Ihr Lieben,
Nicht viel Vorrede diesmal. Noch ein kurzes Kapitel (für meine Verhältnisse), und für mich ein ganz ganz wichtiges, ich bitte ja normalerweise nicht explizit um Reviews, aber mit diesem habe ich so gerungen, dass ich mich über Feedback ganz besonders freue.
Lehnt euch zurück, diesmal. Ihr dürft euch erholen. Vielleicht wird ja sogar alles gut.
Disclaimer: Auch wenn es sich mittlerweile sehr zugehörig anfühlt, aber der Wolf gehört mir immer noch nicht. Die Karibik ebenso wenig, übrigens.
Ach, übrigens: Ich war nie in der Karibik. Was soll's. Karl May war auch nie im Wilden Westen.
Soundtrack: Ein wunderschönes Lied der leider ziemlich in Vergessenheit geratenen Jennifer Warnes, in dem man die Wellen rauschen hört: Rock you gently. Falls nicht zur Hand, tut's auch The Boss Springsteen, I'm on Fire, aber nicht so gut.
Sollte jemand eine freie Stelle im Bereich Wahrsagerei / Vorhersehung wissen, bitte kurze Nachricht an Mr. Lupin. Er sucht immer noch einen Job, und immerhin hat er hier die „Headline" eines Kinofilmes vorweg genommen, der ein paar Jahre später die Kinosäle rocken wird :o) Eine Extra-Ananas für alle, die den Film erkennen :o))
So. Eine Runde Caipirinha für alle, und los geht's.
Haltet euch fest. Es wird schön.
KAPITEL NEUN: WELCOME TO THE CARIBBEAN, LOVE
I know that lonely feeling
We are two hearts still healing
Hurry here, hurry now
Please come to me
Let me show you how.
I will rock you gently….
Das Licht traf mich hart, als ich nach einer gefühlten traumlosen Ewigkeit allmählich zu mir kam. Ich blinzelte und kniff die Augen zusammen. Ich konnte gar nicht entscheiden, was mir zuerst weh tat. Mein Körper lag unnatürlich verdreht, kaum anders, als er von dem unschuldigen blauen Tränklein niedergestreckt worden war. Mein rechter Fuß war vollständig eingeschlafen, mein linker hing mit ungünstigem Knick im Knie aus dem Bett, und hinter dem rechten Ohr hatte der Bügel meiner Brille eine schmerzhafte Druckstelle hinterlassen. Ich hatte mich noch nicht vollständig durch den Nebel in meinem Gehirn an die Oberfläche gearbeitet, als ich eine Bewegung neben mir spürte. Ich erschrak, im Rahmen meiner Möglichkeiten.
„Schschsch" machte jemand, und leichte Finger nahmen mir die Brille von der Nase. „Du hast mit Brille geschlafen. Du musst ziemlich müde gewesen sein, gestern abend."
Ich riss die Augen auf. Der Nebel verzog sich schlagartig. Ich fühlte mich, als müsste ich vor eine Klasse treten ohne die geringste Ahnung von Stoff oder Vorgehensweise.
„Guten Morgen" sagte er. Sein Gesicht war blass und müde, und tiefe Schatten lagen um seine Augen. „Ich wollte dich nicht wecken. Es sah nur so unbequem aus."
Ich setzte mich. Panik rauschte durch mein malträtiertes Gehirn. Ich befand mich im freien Fall.
„Remus" sagte ich, „ich habe Severus geküsst."
„Ich weiß" sagte er.
„Ich weiß" sagte ich verzweifelt. „Und dann noch ein zweites Mal, gestern abend. Ich wollte eigentlich nur einen Trank kochen, und dann hat er mir einen Tr… Tee angeboten, und wir haben gefachsimpelt, und irgendwie hat es sich dann so ergeben, es tut mir leid. Es tut mir leid."
Er sah auf seine Hände hinunter, die mit meiner Brille spielten. Seine Haare fielen nach vorne und verdeckten seine Augen.
„Tja" sagte er in einem bizarren Versuch, unbeteiligt zu klingen. „Auf Severus ist doch Verlass. Immer zur Stelle, wenn jemand Schwäche zeigt. Wie eine Hyäne."
„Ich bin aber keine verletzte Antilope" sagte ich heftig. „Ich habe das schon selbst entschieden."
„So war's nicht gemeint" sagte er. „Ich meinte mich. Ich habe mein Revier offenbar nicht nachdrücklich genug gekennzeichnet."
„Das kann sein" sagte ich, und er nickte und gab mir meine Brille zurück. Er stand auf und stellte sich ans Fenster, die Hände in den Hosentaschen, seine Schultern fielen nach vorne, sein Blick ging hinaus, wo kalter Nebel über das Schulgelände kroch, er sah aus wie einer, der möglichst wenig Platz wegnehmen will.
„Der Wolf hat es gewusst" sagte er. „Wie schade, dass ich ihm so wenig vertraue. Ich hätte früher etwas unternehmen können."
„Ja" sagte ich.
Er atmete tief durch, schob die Schultern zurück und drehte sich zu mir.
„Komm mit" sagte er.
„Was willst du?" sagte ich. „Nach unten gehen und Severus in seinem Bett ermorden?"
„Quatsch" sagte er. „Severus hat nichts getan, was ich nicht auch sofort getan hätte. Komm einfach mit, ja? Zum nächsten Apparitionspunkt."
„Okay" sagte ich, setzte mich auf und sortierte meine wimmernden Gliedmaßen. Mein rechter Fuß zeigte sich nicht sehr begeistert von der Idee, mein Gewicht zu tragen, aber ich biss die Zähne zusammen und humpelte zur Tür. Das war der Vorteil, wenn man in Kleidern schlief. Man hatte wenig Arbeit am nächsten Morgen. Darüber, wie ich aussah, wollte ich vorsichtshalber nicht nachdenken.
