Also, weiter geht's. Kapitel vier ist online.

Disclaimer, wie üblich: Remus Lupin, die bezaubernde Dolores und das ganze Ministerium sind geistiges Eigentum von JKR. Ich werde nicht ungefragt mit einem davon auf die Malediven fliegen :o)

Kleine Anmerkung: Ich weiß, es heißt Greenwich Mean Time. Es ist ein Wortwitz. Ein englischer, ok?

Also. Eine Runde Kreuzworträtsel für alle (und eines aus Wizard's Weekly für jeden, der reviewt!) und los geht's.

VIERTES KAPITEL, DAS VON WOLFSFALLEN HANDELT UND VON DER KUNST, EINE ORANGE ZU SCHÄLEN

Ich sah, dass er nervös war, als wir uns am Dienstag, einundzwanzigster Oktober, um kurz vor vier vor dem Ministerium trafen, besser gesagt, vor der Telefonzelle in der schmutzigen Londoner Nebenstraße. Er hatte sich rasiert und seine welligen Haare hinter die Ohren geklemmt, sein Gesicht war blass und die Lippen ein wenig schmaler als sonst.

„He" sagte ich keuchend. „Tut mir leid. Ich kam nicht früher raus."

„He" sagte er und lächelte die Sparausgabe seines Lächelns. „Es gibt keinen physikalischen Grund, dass Apparieren dich so außer Atem bringt, weißt du."

„Ich weiß. Ich halte immer die Luft an, währenddessen."

„Genau genommen gibt es auch kein Währenddessen."

„Besserwisser" sagte ich und küsste seine glatte, kühle Wange. Er hielt mir die Tür auf, und ich betrat vor ihm die schmutzige Telefonzelle. Ich wählte („sechs zwei vier vier zwei" sagte er mir vor) und zuckte zusammen, als die klare, kühle Frauenstimme direkt neben mir aus der leeren Luft kam:

„Willkommen im Ministerium für Magie. Bitte nennen Sie Ihren Namen und den Grund Ihres Besuches."

„Remus Lupin" sagte Remus. „Und Emilia Liguster, meine Begleiterin. Wir haben einen Termin mit Mister Hermes Bramson."

„Vielen Dank" sagte die kühle Frauenstimme. „Bitte entnehmen Sie Ihre Besucherausweise aus dem Münzfach und befestigen Sie sie gut lesbar an Ihren Roben."

Es ratterte und klirrte, und das Münzfach spie zwei rechteckige, silberfarbene Plaketten aus. Emilia Liguster, Begleitung und Werwolf-Bürgin zur Registratur las ich auf dem oberen, und auf dem zweiten: Remus Lupin, Werwolf zur Registratur.

„Das ist eine Frechheit" sagte ich und reichte Remus seine Plakette hinüber. „Entwürdigend. Warum soll jeder Idiot im Ministerium an unseren Roben lesen können, was wir dort zu schaffen haben?"

Remus zuckte die Schultern und seufzte, es war genau die Reaktion, die ich von ihm erwartet hatte, aber immerhin behielt er, wie ich, den Ausweis in der Hand und machte keine Anstalten, ihn sich anzustecken, für seine Verhältnisse beinahe ein revolutionärer Akt.

Wir warteten. Nichts passierte. Nach einiger Zeit meldete sich die kühle Frauenstimme wieder.

„Bitte befestigen Sie die Besucherausweise gut lesbar an Ihren Roben" sagte sie.

„Sonst was?" sagte ich. „Lasst ihr uns nicht rein?"

Niemand antwortete. Nichts geschah. Wir warteten.

„Wir kommen zu spät" sagte Remus.

„Bitte befestigen Sie die Besucherausweise gut lesbar an Ihren Roben" wiederholte die Frauenstimme in exakt dem gleichen Tonfall.

Remus seufzte und tat es. „Nun mach schon" sagte er zu mir. „Sie lassen uns sonst nicht rein."

Die Plakette schien mit einem Selbstklebezauber ausgestattet, sie saugte sich an meiner Robe fest und ließ sich mit bloßen Händen nicht mehr entfernen.

„Na prima" murrte ich. „Wehe, das versaut mir meine Robe."

„Als Besucher sind Sie aufgefordert, sich an der Sicherheitsstation durchsuchen zu lassen und Ihren Stab zur Registratur vorzulegen" sagte die kühle Frauenstimme. „Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt." Dann, endlich, setzte sich die Telefonzelle in Bewegung und brachte uns nach unten.

Ich fühlte mich gebrandmarkt mit meiner Plakette, obwohl ich gar nicht der Werwolf war, als wir durch die große Eingangshalle hinüber zum Sicherheitsdienst gingen. Wir zeigten unsere Stäbe und ließen uns durchsuchen, und ich beobachtete, wie der Wachzauberer Remus' Plakette las und ihn mit zusammen gekniffenen Augen musterte.

„Ihr Stab wird einbehalten" sagte er zu ihm, während er mir meinen zurück gab. „Sie können ihn hier abholen, bevor Sie das Ministerium verlassen."

„Gibt es einen Grund dafür?" fragte Remus.

„Natürlich" sagte der Wachzauberer. „Dienstanweisung Nummer zwölf Strich drei Theta. Das Führen von Zauberstäben ist Halbmenschen und Menschenähnlichen verboten, so lange sie sich auf ministerialem Gelände bewegen."

„Vielen Dank für diese total sinnlose Information" sagte ich wütend. „Das ist diskriminierend, wissen Sie das?"

„Ich treffe nicht die Entscheidungen" sagte der Wachzauberer. „Ich führe sie nur aus. Und nun machen Sie bitte Platz, es warten noch andere Besucher hinter Ihnen."

„Reg dich nicht auf" sagte Remus, als wir hinüber zum Hauswegweiser gingen. „Es hat keinen Sinn."

„Was ich nicht verstehe, ist, dass du dich nicht aufregst" sagte ich. „Wie kannst du dich nur so behandeln lassen?"

„Was sollte ich denn dagegen tun?" sagte er schulterzuckend.

„Ich weiß nicht" sagte ich. „Es nicht einfach so hinnehmen. Sie diskriminieren dich, verdammt!"

„Ja" sagte er. „Wie fast immer, und fast überall, oder warum habe ich wohl keinen Job? Irgendwann regt man sich nur noch über die schlimmen Dinge auf."

„Das ist doch keine Einstellung!"

„Willst du mir sagen, was eine Einstellung ist bezüglich eines Problems, das ich seit achtunddreißig Jahren habe?"

Wir maßen uns mit Blicken, für einen Augenblick waren seine Augen hart. Dann seufzte ich und wandte den Blick ab.

„Vierter Stock, Seitenflügel" sagte ich und zeigte auf den Wegweiser. Wir gingen hinüber zu den Aufzügen und reihten uns in die kleine Traube der Wartenden ein. Ich rückte näher an meinen Werwolf heran, bis unsere Plaketten sich klickend berührten, ich hätte ihn gern geküsst, aber ich wusste mittlerweile, er war viel zu britisch, um sich mit Zärtlichkeiten unter den interessierten Augen einer Handvoll Ministeriumsangestellter wohl zu fühlen. So nahm ich lediglich seine Hände, ich war froh zu spüren, dass er meine Berührung erwiderte, und außerdem musste auf diese Art nicht jeder unsere Plaketten lesen.

Der Lift kam und wir zogen die Köpfe ein, als er einen Schwarm von Papierfliegern entließ, die in alle Richtungen davon schwirrten, ich wusste von meinem ersten Besuch, dass die Angestellten auf diese Art ihre Memos verschickten (und dass es weh tat, wenn man einen davon gegen die Stirn bekam). Wir stiegen ein, zusammen mit einer Handvoll Angestellter. Es gab eine kleine Verzögerung, als ein schnaufender Mann mit Halbglatze vergeblich versuchte, ein dickes Buch über die Schwelle zu ziehen, das er an einer Hundeleine mit sich führte (das Buch hatte sechs Stummelbeine und einen buschigen Schwanz). Schließlich gab er es auf, lächelte entschuldigend und murmelte etwas von „die Treppe nehmen", und dann schlossen sich die Türen und der Lift ruckte an.

Es war wie eine Reise zum Mittelpunkt der Erde. In entnervender Langsamkeit, es war mittlerweile zehn nach vier, arbeiteten wir uns von der Abteilung für Magische Sportarten und die Abteilung für Magisches Reisen bis zur Abteilung für Internationale Zauberzusammenarbeit vor, die ich von meinen Einreiseformalitäten kannte, jedes Mal hielt der Lift an, Papierflieger schwirrten hinein und hinaus und Ministeriumszauberer und –hexen stiegen ein und aus, und als wir endlich das vierte Geschoss erreichten, Abteilung zur Regulation und Kontrolle Magischer Geschöpfe, einschließlich Unterabteilungen für Monster, Erscheinungen und Geister, Büro für Goblinbeziehungen und Informationsstelle für Land- und Hausplagen, wie uns die kühle Frauenstimme mitteilte, waren wir viel zu spät und überzeugt, wir hätten besser die Treppe genommen. Mehrere Korridore und Glastüren später standen wir endlich am Informationstisch der passenden Unterabteilung und wurden von einem Info-Zauberer kritisch gemustert.

„Guten Tag" sagte Remus. „Remus Lupin und Emilia Liguster für Mister Hermes Bramson."

Der Info-Zauberer rollte ein langes Pergament auf, fuhr es mit dem Zeigefinger entlang und stoppte an einer bestimmten Stelle.

„Ich weiß ja nicht, nach welcher Monduhr Sie leben" sagte er missbilligend, „aber wir haben hier Greenwitch Mean Time, und demnach sind Sie fast eine halbe Stunde zu spät."

„Ich weiß" sagte Remus. „Es tut mir leid."

„Deshalb muss man trotzdem nicht unhöflich werden" sagte ich finster. „Aua! Geh von meinem Fuß runter!"

„Ausweis?" sagte der Info-Zauberer.

Remus fingerte das Gewünschte aus seiner Tasche und reichte es hinüber. Der Info-Zauberer machte ein umständliches Geschäft daraus, Daten in ein Formular zu übertragen, riss dann den unteren Teil ab, auf dem eine Nummer abgedruckt war, und hielt uns den Zettel hin.

„Diesen Gang runter" sagte er und zeigte auf eine weitere Glastür. „Es gibt dort einen Wartebereich. Sie werden aufgerufen."

„Danke" sagte Remus und steckte den Zettel ein.

„Du hilfst mir nicht, auf diese Weise" sagte er zu mir, als wir durch die Glastür waren. Seine Stimme war unterdrückt, aber ich konnte die Wut darin hören. „Was willst du tun? Dich mit dem ganzen Ministerium anlegen? Ist dir klar, dass die mir hier das Leben zur Hölle machen können?"

„Und was willst du machen? Jeden anwedeln, der dir einen Knochen hin wirft?"

Er blieb auf dem Absatz stehen, drehte sich zu mir und brachte sein Gesicht dicht vor meines.

„Wir machen das auf meine Art, oder gar nicht" sagte er. „Du kannst nach Hause gehen, wenn du damit nicht klar kommst."

„Du meine Güte" sagte ich. „Hilfe. Beiß mich nicht."

Er sah mich an.

„Okay" sagte ich seufzend. „Schon gut. Du bist der Alpha, und ich halte meine Klappe."

Er nickte und setzte seinen Weg fort. Ich beeilte mich, an seiner Seite zu bleiben, es schien sich zu einer Konstante in meinem Leben zu entwickeln, dass Männer mir davon stürmten, ich beschloss, dringend mal etwas für meine Kondition zu tun.

Wir erreichten den so genannten Wartebereich, eine Reihe von Stühlen, die am Ende des Ganges an den Wänden entlang aufgestellt waren. Auf einem wackeligen, niedrigen Tisch in der Mitte lagen Faltblätter des Ministeriums, auf denen ein weißbärtiger Zauberer mahnend den Zeigefinger hob, neben einigen eselsohrigen Ausgaben des Daily Prophet.

