Hallo zusammen :o)
Ein bisschen schneller als sonst, dafür ein bisschen kürzer als sonst: Kapitel 6. Teile von Kap. 7 bestehen bereits und mit ihnen die Hoffnung, dass ich die werte Leserschaft jetzt nicht drei Wochen an der Klippe hängen lasse, sondern hoffentlich nicht länger als eine.
(Denn dieses ist ein sogenannter Cliffhanger, das nur als Vorwarnung.)
Danke an alle Reviewer und sonstigen Leser, ich freue mich immer über Rückmeldungen. Noch werde ich nicht gerade mit Reviews überschüttet, also findet sich vielleicht ja noch der eine oder andere nette Mensch, der unten links aufs Knöpfchen klickt :o)
Disclaimer: Noch immer gehören mir weder die Figuren (ausgenommen Emilia) noch das Setting, und auch nicht die Londoner U-Bahn. Ich mache kein Geld damit und verkaufe auch kein Merchandise. :o)
Soundtrack: Phil Collins, Against All Odds (1984, Against All Odds Soundtrack)
Okay. Kapitel Sieben wird netter, ich versprech's.
Eine Runde Stresskiller für alle, und los geht's.
SECHSTES KAPITEL, IN DEM ALLES NOCH SCHLIMMER WIRD
Und dann kam der Tag, an dem alles immer nur noch schlimmer wurde.
Er ließ sich nicht als solcher an. Es war ein normaler, ruhiger, mit Arbeit ausgefüllter Samstag. Ich hatte meine Wochenvorbereitung hinter mich gebracht, einen halben Klassensatz zum Thema „Der lange Atem in der Tränkeküche – vom Umgang mit flüchtigen Stoffen" korrigiert, mit Severus zu Mittag gegessen, eine Inventur meiner Vorratskammer gemacht und war zum guten Schluss und zu meinem restlosen Stolz eine Runde um den See joggen gegangen. Ich machte das seit einer Weile, wenn sich die Gelegenheit bot. Ich war nie sonderlich sportlich gewesen, nicht zu Lande, nicht zu Wasser, und schon gar nicht in der Luft, aber seit dieser Wolf meinen Körper zu seinem Revier erklärt hatte, spürte ich eine völlig neue Motivation, mich ein bisschen fit zu machen. Ich grinste in mich hinein, als ich nach einer gefühlten Umrundung des Victoriasees völlig kaputt die Rückseite der Gewächshäuser erreichte. Nicht Martin und nicht eine der Nieten vor ihm hatten mich auch nur näherungsweise zu solchen sportlichen Höchstleistungen beflügelt. Es war ein gutes Zeichen. Ich war sehr glücklich. Ich wollte duschen, meinen halben Klassensatz zu den flüchtigen Stoffen einpacken und mich nach Nummer Zwölf verziehen, ich wollte kochen, küssen, früh zu Bett gehen und meine neu gewonnene sportliche Form gebührend bewundern lassen.
Ich musste nur Minerva McGonagall vor meiner Tür stehen sehen, um zu wissen, dass daraus nichts werden würde. Es war etwas in der Art, wie sie ihren Umhang fest um die knochigen Schultern zog, eine Besorgnis über ihrer üblichen Strenge, was mir verriet, dass sie nicht auf einen Tee bei mir vorbei gekommen war. Ich nahm die drei Stufen zu dem halb offenen Quergang in einem Schritt, obwohl meine Oberschenkel aufjaulten.
Sie wandte sich gerade zum Gehen.
„Miss Liguster" sagte sie. „Gut, dass ich Sie antreffe."
„Was ist passiert?" fragte ich atemlos. Ich hatte ein ganz blödes Gefühl.
„Haben Sie Nachricht von Remus?" fragte sie.
„Ich weiß nicht" sagte ich. „Ich war joggen. Ich hatte mein Büchlein nicht dabei."
„Sehen Sie nach" sagte McGonagall.
Ich öffnete meine Tür, und sie trat hinter mir ein. Meine Knie zitterten, und meine Finger ebenso, als ich das Büchlein schnappte, das sich auf meinem Bett vibrierend im Kreis drehte.
Ich hatte eine Nachricht, aber sie war nicht von Remus.
Emilia, stand da in Sirius' Schrift, deren nachlässiger Schwung heute eine Beimischung von Hektik hatte. Emilia? Und noch dreimal mein Name darunter, offenbar hatte er mehrfach versucht, mich zu erreichen.
Es ist dringend, stand schließlich da. Wende dich an Minerva. Ich flooe sie an.
„Nein" beantwortete ich McGonagalls Frage. „Was…" Meine Stimme quietschte und blieb weg. „Was ist passiert?" brachte ich schließlich heraus.
„Remus ist verschwunden" sagte Minerva.
„Wie, verschwunden" sagte ich blinzelnd. Man verlor eine Lesebrille, oder einen Schlüssel. Ich verlor ständig einzelne Socken. Man verlor aber keinen Wolf, einfach so.
„Sirius war in meinem Kamin" sagte McGonagall. „Er war völlig aufgelöst. Er sagte, es sei eine eilige Eule von Shacklebolts eingetroffen, vor einigen Stunden. Mina hätte einen Unfall gehabt und sei in St. Mungo's, und Kingsley hätte Remus gebeten, auf die Kinder aufzupassen, damit er sich um seine Frau kümmern könnte. Sirius sagt, Remus sei sofort appariert, aber er ist offensichtlich bei Shacklebolts nie angekommen."
„Oh Merlin" flüsterte ich. „Ein Apparitions-Unfall?"
