jede freie Minute in Nummer Zwölf verbringen würden."
„Was?" sagte ich wieder.
„Wenngleich Ihre dumme Nachfragerei Ihren Intellekt meist recht vollständig kaschiert" sagte er.
„Sagen Sie doch, was Sie meinen, dann muss ich nicht nachfragen" sagte ich und stieg über eine Wurzel. Er ging jetzt langsamer, das Herbstlaub raschelte unter dem Saum seiner Robe.
„Ich meine den Wolfsbann" sagte er. „Ich traue Ihnen die Zubereitung zu, wenn Sie sich in ausreichendem Maße und mit dem nötigen Ernst damit befassen würden."
„Oh" sagte ich. „Tatsächlich?"
Er blieb stehen.
„Tatsächlich" sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.
„Aber ich dachte, Sie wollten die Zubereitung lieber nicht aus der Hand geben? Sagten Sie nicht, Sie hätten ein wie auch immer geartetes Interesse daran, es selbst zu machen?"
„Interessenslagen können sich ändern" sagte er und sah mich an, seine Augen brannten wie zwei Kohlestückchen.
„Ja" sagte ich und schluckte. „Also, wenn das so ist – ich würde sehr gerne lernen, wie man ihn braut."
„Gut" sagte er und setzte seinen Weg fort. „Sie werden sich zwei Abende pro Woche Zeit nehmen" sagte er. „Vorzugsweise Dienstag und Freitag. Wir beginnen um neunzehn Uhr. Ich erwarte volle Konzentration."
„Ja" sagte ich, stolperte hinter ihm her und wunderte mich.
„Sollte ich bemerken, dass Sie weniger leisten als Ihr Bestes, oder sich ablenken lassen, wovon auch immer, werde ich das Projekt abbrechen. Meine Zeit ist zu kostbar, um sie zu verschwenden."
„Was meinen Sie denn jetzt schon wieder? Wovon sollte ich mich denn ablenken lassen, von Ihrer rosenblütengleichen Präsenz vielleicht?"
„Meine Präsenz, gleich welcher Art, ist für das Projekt wohl kaum entbehrlich" sagte er. „Ich dachte vielmehr an albernes Briefchenschreiben und verklärte Sonnenuntergangs-Betrachtungen, beides Betätigungen, denen Sie einen beträchtlichen Teil Ihrer Zeit widmen."
„Keine Sorge" sagte ich. „Ich lass' das Büchlein dann in meinem Zimmer."
„Das ist die Mindestanforderung" sagte er. „Hier entlang."
Wir gingen durch das raschelnde Laub leicht bergab, es waren hauptsächlich Buchen, die ihre silbrigen Stämme wie dicke Säulen in den Himmel streckten. Durch die lichten Zweige blinzelte der blaue Himmel zu uns hinunter.
„Es ist schon eine Weile her, was?" sagte ich nach einer Weile, vielleicht hatte die friedliche Umgebung mich mutig gemacht.
„Ich kann Ihnen nicht folgen" sagte er.
„Ihre letzte romantische Verbindung, oder wie Sie es nennen" sagte ich. „Ich meine nur. Weil Sie Verliebtheit mit Albernheit verwechseln."
„Beides ist sich ähnlich genug" sagte er.
„Aber waren Sie es denn nie? Verliebt, oder albern, oder beides?"
„Erklären Sie, was Sie mit dieser Frage bezwecken."
„Ich weiß nicht" sagte ich. „Vielleicht… mal zur Abwechslung ein paar menschliche Züge an Ihnen entdecken."
„Ich versichere Ihnen, ich bin menschlich genug."
„So menschlich wie eine Mischung aus Graf Dracula und Mister Spock" sagte ich und musste bei dem Gedanken grinsen.
„Einer Ihrer Muggel-Vergleiche, nehme ich an" sagte er. „Beide Personen sind mir nicht geläufig, obwohl Sie den Grafen bereits des Öfteren mit mir in Verbindung brachten."
„Soll ich's Ihnen erklären?"
„Nein. Ersparen Sie mir das."
„Ich mein' ja nur" sagte ich. „Sie sind so unnahbar, und ausgesucht unfreundlich, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Sie eine Frau an sich ran lassen. Gefühlsmäßig, meine ich."
Ich hörte wirklich genau hin, ob ich etwas in seiner Stimme fand, ein Zittern oder etwas, aber er klang wie immer, als er sagte:
„Ich werde das Thema nicht mit Ihnen diskutieren, und ich wünsche überdies, dass Sie Überlegungen bezüglich meiner Person in einem wie auch immer gearteten romantischen Verhältnis unterlassen."
„Okay" sagte ich und hatte das Gefühl, billig davon gekommen zu sein.