Remus schien sich über das Ziel unseres überraschenden Ausfluges nicht näher auslassen zu wollen, er war überhaupt recht wortkarg. „Es geht" war seine Antwort auf meine Frage, ob er sich denn schon erholt hätte, und „Angespannt" auf meine Frage nach der Stimmung in Nummer Zwölf. Ich hatte gerade noch Zeit gehabt, mir eine Jacke zu greifen, bevor er mich zur Tür hinaus schob. Immerhin hielt er meine Hand, als er mich die schmale Steintreppe hinunter in Richtung Schulhof führte, und von dort aus an den Gewächshäusern vorbei und hinunter zum See. Die Luft war schwer und feucht, und ich spürte, wie meine Hosenbeine sich voll sogen, als wir durch das hohe, nasse Gras hinunter zum Flussufer gingen. Der Nebel lag wie ein kalter Umschlag auf uns und zog in dicken Schwaden über den See, der wie eine reglose bleierne Fläche vor uns ausgebreitet lag. Sand und Kies knirschten unter unseren Schritten, als wir den schmalen Uferstreifen erreichten und auf ihm entlang gingen. Mittlerweile war mir kalt, meine freie Hand war ganz rot und klamm, und ich war sicher, um meine Nase stand es nicht besser. Ich hatte nicht gefrühstückt, ich hatte die Reste einer exquisiten Wirkstoffkombination im Blut, mit besten Empfehlungen aus der Tränkeküche, und ich hatte, verdammt noch mal, keinen Kaffee gehabt. Wie sollte ich irgend jemandem etwas erklären, wenn man mich nicht die richtigen Drogen zu mir nehmen ließ?
„Remus" sagte ich und trabte ein paar Schritte, um aufzuschließen. „Bis nach dem Frühstück hätte dieser Ausflug keine Zeit gehabt? Was hast du eigentlich vor?"
„Lass dich überraschen" sagte er.
„Ja" sagte ich, „gerne, aber wie die Dinge gerade liegen, bin ich mir nicht sicher, ob es eine freudige Überraschung sein wird."
„Ich mir auch nicht" sagte er. „Ich schätze, wir werden einfach sehen, was dabei heraus kommt."
„Okay" sagte ich. „Jetzt hab ich Angst."
„Macht nichts" sagte er. „Ich auch."
Ich sah ihn an, ich wartete auf ein Lächeln, wie es eigentlich immer kam, auf einen Händedruck, irgend etwas, das seinen Worten den Schrecken nahm, aber da kam nichts, er ließ sie in die Stille fallen wie Steine ins Wasser, und ich war kurz davor, ihm heulend um den Hals zu fallen, ich tat es nur deshalb nicht, weil ich es im Laufen schlecht konnte. Ich wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht und riss mich zusammen.
Wir passierten die alte Eiche und weiter hinten ein niedriges Haselgestrüpp, das Schloss war längst hinter uns im Nebel versunken. Dann tauchten einige dunkle, formlose Flecken im grauen Einerlei vor uns auf, es waren große, flache Steine, die übers Ufer verstreut und im flachen Wasser lagen.
„Da sind wir" sagte er. „Von hier aus können wir apparieren."
„Okay" sagte ich. „Und wohin?"
„Ich nehme dich huckepack" sagte er.
„Meine Güte" sagte ich. „Du machst es aber spannend."
Er zog mich näher und legte die Arme um mich, und in diesem Augenblick war es mir vollständig egal, wohin er mich apparieren würde. Ich vergrub das Gesicht in seiner Robe und atmete Zimt und neblige Feuchtigkeit, seine Wärme war um mich, und ich schlang meine Arme um seinen Hals, ich wollte so dringend, dass alles wieder gut würde, dass es mir den Hals zu schnürte.
„Fertig?" fragte er leise an meinem Ohr, und ich nickte.
„Dann los" sagte er, und ich klammerte mich an ihn, als das vertraute, verhasste Zahnpastatuben-Gefühl mich verschlang.
Es war vergleichsweise mild und sehr windig, als ich wieder auf meinen Beinen stand, und ich hörte Möwen schreien.
„Bleib" sagte er. „Es geht gleich weiter."
„Was…" sagte ich, und dann wurde ich aufs Neue durch die Tube gequetscht. Diesmal landete ich bis zu den Knöcheln im Sand, ein heftiger, heißer Wind verwandelte mich in Sekunden in eine sandpanierte Dörrpflaume, und ich gewann den Eindruck, dass wir einen etwas größeren Ausflug unternahmen.
„Oh" sagte er.
„Was, oh?" sagte ich alarmiert. „Man will kein oh hören, wenn man huckepack appariert wird!"
„Es ist kein schlimmes oh" sagte er. „Nicht wie in oh, wir werden alle sterben. Eher so wie in oh, ich dachte, ich treffe den Hafen."
„Den Hafen von was?"
„Dakar."
„Was!"
„Warte. Wir sind noch nicht da."
„Aber, ich…"
Es sprach sich nicht besonders gut auf dem Weg durch die Zahnpastatube, also ließ ich es.
Unser nächster Halt war spektakulär. Eine Kolonie großer, weißer Vögel glotzte uns an, es war felsig und stürmisch, unter uns rauschte ein graues, aufgewühltes Meer gegen schroffe Felsen. Tief unter uns. Sehr tief.
„Ich weiß nicht, ob der Zeitpunkt günstig ist, dir das zu sagen" sagte ich und krallte mich in seine Robe, „aber ich habe wirklich schlimme Höhenangst."
„Macht nichts" sagte er. „Wir sind gleich wieder weg."
„Wo sind wir?"