„Möglicherweise schlimmer" sagte McGonagall, und die hörbare Sorge in ihrer sonst so nüchternen Stimme ließ meinen Körper taub werden. „Sirius floote in Shacklebolts Kamin, um sich nach Mina zu erkundigen, und traf Mina und Kingsley völlig wohlauf an. Es hat nie einen Unfall gegeben, und sie haben nie eine Eule geschickt."
Ich setzte mich. Ich war dankbar, dass McGonagall mir einen Stuhl von hinten gegen die Knie schob, ich wäre sonst auf dem Boden gelandet.
„Die Situation ist mehr als kritisch" sagte McGonagall. „Nicht nur, dass wir nicht wissen, was aus Remus geworden ist. Wir müssen überdies eine ernsthafte Gefährdung des Ordens befürchten, falls er in die Hände von Voldemorts Anhängern gefallen ist. Sie haben Methoden der Extraktion von Informationen, und sie sind nicht zimperlich."
McGonagall umrundete meinen Stuhl und fasste mich bei den Schultern.
„Hören Sie mir zu" sagte sie. „Teilen wir uns die Aufgabe. Ich kümmere mich um den Orden, ich werde eine Notfall-Versammlung einberufen. Sie kümmern sich um Sirius und sehen zu, dass er keine Dummheiten macht. Wir müssen schnell handeln."
„Ja" sagte ich automatisch. Mein Gehirn war leer.
„Kommen Sie" sagte sie. „Sie können von meinem Büro aus flooen. Das ist näher als die Große Halle."
„Dumbledore?" fragte ich.
„Ich werde versuchen, ihn zu erreichen" sagte sie. „Jetzt kommen Sie. Wir müssen handeln."
Ich stand von meinem Stuhl auf. Ich nahm meinen Stab und das Büchlein und folgte McGonagall aus meiner kleinen Lehrerwohnung, eine Treppe hinauf und über ein paar Abkürzungen, die ich kein zweites Mal würde finden können, bis wir aus einem schmalen Durchgang traten, der direkt neben ihrer Bürotür heraus kam. Ich fühlte mich wie eine Marionette. Sie sperrte die Tür auf und schob mich in den Raum und zum Kamin.
„Ich schicke die Ordensmitglieder direkt nach Nummer Zwölf" sagte sie. „Wir sehen uns dort."
Ich nahm Flohpulver aus der Schachtel und stieg in den Kamin. Ich war immer noch dabei, zu begreifen.
„Grimmauld Place, Nummer Zwölf" sagte ich.
Sirius zog mich aus dem Kamin, kaum dass ich darin zu Boden gegangen war. Sein Gesicht war geisterhaft weiß im Halbdunkel der Halle, und seine Augen waren tiefe dunkle Teiche, auf denen allzu sichtbar die Panik schwamm. Keiner von uns achtete auf die schäumende Mrs. Black, als er mich auf die Füße stellt und in eine verzweifelte, schmerzhaft enge Umarmung zog. Sein Kopf lag an meinem Hals, und ich spürte seinen zitternden Atem.
„Ich hab' so Angst" flüsterte er. „Was, wenn sie ihm was getan haben? Was, wenn er nicht zurückkommt?"
„Ich weiß nicht" flüsterte ich und streichelte seine zerzausten Haare, es waren Fragen, über die ich definitiv nicht nachdenken wollte. Noch hatten wir keine schlimme Gewissheit, noch schien es möglich, dass wir heute Abend beim Abendessen saßen und über einen abenteuerlichen Tag lachten. Ich klammerte mich an den Gedanken, und Sirius klammerte sich an mich, während seine Mutter uns schrill beschimpfte, offenbar hoch erfreut, ein Publikum zu haben, das nicht umgehend die Flucht ergriff.
Irgendwann dämmerte mir, dass nichts passieren würde, wenn ich nichts unternahm. Meine Schultern schmerzten von Sirius' Zugriff, und mein Hals wurde warm und unangenehm feucht, wo sein Atem mich traf. Mrs. Blacks schrille Tirade schmerzte in meinen Ohren.
„Komm" sagte ich leise und löste Sirius' Hände. „Lass uns in die Küche gehen."
Er folgte mir, gehorsam, mit hängendem Kopf, wie ein Hund, der sein Herrchen verloren hat. Ich kommandierte ihn in die Küche auf die Eckbank und setzte mich daneben.
„Wir müssen was unternehmen" sagte ich. „Ihn suchen."
„Er könnte überall sein, auf diesem Planeten" sagte Sirius und schlang die Arme um sich. Sein Blick ging ins Leere.
„Dann suchen wir ihn überall auf diesem Planeten" sagte ich mit mehr Überzeugung, als ich empfand. Wenn es wirklich Deatheater waren, die ihn hatten, konnte er tot sein, noch während wir versuchten, uns zu entscheiden.
Ich starrte die Küchentür an. Ich wünschte mir, es käme jemand herein und würde uns sagen, was wir zu tun hatten, McGonagall, Dumbledore, Severus, irgendjemand, der kompetent war und einen kühlen Kopf behielt. Ich war erstaunt, wie wenig Verstand und Kompetenz von uns beiden übrig blieb, wenn man mal die unaufdringliche Führung unseres Alphawolfes von uns nahm. Wir waren nicht mehr als ein Pärchen winselnder Welpen, die im Verbotenen Wald verloren gegangen waren.
Das Bild gefiel mir nicht. ich nahm meinen Blick von der Tür, durch die so schnell niemand kommen würde, und sah Sirius an. Er war völlig gefangen in seinem kleinen privaten Horrortrip, er starrte ins Leere, kaute auf seiner Unterlippe und schaukelte sachte vor und zurück. Ich bereitete eine kleine Rede vor, wie sie gelegentlich in schlechten Muggel-Fernsehserien vorkam, etwas davon, dass wir uns nicht unserer Verzweiflung hingeben dürften, schließlich wären wir es ihm schuldig, alles zu seiner Rettung zu unternehmen, und wir müssten unseren Mann stehen, beziehungsweise unsere Frau, in dieser Krise.
