Ihr Lieben,

mir ist bewusst, dass die Kapitel von der Länge her neuerdings ziemlich unterschiedlich ausfallen, und ich entschuldige mich dafür… Es gibt aber ein paar (wie ich hoffe gute) Gründe:

Zum einen habe ich mich entschieden, Sinn vor Symmetrie zu stellen (was einen bemerkenswerten Schritt für mich darstellt). Der Tränkemeister verdient ein eigenes Kapitel.

Zum anderen haben die geneigten Oktobermond-Leser durch meinen Ausflug nach „13 Jahre, 5 Tage" lange genug warten müssen, in so fern ist dies auch eine Art Lebenszeichen meinerseits, und ein Danke für die Geduld eurerseits.

(Und zum dritten habe ich festgestellt, dass die Lesegewohnheiten im Fandom eher zu kürzeren Kapiteln neigen, und man ist ja nicht unbelehrbar.)

Widmung: Dieses Kapitel ist für Slytherene, die beste und leidenschaftlichste Fürsprecherin, die ein Tränkemeister haben kann. (Wer es noch nicht getan hat, bitte geht und lest ihre wunderbare Snapefiction.)

Diaclaimer: immer noch nicht meins, auch wenn ich wünschte, es wäre anders. Emilia gehört mir allerdings, und das ist ein gewisser Trost.

Soundtrack: lasst uns pathetisch werden. Queen: The Show must go on.

So. Eine Phiole mit unschuldigem klarem Wässerchen für jeden, und ganz besonders viel Spaß :o))

Und von wem das Zitat ist, muss ich ja wohl nicht extra erwähnen. Ein Mann, der solche Sätze spricht, kann nicht durch und durch verdorben sein.

KAPITEL ACHT: DIE KUNST DES TRÄNKEMEISTERS

the delicate power of liquids that creep through human veins, bewitching the mind, ensnaring the senses…

Die Küche war voll. Ein paar Leute mussten der Tür ausweichen, damit ich sie überhaupt öffnen konnte. Severus war einer von ihnen, er hatte die Hände in den weiten Ärmeln seiner Robe versteckt und würdigte mich keines Blickes. Ich schob mich an ihm vorbei Richtung Spüle, um einen Überblick zu gewinnen.

Jedes abkömmliche Ordensmitglied schien mittlerweile eingetroffen, um die Ereignisse zu diskutieren: die Weasleys, die Shacklebolts, Daedalus Diggle und Elphias Dodge, Mundungus Fletcher und Emmeline Vance, und einmal mehr war ein Teil von mir besorgt, dass wir alle in eine Küche passten, wo wir doch Säle hätten füllen sollen. Sirius saß auf der Eckbank, flankiert von McGonagall und Tonks. Er sah aus, als hätte er geweint, oder getrunken, wahrscheinlich hatte er beides getan. Er lehnte sich ein wenig gegen Tonks, fast sah es aus, als würde sie unter dem Tisch Händchen halten, und ich wünschte es ihm wirklich, denn Mad-Eye Moody ließ gerade eine Strafpredigt über ihm ab, die sich gewaschen hatte.

„… überhaupt einen Sinn macht?" hörte ich seine donnernde Stimme. „Warum schließen wir nicht die Abteilung, und du stellst dich freiwillig? War es so schön in Azkaban, dass du unbedingt wieder hin willst?"

„Alastor" sagt Tonks laut, während Sirius die Stirn in der Hand vergrub. „Übertreib' es nicht."

„Er sollte nicht übertreiben!" donnerte Moody. „Verwandelt sich in der U-Bahn! Wie dämlich kann man sein! Er weiß, das Snuffles die einzige Deckung ist, die er hat! Wenn das Ministerium über seiner Tiergestalt informiert wird, können wir einpacken!"

„Wird es nicht" sagte Sirius, der begonnen hatte, heftig an seinen Haaren zu zupfen. Sein Blick verlor sich irgendwo auf der Tischplatte. „Ich habe den Typen gehext, der es gesehen hat."

„Ach" sagte Moody. „Und seit wann bist du ein Experte für Gedächtnismodifikation, bitte schön?"

„Bin ich nicht" sagte Sirius. „War auch gar nicht nötig. Er darf sich ja gerne erinnern. Er darf es nur niemandem erzählen, und deshalb wird er, wann immer er damit raus will, einen ziemlich hässlichen Strom von Schimpfworten von sich geben."

„Und was ist mit all den anderen potenziellen Beobachtern?"

„Was hätte ich machen sollen? Warten, bis der andere Typ Emilia absticht?"

Ich räusperte mich und starrte auf meine Turnschuhe, an denen noch der Sand von meiner See-Umrundung klebte, die vor ungefähr hundert Jahren statt gefunden hatte. Ich spürte, wie Mad-Eyes Blick mich traf, der sich nicht mal die Mühe machte, sich zu mir umzudrehen.

„Die junge Dame muss dringend lernen, sich selbst zu verteidigen" sagte er. „Möchte jemand diesen Job übernehmen, oder soll ich sie persönlich ausbilden?"

Es klang wie eine Drohung, und ich war mir fast sicher, es war als solche gemeint.

„Hm" murmelte ich. „Ahem. Ich, also… es tut mir leid. Ich bin einfach nicht so der Krieger-Typ."

„Das muss man auch nicht sein" sagte Molly Weasley neben mir. „Nur ein bisschen geübt. Ein paar Verhaltensmuster, die man auch unter Stress abrufen kann. So ähnlich wie Erste Hilfe." Sie lächelte mir zu, und ich fühlte mich nicht mehr ganz so fürchterlich.

„Verschieben wir diese Diskussion" sagt McGonagall, und ich bewunderte wieder einmal ihre Fähigkeit, einen gesamten Raum zum Schweigen zu bringen, ohne die Stimme zu heben. „Ich möchte lieber hören, was Severus zu berichten hat."