Das Gelände fiel nun steiler ab, und der Boden unter der dicken Laubschicht wurde steiniger. Vereinzelt ragten hohe, mit Moos und Farn dick überzogene Felsen zwischen den Bäumen auf. Die Luft wurde feucht und unangenehm kühl. Ich rutschte und holperte über das lose Geröll und die glitschige Laubschicht hinter Snape her, bis er in einer großen, flachen Mulde stehen blieb. Ein einzelner Felszahn ragte in den Himmel, abgeschliffen und gerundet von Wetter und Moos. Sein Nachbar, eine Buche von erstaunlichem Umfang, war offenbar vor langer Zeit abgestorben und während eines Sturmes umgestürzt, der mächtige, vermodernde Stamm lehnte sich wie ein Betrunkener gegen den Fels. Der halbe Wurzelteller hatte sich aus dem Erdreich gelöst, das schwarze Geflecht hing hilflos in der Luft, und mehrere Generationen von Farnen hatten sich bereits dort angesiedelt. Snape umrundete den Fels und winkte mich herbei. Ein schmaler Spalt führte dort ins Dunkel.
„Da hinein?" sagte ich entsetzt.
„Heute nicht" sagte er. „Sehen Sie genauer hin." Er zeigte auf die Felswand, und ich unterstützte meine Sicht durch ein bisschen Stablicht.
Zuerst sah ich gar nichts, aber dann fielen mir die seltsamen rauen Beulen auf, die der Fels an dieser Stelle aufwies. Ich brachte mein Licht etwas näher, und die Beulen zogen sich zusammen und verschmolzen dichter mit dem Fels.
„Steinpilze" sagte ich überrascht.
„Richtig" sagte er. „Und was ist bei der Ernte zu beachten?"
„Man muss sie lähmen, bevor man sie anfasst" sagte ich. „Sie geben sonst eine Wolke giftiger Sporen von sich."
„Wieder richtig" sagte er. „Ein simpler Stupor genügt in diesem Fall."
Ich wirkte den Spruch, und die Pilze an der Felswand erschlafften. Snape nahm das Messer aus dem Eimer und begann, die wenig einladend aussehenden Beulen von der Felswand zu entfernen.
„Wozu verwende ich Steinpilze, Ihrer Meinung nach?" fragte er, während die Messerklinge über den Stein kratzte.
„Pilze im allgemeinen enthalten oft psychoaktive Substanzen" versuchte ich mich zu erinnern. „Steinpilze… ich weiß nicht… kommen die nicht an einen Lokomotus?"
„Unter anderem" sagte er und ließ den ersten Pilz in den Eimer fallen, wo er mit hartem klunk aufschlug. „Ich plane aber keinen Lokomotus. Psychoaktiv geht in die richtige Richtung, ist aber noch nicht präzise genug."
„Halluzinogen?"
„Nur in der Überdosis."
„Einschläfernd?"
„Sie sollen nachdenken, nicht raten."
„Ich weiß es nicht" sagte ich.
„Steinpilz regt in der richtigen Dosis das Unterbewusstsein an, sich durch Träume mitzuteilen. Träume, die erinnert werden, um genau zu sein. Wenn Sie also einen Trank herstellen wollten, der tiefen, traumreichen Schlaf fördert, womit würden Sie den Wirkstoff kombinieren?"
„Baldrian" schlug ich vor. „Meliander-Destillat, und vielleicht ein bisschen Koboldsauge."
„Ersetzen wir das Koboldsauge durch Arnumina-Wurzel und eine Dosis Prinzenfeder. Sind Sie mit diesen Wirkstoffen vertraut?"
„Prinzenfeder ist ein Heilkraut" sagte ich. „Vor allem gegen innere Verletzungen. Arnumina, nun, ehrlich gesagt, sie ist so selten und teuer, dass ich bisher lieber ohne ausgekommen bin."
„Sie wächst im Verbotenen Wald" sagte Snape und hatte seinen zweiten Pilz von der Felswand gelöst. „Man muss nur wissen, wo."
„Tatsächlich" sagte ich fasziniert. „Ich wusste nicht, dass es in Europa überhaupt noch welche gibt. Ich hatte ein einziges Mal ein Stück Wurzel in der Hand, es war ein Russland-Import, ich hätte ein paar Monatsmieten dafür hinlegen müssen."
„Importware ist meist von schlechter Qualität" sagte Snape. „Ich zeige Ihnen einen Standort. Ein andermal."
„Ja" sagte ich staunend. „Danke."
Snape löste einen dritten Pilz von der Felswand und steckte dann das Messer ein.
„Gehen wir" sagte er. „Mein Bedarf an Frischluft ist für heute gedeckt."
„Für wen ist denn der Schlaftrank?" fragte ich, als wir vorsichtig den steinigen Hang hinauf stiegen.
„Für Ihren Werwolf" sagte Snape. „Nach Abschluss der Rückverwandlung."
„Er hat sein Schlafproblem vor der Verwandlung, nicht danach."
„Ich bin nicht interessiert an der Qualität seines Schlafes, sondern an seinen Träumen. Es ist ein Teil des Experimentes, und kein unerheblicher."
„Er hat doch schon gesagt, dass er über seine Träume nicht sprechen will."
„Nicht mit mir. Aber mit Ihnen vielleicht. Ich nehme an, Sie pflegen eine Art von Vertrauensverhältnis."
„Und das soll ich verletzen, indem ich Ihnen seine Träume weiter plaudere?"