„Kapverdische Inseln. Schön, nicht?"
„Äh" sagte ich.
„Die andere Route wäre einfacher gewesen, aber wir hätten einen Zwischenstopp in Grönland einlegen müssen, und das wollte ich dir nicht antun."
„Danke" sagte ich schwach.
„Bereit?" sagte er.
„Wofür?"
„Eine kleine Atlantiküberquerung" sagte er.
„Du willst über den Atlantik apparieren?" fragte ich, ich war mir ziemlich sicher, ich hatte nicht richtig gehört.
„Warum nicht?" sagte er. „Das haben andere vor uns auch schon gemacht."
Ich sagte etwas wie „Hhrrrg".
„Das hier ist ein Naturschutzgebiet" sagte er. „Wir können schlecht hier bleiben."
„Aber" sagte ich schwach. „Ich meine, Atlantik."
„An der schmalsten Stelle" sagte er. „Vertrau mir. Ich würde es nicht tun, wenn ich mir unsicher wäre."
„Aber warum?" sagte ich. „Ich wäre mir dir auch in Hogsmeade frühstücken gegangen. Warum von allen Orten der Welt ausgerechnet Amerika?"
„Wer will denn nach Amerika" sagte er, umschlang mich fest und atmete tief durch.
Es fühlte sich an, als würden wir von der Klippe springen. Der Boden zog sich einfach unter meinen Füßen weg, und ein grauer und blauer Strudel verschlang mich, bis ich mit den Füßen irgendwo im Meer baumelte und mit dem Kopf auf halbem Weg in den Orbit. Ich wurde gezerrt, gequirlt, in meine Einzelteile zerlegt, zu Suppe püriert, in die größte Zahnpastatube der Welt abgefüllt und schließlich in endloser Langsamkeit durch die Öffnung zurück auf die Welt gedrückt.
„Grundgütige Maria und alle Heiligen" sagte ich, ein Stoßgebet meiner katholischen Mutter, den ich nur in allerhöchster Not beanspruchte.
Es war dunkel und sehr warm. Nahebei rauschte und plätscherte sanft das Meer. Ich hörte das Zirpen, Schnarren und entfernte Kreischen einer mir völlig fremden Tierwelt. Unter meinen Füßen war Sand.
„Da sind wir" sagte er etwas atemlos. „Willkommen in der Karibik, Liebes."
„Warum kann ich nichts sehen?" fragte ich mit einem Anflug von Panik.
„Weil die Sonne hier erst in ein paar Stunden aufgeht" sagte er. „Warte, bis deine Augen sich gewöhnt haben."
„Merlin" sagte ich fassungslos. „Aber… warum?"
„Ich hatte den Eindruck, wir hätten beide eine Luftveränderung nötig" sagte er. Er war dicht vor mir, allmählich konnten meine Augen seinen Umriss vor dem Nachthimmel ausmachen.
„Du bist ein Spinner" sagte ich.
„Nur gelegentlich" sagte er, und ich hörte ihn lächeln.
„Aber" sagte ich. „Erklär mir. Muss man sich für eine Langstrecken-Apparition nicht registrieren und sich einen Apparitions-Plan zuteilen lassen? Ich meine, nicht dass ich Erfahrung mit so etwas hätte, aber das ist, was ich so mitbekommen habe. Und es kostet doch auch einen Haufen Gebühren."
„Ich denke, ich bin registriert genug" sagte er.
„Ja" sagte ich. „Auch wieder wahr." Ich machte einen Schritt auf ihn zu und wollte ihn küssen, aber dann fiel mir wieder mein kleines Problem ein, das sauber verpackt in meinem Gehirn die Atlantik-Apparition überstanden hatte, ich wusste ja gar nicht, ob ich ihn überhaupt noch küssen durfte, und so legte ich nur den Kopf an seine Schulter. Ein zarter Wind spielte mit seinen Haaren und trieb mir Strähnen davon gegen die Wange. Es war so schön, ich hätte heulen können, es war beinahe perfekt, ich war beinahe glücklich, wir waren beinahe ein Paar, oder vielleicht schon beinahe nicht mehr, und seine Lippen streiften meine Wange, es war beinahe ein Kuss.
„Komm" sagte er leise. „Lass uns ein Stück gehen."
„Okay" sagte ich und machte mich widerstrebend los. „Ich muss nur vorher den britischen Herbst loswerden."
Ich fand es seltsam. Ich war mit dem Mann, der vielleicht sogar mein Seelengefährte war, allein in einer lauen tropischen Nacht, ich entfernte Kleidungsstücke von meinem Körper, und mein ganzes Bestreben ging danach, es möglichst unsexy aussehen zu lassen, damit er nicht dachte, ich würde denken, ich könnte ihn auf Gedanken bringen. Ich war kurz davor, mich in den Sand zu setzen und doch noch zu heulen, aber ich riss mich zusammen, ich wollte nicht, dass er sich nur aus Mitleid zu etwas bewegen ließ. Während er die Roben und Jacken und unsere dicken Stiefel miniaturisierte, die wir nicht brauchten, dachte ich darüber nach. Auch das war fremd und seltsam. Ich hatte nie mein Verhalten kontrolliert, ihm gegenüber, ich hatte mir nie einen bestimmten Anschein gegeben, um eine bestimmte Reaktion zu erzielen oder zu vermeiden. Ich war einfach, erholsam und ganz unverfälscht Emilia gewesen, Emilia gut drauf und Emilia gestresst, Emilia mit Unsinn im Kopf oder Emilia verwirrt, ich fragte mich, ob ich mir das jemals wieder leisten konnte.