Alle Augen gingen zu ihm. Er stand immer noch neben der Tür, als wolle er sich einen Fluchtweg offen halten, die Hände in den Ärmeln verschränkt wie ein Priester, das Gesicht reglos, und ohne ein Legilimens zu sein, konnte ich in seinen Gedanken lesen, wie sehr er sich in seinen stillen, kühlen, menschenleeren Keller sehnte.

„Er ist soweit wieder hergestellt" sagte er. „Er schläft. Leider ist ihm eine Gedächtnislücke geblieben, die jüngsten Ereignisse betreffend. Es wird nötig werden, ihn aktiv an die Geschehnisse zu erinnern, sobald er wach und ansprechbar ist."

„Dann weißt du noch gar nicht, was ihm passiert ist?" fragte Moody. „Das ist schlecht. Wir müssen wissen, welche Sicherheitsvorkehrungen wir zu treffen haben."

„In Lupins eigenem Interesse konzentrierte ich mich zunächst darauf, seine geistige Unversehrtheit wiederherzustellen" sagte Severus. „Selbstverständlich hätte ich die gewünschten Informationen auch sofort extrahieren können. Man hätte mir nur sagen müssen, dass die paar Stunden Zeitgewinn es wert sind, einen gesunden und klaren Geist für immer dem Wahnsinn zu überantworten."

„Lass die Spitzfindigkeiten" schnappte Moody. „Für so etwas haben wir keine Zeit."

„Ich wüsste nicht, womit wir es eilig haben sollten" sagt Severus eisig. „Er schläft, und das wird er noch eine ganze Weile tun. Und falls jemand hier ein Interesse daran hat, seinen ach so scharfsinnigen Arithmantiker-Geist zu erhalten, dann sollte er einigermaßen ausgeruht und belastbar sein, ehe ich mit ihm arbeite."

„Ein zweites Mal?" sagte Sirius und kam aus seiner zusammen gesunkenen Kauerstellung in die Höhe. „Kommt überhaupt nicht in Frage. Einmal ist schon einmal zuviel."

„Es ist aber nötig" sagte ich vorsichtig. „Und es wird ihm nichts passieren dabei. Er wird sicher auch selbst gerne wissen wollen, was passiert ist."

„Ich erlaube es nicht" sagte Sirius heftig.

„Dich fragt keiner" sagte Tonks. „Remus ist nicht dein Eigentum, also hör auf, ihn so zu behandeln."

„Er soll es selbst entscheiden" sagte ich. „Und, nebenbei bemerkt, es ist Severus' Verdienst, dass er das noch kann."

„Es ist seine Schuld, dass er überhaupt zusammengeklappt ist!" schrie Sirius. „Er hat ihn diesen Scheiß-Trank verabreicht!"

„In unserem Interesse, wenn auch nachträglicher Kenntnisnahme" bemerkte McGonagall trocken.

„Ich bitte um Verzeihung" sagte Severus. „Legilimantik ist nicht gerade mein Hobby. Ich überlasse ihn gerne dir und deinen delikaten Methoden. Ich bin sicher, du kannst die Erinnerung aus ihm heraus prügeln."

Sirius sprang auf, und Tonks neben ihm ebenso.

„Sirius" sagt McGonagall scharf. „Setz dich."

„Raus aus meiner Küche" sagte er, und seine Stimme zitterte so sehr, dass ich sie kaum erkannte. „Sofort."

„Mit dem größten Vergnügen" sagte Severus. „Eine solche Anhäufung von Kompetenz macht meine bescheidene Gegenwart ohnehin überflüssig."

Er disapparierte mit nicht mehr als einem Rascheln.

„Das war unfair, Sirius" sagte ich. „Du tust ja gerade so, als hätte er die ganze Entführung zu seinem eigenen Interesse inszeniert."

„Und wer beweist mir, dass er das nicht hat?" fauchte Sirius, sein Gesicht zwischen den wirren tintenschwarzen Haaren war kalkweiß vor Wut.

„Du bist ein Idiot" sagte ich. „Ein großes, arrogantes, eifersüchtiges Baby. Werd erwachsen."

„Verschwinde" fauchte er mich an. „Geh in deinen Keller! Geh doch zu deinem Giftmischer-Kollegen, wenn du den so toll findest! Ihr seid doch alle die gleiche Sorte!"

Ich dachte an meinen Wolf, der oben vor seinem Kamin schlief. Ich fühlte mich zum Zerreißen angespannt. Ich hätte ihn hier gebraucht, neben mir, seine Hände auf meinen Schultern. Ich schlang die Arme um mich. Es war ziemlich wahrscheinlich, dass ich binnen der nächsten Minute vor den Augen des versammelten Ordens einen Zusammenbruch hinlegte.

„Molly" sagte ich. „Kannst du noch eine Weile hier bleiben? Bis morgen früh oder so?"

„Natürlich, Liebes" sagte sie freundlich. „Geh nur und ruh dich aus. Ich flooe dich sofort an, falls sich hier etwas ändert."

„Danke" sagte ich erstickt. „Wiedersehen, zusammen."

oooOOOooo

Ich hasste es, zu apparieren, dieses Gefühl, durch die Mündung einer Zahnpastatube gepresst zu werden, aber diesmal war es besser als alles, was mir diese Küche zu bieten hatte. Ich erschien an der Grenze der Appariersperre, die Hogwarts schützte, unweit des Waldrandes. Es war stockfinster, der Himmel verhangen, der Mond (dem ich früher kaum Beachtung geschenkt hatte) nicht mehr als eine schmale Sichel hinter den dicken Wolken. Ich hatte keine Vorstellung, wie spät es war – zehn? Elf? Ich machte mir ein Stablicht und tastete mich vorsichtig über den unebenen Grund, bis ich auf den sauberen, weißen Kiesweg kam, der an den Gewächshäusern vorbei in Richtung Schulhof führte. Ich setzte mich in Trab, sobald ich ebenen Boden unter den Füßen hatte. Ich hatte keine Lust, jemandem zu begegnen. Ich schnitt den Schulhof schräg ab, kletterte eine schmale, steile Treppe hinauf und war endlich auf der Galerie, ich hastete sie entlang, sperrte meine Tür auf und knallte sie hinter mir zu.