„Das ist der Plan" sagte er trocken.
„Ihrer vielleicht" sagte ich aufgebracht. „Ich würde so etwas nie tun!"
Er gab ein Seufzen von sich. „Ich kann nun mal nicht den Wolf befragen, so lange er einer ist" sagte er mit übertriebener Geduld. „Also muss ich das Unterbewusstsein des Menschen befragen, in dem sich der Wolf verbirgt. Ist das denn so schwer zu begreifen."
„Eigentlich nicht" sagte ich. „Aber seine Teilnahme an dem Experiment ist freiwillig, und das ist vielleicht der Teil, zu dem er sich nicht bereit erklärt. Sie können ihn nicht zwingen."
„Er könnte sich dankbarer zeigen."
„Er ist dankbar."
„Das wärmt mein Herz" sagte Snape abfällig. „Sonst leider auch nichts."
„Dann besprechen Sie's noch mal mit ihm selbst" sagte ich. „Machen Sie ihm die Notwendigkeit klar. Ich werde jedenfalls nicht Ihre Spionin sein."
„Verabreichen Sie ihm jedenfalls den Trank" sagte er. „Ich gebe Ihnen die genaue Rezeptur mit. Er wird die Regeneration beschleunigen, und dagegen wird er wohl nichts haben. Sie wissen, wie man Steinpilz verarbeitet?"
„Ich habe bisher eine Muskatreibe verwendet."
„Tauglich" sagte er.
Mich verfolgte ein unangenehmes Gefühl, während wir zum Schloss zurück kehrten, und es hatte nichts mit den möglicherweise unfreundlichen Bewohnern des Verbotenen Waldes zu tun. Ich bereute plötzlich meine Einwilligung in das Wolfsbann-Projekt, obwohl ich doch wochenlang darauf hingearbeitet hatte. Ich hatte das starke Gefühl, in etwas hinein gezogen zu werden, ich konnte es nicht benennen, aber es machte mich unruhig.
„Holen Sie die Rezeptur bei mir ab, bevor Sie nach Nummer Zwölf zurück kehren" teilte er mir mit, als sich unsere Wege vor meinen Räumen trennten.
„Okay" sagte ich. Er nickte mir zu und verschwand wie ein lautloser Schatten die Treppen hinunter in den Keller. Ich betrat mein hübsches, warmes Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich fragte mich, ob ich mich zu weit aufs Eis gewagt hatte. Snape war ein gefährlicher, skrupelloser Mann und ich tat gut daran, mich vor ihm zu fürchten, selbst wenn wir eine Art von wohlwollender Toleranz miteinander entwickelt hatten, die mich vielleicht ein wenig von meiner anfänglichen Vorsicht hatte abrücken lassen. Ich fragte mich, ob ich mich tatsächlich zwei Mal pro Woche mit ihm im Keller vergraben wollte, zusätzlich zu unseren ohnehin gegebenen Berührungspunkten im Büro und beim Essen. Zwar hatten wir auch bisher unsere gelegentliche Teestunde gehabt, aber das war doch irgendwie anders gewesen, unverbindlicher, zufälliger. Ich fragte mich, was hinter seinem überraschenden Angebot steckte, welche Interessenslage sich da wohl geändert haben mochte. Ich hatte so ein Gefühl, dass das dicke Ende noch nachkommen würde.
Ich schüttelte den Kopf und zog mir erst mal die Schuhe aus, an denen Erde klebte. Ich versuchte, mir vorzustellen, was Remus dazu sagen würde. Ich wusste, für seinen Geschmack verbrachten wir ohnehin zu wenig Zeit miteinander, ich nahm an, seine Reaktion hing vom Mond ab, sie konnte von freundlich –betrübter Zustimmung und Anerkennung meines fachlichen Weiterbildungswillens bis hin zu nonverbalen Tätlichkeiten gegen meinen Kollegen reichen. Ich beschloss, jedenfalls eine stabile Mondphase abzuwarten, bis ich ihm diese Entwicklung eröffnete. Dann ging ich duschen, nur um sicher zu gehen.
Eine Stunde später fand ich mich einigermaßen erfrischt im Keller ein, um meine Rezeptur in Empfang zu nehmen. Snape hatte mir ein kleines Bündel geschnürt, in dem ich nicht nur ein Stück Steinpilz, sondern auch ein Fläschchen zartgrünes Meliander-Destillat, ein Bündel getrockneter Prinzenfeder-Blätter und ein Stück einer braunen, krummen Wurzel fand, die ich geradezu ehrfürchtig in den Fingern drehte.
Snape korrigierte Aufsätze und sah gerade lange genug auf, um mir ein Pergament hinüber zu reichen, das mit seiner engen, schrägen Handschrift gefüllt war.
„Direkt nach der Rückverwandlung" sagte er. „Zweihundertfünfzig Milliliter. Kochen Sie ihn heute abend und lassen Sie ihn bis morgen durchziehen. Die Küche in Nummer Zwölf wird für Ihre Zwecke genügen."
„Okay" sagte ich. „Danke."