„Lass dich nicht so hängen, Mann" sagte ich. „Hilf mir lieber nachdenken."
Er sah mich an und zwinkerte ein paar Tränen weg.
„Gehen wir mal davon aus, dass die Deatheater ihn haben" sagte ich. „Es ist die wahrscheinlichste Möglichkeit. Er war schon im ersten Voldemort-Krieg dabei, und ich glaube nicht, dass er andere Feinde hat, die sich eine Entführung leisen würden, oder?"
„Das Ministerium" sagte Sirius, und ich war mehr als glücklich, dass er zumindest wieder sprach. „Umbridge."
„Das Ministerium entführt keine Leute" sagte ich.
„Ach?" sagte er. „Es sperrt nur gelegentlich mal jemanden für zwölf Jahre nach Azkaban, aber sonst sind die ganz harmlos."
„Okay" sagte ich. „Ich verstehe den Punkt, aber trotzdem. Das Ministerium muss in diesem Fall keine Entführung inszenieren. Er ist zweimal dort gewesen, zuletzt vor ein paar Tagen, und alleine. Sie hätte ihn einfach dort kassieren können. Auch wenn mir nicht einfällt, welche Veranlassung sie haben könnten."
Sirius seufzte schwer.
„Ich denke, es sind Voldemorts Leute" sagte ich. „Sie kennen ihn aus dem ersten Krieg, und jetzt, wo sie sich neu formieren, ist es sicher interessant für sie zu erfahren, was die Gegenseite weiß, und was sie plant. Was den Schluss zulässt, dass er irgendwo in London ist. Es wäre nicht von Vorteil, ihn erst aufwendig über eine weite Strecke zu apparieren."
„Sie müssen aber doch davon ausgehen, dass man ihn sucht. Und da ist es besser, je weiter sie ihn weg bringen."
„Hm" sagte ich. „Andererseits haben sie es so eingerichtet, dass sein Verschwinden nicht gleich auffällt. Notfall-Babysitting, das kann ja mal eine Weile dauern."
Wir schwiegen und starrten vor uns auf die Tischplatte. Sirius versuchte, sich eine Haarsträhne um den Finger zu drehen, wie er es früher mit seiner langen Mähne gemacht hatte. Ich pflückte einen runden, glatten Messingknopf zwischen zwei zusammen geschobenen Stapeln von schmutzigem Geschirr heraus. Er musste von Remus' Robe abgefallen, oder besser abgerissen sein, ein Fetzchen des mürben, sandbraunen Stoffes hing noch daran, lose mit Fäden verbunden. Ich konnte mir vorstellen, wie er geflucht hatte. Es versetzte ihn in unterschiedliche Stadien von Panik, wenn etwas kaputt ging und sich nicht mehr reparieren ließ. Ich polierte den Knopf an meinem Ärmel.
„Sag mal" sagte ich. „Woher wissen die eigentlich, dass Remus mit den Shacklebolt-Kindern so gut zurechtkommt?"
„Sag mir, wer die sind, und ich sag dir, woher sie's wissen" sagte Sirius düster. „Es ist kein Geheimnis, allerdings. Wir kennen Kings noch aus Schulzeiten. Wir haben zusammen Quidditch gespielt. Er war zwei Jahre über uns, und so weit ich weiß, hatten er und Remus über die Jahre immer einen lockeren Kontakt. Zauber-London ist nicht so groß. Er muss sich nur mal mit den Mädels im Sugar Shop in Diagon Alley blicken lassen, und ich wette, das hat er, mehr als einmal."
„Und woher" fragte ich, während mir ganz kalt wurde, „woher wissen die, dass sie ihn hier erreichen? Im Hauptquartier? Im geheimen Hauptquartier?"
„Müssen sie nicht" sagte Sirius. „Shacklebolts Eule weiß es. Das ist völlig ausreichend. Ich nehme an, sie haben zuerst die Eule entführt."
„Wir müssen was unternehmen" sagte ich. „Wir müssen ihn suchen, selbst wenn er überall sein könnte. Wir fangen einfach mit London an und arbeiten uns dann über die Insel, wenn es sein muss."
„Einfach?" sagte er und sah mich trübe an.
„Er wird nicht von selbst wieder auftauchen" sagte ich.
Die Tür flog auf, und Tonks kam herein gestürzt, direkt gefolgt von Mad-Eye Moody.
„Was?" sagte sie aufgeregt. „Remus ist verschwunden? Seit wann? Wisst ihr schon genaueres?"
Ich starrte auf den Knopf in meinen Händen, während Sirius Tonks ins Bild setzte, und dachte nach. Ich sah mich neben Remus an diesem Tisch sitzen, an einem frühen Morgen, in Snapes bezaubernder Gesellschaft, und Remus spielte mit etwas, das aussah wie ein Kompass.
„Trägt er eigentlich seine Robe?" fragte ich Sirius.
„Was?" sagte er verwirrt.
„Die Robe" sagte ich und hielt ihm den Knopf unter die Nase. „Ob er sie trägt."
„Ja" sagte Sirius verwirrt. „Ich glaube schon."
Wir sahen uns an.
„Emilia" sagte Sirius, nahm mich ums Gesicht und drückte mir einen sehr feuchten Kuss auf den Mund. „Du bist so ein kluges Mädchen."
„Was?" sagte Tonks.
„Der Parspertoto" sagte Moody.
„Ja" sagte ich. „Schnell."