Dann hatte er unsere Sachen verstaut, und wir setzten uns in Bewegung. Ich sah immer noch nicht sehr viel, ich fand es überraschend, wie dunkel die Nacht war, wenn man mal nicht einer städtischen Lichtverschmutzung ausgesetzt war. Zu meiner Linken breitete sich heller Sand aus, der weiter hinten von einer dunklen Wand geschluckt wurde, aus der es raschelte und zirpte. Zu meiner Rechten rauschte das Meer und schickte flüsternde Wellen den nassen Sand hinauf. Ich zuckte zusammen, als das Wasser zum ersten Mal meine nackten Zehen überspülte, es war wärmer als das, was in Hogwarts zu Stoßzeiten aus der Dusche kam. Remus war zu meiner Linken, ich sah ihn gegen den hellen Sand, und ich ließ im Gehen meine Hand gegen seine streifen, und er nahm sie und hielt sie fest, und ein irrsinniger Mix aus Angst und Glück rauschte durch mein Inneres, heftiger als damals, als wir in den Straßen von London zum ersten Mal Hand in Hand gegangen waren, und das fand ich logisch, schließlich hatte ich damals noch nicht gewusst, was ich zu verlieren hatte.
Wir gingen schweigend und hinterließen eine lange, sanft geschwungene Linie parallel verlaufender Fußabdrücke im Sand. Die karibische Nacht war sanft und lebendig um uns.
„Und?" sagte ich nach einer Weile. „Dieser Strand wird irgendwo zu Ende sein. Sollten wir nicht anfangen?"
„Womit?" sagte er.
„Reden" sagte ich. „Oder irgend etwas. Ich weiß nicht. Es in Ordnung bringen."
„Wir haben Zeit" sagte er. „Dieser Strand ist angeblich sieben Meilen lang."
„So weit will ich aber nicht laufen" sagte ich.
„Ich weiß noch nicht mal, ob ich überhaupt drüber reden will" sagte er.
„Nicht?" sagte ich verwirrt. „Aber… tut man das denn nicht für gewöhnlich, in solchen Fällen?"
„Ich weiß nicht" sagte er. „Würde es denn helfen? Wir gewinnen nichts, indem wir drüber sprechen. Wir ändern nichts. Wir quälen uns nur gegenseitig mit Vorwürfen. Meine Erfahrungen sind nicht so umfangreich, aber ich habe noch nie erlebt, dass eine dieser Aussprachen eine Beziehung wirklich gerettet hätte."
„Dann machen wir Schluss?" sagte ich, und es fühlte sich an, als risse ich mir mit jedem Wort ein Stück Boden unter den Füßen weg.
„Nein" sagte er. „Wir machen weiter, und ich versuche, nicht die gleichen verfluchten Fehler zum hunderttausendsten Mal zu machen."
Ich fühlte mich etwas benommen, ich war irgendwie im falschen Film. Ich dachte ein paar Dutzend Schritte darüber nach, aber es wollte kein Schuh draus werden.
„Korrigiere mich" sagte ich, „aber ich dachte, ich hätte einen Fehler gemacht."
„Nicht in dem Sinn" sagte er. „Du suchst jemanden, der an deiner Seite ist. Der für dich da ist, nicht nur gelegentlich. Der nicht seine Kraft für einen anderen aufbraucht. Es ist doch klar, dass dieses Bedürfnis nicht verschwindet, nur weil ich es dir nicht erfülle."
„Seltsam" sagte ich. „Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass du mir die Vorwürfe machen würdest, nicht dir selbst."
„Die Dinge sind meistens nicht so einfach" sagte er. „Und ich erkenne ein Muster. Ich mache diese Fehler nicht zum ersten Mal. Es hat da mal eine Frau gegeben, die mir sagte, ich könnte Sirius heiraten an ihrer Stelle, dann hätte ich zumindest meine Prioritäten richtig geordnet."
„Der Gedanke ist mir auch schon gekommen" sagte ich. „Minus das Heiraten. Ich dachte, du bist nicht der Typ dafür."
„Bin ich nicht" sagte er. „Ich dachte nur, ich wäre es, als ich jung war. Aber siehst du, du weißt, was ich meine."
„Ja" sagte ich. „Trotzdem will ich meine Verantwortung nicht abwälzen. Ich hätte Severus vielleicht nicht gleich küssen müssen, nur um heraus zu finden, ob ich nun in ihn verliebt bin oder nicht. Ein bisschen nachdenken hätte es vielleicht auch getan."
„Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen, dass du überhaupt solche Gedanken hast" sagte er.
„Merkst du was?" sagte ich. „Wir machen uns Vorwürfe. Nur nicht gegenseitig."
„Stimmt" sagte er und blieb stehen. „Komm. Lass uns etwas dagegen unternehmen."
„Und was?" sagte ich.
„Lass uns mal überlegen" sagte er, während er sich das Hemd aufknöpfte. „Dies ist die Karibik. Ein toller Strand, und wir sind ganz alleine, und es ist warm…"
„Leidenschaftlicher Sex" schlug ich vor, und er lachte.
„Nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun" sagte er. „Ich dachte, wir gehen baden."
„Okay" sagte ich, und mein Herz schlug etwas, das einem Reggae näher kam als einem kardiologisch verwertbaren Muster. Wir zogen uns aus, ein paar Schritte Sand zwischen uns, jeder mit den eigenen Knöpfen beschäftigt, und sahen einander dabei zu. Ich zögerte ein wenig, mich von meiner Brille zu trennen, aber die Alternative war, in der Karibik zu paddeln wie eine Ente, nur damit mir keine Welle das kostbare Stück von der Nase spülte, und so legte ich sie oben auf meinen Kleiderstapel und hoffte das beste, schließlich war es ohnehin dunkel. Dann gingen wir Hand in Hand ins Meer, das uns mit einem sanften Wiegen und Rollen empfing.