Merlin. Was für ein Tag. Ich fragte mich, ob ich jemals einen schlimmeren erlebt hatte.

Ich machte Licht und sah mich um, alles war wie immer, außer in mir. Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte. Vor meinem inneren Auge blätterten sich die Bilder auf wie in einem schlecht abgestimmten Daumenkino. Remus' gelber, gehetzter Blick in der U-Bahn. Seine dünne, zitternde Gestalt, als er sich in die Ecke kauerte. Der unrasierte Typ, dem ich die Feuerwerkskörper ins Gesicht geschleudert hatte. Ein dünner, sechsjähriger Junge in einem silbernen Käfig. Das weiße, erschöpfte Gesicht meines Wolfes, als er auf der Decke eingeschlafen war. Sirius, der Freak, dem der Wahnsinn aus den Augen sprang.

Zwei, die sich unter einem funkelnden Baum aus Licht küssten.

Einer, der Dinge sagte wie „Seien Sie ganz beruhigt."

Ich ging duschen.

Ich duschte lang und heiß und mit Pfefferminz-Shampoo, aber der Duft von Orangenschale schien auf magische Weise auf der Innenseite meiner Nase zu haften. Ich zog mich an und kämmte mich und verbrachte eine Weile vor dem Spiegel, ich konnte plötzlich mein Gesicht nicht mehr leiden, meine blöde Brille und meine komischen Haare, und ich fragte mich allen Ernstes, ob nicht ein wenig Veränderung mir gut täte, mir, die ich in den letzten acht Wochen mehr Veränderung gehabt hatte als in den vorherigen acht Jahren.

Ich betrachtete mein Bett, aber es war groß und leer, und wenn ich die Augen schloss, sah ich den kleinen Jungen in dem Käfig.

Ich tat, was ich immer tat, wenn ich durcheinander oder unglücklich war. Ich ging kochen.

Auch wenn mein geschätzter Kollege gerne anderes behauptete, so unterschied sich doch die Herstellung eines Trankes weit weniger von der eines guten, gelungenen Puddings, als gemeinhin angenommen. Pudding wäre mir lieber gewesen, aber ich hatte keine Lust auf einen Trupp euphorischer Hauselfen (sie waren es nicht gewöhnt, dass jemand vom Personal zum Kochen kam, und man musste sie sehr vorsichtig behandeln, um sie nicht in ihrer Hausgeister-Ehre zu kränken), also tat ich, was Sirius mir geraten hatte, und ging in meinen Keller.

Ich hatte einen Fugitivus auf meiner Liste, und er war perfekt für meine Zwecke: Langwierig, aber nicht kompliziert in der Zubereitung, mit einer Menge handwerklicher Notwendigkeiten wie Mörsern, Schneiden, Rühren und Schälen. Ich machte Licht im Klassenraum und schürte einen Kessel an, und während er sich auf Betriebstemperatur brachte, kramte ich mir aus dem Vorratslager meine Zutaten zusammen. Auch wenn der Schreibtisch im Vorbereitungsraum mir immer noch nicht zur Gänze gehörte, so war doch nicht zu leugnen, dass ich allmählich meine Spuren hinterließ: eine rote stand unter lauter braunen Flaschen, ich hatte durchgestrichen und darüber gekritzelt, statt das Etikett zu wechseln, es gab mit Gummiband umwickelte Plastiktüten, wo vorher sauber gefaltete Leinenpäckchen gelegen waren, und einen halben Liter des besonders wertvollen Weißkerzenwassers hatte ich in eine leere, saubere Seven-Up-Flasche umgefüllt (PET, geschmacksneutral praktisch unzerstörbar, ganz ohne Zauberei). Ich grinste ein wenig, als ich die Flasche sah. Severus war kurz davor gewesen, mich vor lauter Abscheu mit einem hässlichen Hex zu belegen, aber meine kleine Demonstration dessen, was PET alles aushielt, hatte ihn gegen seinen Willen beeindruckt, und seitdem stand die Flasche da, unangefochten. Zwei, drei Wochen noch, und ich würde es mit Teriko-Essenz und einer Colaflasche versuchen.

Ich hatte mein Zeug beisammen und breitete es auf einem der Arbeitstische aus. Ich arbeitete lieber an einem der Schüler-Arbeitsplätze, wenn es sich ohne Überschneidungen einrichten ließ, als in der engen, muffigen Lehrerküche. Nicht umsonst hatte sich Severus mit den Jahren seine eigene Tränkeküche in seinen privaten Räumen eingerichtet. Ich prüfte die Temperatur des Kessels, fand sie befriedigend und füllte Wasser ein. Ich ließ eine getrocknete Lichtblume und ein paar zerkrümelte, getrocknete Bastitblätter darin schwimmen und hängte den Kessel tiefer, damit das Wasser gemächlich zum Kochen kam.