Moody disapparierte ohne ein weiteres Wort. Sirius wischte mit einer ausholenden Bewegung Geschirr, Zeitungen und eine abgegriffene Ausgabe von Allendes Geisterhaus auf den Boden. Eine dunkle Pfütze von kaltem Tee breitete sich auf den Dielen aus, und ich rettete das Buch, während Sirius seinen Stab aus der Gesäßtasche seiner Jeans zog und begann, den magischen Kreis auf der Tischplatte zu ziehen.
„So viel Zeit wäre aber noch gewesen" sagte ich. Sirius hörte mich gar nicht. Die trübe Verzweiflung war wie weg gewischt, sein Blick war hart und klar, Entschlossenheit lag in seinen Mundwinkeln. Ich verstand. Ich hatte den Hund auf eine Fährte gesetzt, ihm eine Aufgabe zugeteilt, und jetzt würde er schnüffeln und laufen bis zum Ziel oder bis zur Erschöpfung.
Die Tür klappte erneut, und Minerva McGonagall kam herein. Ihr Mund war ein schmaler Strich, aber sie strahlte die Ruhe einer Person aus, die den Überblick hat. Ich atmete ein wenig freier.
„Ich konnte die meisten Mitglieder erreichen" sagte sie. „Sie sind auf dem Weg hierher. Es fehlt lediglich Albus, der in Frankreich unabkömmlich ist. Auf ihn müssen wir leider verzichten. Ist Moody schon da?"
„Gleich wieder" sagte ich. „Er holt den Parspertoto." Ich hielt den Knopf mit dem kostbaren Stückchen Stoff daran hoch.
„Gute Idee" sagte McGonagall. „Einstweilen werden wir hier Sicherheitsvorkehrungen treffen, für den Fall, dass das Hauptquartier bekannt geworden ist. Apparitionssperren, Zauberdämpfer, wir werden uns da ganz auf Moodys Kompetenz verlassen."
„Sollten wir nicht zumindest darüber nachdenken, es aufzugeben?" fragte ich. „Ich meine, falls es wirklich bekannt geworden ist, können wir uns wirklich gegen einen Ansturm von Todessern verteidigen?" Ich fühlte mich ein wenig unsicher in meiner Rolle als Vertreterin des Alphawolfes, aber ich war fast sicher, Remus hätte etwas Vergleichbares vorgeschlagen.
„Hier besser als an jedem anderen Ort" sagte McGonagall. „Wir werden aber über einen Notfall-Stützpunkt nachdenken, sobald wir diese Krise im Griff haben."
Sobald. Ich hielt mich daran fest. Wenn McGonagall glaubte, dass es nur eine Frage der Zeit war, wollte ich ihr nicht widersprechen.
Dann wurde es plötzlich ziemlich voll in der Küche, als Moody zurück kehrte und fast gleichzeitig die Weasleys in Begleitung von Sturgis Podmore und Daedalus Diggle eintrafen. Ein Stimmengewirr brach los, das McGonagall mit einem leichten Klopfen ihres Stabes auf den Küchentisch zum Schweigen brachte. Während sie die bestürzende Neuigkeit zu Gehör brachte und einen Ansturm von Fragen beantwortete, so gut sie konnte, schloss Sirius die Beschwörung ab und legte den Parspertoto zusammen mit dem winzigen Stückchen Stoff von dem Knopf in die Mitte des Kreises.
„Facesso Familiaris" sagte er und wob das komplizierte Muster des Zaubers über dem Bannkreis. Ein kurzer, blendend heller Lichtstrahl fuhr von dem Stofffetzen in den Parspertoto, der auf der Tischplatte klapperte und tanzte und dann wieder zur Ruhe kam. Sirius nahm ihn und klappte ihn auf.
„Sehr gut" sagte er zu mir. „Gehen wir."
„Du solltest hier bleiben, wirklich" sagte ich. „Es ist viel zu gefährlich."
„Da glaubst du nicht wirklich dran" sagte er und fasste mich am Arm. Ich wusste plötzlich, was er vorhatte.
„Sirius!" hörte ich Moodys alarmierte Stimme. „Bleib, wo du bist!"
„Hi…" sagte ich.
Wir apparierten.
„…lfe" sagte ich.
Glasscherben und Steine knirschten unter meinen Schuhsohlen. Der Boden war uneben, Vegetation, namentlich Disteln, hatte alten Asphalt aufgebrochen und sich einen Weg ans Licht gesucht. Es war kalt und dämmerte.
„Schschsch" machte er neben mir.
„Das ist auch eine Art von Entführung, weißt du" zischte ich wütend.
Er klappte den Parspertoto auf und bewegte ihn im Halbkreis um uns herum.
„Es hat funktioniert" sagte er atemlos. „Merlin! Ich bin ein Genie."
„Was?" sagte ich.
„Ich habe den Apparitionszauber mit dem Suchzauber verknüpft" sagte er. „Damit es uns gleich in die richtige Richtung zieht."
„Und wo sind wir?" fragte ich.
„Keine Ahnung" sagte er. „Der Parspertoto hat die Richtung vorgegeben. In der Nähe von Moony, jedenfalls. Die Nadel spricht schon an."
Ich sah mich um. Hinter uns befand sich, was ein altes Fabrikgebäude sein konnte: ein heruntergekommener Klinkerbau, dessen Fenster sämtlich eingeschlagen oder mit Brettern vernagelt waren. Tote Stromkabel baumelten über einer Tür, von der die braune Farbe in dicken Schichten abblätterte. Der Lärm der Großstadt drang wie Meeresrauschen zu uns.
„Hier entlang" sagte Sirius und setzte sich in Bewegung.
„Wir sollten zurück apparieren" flüsterte ich dringlich. „Wir können es nicht zu zweit mit einer Horde Todessern aufnehmen! Wir brauchen Unterstützung!"
„Ich glaube nicht, dass von denen jemand hier ist" sagte Sirius und zog geräuschvoll die Luft durch die Nase. „Nein. Ich glaube nicht." Er drückte mir den Parspertoto in die Hand, ging auf alle Viere und wandelte.