„Guten Tag" sagte Remus leise und lächelte unverbindlich. Niemand antwortete. Der Wartebereich war gut besucht, und ich unterdrückte ein gewisses Unbehagen bei dem Gedanken, mich in einer schlecht beleuchteten Ecke des Ministeriums mit einem Haufen – oder sagte man Rudel? – Werwölfe niederzulassen. Ich setzte mich neben meinen Werwolf und sah mich um. Ich versuchte, mir vorzustellen, dies sei nur das Wartezimmer eines Zahnarztes, und allein vom Publikum war das nicht sonderlich schwer. Auf meiner anderen Seite saß ein pausbäckiger Mann mit fahler Gesichtsfarbe, der die Luft durch die Zähne zog, während er in ein Buch vertieft war. Neben ihm blätterte eine schlecht gekleidete, dünne Frau mittleren Alterns gelangweilt in einem Faltblatt. Ihr langer Zopf verdeckte ihre Plakette, ich tippte aber auf Werwölfin. Hinten an der Rückwand saß ein junger Mann mit Sonnenbrille und schwarzem Ledermantel und fummelte an seiner Gürtelschnalle, und daneben ein Pärchen, das ich für Mutter und Sohn hielt: sie in schlichter, zeitloser Robe, die rötlichen Haare zu einem Dutt hochgesteckt, er daneben mit trotzigem Gesicht und Springerstiefeln unter der Robe, er war höchstens vierzehn. Ich sah, wie Remus ihn musterte, ein zartbitterer Schatten legte sich in seine Schokoladenaugen. Mir gegenüber wippte einer ungeduldig mit dem übergeschlagenen Fuß, den ich niemals für einen Werwolf, sondern vielmehr für einen Manager oder Banker aus der Muggelwelt gehalten hätte, er trug einen sauberen Haarschnitt und Nadelstreifen und polierte Schuhe und hatte eine teuer aussehende lederne Aktentasche dabei. Ich versuchte, sein Schildchen zu lesen, das Licht war nicht gut genug, ich meinte aber zu erkennen, dass der Text kurz war wie auf Remus' Schildchen, nicht lang wie auf meinem. Ich staunte, bis ich begann, mich dafür zu schämen. Werwolf zu sein war keine tagesfüllende Beschäftigung, das wusste ich mittlerweile. Was konnte einen Werwolf davon abhalten, beruflich erfolgreich zu sein? Ich warf einen Blick auf den fadenscheinigen Werwolf meines Herzens. In der Zauberwelt offenbar alles.

„Sag mal" flüsterte ich und stieß ihn leicht an. Er lehnte sich zu mir herüber, und ich spürte, wie allein der zarte Zimtgeruch in seinen Haaren mich zu ihm hin spülte. Ich nahm seine Hand, noch ein wenig ängstlich, und er verschränkte seine Finger mit meinen.

„Hast du eigentlich jemals versucht, einen Job bei den Muggeln zu bekommen?" fragte ich leise. „Die glauben immerhin nicht an Werwölfe."

„Ja" sagte er leise. „Führt aber auf Dauer zu nichts."

„Wieso nicht?"

„Zum Beispiel, weil ich keine Ausbildung habe, die in der Muggelwelt etwas zählt. Ich kann ja kaum meinen Abschluss an der Wizarding University Oxford vorlegen, wenn ich mich bei Muggeln bewerbe."

„Du warst in Oxford?"

„Ja" sagte er.

„Wow" sagte ich. „Ich habe gehört, die haben dort einen schwindelerregenden Numerus Clausus."

„Schulnoten waren nie das Problem" sagte Remus schulterzuckend. „Es hat aber Dumbledores ganzen Einfluss gekostet, damit überhaupt eine Uni mich nimmt."

„Oh" sagte ich. „Aber okay, das mit dem Abschluss sehe ich ein. Und wie ist es mit Jobs, für die man keinen Abschluss braucht?"

„Hatte ich" sagte er. „Gelegentlich. Aushilfe bei Starbuck's war noch das angenehmste. Aber ich bin nicht sehr gut mit Muggel-Technik, ich kann nicht Auto fahren, ich kann keinen Computer bedienen, und ich falle einmal im Monat zuverlässig aus. Das sind nicht die besten Voraussetzungen. Ganz davon zu schweigen, dass ich einfach keinen Kaffee mag."

„Hm" sagte ich.

„Außerdem habe ich da diese völlig vermessene Vorstellung, ich könnte meine Tage mit etwas verbringen, das mir Spaß macht" sagte er. „Mich ausfüllt. Unterrichten, zum Beispiel."

„Hm" sagte ich wieder, in Gedanken versunken.

„Gesetzt den Fall" sagte ich nach einer Weile, „nur mal angenommen, du hättest einen Muggel-Abschluss. Würdest du an einer Muggel-Schule unterrichten wollen?"

„Klar" sagte er. „Warum nicht."

„Welche Fächer?"

„Ich weiß nicht. Literatur, am wahrscheinlichsten, Latein. Arithmantik haben sie ja nicht…"

„Nein."

„Mathematik, dann. Aber die Diskussion ist ein bisschen hinfällig."

„Kann man einen solchen Abschluss nicht fälschen?"

„Professor! Ich bin schockiert."

„Es wäre ja nicht wirklich fälschen. Man würde ja keine Qualifikation fälschen. Nur ein Uni-Siegel."

„In der Tat hatte ich eine solche… Modifikation meiner Unterlagen bereits in Erwägung gezogen."

„Professor! Ich bin schockiert."

Er grinste mich an.

„Und?" sagte ich. „Was ist draus geworden?"

„Nichts" sagte er. „Zu teuer. Viel zu teuer. Wenn ich das Geld gehabt hätte, um diesen Fälscher zu bezahlen, hätte ich mich erst mal entspannt zurück gelehnt und aufgehört, mir Sorgen zu machen."

„Hm" sagte ich. Er stupste mich an.

„Du wirst mein Jobproblem nicht lösen können, während wir hier auf diesen Termin warten" sagte er. „Und wenn du's könntest, wäre das keine gute Botschaft, denn dann hätte ich mich wohl ziemlich dämlich angestellt während der letzten fast zwanzig Jahre."

Ich seufzte. „Aber was willst du denn machen?" fragte ich.

„Kreuzworträtsel" sagte er, nahm sich einen Daily Prophet und schlug ihn auf, und dann kamen wir doch nicht bis zum Kreuzworträtsel, denn von der ersten Seite starrte uns ein allzu vertrautes Gesicht an, jünger als heute und mit wirrem Haar und blanker Verzweiflung in den leuchtend blauen Augen, sein Mund formte lautlose, eindringliche Worte, und darüber die Schlagzeile:

MASSENMÖRDER SIRIUS BLACK IM IRAK GESICHTET

Ich überflog den Text, der sich in einem kleinen Kasten unter dem Fahndungsfoto befand.

Laut Angaben des Auswärtigen Amtes für Magie wurde Sirius Black, 43, verurteilt zu lebenslänglicher Haft ohne mildernde Umstände, in der Nacht zum Sonntag in einem Vorort von Bagdad gesichtet. Er entzog sich den dortigen Sicherheitskräften und befindet sich weiterhin auf der Flucht. Es wird angenommen, dass er sich einer radikal-reinblütigen Gruppierung um den international gesuchten Terroristen Hassan Ben Magira angeschlossen hat. Black, der im Juli 1986 mit einem Todeszauber zwölf Muggel und drei Zauberer ums Leben brachte, war bis zu seinem Ausbruch 1998 im Hochsicherheitstrakt von Azkaban inhaftiert. Seither befindet er sich auf der Flucht. Mittlerweile ist eine Belohnung von 50.000 Galleonen für jeden Hinweis ausgesetzt, der zur Ergreifung Blacks führt.

Er ist aggressiv, hinterhältig und äußerst gefährlich" betont Jordan Freemonk, außenpolitischer Sprecher des Ministeriums. „Es ist bei jeder Sichtung äußerste Vorsicht geboten."

Ich sah Remus an, aber der zog nur die Augenbrauen hoch und schlug die Seite um.

„Hast du mal einen Kugelschreiber?" sagte er. Das war alles.

Ich kramte das Gewünschte aus der Tasche meiner Robe und reichte es ihm hinüber. Er warf einen Blick auf das Kreuzworträtsel und begann, die Kästchen auszufüllen.

KEINKOMMENTAR, schrieb er in ordentlichen Lehrerbuchstaben. ZUVIELEOHREN.

„Richtig" sagte ich. „Da wäre ich auch selbst drauf gekommen."

„Und das?" sagte er. „Arkane Entsprechung zu Mond, sechs Buchstaben?"

„Silber" sagte ich.

„Richtig" sagte er und trug es ein. „Und das?" Er kniff die Augen zusammen und brachte die Zeitung näher. „Norwegischer…"

„Du brauchst eine Brille" sagte ich.

„Das hat mir kürzlich schon einer gesagt" sagte er und verzog das Gesicht.

„Vielleicht ist ja was dran" schlug ich vor.

„Das fehlte mir noch" sagte er.

„Eine Brille ist nicht so schlimm" sagte ich. „Reine Gewohnheit."

„Buckelrücken" sagte er.

„Was?" sagte ich irritiert.

„Norwegischer Bu-ckel-r-ü-cken" sagte er und trug es ein. „Wenn wir mal davon ausgehen, dass die Ohren in zwölf waagerecht falsch sind."

„Dir macht das Spaß" sagte ich erstaunt.

„Ja" sagte er und lächelte flüchtig. „Ich mag Kreuzworträtsel. Die im Prophet sind einfach, aber in Wizard's Weekly, die sind toll. Kann ich Stunden zubringen."

„Du solltest britischer Botschafter werden" sagte ich. „Britischer als du kann man kaum sein. Obsessiver Tee-Konsum, und Höflichkeit um jeden Preis, und Kreuzworträtsel, und immer pünktlich…"

„… bis auf heute…"

„… wo es nicht deine Schuld war, denn ich hatte mich verspätet."

„Und dabei ist Pünktlichkeit etwas, das man den Deutschen unterstellt."

„Muss mein italienisches Blut sein."

„Oxford-Professor, Muggel, fünf Buchstaben?"

„Tolkien."

„Der andere. Tolkien hat sieben."

„Welcher andere?"

„L-e-w-i-s. Das ist wirklich zu einfach."

Ich erinnerte mich dunkel an einen Typen namens Lewis, aber ich hatte schon gelernt, dass mein durchschnittliches Grundwissen neben einer wandelnden Bibliothek wie ihm übel abfiel. Ich unterdrückte das Verlangen, ihn irgend etwas zu fragen, nur um zu sehen, ob er es wusste. Ich sah ihn an, wie er sich über die Zeitung beugte, das Licht war nicht besonders gut und er hatte eine steile Falte über der Nase, er wirkte tatsächlich ein wenig kurzsichtig, es fiel mir zum ersten Mal auf. Ich fragte mich, was es noch alles gab, das ich nicht über ihn wusste. Obwohl ich jede freie Minute in Nummer Zwölf verbrachte, hatten wir doch kaum die Zeit, uns in Ruhe über Merlin und die Welt auszutauschen. Wir besprachen Dinge, die den Orden betrafen, wir saßen gemeinsam am Küchentisch und teilten uns ein Tintenfass, wenn ich korrigierte und er den Papierkram für den Orden erledigte (er bezeichnete sich mittlerweile scherzhaft als Chefsekretär), wir ertrugen gemeinsam die hyperaktive Hektik unseres Englischen Patienten und versuchten, ihn bei Laune zu halten, wir schliefen miteinander und schliefen miteinander ein, aber ich bekam immer mehr das Gefühl, dass unser Leben sich unter einer seltsamen Käseglocke abspielte, die uns vom Rest der Welt abschnitt.

Er war mittlerweile völlig in das Rätsel vertieft, also schaute ich ins Leere und erlaubte mir mal ein paar Vergleiche.

Martin, der große, umwerfend schöne, blond gelockte Spross einer reinblütigen Familie, die ihren Stammbaum bis zum Hofzauberer Karls des Großen zurück verfolgte. Meine letzte wirklich große Liebe. Ich hatte nie verstanden, warum ein Aristokrat wie er sich mit einem Muggelmädchen wie mir einließ, es hatte schon fast etwas Märchenhaftes gehabt, der Prinz und die Küchenmagd, nur ohne das Happy-End.

Ach ja. Martin, das Arschloch, der mich fallen ließ, als der Wind begann, den Muggel-Geborenen etwas schärfer ins Gesicht zu blasen. Oder vielleicht hatte es auch an meiner flüchtigen Erwähnung meiner biologischen Uhr gelegen, die tickte, ich war vierunddreißig und hatte von ihm wissen wollen, wann er denn genau die Kinder mit mir haben wollte, die er später so gerne mit mir wollte.