„Man hilft, wo man kann" sagte er, und sein Tonfall jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich verzichtete sogar darauf, das rosa Fünf-Liter-Gefäß neben der Tür anzutippen, als ich hinaus ging.
oooOOOooo
Als ich unsanft im Kamin aufschlug, war es dunkel in Nummer Zwölf. Nicht der leiseste Sonnenstrahl fand seinen Weg in dieses Gemäuer, ich fragte mich, ob neben den vielen Sicherungs- und Verschleierungszaubern auch einer auf dem Haus lag, der Licht und Fröhlichkeit draußen hielt. Ich schaffte es, aus dem Kamin zu klettern, ohne die Hausherrin zu wecken, und schlich mich hinunter in die Küche. Sie war dunkel. Es roch nach Essen. Ich machte Licht und fand die Überreste der Steaks, Bohnen und ein paar Nudeln in einer Pfanne auf dem Herd. Ein leerer und ein halb voller Teller standen auf dem Tisch, ein Geschirrtuch lag auf dem Boden, und Spritzer von Tomatensoße zierten Tisch, Boden, Herd und diverse andere Möbel. Ich fragte mich, ob es ein Gen gab, das allen Männern gemeinsam war, Zauberer oder Muggel, und das ihnen verbot, die Küche aufzuräumen. Ich suchte ein einigermaßen tomatensoßenfreies Plätzchen für mein Bündelchen mit den Trankzutaten, senkte dann den gnädigen Schleier der Dunkelheit über den trostlosen Anblick und machte mich auf die Suche nach den Bewohnern meiner Lieblings-Männer-WG.
Ich fand sie im ersten Stock, in einem der kleineren Wohnzimmer, das beinahe gemütlich hergerichtet war. Man hatte die dunklen und missbilligenden Gemälde entfernt und durch hübsche Wandteppiche ersetzt, es stand ein knautschiges Sofa darin, ein Bücherregal, und ein Tisch mit Stühlen. Ich spürte eine Menge schlummernder Zauber auf der Tür, als ich den Kopf durch steckte.
„Hi" sagte ich. „Stör ich?"
Sirius saß am Tisch und blätterte in einem Buch. Ein weiterer Stapel Bücher lag neben ihm, und auf einem Tablett standen Tee und Kekse. Remus ging im Raum herum und war mit Aufräumen oder etwas ähnlichem beschäftigt.
„Hallo, Emilia" sagte Sirius und sah hoch. „Nein, komm nur. Wie war der Ausflug?"
„Nett" sagte ich. „Schöne Grüße von allen. Fast allen."
Remus kam zu mir, er bewegte sich, als hätte er Schmerzen. Er hatte seine abgetragenen Muggel-Kleider gegen eine nicht weniger abgetragene, schlammfarbene Robe getauscht, die ganz offenbar für einen wesentlich größeren, breiteren Mann gefertigt worden war, sie hing lose um seine Gestalt und war unten abgeschnitten, damit er nicht drauf trat, mir fiel auf, dass er barfuß war. Er nahm mich bei den Armen und vergrub den Kopf in meiner Halsbeuge, ich wurde den Eindruck nicht los, es wäre eher ein Geruchstest als eine Zärtlichkeit. Und tatsächlich:
„Du hast geduscht" sagte er. „Warum hast du geduscht?"
„Entschuldigung" sagte ich. „Einfach so, weil mir danach war? Darf ein Mädchen nicht duschen, ohne deine Genehmigung?"
Er hob den Kopf, sein gelber Blick huschte über mich.
„Wehe, wenn ich etwas heraus finde" sagte er.
„Moony" sagte Sirius. „Spinn nicht rum."
Er ließ mich los und trat einen Schritt zurück, in seinem Gesicht arbeitete es. Er war mir so fremd.
„Ich hab' ein paar Trankzutaten dabei" sagte ich lahm. „Für einen Stärkungstrank. Vielleicht geh ich mal runter in die Küche und setz den an."
„Nein" sagte Remus. „Bleib hier. Ich will dich bei mir haben."
Ich zögerte.
„Setz dich zu mir" sagte Sirius und streckte die Hand aus. „Du kannst mir hier helfen. Sie darf doch nach mir riechen, oder nicht?" fügte er grinsend hinzu. Remus sagte nichts, sondern nahm seinen ruhelosen Weg durch den Raum wieder auf.
Ich setzte mich zu Sirius und nahm mir einen Keks. Ich legte den Kopf schief und las die Buchtitel, sie hatten alle etwas mit Werwölfen zu tun. Sirius kritzelte etwas auf einen Zettel, legte ihn in ein Buch und schob es mir rüber.
„Es gibt Gerüchte, dass auf der Gegenseite Werwölfe unterwegs sind, die keinen Vollmond brauchen, um sich zu verwandeln" erklärte er und zeigte auf das Buch. „Wir versuchen gerade, herauszufinden, ob etwas dran sein könnte. Grundsätzlich."
„Aha" sagte ich. „Ich habe aber doch Remus wandeln sehen, letzten Monat, und der Mond war noch nicht voll."