Der Sand unter meinen Füßen war weich und aufgewirbelt und fiel flach ab, wir wateten ein ganzes Stück, bevor das Wasser uns über die Hüften reichte und wir uns hinein fallen ließen. Um mich war Schwärze, Plätschern und die Bewegung des Wassers, das sanft an meinem Körper zog und schob. Ich schwamm ein paar Züge und prustete, als mir eine Welle ins Gesicht klatschte. Ich warf einen Blick über die Schulter, das Wasser war bewegter, als es sich von draußen ausgenommen hatte. Ich hatte keinen Boden mehr unter den Füßen, und der Strand war verschwunden. Ich fühlte mich wie ein Astronaut, dessen Verbindung zum Mutterschiff gerissen ist.
„Remus" sagte ich und spuckte salziges Wasser aus. „Remus? Hilfe, ich, ich glaube, ich kriege die Panik."
„Was ist los?" sagte er neben mir, und ich war ziemlich erleichtert, als ich seine Hand auf der Schulter spürte.
„Ich seh' den Strand nicht mehr" sagte ich, und er lachte.
„Er ist trotzdem noch da" sagte er. „Keine Sorge. Direkt hinter dir."
„Aber wenn ich in die falsche Richtung schwimme?"
„Du wirst jedenfalls irgendwo an Land gehen" sagte er. „Abhängig von der falschen Richtung. Jamaica, Kuba, oder, lass mich überlegen… Honduras."
„Vielen Dank" sagte ich. „Wie tröstlich."
„Willst du zurück an Land?"
„Nein. Nur, vielleicht, bis ich wieder Boden unter den Füßen habe."
„Hühnchen" sagte er, das Lachen noch in der Stimme, und legte mir die Arme um die Mitte. „Bitte hier entlang."
„Ich bin kein Hühnchen" protestierte ich, während er mich buchstäblich abschleppte. „Es ist nur, das Meer und ich, wir haben ein paar Vorbehalte gegeneinander."
„Hühnchen" sagte er.
„Weißt du eigentlich, wie lange Wölfe unter Wasser die Luft anhalten können?" fragte ich. „Willst du's ausprobieren?"
„Wölfe können Hühner fressen, unter Wasser" sagte er, und dann schlug das Karibische Meer über meinem Kopf zusammen.
Ich kreischte, sobald ich wieder die Luft hatte, und wurde erneut getaucht. Ich strampelte und bekam Wasser in den Mund und hustete und lachte, ich war in einer Art panischem Entzücken, ich hasste es, getaucht zu werden, aber ich war süchtig nach seinen Händen auf mir, nach seiner Haut, die gegen meine rieb, mit ein wenig Sand dazwischen, und süchtig nach dem Augenblick, wenn ich endlich seine Lippen auf meinen haben könnte. Und dann wurden wir ruhiger miteinander, umstrichen uns mit Resten von Gelächter im Atem, und unsere Hände nahmen einander in Empfang, unsere Lippen passten aufeinander wie die zwei Hälften einer Muschel, und ich nahm den Geschmack von Meer von seiner Zunge und es war das beste, was ich je gekostet hatte. Das Meer war um uns und wiegte uns sanft in den Hüften, und als ich zwischendurch die Augen öffnete, war der Himmel nicht mehr schwarz, sondern rosa und gelb umrandet.
„Klischee" flüsterte ich an seinem Mund. „Wir sind mitten in einem. Sonnenaufgangs-Strandromantik."
„Ja" sagte er. „Wunderbar, nicht?"
„Wir sollten aufpassen, sonst druckt man uns noch auf eine Postkarte."
Er lachte. „Mit dir würde ich mich auch auf eine Postkarte drucken lassen" sagte er. „Aber vielleicht versuchen wir zuvor noch Schritt zwei."
„Bereit, wenn du es bist" flüsterte ich, und er küsste mich und ließ mir keinen Zweifel an seiner Bereitschaft, und wir küssten und streichelten uns unseren Weg aus dem Wasser, bis der nasse Sand uns auffing, und machten Liebe, während das Wasser unsere Beine umspülte, und es war unbequem und hastig und ein wenig ungeschickt mit all dem Sand unter uns, und es war der perfekteste, großartigste, glücklichste Augenblick in meinem ganzen Leben.
Danach lagen wir, feucht und salzig und ineinander verschlungen wie Seetang, und sahen der Sonne beim Aufgehen zu. Ein sanfter Wind strich über uns und trocknete das Meerwasser auf unserer Haut, und ich betrachtete meinen Wolf, auf dessen Haut winzige Sandkörnchen glitzerten, er war ganz übergossen von dem Orange und Rosa des frühen Lichts, das sich in seinen silbernen Strähnen fing und sie zum Leuchten brachte. Ich küsste seine warme, unrasierte Wange.
„Können wir noch mal von vorne anfangen?" fragte ich.
„Nein" sagte er. „Dann hätten wir ja nichts gelernt. Aber wir können von hier aus viel besser weiter machen."
„Hauptsache, es gibt ein wir" sagte ich. „Über den Rest will ich nicht wählerisch sein."
„So lange du möchtest" sagte er, und ich verstrickte mich enger mit ihm und atmete in sein salziges, sandiges Haar und war kurz davor, ihm zu sagen, dass die Zeitspanne meines Wollens kaum anders als lebenslänglich ausfallen konnte, aber dann traute ich mich doch nicht.
„Emilia" sagte er.
„Hm" sagte ich.
„Willst du…" sagte er. „Würdest du…"
„Was?" sagte ich, als nichts mehr kam, und er räusperte sich.
„Die Sonne ist fast aufgegangen" sagte er. „Wir sollten unsere Kleider suchen. Ich glaube, wir sind ein bisschen abgetrieben worden beim Baden."