Ich schnitt Raunwurzel und Flüsterblatt, zerkrümelte Affenhonig und mörserte ihn mit Olivenöl zu einer goldenen Paste, ich schälte Megilosrinde und weichte sie in Tintenessenz ein, bis sie tief schwarz und schwammig war. Ich würfelte Weidenrindenharz und bemühte mich, wie es im Lehrbuch stand, um möglichst gleich große oder gleich kleine Stückchen, damit sie sich auch gleichmäßig auflösten und nicht klumpten. Ich rührte im Kessel und beobachtete, wie die Lichtblume im Wasserdampf ihre getrockneten Blütenblätter öffnete und das Wasser rostbraun färbte. Ich dachte an PET und an die Segnungen der Muggel-Zivilisation, ich tat wirklich alles, um das Daumenkino in meinem Kopf abzustellen. Es gelang mir nicht. Ich versuchte es anders. Ich versuchte, den verängstigten sechsjährigen Welpen durch den erwachsenen Alpha zu ersetzen, der lachte und meinen Hals küsste, aber dann machte er den Mund auf und sagte Dinge wie „Es tut mir leid" und „Ich bin ein Monster", er lehnte betrunken gegen eine Hauswand und sang irgend etwas vom Sterben, er hatte einen hässlichen schwarzen Stempel auf dem Unterarm, und dann sagte er noch „Wir können doch Freunde bleiben", obwohl er das ja eigentlich nie gesagt hatte, und der Mann, der meinen Hals küsste, verblasste und löste sich auf.

Ich strich das Flüsterblatt, das ich in vorschriftsmäßige feine Streifen geschnitten hatte, vom Brett auf ein sauberes Stück Papier und trug es hinüber zu meinem Kessel. Ich streckte die Hand aus, und plötzlich war da eine andere Hand und schlug mir das Papier weg, und mein schönes Flüsterblatt verteilte sich wie Mäusedreck auf dem Steinfußboden.

„Was soll das werden?" sagte Severus. „Ein kleine Kesselexplosion, um Stress abzubauen?"

Ich schnappte nach Luft. „Haben Sie mich erschreckt" sagte ich. „Was machen Sie da? Mein schönes Flüsterblatt!"

„Das ist kein Flüsterblatt" sagte Severus und hätte mir in diesem Tonfall auch gleich noch zwei Stunden Nachsitzen ankündigen können. „Das ist Schwarzkraut, und Sie wissen hoffentlich, dass man es behutsam erwärmen muss, wenn man es nicht gegen die Decke jagen will."

„Oh" sagte ich und starrte auf die schwärzlichen Krümel hinunter. „Ich muss die falsche Schachtel erwischt haben. Aber wie konnten Sie das auf die Schnelle erkennen?"

„Geruch" sagte er, zerrieb ein Krümelchen zwischen seinen Fingern und hielt sie mir unter die Nase. „Ätherische Öle, ähnlich wie Menthol, die beim Zerkleinern frei gesetzt werden."

„Mist" sagte ich. „Und ich dachte, das wäre mein Pfefferminz-Shampoo."

„Sie unterlassen besser das Tränkebrauen für heute" sagte er und löschte mit einer Bewegung seines Stabes das Feuer unter meinem Kessel. „Es ist ohnehin spät, und Sie hatten einen ereignisreichen Tag. Legen Sie sich schlafen."

„Geht nicht" sagte ich seufzend.

„Benötigen Sie ein Dormiens?" fragte er und sah auf mich hinunter. „Oder vielleicht eine Tasse Tee?"

„Tee wäre gut" sagte ich, ehe ich entschieden hatte, ob es klug war.

„Dann kommen Sie" sagte er.

Er brachte mich hinüber in sein Wohnzimmer mit den vielen Bücherregalen, und ich folgte dem beruhigenden Rascheln seiner dunklen Roben, vielleicht nur, weil ich noch einmal von ihm hören wollte, dass alles gut würde. Er bedeutete mich aufs Sofa, und ich setzte mich und sah ihm zu, wie er goldenen Tee aus einer filigranen Kanne in eine weite Teeschale goss, seine Hände schienen selbst wie aus Porzellan gemacht und pflegten sehr vertrauten Umgang mit den edlen Zerbrechlichkeiten. Ich sah auf meine eigenen Hände hinunter, an denen noch das Weidenrindenharz klebte, und zog die Ärmel drüber.

„Ist Ihnen kalt?" sagte er, der offenbar aus dem Augenwinkel meine Bewegung aufgefangen hatte.

„Ein bisschen" sagte ich. „Mir ist vor allem komisch."

„Nehmen Sie sich die Decke" sagte er und wies mit dem Kinn. Ich zog die Decke von der Sofalehne neben mir, es war ein helles, dickes, flauschiges Plaid, ungefähr der letzte Gegenstand, den ich in den Besitz von Severus Snape eingeordnet hätte, und legte sie mir über die Beine.

„Es ist schwer, hier unten warm zu bleiben" sagte er und versenkte ungefragt zwei Stück Zucker in meinem Tee, er kannte mittlerweile meine Vorlieben. „Die Kälte kriecht durch die Mauern, sobald das Feuer einmal herunter brennt."

„Warum wechseln Sie nicht das Quartier?" fragte ich. „Ich meine, Sie haben nicht mal Fenster."

„Die Bedeutung der Außenwelt wird gemeinhin überschätzt" sagte er. „Ich lebe sehr gut ohne Fenster."

„Na, dann" sagte ich, ich fand das Gespräch merkwürdig, aber dann auch nicht merkwürdiger als den Rest des Tages.

Er kam zu mir und stellte die Tasse auf einem Tischchen vor mir ab, seine Hand war so ruhig, dass der Tee wie solider, goldener Bernstein in der Tasse lag.

„Danke" sagte ich. Er stand neben mir, ich hätte nur meine Hand ausstrecken müssen, um seine Roben zu berühren, dann verschwand seine Hand in den Tiefen der dunklen Falten und kam mit einer kleinen, bauchigen Phiole wieder hervor, deren Rundung sich perfekt in seine Handfläche schmiegte. Sie enthielt eine wasserklare Flüssigkeit, die mir nichts sagte.