Ich entballte meine Fäuste. Ich wollte mich nicht aufregen, ich wollte vergleichen. Ich hatte damals schon als Köchin gearbeitet, als es mit uns begonnen hatte, ich hatte also auch nicht alle Zeit der Welt gehabt. Trotzdem waren wir ins Grüne gefahren und stundenlang unter Bäumen herum gelaufen. Wir hatten Picknick auf einer Wiese gemacht. Wir waren nachts auf den Nürnberger Astronomieturm gestiegen, um den Mond zu bewundern. Wir waren in kuscheligen kleinen Cafes gesessen und hatten uns Kindheitsgeschichten erzählt. Wir waren mit dem Zug gefahren, nur damit er mal sah, wie die Muggel sich fortbewegten (und eine Woche später waren wir auf die Kanaren geflogen, nur weil er das auch mal ausprobieren wollte, angesichts eines siebenstelligen Familienvermögens wirklich keine große Sache). Wir waren ins Kino gegangen, um zwei Stunden fast nonstop zu knutschen (inklusive Vorfilm). Wir hatten im Bett gefrühstückt. Wir hatten Sex nicht nur im Bett gehabt. Wir hatten von unseren Kindern phantasiert, von einem Häuschen im Grünen und einem Hund.

Nun ja. Zumindest einen Hund hatte ich jetzt. Zumindest Teilzeit. Ich fragte mich, ob ich jemals mit Remus bis zum Punkt gemeinsamer Zukunftsphantasien vordringen würde. Bisher vermied er mit großer Sorgfalt alles, was weitere Planung erforderte als bis zum nächsten Vollmond. Ich erwartete nichts, was wollte ich erwarten nach gerade mal fünf Wochen, aber es fiel mir doch auf. Er schien einer zu sein, der keine Pläne machte, nicht mal für sich selbst, und ich bedauerte das, denn wo keine Pläne waren, waren auch keine Träume.

Ich ging die Liste rückwärts. Kino? Fehlanzeige. Cafe, essen gehen, Kurztrips in die Umgebung? Fanden nicht statt, kein Geld. Ich wusste, er hatte lange an und unterhalb der Armutsgrenze gelebt, aber ich verstand nicht, warum er sich nicht einladen lassen wollte. Den Mond bewundern? Haha. Na ja. Alles andere? Schwierig. Ich fand, er war der Typ für alles andere, er war ein Romantiker, aber er war so völlig konsumiert von seinen Sorgen, dass ihm kaum Kraft für alles andere blieb. Er war ein Grübler. Er sorgte sich um den Mond, um Sirius, um die Zukunft des Orden, wieder um Sirius und noch mal um Sirius. Manchmal, wenn ich alleine in meinem Lehrerbett in Hogwarts lag, fragte ich mich, wie ich zwischen diese beiden nur hinein passen sollte.

Er hatte mich wohl seufzen hören, er sah von seinem Kreuzworträtsel auf und mich an.

„Was?" fragte er.

„Nichts" sagte ich. „Oder doch. Ich weiß nicht. Lass uns irgendetwas schönes machen, wenn wir hier raus sind. Nur wir beide. Etwas… Romantisches."

Er lachte, seine Augen waren warm.

„Wenn wir hier raus sind, wirst du im Eiltempo nach Hogwarts zurück apparieren, um deine Verabredung mit Severus nicht zu verpassen" sagte er. „Und ich kann nur hoffen, dass du dein Bedürfnis nach Romantik nicht mit ihm befriedigst."

„Oh, Merlin" sagte ich, während ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. „Daran hab' ich gar nicht mehr gedacht."

„Siehst du" sagte er. „Ich schon. Ich bin nicht umsonst der Chefsekretär. Was meinst du? Wenn ich den Job noch eine Weile mache, lass' ich mir ein Empfehlungsschreiben ausstellen und bewerbe mich damit."

„Du sollst nicht über dich selbst spotten" sagte ich. „Mann! Severus. Da hab' ich ja Lust drauf."

„Du tust es zur Förderung deiner Karriere. Und zum Wohl aller Werwölfe. Besonders zu meinem Wohl."

„Hm."

„Du könntest nicht etwas gegen den Geschmack tun? An dem Tag, an dem du es schaffst, dass das Zeug nach heißer Schokolade schmeckt, heirate ich dich."

Ich starrte ihn an. „Das ist unheimlich, weißt du" sagte ich.

„Tatsächlich?" sagte er. „Snuffles sagt, es sei Schokoholismus und ich sollte es behandeln lassen."

Das hatte ich nicht gemeint, aber ich unterließ es, ihn aufzuklären, ich wollte mich wirklich nicht aufs dünne Eis wagen.

„Okay" sagte ich. „Mist. Nichts mit Romantik. Aber dann wenigstens… etwas Schnelles. Ein bisschen Instant-Romantik. Du könntest mich im Lift küssen, unter den bohrenden Blicken von einem Haufen neidischer Ministerialen."

„Na ja" sagte er. „Da fällt mir aber was Besseres ein." Er klappte die Zeitung hoch und hielt sie mir vors Gesicht, und dann beugte er sich zu mir und wir küssten uns hinter der Zeitung, seine Lippen waren kühl und weich und seine Zunge ließ sich Zeit, bis sie endlich zu mir herüber kam. Ich atmete tief und zitternd. Ich würde mein gesamtes Leben mit ihm zwischen den feuchten Mauern von Nummer Zwölf verbringen, wenn er mich nur regelmäßig mit solchen Küssen versorgte.

„Schokoholismus ist nur ein Teil des Problems" murmelte ich nach einer Weile. „Ich glaube, du bist einfach oral fixiert, und du solltest es nicht behandeln lassen."

„Danke für die Einschätzung, Professor" flüsterte er und lachte.

„Immer gerne, Professor" flüsterte ich.

Er zog sich zurück und ließ die Zeitung sinken. Er gab ein völlig anderes Bild ab, das Lachen in den Mundwinkeln und endlich auch in den Augen, und eine merkliche Röte auf den Wangen, er sah viel jünger aus, sein Blick huschte hin und her, als hätte er etwas ausgefressen.

„Meine Güte" murmelte er. „Ich bin ein Exhibitionist. Ich wusste doch, etwas stimmt nicht mit mir."

„Du bist ein Brite" tröstete ich ihn. „Das ist völlig normal. Warte nur, irgendwann kannst du das auch ohne Zeitung. Beharrliches Üben vorausgesetzt."

„Und dann? Kriege ich die italienische Staatsbürgerschaft ehrenhalber? Wie sieht eigentlich die italienische Politik mit Werwölfen aus?"

„Nicht sehr reizend. So weit ich weiß, beschränkt sie sich auf das großzügige Verteilen silberner Kugeln."

„Oh. Ich denke, da bleibe ich doch lieber Brite."

Wir füllten gemeinsam das Kreuzworträtsel aus und blätterten die Zeitung durch. Gelegentlich klappte eine Tür, und jemand wechselte über den Gang, brachte einen Arm voll Papier oder verschwand mit einem. Die Zeit wollte nicht vergehen, es war, als hätte man nicht feinen Sand, sondern dicken Grießbrei in das Stundenglas gefüllt. Dann wurde die Werwölfin aufgerufen, was ich als gutes Zeichen deutete, immerhin hieß das, dass irgend etwas vorwärts ging. Dann ging die Glastür am Ende des Ganges auf, und eine riesenhafte Gestalt kam mit schwerem Schritt zu uns in den Wartebereich. Ich spürte, wie eine seltsame Unruhe durch die Werwölfe ging. Remus neben mir verspannte sich spürbar und fasste nach meiner Hand.

„Werbär" flüsterte er.

Ich betrachtete den Neuankömmling, er mochte zwei Meter groß sein und mehr wiegen als Remus und ich zusammen, sein Haar war wild und verfilzt, und sein narbiges Gesicht war zur Hälfte von einem struppigen Bart bedeckt. Er erinnerte mich an Hagrid auf die gleiche Weise, wie Severus mich manchmal an Sirius erinnerte: als ein Negativabdruck, oder die zweite Seite der viel zitierten Medaille. Etwas war in seinen Augen, das mich schaudern ließ.

Er blieb stehen, verschränkte die baumdicken Arme vor dem mächtigen Brustkorb und starrte auf die versammelten Werwölfe hinunter. Ich sah, wie der Manager unruhig auf seinem Sitz herum rutschte. Die Wolfsmutter auf der anderen Seite legte ihrem halbwüchsigen Sohn die Hand aufs Knie, die dieser mit wütender Geste weg wischte. Mir wurde unheimlich.

„Es ist kein Stuhl mehr frei" sagte der Werbär mit finsterem Bass zu niemandem im Besonderen.

„Nehmen Sie diesen hier" sagte der junge Mann mit dem Ledermantel und zeigte auf den Stuhl, den die Werwölfin verlassen hatte.

„Der stinkt" knurrte der Werbär.

„Du stinkst" fauchte der halbwüchsige Wolf, und seine Mutter wurde kreideweiß.

Der Werbär machte einen Schritt auf den halbwüchsigen Wolf zu, und die Mutter sprang auf, sie zitterte am ganzen Körper.

„Halt's Maul, Welpe" knurrte der Werbär.

„Lassen Sie ihn in Ruhe" sagte die Wolfsmutter, die dem Werbär kaum bis zur Brust reichte.

„Er hat mich beleidigt" knurrte der Werbär.

„Nenn mich nicht Welpe!" fauchte der halbwüchsige Wolf.

Ich war wie angenagelt auf meinem Stuhl gesessen, als Remus mich plötzlich in die Höhe zog. Für einen panischen Moment sah ich ihn, wie er sich mit bloßen Händen auf den Bären stürzte und zwischen dessen beängstigenden Oberarmen zermalmt wurde, dann bemerkte ich zu meiner grenzenlosen Erleichterung, dass er mich aus dem Wartebereich und in den Gang zog. Er hielt meine Hand umklammert, klopfte kurz und hart an der nächsten Bürotür und öffnete sie, ohne ein „Herein" abzuwarten.

„Nehmen Sie den Werbären dran" sagte er mit einer Stimme, die ich noch nicht an ihm kannte, sie duldete keinen Widerspruch. „Es gibt Mord und Totschlag da draußen, und er ist noch keine Minute da. Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?"

Der Sachbearbeiter hinter seinem Schreibtisch öffnete und schloss seinen Mund, und sein Klient, ein kleiner dünner Mann in schäbiger Kleidung, starrte uns schockiert an.

„Beeilen Sie sich" sagte Remus. „Holen Sie ihn rein, oder Sie haben einen Fall weniger zu bearbeiten."

Ein gewaltiges Krachen von draußen untermalte seine Worte auf eindrucksvolle Weise. Ich linste durch die Tür. Der Werbär hatte einen Stuhl in der Hand, und dicke Putzbrocken fehlten in der Wand, sie lagen zu seinen Füßen, körniger Staub verteilte sich und sank langsam zu Boden.

„Oh Merlin" murmelte ich.

„Ich… äh" sagte der Sachbearbeiter.

Ich hörte jemanden rennen, und ein grüner Betäubungs-Hex zischte an der offenen Tür vorbei. Jemand um die Ecke grunzte, dann krachte es wieder, und Stille kehrte ein.

„Bemühen Sie sich nicht" sagte Remus und warf einen Blick auf den Gang. „Es sieht aus, als hätte das Wachpersonal sich der Sache angenommen. Entschuldigen Sie die Störung, und vielen Dank für Ihre kühne Initiative."

„Äh" sagte der Sachbearbeiter.

Andere Bürotüren öffneten sich, und Angestellte steckten die Köpfe auf den Gang.

„Keine Aufregung, Leute" sagte ein Wachzauberer in dunkelblauer Ministeriumsrobe. „Alles im Griff. Wir kümmern uns gesondert um diesen hier."

„Und schicken Sie eine Reinigungshexe hierher" sagte die Ministeriumshexe, die aus einer Tür auf der gegenüberliegenden Gangseite schaute, mit der Stimme eines empörten kleinen Mädchens. „Das kann ja so nicht bleiben. Welchen Eindruck soll denn der Premierminister bekommen, hm?"

„Ja, Ma'am" sagte der zweite Wachzauberer, während sein Kollege den bewusstlosen Werbären mit einiger Mühe levitierte.

„Und… bitte schließen Sie die Tür hinter sich" sagte der Sachbearbeiter im Büro hinter mir schüchtern.

„Selbstverständlich" sagte Remus und schob mich auf den Gang. „Entschuldigen Sie nochmals die Störung."

Die Hexe mir gegenüber, die ihre Tür schon wieder hatte schließen wollen, öffnete sie erneut.

„Mister Lupin" zwitscherte sie. „Richtig? Ach, das ist ja eine Freude. Was für ein netter Zufall."

„Er wurde einbestellt" sagte ich und zog schon mal vorsichtshalber meinen Fuß zurück. „So groß ist der Zufall gar nicht."