„Warum?" sagte ich und fragte mich, welchen anderen Satz er da verschluckt hatte. „Es ist warm."
„Es könnte aber sein, dass wir demnächst hier nicht mehr alleine sind" sagte er und strich mit der flachen Hand Sand von meiner Schulter.
„Was?" sagte ich verwirrt. „Wieso?"
„Na ja" sagte er. „Wir sind wahrscheinlich nicht die einzigen, die diesen Strand schön finden."
„Es sind andere Leute hier? Und ich dachte, wir wären die einzigen auf dieser Insel."
„Nicht ganz" sagte er und lachte. „Knapp dreißigtausend, die hier leben, und wahrscheinlich noch mal so viele Touristen, und sicher auch ein paar Zauberer drunter."
„Oh" sagte ich.
„Tut mir leid" sagte er. „Beim nächsten Mal können wir auch auf die Malediven, da gibt es, glaube ich, noch ein paar unbewohnte Inseln. Aber diese hier hätte den Vorteil, dass wir ein Frühstück haben können, ohne selber die Kokosnüsse von der Palme holen zu müssen."
„Frühstück wäre toll" sagte ich und spürte plötzlich meinen leeren, knurrenden Magen.
„Dann komm" sagte er, entflocht sich vorsichtig von mir und zog mich auf die Beine. Wir gingen durch das warme, rosa Morgenlicht, der Himmel über uns war von einem leuchtenden, durchsichtigen Blau, und die raschelnde Mauer zu meiner Seite hatte sich in einen lebendigen, bewegten Palmenwald aufgelöst. Wir fanden unsere Sachen am Ende einer langen Doppelspur von Fußabdrücken und zogen uns an, wir verwendeten einen Zauber, um den Sand von uns zu entfernen, aber das Salz ließen wir auf unserer Haut, damit wir es uns später abküssen konnten.
Wir apparierten ein wenig durch die Gegend, bis wir die kleine Hauptstadt der Insel gefunden hatten. Wir gingen durch die Straßen und bestaunten den aufgeräumten, weiß verputzten, altmodischen kolonialen Charme, der sich zwischen Palmen, Rasenflächen und riesigen, weit gefächerten Bäumen ausbreitete, für die wir keine Namen hatten. Gelegentlich fuhr ein Auto klappernd eine der sauberen Straßen entlang, aber insgesamt schienen die Einwohner eher Spätaufsteher zu sein, für Frühstück jedenfalls waren wir viel zu früh dran. Ich lachte und staunte, als ich englische Straßenschilder entdecke und eine rote Telefonzelle, die sich unter den Palmen ausnahm wie ein Ufo, und dann erhielt ich eine kleine Nachhilfestunde über den britischen Kolonialismus, und mir war es recht, ich war es zufrieden, neben ihm zu gehen, seine Hand zu halten und seine Stimme zu hören, auch wenn ich seine Hand möglicherweise zu Gunsten eines Tellers voller Speck und Eier kurzzeitig los gelassen hätte.
Wir entdeckten das kleine Stadtzentrum und ein hübsches, unglücklicherweise noch geschlossenes Restaurant. Gegenüber war eine dunkelgrüne, sorgfältig getrimmte Wiese, die von einem ausladenden, alten Baum überschattet wurde. Wir beschlossen, zu warten. Wir setzten uns ins Gras und küssten uns zur seltsamen Melodie exotischer Vögel, die unsichtbar in der Krone des Baumes saßen, aber irgendwann war ich dann doch neugierig.
„Die Frau, die zu dir gesagt hat, du solltest doch Sirius heiraten" sagte ich. „Warst du mit ihr verlobt?"
„Ja" sagte er erstaunt. „Warum fragst du?"
„Ich brauche etwas, das mich von meinem leeren Magen ablenkt" sagte ich. „Warum hast du nie von ihr erzählt?"
„Kein besonderer Grund" sagte er. „Es ist lange her, und lange abgeschlossen."
„Wer war sie?"
Er lächelte ein wenig. „Sie hieß Sophie. Sie war Französin, bildschön, sehr lebhaft, sehr kosmopolitisch. Gebildet, sie beherrschte vier oder fünf Sprachen, und weit gereist durch ihre Tourneen. Sie war Musikerin, sie hat Cello in einem Orchester gespielt."
„Wow" sagte ich.
„Ja" sagte er. „Wir waren ein ungleiches Paar."
„Wusste sie vom Wolf?"
„Ja, aber deshalb ist es nicht auseinander gegangen."
„Sondern?"
Er hob die Schultern, wandte den Blick ab und strich mit den Fingern durch das kurze, kühle Gras. „Du kannst es dir denken" sagte er. „Wir stecken gerade in einer ganz ähnlichen Konstellation."
„Sie konnte nicht ertragen, dass du ständig mit Sirius aufeinander hockst."
„Mit allem, was es bedeutet und nach sich zieht. Ja. Sie war sich unsicher über meine Prioritäten."
„Seltsam" sagte ich. „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr schon früher so engen Umgang hattet. Ich dachte, das wäre erst, seit man euch zusammen in dieses Haus gesperrt hat. Ich meine, ihr seid so sehr verschieden."
„Wir waren eng befreundet" sagte er und betrachtete das Gras zwischen seinen Fingern. „Aber ich immer schon enger mit ihm als umgekehrt. In seinem Alphabet kam Potter schon immer vor Lupin."
„Und das wusstest du? Und trotzdem hast du deine Beziehung scheitern lassen?"
„Tja" sagte er. „Morbide, nicht? Ich habe manchmal ein Problem, etablierte Strukturen zu durchbrechen."
„Hört, hört" sagte ich.
„Ich bin aber nicht unbelehrbar" sagte er. „Ich kann das lernen. Ich will diesen Fehler nicht noch mal machen."