„Aber fast" sagte Sirius und tippte mit dem Zeigefinger wieder auf das Buch. „Es gibt eine Grauzone bei jedem Werwolf. Eine Phase, kurz vor Vollmond, in der er über seine Wandlung bestimmen kann. Eine willentliche Wandlung ist wohl sehr schwierig, kann aber durch extremen Stress begünstigt werden. Sagt zumindest der Werwolf meines Vertrauens." Er schob mir das Buch mit sanftem Druck in die Magengrube, und ich begriff endlich und schlug es dort auf, wo er den Zettel hinein gesteckt hatte.
Es läuft gar nicht gut, las ich. Weiß nicht, ob das Zeug wirkt, wie es soll. Bin nicht sicher, ob er ungefährlich ist, heute Nacht. Sei ganz lieb zu ihm. Tu, was ich sage. Ich bring ihn um, den alten Giftmischer.
Ich blätterte die Seite um. Mein Herz raste. Von der anderen Seite des Raumes traf mich ein gelber Blick. Ich vergrub die Nase in dem Buch, nahm mir Pergament und Federkiel und gab vor, mir Notizen zu machen.
Es waren die längsten Stunden meines Lebens. Ich schaffte es tatsächlich, mit Sirius etwas wie eine fachliche Diskussion zu etablieren, obwohl die Hälfte von dem, was er sagte, an mir vorbei rauschte. Um halb sechs gaben wir Remus den Wolfsbann, und dann schaffte ich es doch, der angespannten Stimmung zu entkommen und mich in die Küche zu verziehen, um den Trank anzusetzen. Die Küche war unverändert, der Hauself nahm sich wohl seinen freien Tag. Ich hatte keine Lust zu putzen. Ich säuberte die nötigsten Utensilien und machte mich ans Kochen.
Die gewohnte Tätigkeit beruhigte mich: das schöne Gleichmaß der Klinge, als ich die Wurzel schnitt und das Kraut klein hackte, das Rauschen und Singen des Wassers im Topf, das intensive Waldaroma, das es verströmte, als ich das Meliander-Destillat zugab. Ich rührte und regulierte die Hitze und sah zu, wie die Arnumina-Wurzel langsam in der Brühe zerfiel und sie milchig-weiß einfärbte. Ich zermörserte die Prinzenfeder noch ein wenig und gab sie zu, und schließlich rieb ich etwas von dem Steinpilz ab und schüttete das Pulver in den Topf, das freigesetzte Pilzaroma betäubte mich beinahe. Ich hatte den Trank selbst schon eingenommen, ich wusste, er schmeckte wie Pilzsuppe, und ein wenig Salz schadete der Wirkung nicht. Nicht alle Tränke mussten scheußlich schmecken, und dieser hier war kulinarische Sonderklasse.
Als der Trank schließlich weit genug gediehen war, dass ich ihn auf kleiner Flamme alleine lassen konnte, fühlte ich mich beruhigt und gestärkt genug, um im Wohnzimmer nach dem Rechten sehen zu können. Es hatte sich nicht viel geändert dort: Sirius brütete über einem dicken Buch, und Remus ging herum und traf Vorbereitungen, es hatte etwas Ritualhaftes. Ich setzte mich Sirius gegenüber, und er hob den Kopf und schnupperte.
„Hm" sagte er. „Hast du was gekocht? Riecht lecker."
„Einen Stärkungstrank" sagte ich. „Du würdest sehr gut schlafen und sehr erholt aufwachen, wenn du ihn probieren würdest."
„Klingt verlockend" sagte er.
„Ist aber nicht für dich" sagte ich.
„Die Welt ist ungerecht" sagte er.
Ich sah zu Remus hinüber, der einen Eimer mit Wasser neben den Kamin stellte, dann bereitete er vor dem Kamin eine Art Lager aus einigen alten Decken, die er sorgfältig faltete. Er ging durch den Raum und sammelte scharfkantige und zerbrechliche Gegenstände ein und brachte sie hinaus, und dann kam er wieder mit einem Foto in einem schmalen goldenen Rahmen, das er Sirius gab.
„Indestructibilis" sagte Sirius und tippte das Bild an, er schien genau zu wissen, was Remus von ihm wollte. Er betrachtete das Bild, dann gab er es mir, statt ihm.
„Die guten alten Zeiten" sagte er lächelnd. „Moony, Wormtail, Padfoot und Prongs. Und Lilly."
Ich sah auf das Foto. Es war eine fidele Fünfergruppe, die mir da zu winkte. Sie saßen im Gras. Ein sehr junger, bildschöner Sirius hatte sich vor ihnen ausgestreckt, auf den Ellenbogen gestützt, eine längst vergangene Brise spielte mit seinem langen schwarzen Haar, er lächelte und machte das Victory-Zeichen. Dahinter saßen ein schmächtiger, blonder junger Mann mit spitzigem Gesicht, der ein wenig linkisch winkte und offenbar nicht gern fotografiert wurde, und ein dunkelhaariger, sportlich aussehender Typ mit einer Brille, die mich daran erinnerte, dass es die Achtziger gewesen sein mussten. Er erinnerte mich an jemanden mit seinem dunkeln, unordentlichen Haarschopf. Zwischen sich hatten sie eine hübsche Rothaarige, die ihren Arm um den Brillenträger gelegt hatte, sie hatte klare, ebenmäßige Züge, und ihr rotes Haar umgab sie wie eine Wolke. Und dann war da mein Werwolf, viel jünger, er sah zu den anderen und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, eine Geste, die ich kannte, sie hatte sich nicht verloren über die Jahre.