„Trinken Sie zuerst das" sagte er und hielt mir die Phiole hin.

Und es passierte etwas sehr merkwürdiges. Ich streckte die Hand nach seiner aus und nahm die Phiole, er ließ zu, dass meine Fingerspitzen seine kühle, glatte Haut berührten, ich zog den Korken und trank die Phiole in einem Zug leer, ohne zu fragen. Es schmeckte süß und alkoholisch und ein wenig bitter, und ein kleiner Schauer lief durch mich, als ich mir den letzten Rest der Flüssigkeit von den Lippen leckte.

„Gut" sagte er, kehrte auf seine Seite des Tischchens zurück und ließ sich in einem Sessel mir gegenüber nieder, seine Roben faltete er ordentlich um sich. Er schlug die Beine übereinander und sah mich an, sein Blick war wach, interessiert, aber ohne Gefahr für mich.

Für einen Augenblick erwog ich zu fragen, was ich da geschluckt hatte, aber ich entschied mich dagegen. Was immer es war, jetzt hatte ich es drin, und der Gedanke beunruhigte mich lange nicht in dem Maße, wie ich es erwartet hätte.

Für eine Weile saßen wir uns schweigend gegenüber. Ich wartete auf irgendeine Art von Wirkung, aber falls sie eintrat, war sie zu subtil, um eindeutig identifiziert zu werden. Ich wurde ein wenig ruhiger, aber das wurde ich meistens, wenn ich mit Severus Tee trank. Mir wurde warm, aber das konnte auch an der Decke liegen, die ich über meine Beine gebreitet hatte. Etwas von der Verwirrung und Hilflosigkeit schien von mir abzufallen, aber ich erlebte nicht zum ersten Mal, dass er mir einen Fokus geben konnte, wenn ich die Orientierung zu verlieren drohte.

Wir schwiegen, und ich beobachtete seine schönen Hände, während er sich selbst Tee eingoss und die Tasse zum Mund brachte. Ein warmer Hauch wie von fremdem Atem berührte mein Gesicht, und ich betastete meine Lippen, auf denen ich eine seltsame Wärmeempfindung spürte – der Alkohol aus dem Trank wahrscheinlich. Er trank einen Schluck und behielt dann die Tasse in den Händen. Ich fragte mich, woher ich plötzlich wusste, dass es Kräutertee war, Thymian und Honigbusch und ein wenig Zimt, vielleicht war meine Nase doch besser, als ich mir zugetraut hätte.

„Das war phänomenal" sagte ich. „Gerade eben, im Klassenraum. Wir konnten Sie nur einen Geruch in solcher Verdünnung wahrnehmen und identifizieren? Ich hätte wahrscheinlich den Kessel geschreddert, und meinen Kopf gleich dazu."

„Erfahrung" sagte er. „Und Talent. Ich schätze mich glücklich, dass meine prominente Nase noch zu etwas anderem dient als nur zur Zielscheibe."

„Das ist doch Quatsch" sagte ich. „Jeder, der Sie wegen Ihrer Nase aufzieht, ist ein unreifer Idiot."

Er tat etwas von höchstem Seltenheitswert, er lächelte, und ich kuschelte mich in mein Sofa und fühlte mich wohl.

„Sie glauben nicht, wie viele unreife Idioten überall herum laufen" sagte er.

„Na ja, doch" sagte ich. „Wer mal Klops gewesen ist, weiß das."

Meine Hände waren warm, und ich hatte den Duft von Thymian in der Nase, als er einen weiteren Schluck nahm, und dann trank ich selbst, und tausend Aromen explodierten auf meiner Zunge, Zucker und die süße Würze des Thymian und die sanfte Karamellnote des Honigbusch und eine zarte Bitterkeit dahinter und unzählige andere, für die ich keine Benennung fand, und als ich schluckte, spürte ich, wie der Tee durch meinen Körper lief und irgendwo in meinem Inneren einen dicken, warmen, goldenen Klumpen bildete.

Ich räusperte mich.

„Äh" sagte ich. „Wow. Der ist… hm."

„Sie mögen ihn" sagte er, die Tasse in der Hand. „Wie erfreulich." Er führte die Tasse zum Mund, aber anstelle zu trinken, blies er sachte darüber, wie um den Tee zu kühlen, und ich atmete zitternd, als ich den zarten, kühlen Luftzug auf meinem Gesicht spürte. Etwas in mir räusperte sich, hob schüchtern den Finger und wollte gern dran genommen werden, aber ich ignorierte die Meldung, ich hatte wirklich keine Lust auf unpassende Fragen.

„Flüsterblatt" sagte er, und seine Stimme spülte über mich wie warme Sahne. „Zusammen mit der Lichtblume würde ich meinen, Sie hätten es unternommen, einen Fugitivus zu brauen, oder einen Lingualis."

„Fugitivus" murmelte ich und wartete darauf, dass die seltsame und elektrisierende Empfindung sich wiederholen würde.

„Und für welche Mission sollte der Orden einen solchen benötigen?" fragte Severus.

„Gar nicht" sagte ich und versuchte, meine Stimme in den Griff zu bekommen, während er lächelte. „Es ist für meine Fünfte. Sie bekommen eine Probe und sollen ihn identifizieren."

„Tatsächlich" sagte er. „Meines Wissens nach ist Identifikation Stoff für die Sechste."

„Es bestand Interesse an dem Thema" sagte ich, ein wenig sicherer. „Sie sind gut, ich werde keine Probleme haben, den üblichen Lehrplan durch zu kriegen. Ich schiebe nur eine Doppelstunde ein."

Interesse" sagte er und zog die Augenbrauen hoch.