„Du spinnst" flüsterte ich verzweifelt, während ich, den Parspertoto in der Linke, den Stab in der Rechten, hinter ihm her stolperte. „Du hast bloß Angst, dass sie dich petrifizieren und einsperren, damit du nicht hier draußen herum springst."
Snuffles gab ein tiefes Grollen von sich und trabte ohne Umschweife auf die Tür zu. Er setzte sich davor und sah mich unverwandt an.
„Soll ich wirklich?" flüsterte ich, mein Herz schlug mir irgendwo im Hals. Ich konnte es nicht glauben, dass ich mutterseelenalleine mit einem verrückten Hund auf einem Abbruchgrundstück herum sprang, die Tatsache ignorierend, dass in Nummer Zwölf eine Anzahl der kompetentesten Zauberer des Königreiches zu meiner Unterstützung bereit stand.
Snuffles winselte leise und stieß mich mit der Nase an. Ich räusperte mich und hob meinen Stab.
„Alohomora" flüsterte ich. Eine kleine silbrige Spur geisterte das Schloss entlang, und es gab ein vernehmliches Klicken. Ich drückte die Klinke. Die Tür schwang auf. An meinen Beinen vorbei zwängte Snuffles sich ins Innere, ich hörte, wie seine Krallen auf dem Betonboden kratzten, dann verschwand er, die Nase über dem Boden, aus meiner Sicht.
Mich traf fast der Schlag, als ich eine Stimme hörte.
„Verdammt."
Es war Sirius, nur Sirius, kein Todesser, alles war in Ordnung, ich versuchte, nicht hier vor der Tür in meinen Schuhen am Schock zu sterben.
„Ich war schon mal hier" sagte er gedämpft. „Ich versteh' das nicht. Emilia? Kommst du, oder was?"
Ich schob mich ins Innere. Es roch nach nassem Beton und Schimmel. Wir befanden uns in einem großen, leeren, von eckigen Betonpfeilern gestützten Raum. Der Boden war bedeckt von Bauschutt und vermodertem Laub, das der Wind durch die Fensteröffnungen herein geweht hatte. Fenster auf der gegenüberliegenden Seite zeigten mir Ausschnitte eines Innenhofes, in dem eine Birke wuchs. Zur Linken führte eine Türöffnung in einen dunklen Flur.
„Wir waren zwei Mal hier" sagte Sirius verwirrt. „Im Sommer. Um den Vollmond hier zu verbringen. Moony hatte eine Wohnung ein paar Straßen weiter. Es war, bevor wir nach Nummer Zwölf umzogen."
„Suchen wir ihn" sagte ich und hielt den Parspertoto vor mich. Er zeigte geradeaus Richtung Innenhof.
„Und du bist sicher, dass niemand sonst hier ist?" flüsterte ich, als wir den Raum durchquerten. Sirius wandelte erneut und trabte zu der gegenüber liegenden Fensterfront, die Nase über dem Boden. Diese Antwort war weniger präzise, als ich es mir gewünscht hätte. Ich seufzte und folgte ihm.
Fernsehen bildet, auch wenn die meisten Zauberer das niemals zugeben würden. Ich hatte meine Polizeiserien gesehen. Ich duckte mich und näherte mich den Fenstern von der Seite, um nicht in ein mögliches Schussfeld zu geraten, nur für den Fall, dass Snuffles sich irren sollte. Mein momentan vierfüßiger Begleiter sah offenbar keine Veranlassung für ähnliche Sicherheitsmaßnahmen, er sprang auf einen Schutthaufen und von dort aus mit elegantem Satz aus dem Fenster. Ich behielt meine Position seitlich vom Fenster und spähte vorsichtig in den Innenhof. Er schien leer. Ein paar Schritte weiter sah ich Snuffles im hohen, gelben Gras schnüffeln, dann warf er den Kopf in den Nacken und heulte.
Ich hatte noch genug Herzrasen vom letzten Schreck, ich erschrak nur milde. Ich kletterte aus dem Fenster, hinter Snuffles her, ich konzentrierte mich ganz darauf, mir nicht die Hände an den Resten der Fensterscheibe zu schneiden. Mein Gehirn weigerte sich, in Betracht zu ziehen, was Snuffles da vielleicht gefunden hatte… oder wen. Und in welchem Zustand. Ich ging einfach zu ihm hinüber, ungeachtet irgendwelcher Todesser, die plötzlich in Fensteröffnungen erscheinen und mich verhexen mochten, und sah nach.
Es war seine Robe. Nur seine Robe. Er war nicht darin. Ich begann wieder, zu atmen. Ich hatte keine Vorstellung davon, was mit ihm passiert sein mochte, aber so lange ich keinen schrecklich leblosen Körper hatte, konnte alles noch in Ordnung kommen. Ich nahm die Robe vom Boden, schüttelte sie aus und legte sie mir um die Schultern. Sein Geruch hing darin, und für einen Augenblick presste ich die Hand vor den Mund und konnte nicht verhindern, dass mir Tränen aus den Augen stürzten, ich merkte kaum, dass etwas sich in den Falten der Robe versteckt hatte, das jetzt mit leisem Klicken zu Boden fiel. Ich zwinkerte und hob es auf. Es war die Brille, die er sich mit Sirius teilte. Sie war mit Staub bedeckt, und auf ihren Gläsern klebten die getrockneten Reste einer dunklen Flüssigkeit.
Blut. Oh. Merlin. Vielleicht nur Nasenbluten. Vielleicht nur ein Kratzer, eine Schramme, vielleicht nur…
Snuffles war schon auf dem Weg. Die Nase dicht über dem Boden, trabte er davon, und ich folgte ihm, obwohl ich meine Füße kaum spürte. Die Brille steckte ich in die Tasche meiner Robe.