Die Hexe streifte mich mit einem sehr merkwürdigen Blick aus riesengroßen, wasserblauen Glubschaugen. Ich fand sie spontan widerwärtig. Ihre Augenbrauen waren so dünn gezupft, dass sie praktisch nicht mehr existierten, ihr Gesicht war breit und hatte die Farbe von Quark, und ihr lippenloser Mund reichte von einem Ohr zum anderen, als sie Remus anlächelte.

„Kommen Sie doch rein" zwitscherte sie und öffnete die Tür weiter, was mich dem Anblick ihrer rosa Rüschenrobe aussetzte.

„Danke" sagte Remus gehorsam, „aber… müsste ich Sie kennen?"

„Nicht persönlich" zwitscherte sie, „wenngleich ich es bedaure, dass wir uns nicht schon früher begegnet sind. Albus spricht immer sehr anerkennend von Ihnen."

„Albus… Dumbledore?"

„Eben dieser" strahlte sie. „Ein alter Freund von mir. Bitte hier entlang."

„Guck mal" murmelte ich, während wir uns durch ein enges Vorzimmer in ein weiteres Büro schoben. „Ein Werfrosch." Remus hustete und legte die Hand vor den Mund.

„Nehmen Sie Platz" sagte sie und wedelte ihre fetten kleinen Hände in Richtung zweier Besucherstühle, die unter dem Fenster standen. Das Büro war, nun ja, passend zur Robe. Ich konnte mich auf die Schnelle kaum entscheiden, was mich mehr schockierte: der rosa Häkelüberwurf über ihrem Bürostuhl, das Stilleben von staubigen Strohblumen und kitschigen kleinen Püppchen auf ihrem Schreibtisch oder – Schreck aller Schrecken – eine Sammlung von Porzellantellern an der Wand, auf denen glubschäugige Kätzchen rosa Wollknäulen nachjagten, dass einem schwindelig werden konnte. Inmitten all der Scheußlichkeit sickerte nur ganz allmählich die Frage in mein Gehirn, nach welchen Kriterien sich Professor Dumbledore seine Freunde aussuchte. Äußerlichkeiten konnten es wohl kaum sein.

„Ich glaube, ich habe mich nicht vorgestellt, in all der Aufregung" flötete die Werfröschin und hielt Remus ihre Hand hin. „Dolores Umbridge, ich bin Ihre zuständige Abteilungsleiterin."

„Freut mich" sagte Remus, ergriff ihre Hand und machte eine förmliche kleine Verbeugung. „Ich darf Ihnen noch meine Begleiterin vorstellen, Miss Emilia Liguster. Sie ist als meine Bürgin hier."

„Charmant, charmant" flötete die Werfröschin und zwinkerte, dass mir schlecht wurde. Ich kam nicht umhin, ihre Hand zu schütteln. Ich tat es als Tribut an meinen Geliebten, der mir einstweilen einen Stuhl vom Fenster heran schob.

„Ich hatte angewiesen, dass man Sie direkt in mein Büro bringt, sobald Sie eintreffen" sagte die Werfröschin mit ihrer seltsamen Kinderstimme und blätterte durch die Unterlagen, die sich auf ihrem Schreibtisch türmten. „Ich hoffe, Sie mussten nicht warten?"

„Kaum der Rede wert" sagte Remus.

„Fast eine Stunde" sagte ich gleichzeitig. Ich fand es nicht unhöflich, bei der Wahrheit zu bleiben, trotzdem fing ich mir einen scharfen Blick von meinem Alpha ein und beschloss, zu tun, was ich versprochen hatte: die Klappe zu halten.

„Oh" sagte die Werfröschin. „Nun ja. Leider hat sich so einiges in dieser Abteilung noch nicht richtig eingespielt. Wir durchliefen eine umfangreiche Umstrukturierung, müssen Sie wissen, um den steigenden Anforderungen gewachsen zu bleiben."

„Verstehe" sagte Remus mit unverbindlichem Lächeln. „Ich frage mich allerdings, womit ich mir diese Sonderbehandlung verdient habe?"

„Eine Gefälligkeit für einen gemeinsamen Freund" zwitscherte die Werfröschin. „Schließlich sind Sie nicht irgendein Werwolf."

„Aha" sagte Remus erstaunt, doch die Werfröschin schien sich nicht weiter erklären zu wollen. Sie fuhrwerkte weiter auf ihrem Schreibtisch herum, brachte einen Aktenstapel zum Einsturz, quiekte und lachte dabei wie ein Kind, das vom Onkel erschreckt wird, und zog schließlich einen rosa Aktendeckel hervor, auf dem in runder Kinderschrift WW0207/3385RJL vermerkt war.

„Da ist sie ja" sagte sie zufrieden. „Ihre Akte. Ich wusste doch, ich habe sie bereits vorliegen."

Ich sah zu Remus. Ich fand es irgendwie beunruhigend, dass diese Frau seine Akte auf dem Schreibtisch hatte, aber falls er mein Gefühl teilte, ließ er sich nichts anmerken.

„Ihren Fall persönlich zu bearbeiten ist das Mindeste, was ich tun kann" sagte sie, als hätte jemand danach gefragt. „Ich hoffe, die Angelegenheit dadurch angenehmer für Sie gestalten zu können."

„Ich hatte gehofft, Unannehmlichkeiten überhaupt vermeiden zu können" sagte Remus vorsichtig. „Es ist doch nichts als ein Verwaltungsakt, oder nicht?"

„Selbstverständlich" sagte sie und lächelte ihr Furcht erregendes Froschlächeln. „Ein Verwaltungsakt und nichts weiter. Haben Sie die erforderlichen Unterlagen mitgebracht?"

„Natürlich" sagte Remus und reichte ihr ein sorgfältig gefaltetes Päckchen.

„Aha" sagte sie und öffnete es raschelnd. „Mhm. Mietvertrag, Ausweis, Gesundheitszeugnis. Gut. Anstellungsvertrag?"

„Leider nicht vorhanden. Ich bin derzeit… arbeitssuchend."

„Oh" sagte sie und gab ein albernes kleines Kichern von sich. „Gut. Nun ja. Dann sehen wir mal."

Sie schlug die Akte auf und raschelte durch die darin befindlichen Papiere.

„Gut" sagte sie. „Die Personalien zuerst. Name… Remus… wofür steht J.?"

„James" sagte Remus.

„Remus… James… Lupin" sagte sie, während sie das Gesagte mit einer blütenweißen Feder in das Formular eintrug. „Geboren am?"

„Zweiten siebten siebenundfünfzig."

„Geburtsort?"

„Salisbury."

„Familienstand?"

„Ledig."

„Haben Sie Kinder?"

„Nein."

„Name und Beruf Ihres Vaters?"

„Wozu ist diese Information denn nötig?"

Die Werfröschin seufzte und schürzte ihre nicht vorhandenen Lippen. „Bürokraten" sagte sie. „Sie wissen schon."

„James Patrick Lupin" sagte Remus, der ganz offensichtlich nicht wusste. „Lehrer."

„Name und Beruf der Mutter?"

„Annabell Lupin, geborene Blossom. Lehrerin."

„Wie reizend" flötete die Werfröschin. „Eine Familientradition."

„Könnte man so sagen" sagte Remus unbewegt.

„So. Ihr eigener Beruf ist Lehrer…"

„Richtig."

„Hatten Sie eigentlich eine Anstellung, seit Sie Hogwarts verlassen haben?"

„Keine feste."

„Bedauerlich" seufzte sie gekünstelt. „Und Sie sind wohnhaft in…?"

„Hogsmeade. Das letzte Haus am östlichen Ortsausgang. Es führt keine Straße hin, nur ein Feldweg, deshalb hat es keine offizielle Adresse. Aber die Eulen finden es."

„Hogsmeade" trug sie ein und fuhr mit einer widerwärtigen rosa Zunge über ihre nicht vorhandenen Lippen. „Haben Sie dort Vorkehrungen für den Vollmond getroffen?"

„Ich bin… nicht gefährlich. Ich bekomme Wolfsbann. Regelmäßig."

„Ach?" sagte sie, und ich wusste nicht, warum ich diesen Eindruck bekam, dass die Information ihr nicht gefiel. „Wolfsbann, sagen Sie. Und von wem?"

„Severus Snape."

„Aha. Mhm. Der…? Wir sprechen von diesem Severus Snape?"

„Ich glaube kaum, dass es einen zweiten gibt" sagte Remus ohne jede Bosheit.

„Ja. Nun. Er gilt ja als Koryphäe auf dem Gebiet."

„Er hat den Wolfsbann praktisch erfunden."

„Ja. Trotzdem, lassen Sie uns noch einmal auf die Sicherheitsvorkehrungen zu sprechen kommen."

„Wozu sind die denn nötig, wenn ich doch den Wolfsbann habe?"

Die Werfröschin sah ihn über den Rand der rosa Akte an.

„Um sicher zu gehen" erklärte sie mit ungeduldiger Kleinmädchenstimme. „Stellen Sie sich nur mal vor, Professor Snape würde krank, oder müsste eine längere Reise antreten. Was würden Sie dann tun?"

„In diesem Fall würde ich einspringen" sagte ich. „Ich bin ebenfalls eine ausgebildete Tränkeköchin. Ich kann den Wolfsbann brauen."

„Ach?" sagte sie. „Meine Liebe, mir liegen keine Referenzen über Ihre diesbezügliche Qualifikation vor, und ich bin keine Freundin von Experimenten."

„Ich kann Ihnen Referenzen bringen" knirschte ich.

„Tun Sie das, meine Liebe" sagte die Werfröschin. „Wir werden sie selbstverständlich sorgfältig prüfen. Und nun, Mister Lupin, noch mal zurück zu den Sicherheitsvorkehrungen in Ihrem Wohnsitz. Gibt es welche, und wie sehen die aus?"

„Schutzzauber" sagte Remus. „Und eine sehr stabile Tür. Das Haus ist ohnehin abgelegen, und es hat einen schlechten Ruf. Die Leute sagen, es würde darin spuken. Besuch ist sehr unwahrscheinlich."

„Ich sehe, Sie sind recht risikofreudig" zwitscherte die Werfröschin.

„Im Gegenteil" sagte Remus. „Die Sicherheitsmaßnahmen sind erprobt. Ich habe das Haus schon während meiner Schulzeit benutzt. Es hat jahrelang zuverlässig funktioniert, und das ohne den Wolfsbann."

„Bis zu dieser einen Nacht, in der einer Ihrer Mitschüler beinahe zu Tode kam" sagte die Werfröschin. „Tadi-tada. Ich denke nicht, dass dieses Haus den Vorgaben des Ministeriums Genüge tun wird, Wolfsbann hin oder her."

Mir fror das Gesicht ein. Es gab nur eine Person, von der sie diese Information haben konnte.

Dieser Bastard. Ich würde ihn vergiften.

Ich sah zu Remus, der sichtbar blass geworden war, aber seiner Stimme war kaum etwas anzuhören, als er sagte:

„Ich bin gerne bereit, die Vorgaben des Ministeriums zu erfüllen. Vielleicht haben Sie ja ein paar Richtlinien für mich."

„Aber sicher" sagte die Werfröschin. „Detaillierte Richtlinien. Und bis zu deren Umsetzung sollten wir über Ihre fachgerechte Unterbringung während des nächsten Vollmond nachdenken."

„Was" sagte Remus, kreideweiß.

„Nur keine Angst" sagte sie und zeigte ihre winzigen Stummelzähnchen. „Das Ministerium tut alles, um seinen lykantrophen Schutzbefohlenen den Vollmond so angenehm wie möglich zu gestalten."

„Aber der Wolfsbann" begehrte ich auf.

„Wir diskutieren das an anderer Stelle" schnitt sie mir das Wort ab. „Wir sind mitten in der Registratur. Nicht sinnvoll, die Dinge zu vermischen." Sie raschelte durch ihre Papiere. Unter dem Tisch nahm Remus meine Hand, seine Finger waren kalt, und er drückte sehr fest zu.

„Gut" sagte die Werfröschin. „Noch einige Fragen zu Ihrer Vergangenheit. Ich brauche für die Akten einen vollständigen Lebenslauf mit allen Wohnsitzen und Beschäftigungs- beziehungsweise Ausbildungsverhältnissen seit Ihrer Infektion."

„Wozu das denn?"

„Um zu sehen, ob Sie sich in geregelten Verhältnissen bewegen" zwitscherte die Werfröschin. „Keine große Sache. Nur für die Akten. Für psychisch instabile Personen wie Lykantrophe ist eine kontinuierliche, gleich bleibende Umgebung von erheblicher Bedeutung.

„Mister Lupin ist nicht psychisch instabil" fauchte ich. „Er ist die psychisch stabilste Person, die ich kenne!"