„Ja" sagte ich, erstaunt über sein Erstaunen. „Warum nicht? Tränke ist doch ein tolles Fach. Die Schüler mögen es, weil man am Ende der Stunde wirklich sehen kann, was man geleistet hat. Verwandeln Sie eine Teetasse in eine Schildkröte und zurück, und Sie haben nur die Erinnerung daran."

„Mir ist schülerseitig nie etwas begegnet wie Interesse" sagte er.

„Vielleicht ist es einfach an Ihren dicken schwarzen Roben abgeprallt" sagte ich.

Er sagte nichts und sah mich an, ein Rest des Lächelns lag noch in seinen Mundwinkeln und nahm sich dort ein wenig fremd aus, sein Blick war dunkel.

„Ich denke, geschätzte Kollegin, Sie haben bei weitem noch nicht begriffen, welche Möglichkeiten unser Fach eröffnet" sagte er schließlich. Er beugte sich nach vorne, um seine Tasse abzustellen, und ich erschauerte, als eine flüchtige, winzige Berührung meine Wange streifte, wie von Spinnweben oder feinem, fedrigem Haar. „Es ist großartig, Menschen durch Wände gehen lassen zu können, oder sie in zwei Sprachen gleichzeitig sprechen zu lassen. Nützlich. Aber nicht sehr subtil. Die eigentliche Macht des Tränkemeisters liegt im Unsichtbaren, im Unscheinbaren, wenn Sie so wollen. Etwas, das aussieht wie Wasser und schmeckt wie verdünnter Orangenlikör…"

Oh.

„… das Ihren Geist klärt und Ihre Sinne schärft…"

Oh. Er zupfte sachte an seinen Haaren, und ich spürte die Berührung, hinten in der warmen Dunkelheit zwischen Ohr und Hals, körperlose Finger wanderten durch mein Haar, das noch feucht war und schwach nach Pfefferminz roch, und eine Ganzkörper-Gänsehaut explodierte auf mir.

„… das Ihnen Möglichkeiten eröffnet, von denen Sie nicht einmal wussten, dass sie existieren…"

Ich hatte tatsächlich vergessen, zu atmen. Ich holte es nach, tief und zitternd.

„In der Tat" sagte er und legte zwei Finger an seine Schläfe, von wo aus sie über seine scharfen Wangenknochen hinunter zu seinem glatt rasierten Kinn glitten, vollständig synchron mit den kühlen Geisterfingern, die über mein erhitztes Gesicht wanderten. „Die richtigen Zutaten und ein wenig Sachverstand können wirklich ganz erstaunliche Ergebnisse erzielen."

Ich sagte etwas wie „Hhhh", oder vielleicht war es auch nur mein Atem, der sich nicht entscheiden konnte, ob er rein oder raus wollte. Die Geisterfinger strichen über mein Kinn und meinen Hals hinunter und umkreisten sachte die Mulde zwischen meinen Schlüsselbeinen.

„Schlangendorn, zum Beispiel" sagte er sanft. „Ich nehme an, die Blätter sind Ihnen in der Tränkeküche bereits begegnet. Sie dienen zum Binden flüchtiger Stoffe und sind potente Überträger magischer Charakteristika. Aber wussten Sie, dass ein Destillat aus der Wurzel bestimmte Gehirnregionen stimuliert, die für das taktile Empfinden zuständig sind?"

„Nein" flüsterte ich und schluckte. „Aber ich glaube, ich weiß, was Sie meinen."

„Serapia arabica" sagte er, und es klang wie ein Kosewort. „Zwei Tropfen, und Ihr Geist wird scharf und gleichzeitig biegsam wie ein gutes japanisches Messer." Er ließ seine Hand sinken, und die Geisterfinger strichen zart wie ein Windhauch über meine Schulter, den Arm entlang und hinunter über meine Hände. Ich rutschte ein wenig tiefer unter meine Decke.

„Ich sag Ihnen was" murmelte ich. „Sie lassen Ihre Hände besser dort, wo ich sie sehen kann."

„Spanische Mandel" sagte er und beugte sich in seinem Sessel nach vorne, sein Interesse wich unversteckter Faszination. „Ein unscheinbares, kleines braunes Ding. Oberflächlich betrachtet ein Kopfschmerzmittel, aber ein Sud aus den Schalen ist eines der…"

Er hob den Finger zu seinen Lippen. Ich stieß Atem aus, als ich die Berührung spürte.

„.. potentesten…"

Der kühle Geisterfinger folgte meiner Unterlippe und zirkelte winzige Kreise in meinem Mundwinkel.

„… Aphrodisiaka der Tränkeküche" schloss er seinen Satz. Ich sah ihn nicht an, ich hatte irgendwann unterwegs die Augen zugemacht, und dann veränderte sich der Finger und fühlte sich plötzlich wärmer an, beweglicher und etwas rau, und mir entkam ein zitterndes Seufzen, als mir klar wurde, dass es eine Zungenspitze war, die den Konturen meines Mundes folgte.

„Und alles ruht in unserem Geist" sagte er, und ich spürte Geisteratem auf meinen feuchten Lippen. „Es ist alles… vorhanden. Man benötigt nur die richtigen Substanzen, um sich ein Potential zu erschließen, von dem andere nicht einmal träumen können… und Erfahrungen zu machen, die weit über das gewöhnliche Maß hinaus gehen."

Die Geisterzunge strich über meine Unterlippe, und die Berührung schickte einen heißen Strahl direkt in meinen Magen und von dort… tiefer. Ich umklammerte meine Decke und unternahm einen letzten, vollständig fruchtlosen Versuch, unbeeindruckt zu erscheinen. Der Gedanke, es einfach geschehen zu lassen, was auch immer da geschah, war zunehmend verführerisch. Ich hatte nichts zu befürchten und nichts zu entscheiden, ich musste nicht kämpfen und mir keine Sorgen machen. Ich war vielleicht ein bisschen ausgeliefert, aber der Gedanke beunruhigte mich nicht sonderlich, und ohnehin begann ich, den Weg zurück aus den Augen zu verlieren.