Ich streckte die Hand aus und strich ihm eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Ich sollte mich bei Sirius bedanken" sagte ich. „Du würdest sonst vielleicht irgendwo in Frankreich die Tourneen deiner Frau planen und nebenbei auf einen Haufen Wölfchen aufpassen, und das wäre vielleicht gut für dich, aber schlecht für mich."
Er sah mich an, ein halbes Lächeln im Mundwinkel.
„Lykantrophie ist nicht erblich" sagte er.
„Weiß ich doch" sagte ich. „Aber war das der Plan, damals?"
„So ungefähr" sagte er. „Wir wollten jedenfalls zusammen bleiben. Wir hatten noch keine genauen Vorstellungen."
„Und wie hat sie dich zu diesem Punkt gekriegt, an dem du sie gefragt hast?"
Er lachte. „Was ist das denn für eine Frage" sagte er.
„Reines Interesse" sagte ich, und mein Herz schlug mir bis zum Hals.
„Sie hat gar nichts getan" sagte er. „Ich war jung und optimistisch. Ich kam frisch von der Uni, ich hatte meinen Doktor, und meine Probleme auf dem Arbeitsmarkt hielt ich noch für Startschwierigkeiten. Ich hatte einfach noch keine Ahnung, damals."
„Und heute würdest du nie wieder fragen" sagte ich.
„Nicht, so lange ich nicht in der Lage bin, meinen Haufen Wölfchen zu ernähren" sagte er.
„Hm" sagte ich. „Du hast nicht zufällig einen reichen, aber todkranken Erbonkel?"
„Nichts bekannt" sagte er lächelnd.
Und dann, in diesem Augenblick, unter dem Baum inmitten des vielstimmigen Vogelkonzertes, wurde mir klar, warum mein Unterbewusstsein so auf den Wölfchen herum ritt. Ich konnte den Groschen – oder Sickel – buchstäblich fallen hören.
„Remus" sagte ich.
„Emilia" sagte er. „Ich kann dir allen Ernstes nicht empfehlen, dieses Thema weiter zu verfolgen. Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst, aber ich verspreche dir nichts, so lange ich dir keine Sicherheiten bieten kann."
„Es könnte sein, dass du gerade von der Realität überholt wirst" sagte ich.
„Was meinst du?" fragte er verwundert.
„Hast du… heute morgen… oder irgendwann innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden… den Zauber gewirkt?"
„Welchen… oh" sagte er. „Nein. Du sagtest, ich sollte nicht. Du wolltest dich selbst drum kümmern. Du sagtest, bei aller Liebe, aber du würdest lieber ins Kloster gehen, als die Verantwortung dafür einem Kerl zu übertragen, egal welchem."
„Ich weiß, was ich gesagt habe" sagte ich. „Ich hätte vielleicht den Mund nicht so weit aufreißen sollen."
Er kam auf die Ellenbogen und sah mich an.
„Ich hab's vergessen" sagte ich. „Heilige Mutter Maria und all die anderen Jungs. Mist. Ich mach' das immer morgens, es ist am besten, wenn man es regelmäßig macht, und dann muss ich tagsüber nicht mehr dran denken… nur heute morgen… hab ich's vergessen."
„Oh" sagte er, und zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, erlebte ich ihn sprachlos. „Oh. Aber… ich… oh. Und… ich meine… könnte…?"
„Natürlich könnte" sagte ich. „Die Wirkung reißt nach vierundzwanzig Stunden ziemlich plötzlich ab."
„Merlin" sagte er.
Wir schwiegen und sahen uns an.
„Lass uns mal nachdenken" sagte er, nur notdürftig gefasst. „Nachträglich angewendet bewirkt der Zauber nichts?"
„Nein" sagte ich dumpf.
„Und es gibt keine Zauber, die so etwas… in irgendeiner Form… umkehren?"
„Materie ist nicht unendlich manipulierbar" sagte ich. „Sind das nicht immer deine Worte, Herr Arithmantiker?"
„Wir sprechen nicht von Materie, sondern von dir und von etwas, das vielleicht ein Wölfchen wird" sagte er, und dann hielt er ganz still und schaute ins Leere und sagte: „Oh, Merlin."
Mir war gerade eine Idee gekommen, und ich hatte schon den Mund geöffnet, um ihm von einer Muggel-Erfindung namens „Pille danach" zu berichten, aber etwas in seinem Gesicht hielt mich davon ab.
„Was?" sagte ich statt dessen.
„Ich hatte gerade so ein Bild" sagte er. „Von einem kleinen Mädchen mit Kirschenaugen und winzig kleinen Händchen."
„Man kann es nicht umtauschen, wenn es ein Junge wird" sagte ich.
„Es wird ein Mädchen" sagte er.
„Es wird vielleicht gar nichts" sagte ich. „Im Augenblick ist es lediglich eine Möglichkeit."
Er stöhnte, ließ sich auf den Bauch fallen und vergrub das Gesicht in den Armen.
„Ich kann doch keine Kinder in die Welt setzen" sagte er. „Das ist doch völlig verantwortungslos. Was soll das für ein Vater sein, der sich alle achtundzwanzig Tage selbst wegsperren muss, um nicht zum Killer zu werden?"
„Du kannst ein toller Vater sein, siebenundzwanzig Tage lang, und damit liegst du weit über dem Durchschnitt" sagte ich und wusste gar nicht, warum ich mir plötzlich so sicher war, vielleicht lag es an dem kleinen Mädchen mit den welligen lichtbraunen Haaren, das meinem Gehirn ungefragt einen Besuch abstattete. Die Muggel-Pille war definitiv keine Option, und ich begrub sie ohne schlechtes Gewissen.
„Es ist so riskant" sagte er. „Was, wenn etwas schief geht? Es kann immer etwas schief gehen."