Snuffles führte mich durch eine weitere Tür in den hinteren Teil des Gebäudes, offenbar der ehemalige Bürotrakt. Wir gingen einen schmutzigen Gang entlang, in dem noch Reste eines blauen Bodenbelages sichtbar waren, dann in eines der ehemaligen Büros und durch das Fenster hinaus auf einen umzäunten Parkplatz. Ich musste mich nicht bemühen, um die Blutspuren auf dem Fensterbrett und an den Glasscherben im Fensterrahmen zu sehen. Ich biss mir auf die Lippe und rannte hinter Snuffles her, der schon auf halbem Weg zum Zaun war. Hinter dem Zaun war ein Gehweg und eine Reihe parkender Autos, und dahinter rauschte der Verkehr vorbei. Ich holte ihn am Tor ein, wo er suchend im Kreis lief, dann trabte er davon, am Zaun entlang, bis zu einem Loch, durch das man sich auf die Straße hinaus quetschen konnte, wenn man ein Hund war, oder wenn man sehr dünn war. Ich war keines von beiden.
„Ich nehme das Tor" sagte ich und zeigte mit dem Finger. Snuffles verzichtete darauf, mir ein Zeichen von Verständnis zu geben, er warf sich auf den Bauch und schlängelte sich durch den schmalen Spalt. Ich ließ ihn und beeilte mich, zum Tor zu kommen. Er würde der erste auf der anderen Seite sein, und ich traute ihm zu, mich einfach stehen zu lassen.
Mit einem schnellen Zauber öffnete ich das schwere Vorhängeschloss und wickelte die rostige Kette ab, damit ich einen der Torflügel bewegen konnte. Ich konnte nur hoffen, dass ich jetzt nicht einem pflichtbewussten Muggel in die Hände fiel, der sich fragte, was eine seltsam gekleidete, offenbar verzweifelte junge Frau auf einem Abbruchgrundstück zu suchen hatte. Remus hatte vor einiger Zeit begonnen, mir einen seiner „kleinen Überlebenszauber" beizubringen, wie er es nannte, eine Art Verschleierung, mit der man aus der bewussten Wahrnehmung von Muggeln verschwinden konnte, ohne sich faktisch unsichtbar zu machen. Er hätte stundenlang in Buchhandlungen Zeitungen gelesen, ohne behelligt zu werden, hatte er mit müdem Lächeln erwähnt, und man wüsste nie, wozu man solche kleinen Zauber benötigte. Wir hatten das Projekt verschoben, als ich nach ausdauerndem Üben und in der völligen Überzeugung, aus jedermanns Wahrnehmung vollständig gelöscht zu sein, in der Küche von Sirius mit den Worten „He, hast du zufällig'n Kaffee für mich?" begrüßt worden war. Ich hatte mich daran gewöhnt, kein magisches Multitalent zu sein, aber manchmal traf es mich immer noch hart.
Zum Beispiel, wenn ich versuchte, einen schweren, rostigen Torflügel zu bewegen, der irgendwie im Boden Wurzeln geschlagen hatte, während auf der anderen Seite Snuffles jaulte und im Kreis sprang, und ich sicher war, dass wir gerade die Aufmerksamkeit aller zehn Millionen Londoner auf uns zogen. Ich warf mich mit aller Kraft gegen das Tor, und es bewegte sich ungefähr drei Millimeter. Snuffles jaulte und bewegte sich zu dem Loch, durch das er gekrochen war, und zurück.
„Lass es gut sein" fauchte ich ihn an, während mir schmerzhafte Röte im Gesicht brannte. „Ich pass' nicht durch. Und jetzt geh zur Seite!"
Ich rammte meinen Stab zwischen die Gitterstäbe. Ich hatte die Nase voll, und mir war egal, wie viele Muggel gleich den Schreck ihres Lebens kriegen würden.
„Fortissime" bellte ich, und mit einem durchdringenden Geräusch von Metall auf Straßenpflaster platzte das Tor auf, weit genug, dass ich durch den Spalt passte. Ich quetschte mich durch, raffte meine Roben und rannte hinter Snuffles her, der sich schon wieder einen Vorsprung verschafft hatte.
Ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Ich nahm an, es war eine der Vorstädte, es sah nicht gerade nach einer teuren Wohngegend aus. Die Straße war gesäumt von einer Reihe hoher Wohnhäuser, die Fassaden geschwärzt von Schicht um Schicht aus Straßendreck. Wäsche trocknete auf Balkonen, trotz der kalten Witterung. Wir passierten einen Hauseingang, in dem zwei Frauen mit bunten Kopftüchern ihr Gespräch unterbrachen und uns interessiert hinterher schauten. Ich erwischte einen Blick in einen schmutzigen, mit Mülltonnen und Fahrrädern voll gestellten Hinterhof, der mich durchaus an Nummer Zwölf erinnerte, dann erreichten wir ein blaues U, und Snuffles sprang zu meinem Erstaunen die Treppe hinunter. Etwas war mit ihm geschehen, er war Spannung von der Nasen- bis zur Schwanzspitze, in sein beständiges leises Winseln hatte sich ein drohendes Knurren gemischt. Er schnüffelte auf der Treppe, wich einem Mann mit einem Koffer aus, der die Stufen hinauf kam, und sprang hinunter in die Unterführung, die den Namen der Station verriet: Baker Street. Nie gehört.
Er würde doch nicht mit der U-Bahn gefahren sein? Warum sollte er? Wenn er das konnte, konnte er auch apparieren. Wenn er in eine U-Bahn gestiegen war, egal aus welchen Gründen, hatten wir ihn verloren. Ich versuchte, nicht dran zu denken.