„Faszinierend, nicht wahr" flüsterte er, und ich blinzelte und sah, wie sein Blick mich verschlang. Seine Fingerspitzen lagen gegeneinander, sein Gesicht war blass und von einer tiefen, fast finsteren Konzentration, wie ich sie bisher nur beim Tränkebrauen an ihm beobachtet hatte. „Ein unschuldiges, klares Wasser. Wie es den Geist bezaubert… die Sinne umschmeichelt… eine völlig neue Form von Realität öffnet…"

„Oh" sagte ich atemlos, als sich behutsame Geisterhände von meinen Schultern aus tiefer bewegten, zarte, kühle Fingerspitzen auf meiner heißen, überempfindlichen Haut, und etwas wie Elektrizität jagte durch mich, als die Fingerspitzen in Bereiche kamen, die noch empfindlicher waren, ich wand mich ein wenig auf dem Sofa, es war kaum auszuhalten, ich hatte noch ein paar ganz besonders empfindliche Regionen, die ich plötzlich dringend besucht haben wollte, aber ich scheiterte an der Frage, wie ich nicht vorhandene Hände in eine bestimmte Richtung dirigieren sollte.

„Ich sehe, Sie entwickeln ein profundes Verständnis für den Sinn meiner Worte" sagte er.

„Ja" sagte ich atemlos, „obwohl es Ihnen ganz offensichtlich schwer fällt, zum Punkt zu kommen."

„Ich plane nicht, zum Punkt zu kommen" sagte er. „Ich lasse lediglich meine Gedanken schweifen."

„Bitte" sagte ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen. „Kommen Sie zum Punkt, oder wechseln wir das Thema."

„Erstaunlich" sagte er, und etwas huschte über seine Züge, etwas wie Gefühl, es flackerte in seinen Mundwinkeln und furchte seine Stirn, bevor es von der dunklen Tiefe seiner Augen geschluckt wurde.

„Haben Sie jemals noch über die Conjunktio unserer Stäbe nachgedacht?" fragte er, und ich fragte mich, ob das nun der Punkt war oder der Themenwechsel. „Über Olivanders Aussage bezüglich der besonderen Verbundenheit zweier conjungierter Zauberer, genauer gesagt?"

„Sie meinen den Teil mit der Seelenverbindung?" fragte ich und stellte fest, dass die Geisterfinger meinen Körper verlassen hatten. Ich war ein wenig aus dem Konzept gebracht, ein ungelöschtes Verlangen pulsierte schwer und stumm in den tieferen Regionen meines Körpers, und ich wusste, ich konnte mich glücklich schätzen, wenn es nur mein Körper war.

„Präzise" sagte er.

„Na ja" sagte ich, gleichzeitig dankbar und frustriert über die Tatsache, dass ich mich nun auf etwas anderes zu konzentrieren hatte. „Ehrlich gesagt, klang es für mich eher nach esoterischem Quatsch als nach etwas, das ich ernst nehmen wollte."

„Vielleicht ist es das" sagte er. „Vielleicht ist es auch ursprüngliche Magie. Wer weiß."

„Ich suche mir die Leute aber lieber selber aus, mit denen ich mich seelisch verbinde" sagte ich.

„Verständlich" sagte er. „Wir alle schätzen das Gefühl, Freiheit in unseren Entscheidungen zu haben, und sei es auch nur, um eine zu revidieren, falls die Notwendigkeit entsteht."

„Wollen Sie mir mitteilen, dass ich eine meiner Entscheidungen revidieren sollte?"

„Aber nein" sagte er und lächelte unergründlich. „Ich zeige Ihnen nur Optionen auf."

„Und warum?"

„Ist das nicht Bestandteil des Konzeptes von Freundschaft?"

„Ich weiß nicht" sagte ich. „Eigentlich schon, aber… es fühlt sich gerade ein wenig eigenartig an."

„Ich bitte um Entschuldigung. Wie bereits erwähnt, ich bin nicht sehr geübt im Praktizieren von Freundschaft."

„Ich bin nicht sicher, ob wir über Freundschaft sprechen."

„Präzisieren Sie" sagte er.

„Okay" sagte ich. Ich schlug meine Decke zurück und stand auf. Ich umrundete das Tischen, das zwischen uns stand, und setzte mein Knie auf die Lehne seines Sessels. Er sah zu mir hinauf, ungewohnt schon die Perspektive, aber das Aufblitzen von Unsicherheit auf seinen asketischen Zügen schob mich vollends voran. Ich lehnte mich schwer gegen ihn, tauchte kopfüber in den subtilen, bittersüßen Duft von Orangenschale, brachte meine Lippen etwas unsanft gegen seine und küsste ihn. Tief. Es war mir egal, dass unsere Zähne gegeneinander stießen und dass er unter mir ganz offenbar vergaß zu atmen. Seine Hände kamen auf meine Schultern, ich konnte nicht erkennen, ob er mich weg stoßen oder näher ziehen wollte. Ich hielt sein Gesicht mit beiden Händen, als er einen Fluchtversuch unternahm. Ich war noch nicht fertig mit ihm. Ein unterdrücktes Stöhnen entkam ihm, und ich trank es mit seinem Duft und dem zarten Geschmack von Thymian auf seiner Zunge.

Endlich entließ ich ihn und setzte mich ein wenig atemlos zurück auf seine Knie. Er starrte mich an wie eine Erscheinung.

„Was tun Sie" sagte er heiser. Ich erlaubte mir einen Anflug von Heiterkeit um die Mundwinkel.

„Ich prüfe meine Optionen" sagte ich.

„Ich wünsche keine Art von romantischer Interaktion" brachte er hervor und wirkte immer noch wie vom Donner gerührt.