Unter dem Tisch drückte er meine Hand so fest, dass es weh tat.

„Was Sie da verlangen, ist quasi eine Unmöglichkeit" sagte er, immer noch gleichmäßig, immer noch freundlich. „Sie werden keinen Werwolf finden, der diese Kriterien erfüllt. Die Infektion bringt ungeregelte Verhältnisse praktisch mit sich. Auch wenn ich Ihnen recht gebe, dass eine gleichmäßige Umgebung die Sache sicher erleichtern würde. Aber das ist Wunschdenken."

„Geben Sie mir einfach, was Sie haben" flötete sie. „Sie können es mir in den nächsten Tagen eulen. Ich werde schon damit zurechtkommen."

„In Ordnung" sagte Remus unbewegt.

„Verwenden Sie dieses Formular" sagte sie und gab ihm eines hinüber. Ich nahm es aus seiner Hand und tippte es mit meinem Stab an. In der linken oberen Ecke leuchtete die Veritas-Rune auf.

„Eine Vorsichtsmaßnahme, die sich natürlich nicht auf Sie persönlich bezieht" sagte die Werfröschin und zog ihr hässliches Maul von einem Ohr zum anderen. „Ich würde Ihnen niemals unterstellen, dass Sie dem Ministerium die Unwahrheit mitteilen."

„Natürlich nicht" sagte Remus steinern.

„So" sagte sie. „Gleich sind wir fertig. Nur noch einige Fragen zu Ihrer allgemeinen Verfassung. Wann haben Sie sich zuletzt medizinisch betreuen lassen?"

„Vorgestern" sagte er und zeigte auf das Gesundheitszeugnis.

„Ja" sagte sie und überflog es flüchtig. „Sehr gut. Das wird Ihren Besuch beim Amtsarzt verkürzen."

„Amtsarzt?" fragte er mit einem ersten Anflug von Unsicherheit in der Stimme. „Ich dachte… ich meine… reicht das nicht?"

„Aber doch, selbstverständlich" sagte sie. „Es geht nur um die Registratur Ihrer körperlichen Merkmale. Die Untersuchung haben Sie ja bereits."

„Die Registratur meiner körperlichen Merkmale" flüsterte Remus.

„Das ist entwürdigend" sagte ich, ich hätte etwas darum gegeben, souverän und überlegen zu klingen, aber meine Stimme zitterte, ich war kurz davor, los zu heulen. „Das ist demütigend! So können Sie doch nicht mit den Leuten umspringen! Das ist rassistisch!"

„Sie sollten sich mäßigen, wenn Sie weiterhin als Bürgin in Betracht kommen wollen" sagte die Werfröschin, und unter all der rosa Zuckerwatte wurde ein Stachel spürbar. „Sie haben als Bürgin die Richtlinien des Ministeriums zu vertreten, wissen Sie. Sie sollten wirklich mit uns zusammen arbeiten."

„Ja" sagte ich tonlos.

„Schön" sagte sie. „Mister Lupin, Sie verstehen sicher, dass ich Sie das fragen muss, aber waren Sie kürzlich in psychologischer Behandlung?"

„Nein" sagte er und versuchte offenbar, seine Stimme zurück zu gewinnen.

„Bei einem Nervenarzt? In einer entsprechenden Einrichtung?"

„Nein. Ich fühle mich gänzlich zurechnungsfähig, falls es das ist, worauf Sie hinaus wollen."

„Fühlen Sie sich oft unausgeglichen? Unzufrieden?"

„Nein."

„Sie sind also zufrieden mit Ihrer Situation als arbeitsloser Lykantropher?"

„Nein! Ich versuche, Arbeit zu finden, aber es ist nicht einfach. Ich habe Konkurrenz… nicht nur von Nicht-Lykantrophen, sondern auch von jüngeren, mittlerweile. Besser qualifizierten. Ich kann wenig Berufserfahrung vorweisen."

„Frustriert" murmelte sie, während sie das Wort in den Bogen eintrug. „Unzufrieden." Remus warf mir einen gehetzten Blick zu, er sah aus, als sei er in eine Wolfsfalle geraten, und vielleicht war er das auch.

„Verspüren Sie Aggressionen?"

„Nein."

„Fragen Sie mich mal" murmelte ich, wurde aber glücklicherweise überhört.

„Selten, gelegentlich, häufig oder sehr häufig?"

„Nie."

„Gefährliche Selbstüberschätzung" murmelte sie zwischen ihren winzigen Zähnchen, während sie die Worte eintrug.

„Das ist doch lächerlich" platzte ich heraus.

„Emilia" murmelte er und hielt meine Hand so fest, dass meine Finger taub wurden. „Bitte. Ich bitte dich. Bitte."

Ich biss mir auf die Lippe und schluckte, und schluckte wieder, ich brachte den Kloß kaum hinunter.

„Nun zu Ihnen" sagte die Werfröschin und schenkte mir ein Lächeln, dass ich beinahe mein Innerstes auf ihre Strohpüppchen entleerte, doch ich beherrschte mich. Ich gab meinen Namen an, meine Adresse, Name und Beruf meiner Eltern, ich ertrug einen launigen Exkurs über meine sizilianische Mutter, von der ich in Werfröschins Augen das Temperament geerbt hatte, und ich beantwortete eine Liste von Fragen, die außer meiner Schuhgröße, Blutgruppe und sexueller Orientierung praktisch alles enthielt, was mein Leben so zu bieten hatte. Ich unterschrieb ein Dokument, nach dem ich ins Gefängnis ging, wenn Remus jemanden biss, oder so ähnlich, ich war nicht mehr in der Lage, mir das Beamtendeutsch zu übersetzen. Dann endlich erhob sich die Werfröschin von ihrem Schreibtisch und wir stellten die Stühle zurück an die Wand, und gerade als ich dachte, wir könnten entkommen, uns einen stillen Winkel suchen, uns küssen und unsere Wunden lecken, sagte die Werfröschin:

„Am besten, ich bringe Sie gleich zum Amtsarzt. Wir können dann Ihren Vorgang abschließen, und Sie ersparen sich weitere Wartezeiten."

„Ja" sagte Remus tonlos. Ich sah ihn an. Er seufzte.

„Bringen wir's hinter uns" flüsterte er.

Die Werfröschin ließ es sich nicht nehmen, uns persönlich auf den Gang hinaus zu begleiten. Sie hielt uns die Glastür auf und scheuchte uns kichernd und mit ihren fetten Händen wedelnd einen weiteren Gang entlang, einen Treppenabsatz hinauf und in eine Art von Zwischengeschoss, wo sie ohne zu klopfen einen Raum betrat, aus dem weißes Licht und ein alchimikalischer Geruch drang.

„Douglas" hörten wir sie zwitschern. „Wie schön, dass du noch im Haus bist."

„Ich wollte gerade Feierabend machen" sagte eine zögernde Männerstimme.

„Oh, Douglas" flötete sie. „Ich bitte dich. Mister Lupin ist hier, du weißt schon. Ich wäre wirklich sehr enttäuscht, wenn ich ihn wieder weg schicken müsste."

Ich fragte mich, warum Remus ein Du-weißt-schon war. Das flaue Gefühl in meinem Bauch wuchs sich allmählich zu einer handfesten Panik aus. Ich schlang die Arme um mich, und Remus legte mir eine Hand auf die Schulter, sein Gesicht war blass und verloren in dem weißen Licht.

„Also gut" sagte die Männerstimme seufzend. „Bring ihn rein, Dolores."

Die Werfröschin riss die Tür auf und winkte uns strahlend herein.

„Ich sehe Sie, Mister Lupin" sagte sie und warf ihm etwas zu, das wie die groteske Verzerrung einer Kusshand aussah. „Tadi-tada. Bis bald."

Ich hoffte inständig, dass es keine Kusshand gewesen war. Ich wusste, wäre es eine gewesen, hätte ich gehen und zur Werfrosch-Mörderin werden müssen, selbst wenn das meine Akte als unbescholtene Bürgin beschädigt hätte. Dann schloss sich die Tür hinter ihr, und das Grauen nahm seinen Fortgang.

„McFinnegan" sagte der Amtsarzt, ein großer, dünner Mann mit schütterem schwarzem Haar, das er sorgfältig über den Schädel gekämmt hatte, und hielt uns die Hand hin. Wir murmelten unsere Namen und schüttelten seine dargebotene Hand, und dann standen wir verloren in dem weißen Untersuchungszimmer und warteten, bis er Daten aus Pomfreys Gesundheitszeugnis in ein weiteres Formular übertragen hatte.

„Ziehen Sie sich bitte aus" sagte er dann zu Remus und befestigte das Formular auf einem blauen Klemmbrett. „Hosen können Sie anbehalten."

Ich warf einen vorsichtigen Blick auf das Formular. Es waren zwei menschliche Umrisse darauf abgebildet, einer offenbar von vorne, einer von hinten, und der Amtsarzt klopfte ungeduldig mit einem Bleistift gegen das Klemmbrett, während Remus sich mit müder Bewegung die Robe über den Kopf zog.

„Hemd, Schuhe und Socken bitte auch" wies der Amtsarzt an. „Soll Ihre Begleitung das Zimmer verlassen?"

Remus schüttelte müde den Kopf und tat, wie ihm geheißen.

„Bitte auf die Waage" sagte der Amtsarzt und zeigte mit dem Finger. Remus tat es. Der Amtsarzt fummelte an der Anzeige und trug dann etwas in sein Formular ein. Remus starrte blind vor sich hin. Ich wusste, wie ungern er sich auszog, er trug sogar im Hochsommer Roben mit langen Ärmeln, um seine Narben zu verstecken. Ich schluckte an einem Kloß, der mich zu ersticken drohte.

„Neunundsechzig Kilo" sagte der Amtsarzt. „Das ist eindeutig zu wenig für einen Mann Ihrer Größe. Sie sollten mindestens zehn Kilo zulegen. Mehr essen, ein bisschen Sport treiben."

„Ja" sagte Remus immer noch mit dieser teilnahmslosen Stimme. „Danke für den Hinweis."

„Bitte hier, zur Messlatte" sagte der Amtsarzt, und Remus gehorchte.

„Einsneunundsiebzig" murmelte der Amtsarzt und trug es ein. „So. Nun hier herüber. Unter das Licht. Mund auf. Oh. Aha. Ich sehe, Ihr Gebiss ist nicht mehr vollständig."

Ich zupfte so heftig an meinen Haaren, dass es weh tat. Ich wollte mir irgendeinen Reiz zufügen, der mich von dem Gedanken abbrachte, wie quälend und demütigend es war, dass außer mir jemand fest stellen durfte, dass er diese Zahnlücke hinten links hatte, und dass ihm ein Stückchen vom Eckzahn fehlte, wodurch der eine ein wenig spitzer war als der andere, diese Information sollte für niemanden außer mir zugänglich sein und für mich auch nur, weil ich lernen musste, daran vorbei zu küssen.

„So" sagte der Amtsarzt. „Nun Ihre Narben. Wir halten sie als besondere Kennzeichen fest, und ich sehe, wir werden gut zu tun haben."

Remus sagte nichts, aber er sah mich an, und ich verbiss mir alles, was mir zum Thema mach doch Feierabend für immer, Idiot auf der Zunge gelegen war.

Der Amtsarzt examinierte Remus' Oberkörper und trug die Narben in den menschlichen Umriss auf seinem Formular ein, von der schmalen, kaum mehr sichtbaren, silbrigen, die sich quer über seine Wange zog, über die frischen roten auf Hals und Brust und die zahlreichen auf den Armen bis hin zu den schlimm vernarbten Handflächen. Remus stand reglos in dem weißen Licht, seine Augen waren stumpf, seine Arme hingen leblos herunter.

„Bewegte Vergangenheit, was?" sagte der Amtsarzt, während er in dem Umriss auf seinem Formular herum malte. „Sie geraten oft in Kämpfe?"

„Nein" sagte Remus tonlos. „Nie."

„Soll ich das angesichts dieser Topographie als Scherz werten, oder als verzweifelten Versuch?" fragte der Amtsarzt und hielt Remus seine Zeichnung unter die Nase.

„Weder noch" sagte Remus und schloss die Augen. „Alle meine Verletzungen befinden sich an Stellen, die ich selbst erreichen kann, so lange ich Wolf bin. Wenn Wölfe untereinander kämpfen, beißen sie in die Kehle oder in den Nacken. Dort habe ich praktisch keine Verletzungen."

„Sie wollen doch nicht etwa andeuten, Sie hätten selbst…?"

„Ja" sagte Remus müde.

„Das kann ich kaum glauben" sagte der Amtsarzt kopfschüttelnd.