Es war eine der größeren Stationen, mit mehreren Bahnsteigen und einem Zeitungsladen bei den Automaten. Es war Betrieb, ich hörte aus der Ferne das Donnern und Quietschen einer U-Bahn, und ein Schwall von Muggeln kam uns entgegen.
„Snuffles!" rief ich und bemühte mich, aufzuschließen. „Warte! Bei Fuß, verdammt!"
Er verzögerte zumindest seinen Schritt, so dass ich ihn einholen konnte.
„Du musst bei mir bleiben" flüsterte ich verzweifelt. „Ich müsste dich eigentlich an der Leine führen."
Er knurrte, drohend und tief in seiner Kehle. Ich machte einen erschreckten Schritt zur Seite. Er sah mich mit seinen blauen Augen an und wuffte dringend.
„Okay" sagte ich, bemüht, zu übersetzen. „Du bleibst bei mir, und ich laufe, so schnell ich kann." Ich verschwieg ihm, dass ich das ohnehin schon getan hatte.
Er senkte die Nase über den Boden und zickzackte durch die Unterführung. Er schien irritiert und für einen Moment verunsichert, ich konnte mir vorstellen, welchem Ansturm von Gerüchen er ausgesetzt war.
„Such" flüsterte ich. „Such, Snuffles."
Er benötigte meine Ermunterung nicht. Er hatte seine Spur wieder gefunden und hetzte auf ihr entlang, dass ich kaum Schritt halten konnte. Ich hörte ihn knurren, wild und laut. Die Leute, die uns entgegen kamen, wichen erschreckt zur Seite, und ich fiel ein wenig zurück, ich wollte nicht aussehen wie das Frauchen, das vom Sicherheitsdienst angehalten und zur Rede gestellt wird. Wir passierten die Rolltreppen, die zum unteren Bahnsteig führten. Ich hastete um eine Ecke und sah Snuffles' buschigen Schwanz vor mir um eine weitere Ecke verschwinden, seine Fährte musste deutlich sein, wir waren nah dran. Wenn er nur nicht in eine U-Bahn gestiegen war. Bitte nicht, bitte nicht.
Dann hörte ich etwas, das mich mit einem kalten Schauer überschüttete, als sei ich unter die Dusche gestiegen. Ich presste die Hand vor den Mund. Snuffles bellte, wild und maßlos wütend, es war keine Warnung mehr, es war eine Ankündigung, und dann ging sein Bellen in wildes Knurren über und in etwas, das wie das grollende Fauchen einer Großkatze klang, ich hatte nicht gewusst, dass Hunde solche Laute von sich geben konnten, nicht mal die Boggarts meiner Kindheit hatten das geschafft, und Geschrei legte sich darüber, hastige Schritte und Flüche.
Ich sah um die Ecke.
Wie der Grim höchst persönlich war Snuffles unter eine Gruppe von Fußballfans oder ähnlichem gefahren, um die ich allein schon wegen ihrer groben Stiefel und ihrer kurz geschorenen Haare einen großen Bogen gemacht hätte. Ich sah die auseinander gestobene Gruppe, wie sie sich unschlüssig ansahen, Schritt zurück, Schritt nach vorne, fluchend, einige zogen Messer. Einer unter ihnen war zu Boden gegangen und schrie um sein Leben, Snuffles lag auf ihm und hatte das Gebiss in seiner Schulter versenkt, ich sah, wie er riss und schüttelte, Fetzen von Jacke und Sweatshirt hingen zwischen seinen Zähnen, und Blut spritzte. Nahebei lag ein Baseballschläger, und hinter dem, den Snuffles umgerissen hatte, kauerte eine Gestalt an der Wand und schützte den Kopf mit den Armen, er war barfuß, das fiel mir zuerst auf und verwunderte mich, seine Hose war fleckig und zerrissen und er versuchte ganz offenbar, in seiner dunklen Ecke mit der Wand zu verschmelzen.
Ich tat, was ich am besten konnte. Ich geriet in Panik.
Ich hörte jemanden schreien, ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, dass ich es war. Am Rande meiner Wahrnehmung blieben Passanten stehen, offenbar unschlüssig, was sie von der Szene zu halten hatten, oder auch nur schaulustig, man sah nicht jeden Tag so viel Blut in einer U-Bahn, zum Eingreifen berufen fühlte sich jedenfalls niemand. Ich stand und schrie und sah zu, wie einer der Typen sich nach dem Baseballschläger bückte. Ich dachte nicht sehr genau nach. Ich riss meinen Stab aus dem Ärmel.
„Accio Schläger!" schrie ich, und wie ein Geschoss kam der Schläger auf mich zu und hätte mir um ein Haar die Lichter ausgeschaltet, ich konnte mich gerade noch ducken und ihn aus der Luft fangen. Der Typ sah mich an, als sei er soeben seinem ersten Boggart begegnet.
„Verschwindet!" schrie ich und schwang den Schläger. Es gelang mir zumindest, einige weitere auf mich aufmerksam zu machen, allerdings schienen sie sich von meiner kleinen Wenigkeit mit dem Schläger nicht sonderlich eingeschüchtert zu fühlen.
„Sie… sie hat…" versuchte der Typ, der meinen Accio gesehen hatte, zu berichten, und zeigte mit dem Finger auf mich.
„Ist das dein Hund?" fragte mich ein anderer drohend. Er hatte eine Bierflasche in der einen Hand und in der anderen ein Messer. Ich warf an ihm vorbei einen Blick auf Snuffles, von dessen Maul das Blut troff. Sein Opfer gab seltsam gurgelnde Geräusche von sich. Mir wurde schlecht. Der Typ vor mir lenkte meine Aufmerksamkeit aber schnell wieder auf sich, indem er mir kurzerhand sein Klappmesser unter die Nase hielt.