„Glück gehabt" sagte ich. „Die Prüfung ergibt: Ich auch nicht."

Er fuhr sich mit dem Daumen über die feuchte Unterlippe, und ich konzentrierte mich schnell auf seine knochigen Schultern und die, ahem, prominente Nase, um mich nicht selbst Lügen zu strafen.

„Danke" sagte ich. „Sie sind ein wirklich guter Freund für mich. Sie haben dafür gesorgt, dass mir wieder klar ist, mit wem ich auf welche Weise seelisch verbunden bin."

„Verlassen Sie bitte mein Knie" sagte er gepresst.

„Oh" sagte ich. „Natürlich. Entschuldigung." Ich stand auf und zupfte seine Roben zurecht, während er saß und mich anstarrte.

„Geht's Ihnen gut?" fragte ich, halb erheitert, halb besorgt.

„Selbstverständlich" sagte er und klang schon fast wieder wie er selbst. „Ich würdige lediglich die Tatsache, dass Sie es immer wieder schaffen, mich zu überraschen. Sicher einer der Gründe, warum ich Ihre Gesellschaft schätze. Das heißt, so lange Sie mir nicht zu nah auf den Leib rücken. Im sehr buchstäblichen Sinn."

Ich hatte etwas auf der Zunge von Aktion und Reaktion, und Spielchen mit dem Feuer, aber ich schluckte es hinunter.

„In Ordnung" sagte ich. „Und danke für das Kompliment."

„Erzählen Sie niemandem, dass ich neuerdings Komplimente mache" sagte er und rieb sich die Nasenwurzel, als spürte er Kopfschmerz heran ziehen. „Ich habe nicht jahrelang an meinem Image gearbeitet, um es durch solche Kleinigkeiten zum Einsturz zu bringen."

„Wie Sie wünschen" sagte ich.

„Gehen Sie sich hinlegen" sagte er. „Es ist spät, und wir werden morgen einen anstrengenden Tag haben."

„Tatsächlich?" sagte ich irritiert.

„Wir werden uns an die Restauration einiger verschütteter Erinnerungen machen, und ich zähle dabei auf Ihre Unterstützung" sagte er. „Wir machen es hier, übrigens. In meinen Räumen. Richten Sie ihm das aus. Ich beabsichtige nicht, durch ein weiteres Zusammentreffen mit dem tollwütigen Black noch mehr meiner wertvollen Gehirnzellen abzutöten."

„Versteh' ich" sagte ich. „Ich habe allerdings noch keine Planung für morgen. Molly wird mich anflooen, wenn er wach ist. Und was Sirius betrifft, na ja, er hat mich raus geworfen, nachdem er Sie rausgeworfen hatte. Ich weiß also nicht genau, ob wir gerade überhaupt miteinander sprechen."

„Mein herzliches Beileid" sagte er. „Was haben Sie verbrochen?"

„Ein bisschen zu deutlich Position bezogen" sagte ich mit müdem Lächeln. „Scheint sich einzuschleichen, so als Gewohnheit."

„Sie werden noch Ihren Ruf ruinieren" sagte er.

„Das Risiko geh' ich ein" sagte ich, und er nickte.

„Ähm" sagte ich, „hören Sie, ich erkenne die Notwendigkeit für Schlaf, aber irgendwie… Sie haben nicht vielleicht wirklich noch ein Dormiens für mich? Das heißt, falls es sich mit dem anderen verträgt?"

„Selbstverständlich" sagte er, erhob sich und trat an seinen Schreibtisch. Er holte ein kleines blaues Fläschchen aus der Schublade und reichte es mir, es entging mir nicht, wie griffbereit er diese Sorte von Tränken aufbewahrte.

„Danke" sagte ich.

„Sie legen sich zuerst ins Bett und nehmen es dann ein" sagte er. „Die Wirkung ist ziemlich drastisch."

„Sie haben doch wohl keine Angst, dass ich die Nacht auf dem Fußboden verbringe" sagte ich grinsend.

„Alles schon vorgekommen" sagte er, ohne eine Miene zu verziehen.

„Danke" sagte ich. „Und gute Nacht."

„Gute Nacht" sagte er und hielt mir die Tür auf. Ich trat auf den kalten Gang, und anstatt wie sonst die Tür auf meinen Hacken zuzuknallen, schloss er sie sanft hinter mir. Ich umklammerte mein Dormiens und beeilte mich, die Treppe hinauf zu kommen. Die euphorisierende Wirkung des klaren Wässerchens verließ mich in gleichem Maße, wie ich die Stufen hinter mich brachte, und als ich oben an meiner Tür angelangt war, fühlte ich mich hart und überspannt, als hätte ich drei Tage nicht geschlafen. Hinter meiner Stirn krabbelten und irrten die Gedanken durcheinander wie die aufgestörten Bewohner eines Ameisenhaufens, in den jemand einen Stein geworfen hatte. Ich wusste, ich hatte meinem Wolf ein paar Sachen zu erklären, ich wusste, ich musste gut sein, ich musste erklären wie noch nie in meinem Leben, und er musste zuhören wollen, sonst konnte ich mich gleich in meinem Keller eingraben und die Sache vergessen.

Ich machte meine Tür hinter mir zu und bewegte mich automatisch hinüber zu meinem Bett, ohne Licht zu machen. Das Dormiens hielt ich wie eine Rettungsboje umklammert. Ich würde mir heute keine Erklärung mehr ausdenken können, ich wollte auch gar nicht, ich hatte genug. Ich sank auf mein Bett, zog den Stöpsel und stürzte den Trank hinunter. Der süßliche Geschmack von Melisse und Hopfen war noch nicht von meiner Zunge gewichen, als die Wirkung mich überrollte und mir die Lichter ausblies.