„Dann kommen Sie mich mal im Keller besuchen" sagte Remus mit einem dünnen Lächeln in den Mundwinkeln. „Kein Werwolf schätzt es, wenn man ihn einsperrt. Es macht ihn verrückt."

„Hm" sagte der Amtsarzt. „Nun gut. Ich vermerke das. Aber was ist mit diesen frischen Narben am Hals? Da kommen Sie doch wohl nicht selbst hin?"

„Ein Kampfhund im Hydepark" sagte Remus. „Am helllichten Tag. Tut nichts zur Sache."

„So" sagte der Amtsarzt. „Nun gut. Wenn Sie das sagen. Und nun ziehen Sie bitte die Hose aus. Keine Sorge. Nur die lange. Ich muss die Narben an Ihren Beinen erfassen. Ich nehme an, Sie haben dort welche, oder nicht?"

Remus sagte nichts, er starrte vor sich auf den Boden und öffnete automatisch seinen Gürtel, er wirkte wie eine Marionette. Ich wandte mich ab. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich fragte mich, wie tief man jemanden noch erniedrigen konnte, und warum in dieser beschissenen Zaubererwelt niemand auch nur einen Deut auf Menschenrechte oder Würde gab. Wenn es nicht eine theatralische Geste gewesen wäre, hätte ich meinen Zauberstab zerbrochen und mich für immer in die Muggelwelt verabschiedet, wo man wenigstens streckenweise versuchte, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, war es endlich vorbei, Remus war wieder angezogen und an meiner Seite, er sah aus wie immer, ein bisschen blasser und müder vielleicht, aber er schüttelte brav die Hand des Amtsarztes, sagte etwas wie „keine Ursache", als der Arzt sich für die Zusammenarbeit bedankte, und sagte automatisch „In Ordnung", als der Amtsarzt ihm in Aussicht stellte, er werde bezüglich seines Termins zum Tätowieren eine Eule erhalten.

Und dann riss es ihn doch.

„Was?" sagte er.

„Hab ich da gerade richtig gehört?" sagte ich, ich war mit meinen Gedanken schon außerhalb dieses scheußlichen Gebäudes gewesen.

„Tätowieren?" sagte Remus fassungslos. „Das kann doch wohl nicht sein."

„Aber selbstverständlich" sagte der Amtsarzt. „Weshalb hätten Sie sich sonst registrieren lassen? Wir tätowieren Ihnen eine Nummer, die in unserer Datenbank mit Ihren persönlichen Merkmalen verknüpft wird. Man kann Sie dann auch in Ihrer Wolfsform zweifelsfrei identifizieren. Man muss Ihnen nur das Fell am Vorderbein abrasieren."

„Sie meinen, nachdem man mir die silberne Kugel gegeben hat" sagte Remus.

„Wenn Sie's so pathetisch ausdrücken wollen, ja" sagte der Amtsarzt.

„Hier wird nur über meine Leiche tätowiert" sagte ich finster.

„Wir besprechen das draußen" sagte Remus.

„Es ist wirklich nicht schlimm" sagte der Amtsarzt. „Tut kaum weh", und dann riss etwas in mir ab, und ich kam in Bewegung.

„Haben Sie ihn eigentlich angesehen?" schrie ich ihn an, dass er einen erschreckten Satz rückwärts machte. „Glauben Sie wirklich, es ist ihm um die Schmerzen? Glauben Sie, das berührt ihn noch? Können Sie sich nicht vorstellen, dass es etwas mit Selbstachtung zu tun hat, und mit Menschenwürde, wenn man sich nicht tätowieren lassen will wie ein Stück Schlachtvieh? Ihr Zauberer, ihr seid so eine arrogante, rassistische, niederträchtige Gesellschaft…"

„Emilia."

„… ich bin so froh und stolz, ein Schlammblut zu sein, wenigstens ist es ehrlicher Dreck, der durch meine Adern fließt, und nicht so ein degeneriertes, versnobtes, widerliches Zeug!"

„Emilia!"

„Sie gehen jetzt besser" sagte der Amtsarzt.

„Wir gehen" sagte Remus und packte mich am Arm. „Jetzt."

„Ich bin noch nicht fertig" fauchte ich.

„O doch" sagte Remus. „Ich bin sicher, Doktor McIrgendwas kann sich den Rest denken."

„Dazu reicht seine Phantasie nicht" fauchte ich.

„Sie ist gestresst" sagte Remus zu dem Amtsarzt. „Bitte, behalten Sie den Vorfall für sich. Ich will mir keinen neuen Bürgen suchen müssen, ich bin ein bisschen knapp mit passenden Kandidaten."

„Na gut" sagte der Amtsarzt. „Ich verstehe die Aufregung nicht, aber ich will Ihnen keine Schwierigkeiten machen, wo Sie doch einer von den kooperativen Werwölfen sind."

„Ja" sagte Remus etwas angestrengt, er brauchte alle Kraft, um mich im Griff zu behalten, ich versuchte ernsthaft, mich loszureißen, wir befanden uns dicht an der Schwelle zu einem Gerangel. „Vielen Dank für Ihr Verständnis."

„Ich muss raus hier" fauchte ich. „Ich halt's nicht mehr aus!"

Der Amtsarzt öffnete die Tür, und Remus ließ mich los, und ich schoss hinaus auf den Gang wie ein Korken aus der Flasche. Ich marschierte blindlings den Gang entlang und den Treppenabsatz hinunter, die Gänge waren mittlerweile verlassen, die meisten Angestellten schienen schon Feierabend zu haben. Ich durchquerte die Abteilung RegKonMagG auf der Suche nach dem Lift, und dann lief ich versehentlich einige Male im Kreis, das ziellose Laufen tat mir gut, und als ich mit rauschender Robe um eine Ecke stürmte und eine zu Tode erschreckte Reinigungshexe mit ihrem feuchten Wischtuch einen Satz zur Seite machte, begriff ich beinahe, warum Severus so viel Gefallen an diesem Gehabe fand. Ich versaute meinen Auftritt natürlich, indem ich mich bei der Reinigungshexe entschuldigte und mir den Weg zum Lift erklären ließ.

Remus wartete auf mich, er hielt eine der Lifttüren offen und lächelte mich schmal an.

„Besser jetzt?" fragte er.

„Ja" sagte ich und stieg ein. „Danke."

Der Lift war leer, aber uns war nicht nach Küssen. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter, und er zog mich an sich und atmete in meine Halsbeuge hinein, und als wir auf der Eingangsebene ankamen, drückte ich auf die leuchtende Acht hinter Remus' Schulter und ließ uns noch eine Runde fahren, ich war erschöpft und leer und müde, und ich wäre verängstigt gewesen, wenn ich noch die Kraft gehabt hätte.

„Keine Sorge" flüsterte Remus in mein Haar. „Alles wird gut. Wir richten uns ein. Man kann sich immer irgendwie einrichten."

Ich war nicht seiner Meinung, aber ich war zu schwach, um zu streiten.

„Komm mit nach Hogwarts" flüsterte ich. „Ich kann dich jetzt nicht loslassen, weißt du."

„Soll ich dich apparieren?"

„Ja. Bitte. Wenn ich das jetzt selber mache, kommt nur Matsch an."

„Aber ich gehe nicht mit in den Kerker. Die Zeiten, in denen ich Nachhilfe im Tränkekochen nehmen musste, sind glücklicherweise vorbei."

„Ich weiß noch nicht, ob ich selber überhaupt gehe."

„Severus zu versetzen, halte ich aber für keine kluge Option."

„Hm."

Wir wiegten uns sachte und hielten uns fest, bis unser Lift zum zweiten Mal in der Eingangshalle ankam. Wir durchquerten sie Hand in Hand, holten Remus' Zauberstab beim Sicherheitsdienst ab und gaben unsere Schildchen zurück, und in der Telefonzelle auf dem Weg nach oben küssten wir uns dann doch noch, und ich versuchte, ihm zu glauben, dass alles gut würde.

oOo

„Sie sind nicht konzentriert" sagte Severus.

Ich schaute in meinen Kessel und seufzte. Hässliche, dicke Klumpen von Atigax schwammen auf einer trüben Brühe, die ursprünglich einmal flüchtige Essenz von Nachtschatten gewesen war. In der Mitte des Kessels blubberte es träge.

„Kopf weg" sagte Severus. Ich zog meinen Kopf zurück, und die Nachtschattenessenz verpuffte mit einem Fauchen und schickte eine dicke, weiße Wolke zur Decke.

„Bravo" sagte Severus. „Wäre dies ein echter Wolfsbann gewesen, hätten Sie zum jetzigen Zeitpunkt Ingredienzen im Wert von knapp vier Galleonen zum Fenster hinaus gejagt. Und sich eine hübsche Verbrennung im Gesicht zugezogen, nebenbei bemerkt. Ich sage meinen Erstklässlern, sie sollen ihre Köpfe nicht über die Kessel hängen. Ich wusste nicht, dass wir so weit vorne anfangen müssen."

„Entschuldigung" sagte ich seufzend.

„Stoppen Sie das Seufzen und Entschuldigen" sagte er und reinigte mit einer raschen Stabbewegung meinen Kessel. „Sie hören sich schon an wie Lupin. Das ist entwürdigend."

„Sie haben keine Ahnung, was entwürdigend ist" sagte ich düster.

„Keine fachfremden Diskussionen bitte" sagte er. „Versuchen Sie es erneut."

Ich biss mir auf die Lippe. Angesichts der himmelschreienden, staatlich organisierten Ungerechtigkeit, deren Zeuge ich am Nachmittag geworden war, war mein Zorn auf Severus nahezu verraucht, ich hatte meine Pläne geändert. Bevor ich ihn vergiftete wegen einer Indiskretion, die sich auf einen fünfundzwanzig Jahre zurück liegenden Jungenstreich bezog (einen so derben, dämlichen, dass tatsächlich nur Sirius dafür in Frage kam), musste ich zunächst das halbe Ministerium vergiften. Es wartete eine Menge Arbeit auf mich.

Ich maß einen halben Liter Wasser ab und brachte ihn zum Kochen, dann zog ich den Kessel höher und ließ das Wasser abkühlen, während ich eine kleine, schimmernde Protego-Kugel um die zweite Nachtschatten-Phiole herum beschwor. Das Problem war, die Phiole aus der Kugel zu entfernen, ohne den Inhalt mitzunehmen, es erforderte einen Levitatis mindestens dritten Grades, den ich so leidlich beherrschte, wenn ich ausgeschlafen und konzentriert war und niemand mit Habichtblick jede meiner Bewegungen verfolgte. Ich schloss die Augen und atmete tief durch, der schwere, süßliche Duft des verpufften Nachtschattens kitzelte in meiner Nase.

Levitatis" murmelte ich, sammelte die arkanen Energien am Ende meines Stabes und wob ein Muster, das die Phiole aus der Schutzkugel locken sollte. Ich blinzelte. Da kam sie, das stumpfe Ende zuerst, während sich der Nachtschatten im Inneren der Kugel verströmte. Ich atmete auf, pflückte die Phiole aus der Luft und legte sie beiseite. Dann levitierte ich die Kugel vorsichtig in meinen Kessel und versenkte sie im Wasser. Prima. Das war geschafft. Ich ließ den Protego enden und rührte. Das Wasser färbte sich grün.

„Nicht zu viel Hitze" sagte Severus hinter mir. Ich betätigte das Zahnrad, an dem der Kessel hing, und hob ihn einen Zacken an, dann sah ich mich nach dem Atigax und dem Messlöffel um.

„Bevor Sie den gleichen Fehler ein zweites Mal begehen und damit meine Vorräte unnötig dezimieren" sagte Severus, „rekapitulieren Sie bitte, worin der Fehler beim ersten Versuch gelegen hat."

„Ähm" sagte ich, die Schachtel mit dem Atigax schon in der Hand. „Wasser zu heiß?"

„Versuchen Sie nicht, durch zielloses Fragen die Antwort aus mir heraus zu locken" sagte er.

„Es waren nur drei Komponenten" sagte ich, ich bemühte mich wirklich um Konzentration. „Wasser, Nachtschatten und Atigax. So schrecklich viel kann da nicht schief gehen."

„Falsch" sagte er, verschränkte die Arme vor der Brust und übergoss mich mit seinem kalten schwarzen Blick, während ich nachdachte, oder es zumindest versuchte.

„Es würde vielleicht helfen, wenn Sie mich nicht so anstarren würden" sagte ich schließlich entnervt.

„Gestresst?" sagte er samtig.

„Allerdings" sagte ich. „Wenn Sie das mit Ihren Erstklässlern machen, ist es ein Wunder, dass die nicht reihenweise in Ohnmacht fallen."