„Lilly Potter, vormals Evans" sagte Sirius und deutete auf die Rothaarige. „Harrys Mutter. Und sein Vater, James. Peter Pettigrew, den ich aus dem Bild löschen würde, wenn es meines wäre. Und die beiden anderen kennst du ja."
„Du könntest ihn von allen Bildern löschen" sagte Remus und nahm mir das Bild ab. „Es würde nichts ändern, oder?"
„Manchmal frage ich mich, was wir an ihm finden konnten, damals" sagte Sirius düster. „Ich meine, warum war er eigentlich ein Marauder? Es gibt nichts, was ihn auszeichnet."
„Warum war ich einer?" fragte Remus. „Es gab nichts, was mich auszeichnete."
„O doch" sagte Sirius. „Du warst clever. Du warst immer der klügste von uns. Wir hatten die schwachsinnigen Ideen, aber du wusstest, wie man sie umsetzt."
Remus nickte, etwas wie ein flüchtiges Lächeln ging über seinen Mund, ich sah, dass er sich die Unterlippe zerbissen hatte, mit der Zungenspitze betastete er die kleine Wunde.
„Ich hab' ihn wahrscheinlich bei den Maraudern gehalten" sagte er. „Ich brauchte ein Gegengewicht zu James und dir. Ich wäre mir wahrscheinlich überflüssig vorgekommen, allein neben euch beiden."
„Du wärest nie überflüssig gewesen" sagte Sirius, und etwas Neues war in seiner Stimme, es klang fast zärtlich. „Mein Moony. Ich hab vielleicht mit James mehr Unsinn gemacht, aber dich hab ich mehr gebraucht."
„Vielleicht" sagte Remus. „Vielleicht auch nicht. Es ist auch völlig egal, denn außer uns sind sowieso alle tot." Er nahm das Bild und stellte es drüben beim Kamin an der Umrandung auf, und Sirius sah ihm hinterher und seufzte.
Es verging vielleicht eine halbe Stunde, in der wir schwiegen. Sirius und ich blätterte uns durch die muffigen Folianten, und Remus ging im Raum herum, immer hin und her, mit kraftlosen, aber unruhigen Bewegungen. Ich erinnerte mich an einen Wolf, den ich einmal in einem Zoo gesehen hatte, ich war ein Kind gewesen und der Wolf ging in seinem Gehege hin und her, immer hin und her, er hatte schon einen kahlen Trampelpfad in die Wiese getreten. Das Bild war identisch.
Irgendwann gab Remus ein unterdrücktes Stöhnen von sich und ging in die Knie, und Sirius sprang auf und half ihm auf das Sofa, wo er sich zusammen rollte, seine Beine zuckten.
„Bleib ein bisschen liegen" sagte Sirius und schob ihm ein Kissen unter den Kopf. „Es wird bald besser."
Remus nickte und stöhnte wieder, ein Zittern lief durch seinen Körper. Ich schluckte, mir wurde ganz anders. War es jetzt schon soweit? Ich bekam ein bisschen Angst, und davor hatte ich die meiste Angst, dass Remus es roch. Ich wollte stark sein und souverän, ich wollte mich nicht einschüchtern lassen, lediglich von der Tatsache, dass er ein Werwolf war. Er war der Mann, den ich mir ausgesucht hatte, ich hatte um seine Natur gewusst, also musste ich sie jetzt auch aushalten. Ich atmete tief aus. Man gewöhnt sich, hatte Sirius gesagt. Ich hoffte wirklich, dass er Recht behielt, und genau genommen konnte ich gleich damit anfangen, mich zu gewöhnen.
Ich stand vorsichtig auf und wechselte hinüber auf Sirius' Platz, von wo aus ich den Mann meiner leidenschaftlichen Wünsche besser sehen konnte. Sirius sah auf und legte den Finger auf die Lippen. Ich nickte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und ob überhaupt etwas, also blieb ich einfach sitzen und sah zu den beiden hinüber.
Es hielt Remus nicht recht auf dem Sofa, er stöhnte und wälzte sich herum und versuchte aufzustehen, aber seine Beine sahen aus, als gehörten sie ihm nicht, er bewegte sich wie ein Betrunkener. Sirius sprach auf ihn ein und strich ihm über die Stirn, und die Unruhe flachte ab, er ließ sich wieder zum Liegen bringen, eng zusammen gerollt und reglos, nur sein Gesicht zuckte und arbeitete. Ich hörte Sirius' Stimme, leise und gleichmäßig.