„Pfeif ihn zurück" sagte er, „oder ich stech' dich ab."
Ich räusperte mich und schielte auf das Messer. Ich spitzte die Lippen, doch es wollte kein Ton kommen.
„Ich kann nicht pfeifen" flüsterte ich.
„Lass den Schläger fallen" sagte ein anderer, und ich gehorchte. Von meinem Stab hatte er nichts gesagt, schließlich.
„Expelli…" flüsterte ich, kniff die Augen zusammen und versuchte verzweifelt, mich zu konzentrieren. „Expelliarmus…"
Es war nur seiner Überraschung zuzuschreiben, dass er das Messer verlor. Es fiel klirrend vor meine Füße, und ich war geistesgegenwärtig genug, es weg zu kicken.
„Was" sagte er verwirrt.
„Verschwindet" flüsterte ich, hielt meinem Angreifer den Stab unters Kinn und zauberte das erste, was mir einfiel.
„Pyrodaemonis."
Eine kleine Batterie von Feuerwerkskörpern schoss laut knatternd aus der Spitze meines Stabes. Sie bestanden aus nichts weiter als Luft und Magie, aber mein Gegenüber schrie wie am Spieß, stürzte rückwärts und ging zu Boden. Ich erneuerte den Zauber und hielt meinen Stab vor mich. Bunte Lichter tanzten zwischen mir und den anderen Abenteuerlustigen.
„Verschwindet" schrie ich, um das Geknatter zu übertönen, „oder ich schieß' euch ins All!"
Ich war mehr als erleichtert zu sehen, dass einige von ihnen meinen Vorschlag ganz vernünftig fanden und sich beeilten, ihn in die Tat umzusetzen. Snuffles war durch den Lärm aus seinem Amoklauf gerissen worden, er war zur Wand zurück gewichen und schnappte wild knurrend um sich. Von seinen Lefzen troffen lange, rote Fäden. Sein Opfer lag am Boden, ich war erleichtert zu sehen, dass es stoßweise atmete.
„Phil" sagte einer der beiden, die sich noch nicht recht entschieden hatten, und starrte auf seinen Kollegen hinunter.
„Nehmt ihn mit und haut ab" sagte ich. „Schnell. Er sieht aus, als würde er eine Menge Blut verlieren."
„Du Schlampe" knurrte einer der Typen und trat auf mich zu. „Das ist dein verdammter Köter. Ich mach dich fertig."
Ich hielt meinen Stab vor mich, aber die Nummer mit den Feuerwerkskörpern schien an Wirkung zu verlieren.
„Es ist nicht meiner" sagte ich lahm. „Ihr habt sein Herrchen angegriffen. Ihr seid selber schuld."
Er machte einen großen Schritt und stieß mich heftig. Ich bemerkte ein wenig spät, dass er sich von meinem Holzstöckchen nicht länger einschüchtern ließ, und ging rückwärts zu Boden. Nur Augenblicke später war er über mir, seine Faust füllte mein Blickfeld, und einscharfer Schmerz explodierte zwischen meinen Augen. Ich schrie. Etwas Hartes traf meinen Hinterkopf, dann wieder, er schien meinen Kopf gegen den Boden zu schlagen, wie ich es mit Eiern auf der Tischplatte tat. Ich schluckte Blut. Ich wusste, es wäre an der Zeit, etwas zu unternehmen, aber ich war wirklich sehr damit beschäftigt, Schmerzen zu haben.
„Stupor" sagte eine Stimme hinter mir, und mein Angreifer fiel schlaff auf mich drauf. Ich strampelte schwach, dann erschien eine Hand auf dem narbigen Leder seiner Jacke und zog ihn beiseite. Ich kam keuchend auf die Knie.
„Geht's?" sagte Sirius. Sein Haar stand wild zu allen Seiten ab, und sein Gesicht war blutverschmiert. Ich sah in seine Augen, die irrsinnige Wut war daraus verschwunden. Ich nickte.
„Gut" sagte er. Er stand auf, rieb sich mit der Hand übers Gesicht und betrachtete das Blut an seinen Fingern. Dann schaute er hinüber zu seinem Opfer, dessen Oberkörper zwischen Schulter und Hals nicht mehr als eine blutige Masse war, sagte „Oh mein Gott", ging in die Knie und erbrach sich heftig.
Ich machte mir nicht die Mühe, mich auf meine Füße zu stellen. Auf allen Vieren kroch ich in den dunklen Winkel, in dem ich verschwommen eine zusammen gekauerte Gestalt ausmachte.
Er lag, die Knie an die Brust gezogen, den Kopf in den Armen vergraben. Mir fiel auf, dass er wirklich sehr dünn war, er nahm kaum Platz weg in seiner Ecke. Er wimmerte leise und schaukelte sich ein wenig. Ich zwinkerte und versuchte, meine Sicht zu klären, dann bemerkte ich endlich, dass meine Brille fehlte.
„Remus" flüsterte ich und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er zuckte und wimmerte. Sein Körper war so hart und angespannt, dass ich mich fragte, wie er diese Haltung jemals wieder lösen sollte.
„Remus" flüsterte ich und begann hilflos, seine Haare zu streicheln. Mir war schlecht, und ich war längst jenseits von Panik. Ich fühlte mich taub. Ich war froh darum. Ich legte mich neben ihn auf den schmutzigen, braun gefliesten Boden der Unterführung, streichelte ihn und flüsterte seinen Namen, bis die Spannung langsam wich.
„Sprich mit mir" flüsterte ich. „Bitte. Sag mir, was passiert ist."
Er hob den Kopf aus den Armen und sah mich an. Sein Gesicht war zerkratzt und blutverschmiert, und sein Blick kam von weit her. Seine Augen waren gelb wie Bernstein.