„Die Last der alleinigen personalen Einschüchterung ist ein wenig von meinen Schultern genommen, seit ich Boggarts und Megarachnien zur Verfügung habe" sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.

Das Bild sank in mich, obwohl mein Gehirn sich ohnehin schon mit mindestens zwei Dingen gleichzeitig herum schlug. Ich stellte mir vor, als Zwölfjährige zwischen einem Boggart und Severus Snape in der Falle zu sitzen, es gab eine gute Chance, dass ich mich in die Arme des Boggarts als dem geringeren Übel geflüchtet hätte. Ich fragte mich, ob Dumbledore wusste, was er tat, wenn er ausgerechnet Snape ein angstbehaftetes Fach wie Verteidigung unterrichten ließ.

„Also?" sagte Severus. „Ihre Schlussfolgerung?"

„Das Atigax hat sich nicht aufgelöst" sagte ich und versuchte angestrengt, mein zerstreutes Gehirn zu sammeln.

„Triviale Einsicht" sagte er, „aber zumindest nicht falsch. Und woran könnte das gelegen haben?"

„Ich weiß nicht" murmelte ich.

„Sie haben die vierte Komponente vergessen" sagte er ungeduldig. „Magie. Man kann Atigax nicht mit dem Kochlöffel unter eine flüchtige Essenz rühren. Das hier ist schließlich kein Pudding. Man benötigt einen Diffundis."

„Oh" sagte ich. „Einleuchtend."

„Da bin ich aber froh" sagte er.

„Soll ich?" sagte ich und zeigte auf den Kessel.

„Ich bitte darum" sagte er. „Ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier."

Ich hielt meinen Stab in den Kessel und zauberte den Diffundis. Die grüne Flüssigkeit im Kessel setzte sich in Bewegung, bis ein kleiner Strudel sich in der Mitte bildete. Vorsichtig ließ ich das Atigax in den Trichter rieseln, und schlagartig kam die Flüssigkeit zum Stillstand. Sie war dunkelgrün, dick und glänzend wie Sirup und verströmte einen intensiven Duft nach Wald.

„Hängen Sie den Kessel höher" wies Severus mich an. „Wir halten es warm, aber lassen es nicht kochen. Einstweilen gehen wir an die Vorbereitung der Wolfsrose."

Ich trat neben ihn an den Arbeitstisch. Er hatte ein viel benutztes, fleckiges Holzbrett bereit gelegt, ein Wiegemesser und ein sauber zusammengebundenes Bündel einer graubraunen Pflanze, die mich entfernt an Rosmarin erinnerte. Die präzise Anordnung hatte etwas Beruhigendes.

„Sagen Sie mir, was man bei der Auswahl der Arbeitsgeräte beachten muss" forderte er mich auf.

„Kein Silber" sagte ich, erleichtert, das sich auch mal etwas wusste. „Keine Silberlegierung. Kupfer ist gut geeignet, hat aber in der Verarbeitung als Klinge den Nachteil, dass es zu weich ist und seine Inhaltsstoffe an die Zutaten abgeben kann. Eine Verunreinigung mit Kupfer beeinträchtigt die Wirkung des Trankes zwar nicht, erschwert aber die Zubereitung, weil die Drachenträne dann ausflockt."

„Richtig" sagte er. „Weshalb ich auch Kupfer verworfen habe. Edelstahl ist das Mittel der Wahl. Japanischer, in diesem Fall." Er zeigte auf das Wiegemesser. Ich nahm es in die Hand, es fühlte sich satt und schwer an. Ich strich mit dem Finger über die kühle Klinge. Es war von einer subtilen Schönheit und Ausgewogenheit, ich war sicher, es hatte ein Vermögen gekostet.

„Seien Sie vorsichtig" sagte er. „Es ist, gelinde ausgedrückt, scharf."

Ich legte das Messer zurück und untersuchte die Pflanze, ich erinnerte mich dunkel, dass ich sie als Topfpflanze im Gewächshaus meiner Universität gesehen hatte, ein mannshoher Strauch mit dicken, grünen Nadeln und unscheinbaren, weißen Blüten.

„Sie schneiden dieses Bündel" wies Severus mich an. „Sehr fein. Danach werden wir es im Mörser zu Pulver verarbeiten."

„Okay" sagte ich und machte mich ans Werk.

Eine Weile stand er neben mir und beobachtete mich, wie ich mit dem Messer umging, aber er schien nichts daran auszusetzen zu haben, denn er schwieg, und zur Abwechslung begann seine dunkle Präsenz, mich zu beruhigen. Seine Ungeduld war verflogen, zurück blieb eine konzentrierte, präzise Ordnung, Kontrolle, Gleichmaß, Beständigkeit. Ich atmete etwas freier.

„Sagen Sie mal" sagte ich. „Kennen Sie eigentlich eine gewisse Dolores Umbridge?"

„Von welcher Relevanz ist diese Frage für unser Projekt?" fragte er dagegen.

„Von keiner" sagte ich und sah hinunter auf mein Messer. „Es gibt nur ein paar Dinge, die mir im Kopf herum gehen."

„Sie streben eine fachfremde Diskussion mit mir an" stellt er fest.

„Hm" sagte ich. „Ja. Schon möglich."

„Dann kommen Sie am besten ohne Umschweife zum Punkt" sagte er. „Halten wir die Ablenkung so gering wie möglich."

„Okay" sagte ich. „Also… wir hatten heute Nachmittag diesen Termin im Ministerium. Remus und ich. Zum… Registrieren. Ich weiß nicht, ob Sie von dieser Maßnahme gehört haben."

„Ja" sagte er. Ich war nicht überrascht. Wenn dieser Mann etwas konnte, dann war es, Informationen aufzusaugen.

„Ich nehme an, Sie haben sich als Bürgin zur Verfügung gestellt" sagte er. „Oder hat er Sie zwischenzeitlich gebissen?"

„Nein" sagte ich schnell. „Ich bin Bürgin, selbstverständlich. Können Sie sich übrigens vorstellen, warm Remus im Ministerium ein Du-weißt-schon ist?"

„Ein Du-weißt-schon" sagte er und zog eine Augenbraue hoch.

„Das sagte diese Umbridge zu dem Amtsarzt. Remus Lupin ist hier, du weißt schon. Zwinker, zwinker. Als hätte er irgend eine besondere Bedeutung. Sie hat uns auch an der Warteschlange vorbei dran genommen. Sie sagte, sie täte uns den Gefallen, weil wir gemeinsame Freunde von Dumbledore wären, aber irgendwie konnte ich ihr das nicht glauben."

„Die Vorstellung ist in der Tat merkwürdig. Andererseits… Dumbledore hatte schon immer einen sehr eigenen Geschmack in der Auswahl seiner Freunde. Am besten, Sie befragen ihn selbst zu dem Thema."

„Sie wissen nichts darüber?"

„Wie kommen Sie zu dem Schluss, dass ich müsste?"

„Ich weiß nicht. Sie sind immer so… informiert."

Er lächelte sparsam. „Danke für's Vertrauen. Sonst noch etwas, das Sie mit mir erörtern möchten?"

„Diese Registratur" sagte ich und kämpfte mit der Erinnerung. „Es klang so harmlos, wissen Sie. So nach Einwohnermeldeamt. Aber es war furchtbar. Sie haben ihn… vermessen, und gewogen, wie ein Stück Schlachtvieh, und all diese merkwürdigen Fragen gestellt, ob er sich psychisch stabil fühlt. Sie haben ihm so Stück für Stück seine Menschenwürde ausgezogen, und niemand hat sich daran gestört. Es war unmenschlich."

„Laut Index fallen Werwölfe unter die Kategorie Halbmenschen oder magische Kreaturen" sagte Severus. „Sie sind un-menschlich, im eigentlichen Wortsinn."

„Remus ist keine magische Kreatur" begehrte ich auf. „Sie kennen ihn! Sie können doch so etwas von ihm nicht behaupten!"

„Ich behaupte nichts" sagte er kühl. „Ich zitiere lediglich, und in der Kategorisierung macht es keinen Unterschied, ob der Werwolf mir persönlich bekannt ist oder nicht."

„Man kann doch eine Person nicht so behandeln" sagte ich. „Er hat doch Rechte. Persönlichkeitsrechte. Er ist eine Person, ein menschliches Wesen, keine Kreatur. Ein menschliches Wesen mit einer bestimmten Art Krankheit, vielleicht, aber das darf ihn doch nicht in seinen Rechten einschränken."

„Das Programm wurde ins Leben gerufen, um der steigenden Anzahl von Werwolfunfällen zu begegnen" sagte Severus. „Es ist ein Versuch, eine weitere Ausbreitung zu verhindern und die Bevölkerung zu schützen."

„Es ist nicht legitim, Persönlichkeitsrechte zu verraten, um irgend eine diffuse Gefahr abzuwenden" sagte ich voller Überzeugung.

„Ist es nicht?" sagte er und zog eine Augenbraue hoch. „Stellen Sie sich vor, Sie sind Mrs. Lupin. Ihr kleiner sechsjähriger Sohn, er ist so brav und wohl erzogen, er bringt nach dem Abendessen den Müll raus, wie er es oft macht, nur an diesem einen Abend ist Vollmond und er wird in Ihrem Hinterhof zwischen den Mülltonnen von einem blutrünstigen Monster angefallen. Ihr süßer kleiner Sohn überlebt die Attacke, aber nichts in seinem Leben wird je wieder so sein wie zuvor. Sie ziehen sich aus der Gesellschaft zurück. Sie haben kaum Chancen, ihm eine Schulausbildung zu ermöglichen. Es ist nur dem Enthusiasmus und Leichtsinn eines neu eingesetzten Albus Dumbledore zu verdanken, dass er eine geregelte Schule besuchen kann. Würden Sie sich nicht manchmal wünschen, jemand hätte beizeiten dieses Monster weggesperrt, das Ihren Sohn so grässlich verstümmelt hat? Würden Sie immer noch darauf bestehen, diese Kreatur hätte Persönlichkeit, und Rechte? Wären Sie wirklich der Ansicht, es dürfte unbeaufsichtigt und ungestraft frei herum laufen, nach allem, was es Ihnen angetan hat?"

Er war mir näher gekommen, während er sprach, er stand nun direkt vor mir und sah auf mich hinunter, sein Blick war kühl.

„Oh, Merlin" sagte ich verwirrt. „Ich weiß nicht."

„Schutz vor Unheil ist ebenfalls ein Persönlichkeitsrecht" sagte Severus, seine Stimme war seidig. „Und Werwesen sind Unheil."

„Aber" sagte ich verzweifelt. „Irgend etwas ist falsch an Ihrer Argumentation. Ich weiß nicht, was, aber ich habe das Gefühl, dass man so nicht argumentieren darf."

„So lange Sie sich auf der Basis Ihrer Gefühle bewegen, sehe ich keinen Sinn in der Fortsetzung dieser Diskussion" sagte er.

„Nein" sagte ich. „Ich meine… Es gibt doch diesen Grundsatz. Dass man nicht für etwas verurteilt werden darf, was man nicht begangen hat. Remus hat nie jemanden gebissen, und trotzdem behandelt man ihn wie einen Verbrecher. Nur weil es theoretisch möglich ist, dass er jemanden beißt."

„Es ist keine theoretische, sondern eine sehr reale Möglichkeit" sagte Severus. „Alles, was ihn davon abhält, ist ein ausgeklügeltes Netz an Sicherheitsvorkehrungen, der Wolfsbann nicht zuletzt. Hätte er ihn nicht, und ließe man ihn zum Vollmond frei, er wäre keinen Deut anders als das aggressive, gewalttätige Monster, das ihn selbst angefallen hat."

„Aber" sagte ich mit wachsender Verzweiflung. „Ist nicht jeder von uns theoretisch ein Amokläufer? Man muss doch kein Werwolf sein, um Unheil anzurichten. Es gibt genügend mächtige Zauberer, die herumlaufen und Leute mit Avada Kedavras umpusten könnten, wenn ihnen danach ist. Sperrt man die jetzt alle weg, vorsichtshalber, oder was?"

„Interessantes Argument" sagte er und lächelte zu meiner vollständigen Überraschung.

„Äh" sagte ich. „Sie werden es gleich entkräften, nehme ich an?"

„Nein" sagte er.

„Machen Sie mich nicht schwach" sagte ich. „Ich habe noch nie eine Diskussion gegen Sie gewonnen. Ich kann das gar nicht."

„Sie haben nicht gegen mich diskutiert" sagte er.

„Äh" sagte ich wieder.