„Weißt du noch?" murmelte er. „Nein, natürlich nicht. Du hast keine Erinnerung an die Nächte, aber ich schon. Ich erinnere mich für dich, in Ordnung? An die erste Nacht, in der ich Padfoot war. Ich war der erste von uns, dem es gelungen ist. Die anderen waren nah dran, so nah, aber nicht ganz rechtzeitig. Ich werde nie Poppys Gesicht vergessen, als wir James in den Krankenflügel brachten, mit diesen Hörnern auf dem Kopf, so kurz und stummelig wie die eines jungen Bockes, die er nicht mehr weg kriegte." Er lächelte. Remus tastete vor sich auf dem Polster, und er nahm seine Hand und drückte sie. „Wir haben eine wilde Geschichte erzählt, von einem Hexduell im Flur, und Poppy glaubte uns. Wir hatten nichts als Unsinn im Kopf, damals. Keine Geschichte konnte so wild sein, dass man sie uns nicht zugetraut hätte.
Wir haben dann James bei ihr gelassen, und ich bin allein zur Weide. Junge, ich hatte eine Angst. Ich hab mir fast in die Hosen gemacht."
Was tat es mir gut, das zu hören.
„Es war schließlich nur eine von unseren vielen Schwachsinns-Ideen. Dass du uns vielleicht nicht anfällst, wenn wir Tiere sind. Es war nur so eine Theorie, weißt du noch? Na, und dann hab ich die Weide still gelegt und bin rein, und hab mich verwandelt, es hat noch ewig gedauert damals, und es gab immer diesen Punkt zwischen den Körpern, an dem ich dachte, ich bleibe stecken. Und dann bin ich zu dir in die Hütte. Ich konnte dich riechen, ich hatte plötzlich all diese Instinkte, und die sagten mir, lauf Paddy, so lange du noch kannst. Ich bin aber nicht gelaufen, sondern hinter zu dir, und, oh Mann, du warst riesig. Im Grunde nicht größer als ich, aber dieses Gebiss, diese Zähne, und deine Augen haben gelb geleuchtet, ich konnte überhaupt nicht fassen, dass du das sein solltest. Dann bist du auf mich zu und hast geknurrt, und deine Ohren sind ganz an deinem Schädel verschwunden, und ich wusste, wenn ich jetzt wegrenne, bin ich tot. Ich hatte da diesen Hundeinstinkt, und schmiss mich auf den Boden, rücklings, und zeigte dir meine Kehle, und das hat dich tatsächlich beruhigt. Du hast dich über mich gestellt und mich in den Hals gebissen, ganz sachte, ohne Blut, nur um mir zu zeigen, dass du der Alpha bist. Als ob es da Zweifel hätte geben können."
Remus stöhnte auf und krümmte sich zusammen, und Sirius kniete sich zu ihm, und mit gemischten Gefühlen verfolgte ich, wie er die Stirn meines Liebhabers küsste und seinen Kopf neben ihn auf das Kissen legte, und Remus stöhnte und schüttelte sich und vergrub das Gesicht in Sirius' weichem Haar, ich fragte mich, ob zwischen uns beiden bei all dem Liebe machen und Briefchen schreiben jemals etwas so intimes gewesen war, der Gedanke schmerzte.
„Es ist gut" sagte Sirius. „Lass es raus."
„Nein" stöhnte Remus, seine Stimme war mir fremd, sein Körper zuckte und wand sich.
„Es ist alles gut" sagte Sirius. „Lass es raus. Es geht vorbei."
Remus schüttelte wild den Kopf und krallte sich ins Polster, sein Atem ging stoßweise, Krämpfe gingen durch seinen Körper. Ich spürte Schmerz und sah hinunter auf meine Hände. Meine Fingernägel gruben sich so fest in meine Handflächen, dass sie tiefe, rote Spuren hinterließen.
Remus drückte das Gesicht in ein Kissen und schrie, und Sirius sah mich an und deutete zur Tür. Ich schüttelte entsetzt den Kopf.
„Raus" sagte er. „Raus!"
Ich stand auf und bewegte mich vorsichtig zur Tür, ich konnte die Augen nicht von dem Mann lösen, der da auf dem Sofa gefoltert wurde, der Anblick fesselte mich in seiner ganzen fürchterlichen Klarheit, ich erkannte meinen Liebsten nicht mehr.
„Raus!" schrie Sirius, und dann kam Remus auf die Ellenbogen und zog sich auf die Knie, er warf den Kopf in den Nacken, ein lang gezogenes, tiefes Stöhnen kam aus seiner Kehle, und dann fiel von irgendwo ein Schatten über ihn, ich konnte sein Gesicht nicht mehr erkennen, und dann war sein Gesicht verschwunden, nur die Augen waren übrig, wie kühler, von Wasser überspülter Bernstein, und der Wolf duckte sich rückwärts aus der Robe, die lose um ihn hing, streckte sich und sprang vom Sofa. Sirius rollte sich zur Seite weg und kam als Padfoot auf seine vier Füße, und er warf sich sofort auf den Rücken, ließ die Zunge aus dem Maul hängen und präsentierte seine Kehle.