„Lassen Sie mich es mit Ihren Worten sagen" sagte er. „Ich hatte irgendwie das Gefühl, Sie wollten sich mit dem Ministerium auseinander setzen. Also habe ich für Sie das Ministerium vertreten."

„Das ist…oh" sagte ich. „Ich kann nicht im Zusammenhang mit Ihnen das Wort nett verwenden, oder?"

„Es wäre nicht das erste Mal, wenngleich immer wieder irritierend" sagte er.

„Aber dann war das… alles… gar nicht Ihre eigene Meinung?"

„Meine Meinung tut nichts zur Sache, so lange Sie sich mit dem Ministerium anlegen wollen."

„Okay" sagte ich. „Jetzt interessiert mich Ihre Meinung."

„Meiner Meinung nach führt das Werwolf-Programm am eigentlichen Ziel vorbei" sagte Severus. „Es wurde ins Leben gerufen, um sich den Anschein zu geben, etwas gegen das Unheil zu unternehmen, das sich über uns zusammen braut. So lange man sich weigert, anzuerkennen, dass Voldemorts Rückkehr eine Tatsache ist, wird man sich in plakativen und gut vermittelbaren Feldzügen ergehen, um die zaubernde Bevölkerung zu beruhigen. Fudge will wieder gewählt werden, vergessen Sie das nicht."

„Hm" sagte ich.

„Schneiden Sie die Wolfsrose" sagte er. „Wir haben genug Zeit verloren."

„Danke" sagte ich.

„Ich weiß nicht, was Sie meinen" sagte er.

Ich kehrte an mein Brett zurück. Die dicken, holzigen Teile der Pflanze hatte ich bereits entfernt, und nun schichtete ich die dünnen Zweige zu einem ordentlichen kleinen Stapel, durch den das Messer glitt wie durch warme Butter. Für eine Weile genoss ich den Umgang mit dem perfekten Werkzeug, aber dann war da doch noch etwas, das ich klären wollte.

„Darf ich Sie noch was fragen?" sagte ich und hörte ihn leise schnauben.

„Ich werde in der Schulordnung kaum etwas finden, das es verbietet" sagte er.

„Warum haben Sie dem Minister von dem Vorfall erzählt?" fragte ich. „Ich meine… den an der Weide, während Ihres sechsten Schuljahres. Hätte es nicht schon gereicht, Remus anzuschwärzen?"

„Das sind zwei Fragen" sagte er. „Ad eins: Ich habe Lupin nicht angeschwärzt. Ich tat lediglich, was meine Verantwortung der Schule gegenüber erforderte. Ich hielt Black für einen Verbrecher und ihn für seinen Komplizen. Bis heute hat mir übrigens niemand bewiesen, dass es anders war."

„Aber die Ratte, der ein Finger fehlte! Und er… der Animagus… hat ein Geständnis abgelegt!"

„Für das es keine verlässlichen Zeugen gibt" sagte er. „Der Rest sind Indizien, keine Beweise."

„Aber…"

„Ad zwei" sagte er und erhob seine Stimme kaum merklich, aber genug, um meinen Mund zuschnappen zu lassen. „Der Minister fragte mich, ob es je Zwischenfälle gegeben hatte, und ich bestätigte. Ich sah keine Veranlassung, zu lügen."

„Aber Sie waren Kollegen" sagte ich. „Ein Jahr lang. Ich weiß, wie eng Hogwarts ist, man sitzt ja praktisch aufeinander. Sie müssen doch einen Eindruck von ihm gewonnen haben. Sie müssen doch gewusst haben, dass er niemals etwas tun würde, das der Schule schadet. Er hängt an dieser Schule. Es war für ihn das Höchste, hier unterrichten zu dürfen. Es war sein Lebenstraum."

„Ich sah nie eine Veranlassung, mich mit den Lebensträumen des Remus Lupin zu befassen" sagte er.

„Oh, Mann" sagte ich. „Ich meine doch nur, Sie hätten einfach Ihre Klappe halten können. Aus einem Gefühl für… Freundschaft heraus. Wäre das zu viel verlangt gewesen?"

Die Pause war lang. Ich schnippelte meine Wolfsrose und wagte nicht, meinen Blick von dem Brett zu heben. Seine Stimme klang völlig neutral, als er schließlich sprach.

„Ich bin nicht sicher, ob ich das Konzept von Freundschaft voll umfänglich verstehe" sagte er. „Und sicher wende ich es auf niemanden innerhalb dieser Mauern an." Pause.

„Am ehesten noch auf Sie" sagte er dann.

„Oh" sagte ich. „Ähm."

„Möglicherweise bin ich aber auch nur in den Bann geschlagen von der Brillanz Ihrer Äußerungen" sagte er.

„Hrpf" sagte ich und starrte auf mein Brett.

„Die Wolfsrose" erinnerte er mich. „Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit."

Ich setzte meine Hände wieder in Bewegung. Sie zitterten nur ganz leicht, und ich schielte zu ihm hinüber, ob er es bemerkte, die Wahrscheinlichkeit war gering, denn das Blut, das mir in die Wangen geschossen war, hatte meinen Kopf zu einem leuchtenden Blickfang gemacht. Er hatte seine Aufmerksamkeit ohnehin von mir abgewandt, eine Tatsache, für die ich ihm unendlich dankbar war, er hatte sich eine Orange aus einem Korb im Regal genommen und begann nun, sie zu schälen.

Ich bemerkte kaum, dass meine eigenen Hände noch mit dem Messer hantierten. Ich war völlig, restlos und selbstvergessen gefangen in der Hypnose, die von seinen langen, blassen Fingern ausging.

Er machte es langsam, nicht wie jemand, der eine Orange essen will und deshalb achtlos die Schale entfernt. Er tat es, als ginge es ums Schälen, nicht ums Essen. Seine Finger umspielten die glatte Rundung auf der Suche nach der perfekten Stelle, um anzusetzen, und fanden sie kurz unterhalb des kleinen Nabels, der einmal den Stiel gehalten hatte. Ich dachte nicht darüber nach, dass ich seine Hände anstarrte. Ich zuckte ein wenig zusammen, als er die makellose Schale mit dem Fingernagel anritzte und das erste Stück löste. Er riss es nicht einfach ab, er fuhr mit dem Daumen darunter und lockerte es vorsichtig, und ein intensiver Zitrusduft zog zu mir hinüber. Mit den Fingerspitzen nahm er das abstehende Stück Schale und zog es ab, behutsam, Faser für Faser, bis es sich schließlich von der Frucht löste. Er strich mit dem Daumen über die flauschige, feuchte Innenseite der Frucht, eine seltsame, in sich versunkene Liebkosung, die ich spürte, als geschähe sie an meinem eigenen Körper, es war furchtbar und angsteinflößend und nicht richtig, aber ich konnte nicht, ich konnte meinen Blick einfach nicht abwenden. Er drehte die Orange in seiner Hand, so dass das ungeschützte, offene Stück in seiner Handfläche verschwand, und löste ein neues Stück Schale, diesmal brach die Orange auf und öffnete ihr leuchtendes Fruchtfleisch, und eine glitzernde Spur aus Saft lief ihm über die Finger. Er hob die Hand zum Mund, mein Blick hing immer noch rettungslos an seinen Fingern, ich erkannte zu spät, dass ich mich damit direkt unter seine Augen brachte. Er sah mich an, während er sich die Finger ableckte, und sein Blick verbrannte mich zu einem Häufchen Asche.

„Ich wusste ja gar nicht, dass Sie meine Leidenschaft für Orangen teilen" sagte er.

Und dann kam die Erlösung in Form von japanischem Edelstahl, der tief in meinen Daumen eindrang, ich spürte, wie die Klinge mein Fleisch teilte, mir wurde schlecht und schwarz vor Augen, und ich schrie auf und ließ das Messer fallen, und der Bann war gebrochen.

„Passen Sie doch auf" zischte er mich an, seine Hände waren an meinen Schultern und hielten mich aufrecht, und ich hielt meine Hand von mir weg und wimmerte. Er drückte mich rückwärts gegen das Regal und stellte mich so hin, dass ich nicht umfallen konnte, und dann hörte ich ihn Schubladen heraus ziehen und darin herum kramen, während ein heißer, brennender Schmerz meine Hand auffraß.

„Hier" sagte er, nahm meine Hand und drückte eine glatte, kühle Kompresse darauf. „Gehen Sie in den Krankenflügel. Und sagen Sie Pomfrey, dass Wolfsrose in die Wunde gekommen ist. Der Unterricht ist für heute beendet."

„Danke" sagte ich schwach. „Entschuldigung."

„Und hören Sie auf, sich zu entschuldigen, zum Teufel! Sie haben nicht mich geschnitten."

„Ja. Entsch… schon gut."

„Sie können doch gehen?" sagte er fast besorgt. „Ich muss Sie doch nicht etwa begleiten?"

„Nein" sagte ich und unternahm eine heroische Anstrengung, mich zusammen zu reißen. „Ich komme zurecht."

„Gut" sagte er und ließ mich stehen. Er nahm seinen Stab und reinigte die Arbeitsfläche von meinem Blut.

„Also dann" sagte ich lahm und bewegte mich auf weichen Knien zur Tür. „Bis morgen… dann."

„Ja" sagte er, wandte mir seinen schmalen, schwarzen Rücken zu und beugte sich über die Wolfsrose.

„Ist noch etwas?" fragte er ungeduldig über die Schulter, als ich in der Tür zögerte. Die Orange war zwischen den Messerblock und einen Stapel flacher Holzschalen gerollt, ein Stück ihrer versehrten Schale stand unschön zur Seite ab. Er würdigte sie keines Blickes.

„Nein" sagte ich.

Ich ging in den Krankenflügel und setzte umgehend meine schlechte Angewohnheit des Entschuldigens fort, denn Pomfrey hatte eindeutig schon Feierabend gemacht und ließ mich unverblümt wissen, was sie von spätabendlichen Messerspielchen hielt. Sie verwendete eine ganze Reihe von Reinigungs- und Heilzaubern auf meine Hand, der Schnitt hatte tatsächlich eine Sehne durchtrennt, und entließ mich mit einem dicken Verband und tadelndem Blick in die Nacht.

Die Luft war kalt und roch nach Frost, als ich über das dunkle Schulgelände hinüber zum Haupthaus ging. Altes Gras und Kies knirschte unter meinen Füßen. Ich sah das kleine Fenster meiner Lehrerwohnung von hier aus, es war erleuchtet, dort wartete mein Werwolf, er lag vermutlich in meinem Bett und tat sich die deutsche Originalversion von Heines Florentinischen Nächten an, es war das, was er unter Entspannung verstand. Ich war nicht in der Lage, ihm zu begegnen. Ich schwenkte zur Seite und folgte dem Trampelpfad, der mich zu den Gewächshäusern brachte und um sie herum, es gab ganz hinten einen stillen Winkel zwischen Glaswand und Mauer, man konnte dort auf einem Vorsprung sitzen und den Pflanzen beim Wachsen zuhören.

Was ich allerdings hörte, als ich mich näherte, war gedämpftes Gemurmel und Gelächter, und die frostige Luft trug Zigarettengeruch zu mir. Ich bog um die Ecke, und das Gelächter erstarb.

„Äh" sagte Leonard Bernin, sechste Klasse, Hufflepuff, und versuchte hastig, seine Zigarette hinter dem Rücken zu verstecken, während sein Kollege angelegentlich mit dem Absatz auf etwas herum trat. „Guten… guten Abend, Professor."

„So spät noch draußen unterwegs?" sagte ich. „So weit ich weiß, sollten Sie seit mindestens einer Stunde in Ihrem Gemeinschaftsraum, wenn nicht im Bett sein."

„Wir wollten gerade gehen" sagte Leonard lahm. „Wir haben ein wenig die Zeit vergessen."

„Ihr könnt's euch aussuchen" sagte ich. „Fünf Punkte vom Haus, oder ihr gebt mir eine Kippe ab."

Leonard hielt mir die Schachtel hin, und ich nahm eine.

„So" sagte ich. „Und jetzt zieht Leine."

Ich sah ihnen hinterher, wie sie eilig über den Schulhof verschwanden, dann kehrte ich in mein stilles Eck zurück und zündete mir die Zigarette mit einem schnellen Feurio an. Ich hatte das Rauchen seit Jahren aufgegeben, aber diese hatte ich mir so redlich verdient wie noch nie eine zuvor. Ich zog daran, hustete und überhörte geflissentlich den Protest meiner Lunge. Bitterer Rauch füllte meinen Mund.

Es war die erste Zigarette meines Lebens, die irgendwie nach Orangen schmeckte.