Der Wolf machte einige Schritte auf ihn zu, seine Bewegungen waren majestätisch, sein Körper schien die Erinnerung an Folter und Schmerz nicht behalten zu haben. Er stieg über ihn und biss ihn in die Kehle, und Padfoot jaulte, ich wusste nicht aus Schreck oder Schmerz, und dann hob der Wolf den Kopf und sah mich an. Der Pelz um seine Augen und rund ums Maul war hell, es sah aus, als trüge er eine Maske, er drehte seine dreieckigen Ohren in meine Richtung, und dann zog er die Mundwinkel hoch und entblößte sein fürchterliches Gebiss, ich sah seine rosa Zunge zwischen den tödlichen Zähnen, und ich stürzte mich auf die Klinke, riss die Tür auf und floh auf den Gang. Ich hängte mich von außen gegen die Klinke und fummelte mit fliegenden Händen meinen Stab aus dem Ärmel, ich konnte kaum zaubern, so zitterte ich, aber schließlich hatte ich das Netz aus Sicherungszaubern aktiviert, das auf der Tür lag, und sank erschöpft zu Boden.
Es war still, in dem dunklen Haus und in dem Raum hinter mir. Ich keuchte und zitterte und brauchte eine Weile, bis meine Beine mich wieder tragen wollten. Ich stand auf und lehnte mich an die Wand. Ich war entsetzt über meine eigene Reaktion, schließlich war nichts Unerwartetes geschehen. Ich hatte in Büchern darüber gelesen, ich hatte Bilder von Werwölfen gesehen. Ich hatte Sirius' Erzählungen gelauscht. Ich hatte auch zuvor schon gesehen, wie Menschen ihre Gestalt veränderten, ich hatte selbst meine Erfahrungen mit Polyjuice, und trotzdem hatte nichts mich auf diesen Anblick vorbereitet, es war keine Verwandlung gewesen, nichts Fließendes, es war ein Hervorbrechen und Verschlingen und Vernichten, dessen Gewalt mich verstörte.
Ich schalt mich eine Närrin. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Trank wirkte, wie er sollte, war beruhigend hoch, trotz Remus' ungewöhnlichen Verhaltens, die Wirkstoffe waren vorhanden, und Snape beherrschte die Beschwörungen im Schlaf. Ich hätte also gar nicht in Panik geraten müssen, ich hätte zumindest für einen Augenblick nachsehen können, ob ich Remus dort irgendwo erkannte, ich hätte versuchen können, mich zu gewöhnen. Aber ich war weggelaufen wie ein Kind, das sich im Kohlenkeller fürchtet.
Ich rieb mir übers Gesicht. Es war geschehen, und jetzt mit einem Nichts-für-ungut-Lächeln wieder rein zu gehen, würde bestenfalls Verwirrung stiften. Ich war sicher, Padfoot und Moony folgten da drin den ausgetretenen Pfaden der Rudelroutine, ich hätte ohnehin nicht gewusst, wie ich mich da einfügen sollte.
Ich überlegte, was ich statt dessen tun wollte. Ich hatte eine lange Nacht vor mir. Ich war müde, aber ich fürchtete mich vor dem einsamen Bett, das nach ihm roch, während er doch so weit entfernt war. Ich setzte meine weichen Knie in Bewegung und ging hinunter in die Küche, aufräumen.
Ich räumte die Küche auf, bis kein Stäubchen mehr die makellosen Oberflächen verunzierte, und zwischendurch rührte ich in meinem duftenden Stärkungstrank. Ich spülte Geschirr und schüttelte die Kissen auf der Eckbank aus. Ich sortierte das Gewürzregal und erneuerte die Kältezauber auf der Speisekammer. Ich kochte Schokoladenpudding, und weil ich die Zutaten da hatte, buk ich noch einen Kirschkuchen hinterher. Ich dachte daran, wie Remus im Supermarkt vor dem Regal gestanden und über diese Art von stabloser Magie philosophiert hatte, die es uns erlaubte, im Oktober Kirschen zu essen, selbst wenn sie nur aus dem Glas kamen. Ich lächelte, aber es tat mir im Gesicht weh, und meine Augen brannten. Schließlich stand ich am Fenster und drehte an dem Radio herum, dessen Empfang immer wieder durch die Sicherungs- und Verschleierungszauber gestört wurde, die das Haus einhüllten, ich kriegte keinen Sender richtig rein, nur einen mit Jazz, und ich biss mir auf die Lippe und heulte in den Ärmel meiner Robe hinein, und viel später war der Mond ums Haus gewandert und leuchtete in den dunklen Hinterhof, er war groß und gelb, wie er es nur im Herbst ist. Ich ging durch die Hintertür raus auf den Hof, obwohl die Kälte mir in die Wangen biss, und schaute rauf, das Licht war kalt, aber so intensiv, dass die Mülltonnen scharfe Schatten warfen, und dann hörte ich lang gezogenes, klagendes Wolfsgeheul, in das ein zweites einstimmte, eine Tonlage heller, sie sangen den Mond an, und ihr Lied ging über die Dächer Londons und verlor sich im schwarzen Himmel.