„Wie bei allen anderen auch" sagte ich. „Jeder Muggel-Vater kann mit dem Auto rückwärts aus der Garage fahren und sein Kind auf dem Dreirad erwischen."
„Ich könnte das nicht ertragen" sagte er.
„Natürlich nicht" sagte ich. „Keiner könnte das, und die Leute kriegen trotzdem Kinder. Und ich stehe kurz davor, den Wolfsbann selbst brauen zu können. Solltest du dich also jemals auf dieses Abenteuer einlassen wollen, bin ich die beste Partie, die du machen kannst."
„Das bist du ohnehin" sagte er und drehte den Kopf auf den Armen, um mich anzusehen. „Nur beruht das nicht auf Gegenseitigkeit."
„Ich weiß" sagte ich. „Zu alt, zu arm, zu gefährlich. Das alte Lied."
„Du gehst da ziemlich leichtfertig drüber hinweg, findest du nicht?"
„Ich muss es nicht diskutieren. Wenn ich nicht schwanger werde, erübrigt sich die Diskussion, zumindest bis auf weiteres, und wenn ich schwanger werde, ist es ohnehin entschieden."
Er seufzte.
„Sieh es mal so" sagte ich. „Du kannst dir wenigstens sicher sein, dass ich nicht wegen deines Geldes mit dir zusammen bin."
Ich hatte es geschafft, er lachte. Es klang noch ein Rest Verzweiflung darin, aber er streckte die Hand nach mir aus und zog mich an sich. Er war warm unter mir, und ich küsste ihm ein letztes Seufzen aus den Mundwinkeln.
„Wir müssen überlegen, wovon wir leben wollen" sagte er. „Vielleicht überfalle ich die Bank von England."
„Das wird nicht nötig sein" sagte ich. „Ich habe einen Job, schon vergessen?"
„Aber" sagte er.
„Kein Aber" sagte ich. „Es steht nirgends geschrieben, dass der Mann raus geht und das Mammut erlegt, während die Frau in der Höhle bleibt und Brutpflege betreibt."
„In der kleinen Welt des Remus Lupin war das bisher aber genau so geregelt" sagte er.
„Macho" sagte ich. „Du stellst dich besser schleunigst um. Nur für alle Fälle."
„In Ermangelung einer besseren Idee, einverstanden" sagte er. „Aber falls du wirklich ein Wölfchen kriegst, wird geheiratet. Ein paar konservative Grundmuster muss ich mir erhalten."
„Okay" sagte ich. „In der kleinen Welt der Emilia Liguster ging so etwas zwar mit roten Rosen, einem Kniefall und einem goldenen Ringlein einher, aber wenn du dich umstellen kannst, kann ich das auch."
„Das einzige, was ich mir aus dieser Liste leisten könnte, wäre der Kniefall" sagte er. „Und nicht mal den, so lange du auf mir drauf liegst."
„Ich liege bequem" sagte ich. „Ich verzichte auf den Kniefall."
„Du könntest trotzdem aufstehen" sagte er. „Sie haben dort drüben die Stühle auf die Straße gestellt, vor einiger Zeit. Mein potentielles Wölfchen braucht ein vernünftiges Frühstück."
„Und das sagst du mir erst jetzt" sagte ich.
„Wir hatten ein nicht ganz unwichtiges Gespräch" sagte er. „Ich fand es nicht passend, profane Dinge wie Frühstück zu thematisieren."
„Wie äußerst zartfühlend" sagte ich und rollte mich von ihm runter. „Aber übrigens, ich glaube, nicht, dass ich Geld dabei habe."
„Ich habe welches" sagte er. „Ich habe mich aus der Ordenskasse bedient. Irgendwann zeigen die mich an, wegen Veruntreuung."
„Du bist der Chefsekretär" sagte ich und zog ihn hoch. „Wenn einer die Belege fälschen kann, dann du."
Wir waren die ersten Gäste. Wir saßen an einem kleinen Tisch unter einem bunten Sonnenschirm, es war schon fast zu heiß, um draußen zu sitzen. Remus rollte sich die Hemdsärmel bis zum Ellenbogen auf, ein seltener Akt der Freizügigkeit, und ich betrachtete die feinen goldenen Haare auf seinen Armen und wie sie verwirbelten, wo die Narben liefen, während wir uns über den Tisch hinweg bei den Händen hielten.
„Honeymoon?" fragte uns die mollige, in bunt Geblümtes gekleidete Karibin, die uns Kaffee brachte, in einem seltsam singenden Englisch, das ich kaum verstand, aber ich verstand meinen Wolf, als er „Ja" sagte und lächelnd ihre Glückwünsche entgegen nahm.
Wir frühstückten karibisch, mit scharfem Gurkensalat, gegrilltem Fisch, einer Vielzahl unterschiedlicher scharfer Saucen, weichen Avocados, die wir aus der Schale löffelten wie Frühstückseier, Kartoffeln mit hauchdünner roter Schale und einer Suppe, in der sich Kokos, Ingwer und kleine dunkle Muscheln aufs wunderbarste verbanden. Schließlich, als wir nicht mehr konnten, fütterten wir uns gegenseitig mit Stücken von Mango, deren Saft uns klebrig über die Finger lief, und er griff nach meiner Hand und fing die Tropfen mit der Zunge auf, als sie mir über die weiche, weiße Innenseite meines Handgelenkes rollten.
Wir zahlten, dankbar für den britischen Kolonialismus, der es ermöglichte, dass man unter Palmen unsere Pfund Sterling akzeptierte, und suchten uns entlang mittlerweile belebter Straßen den Weg zum Strand. Wir kamen an eine palmengesäumte Promenade, an der weiß verputzte Hotels Schulter an Schulter lagen, und gingen sie ein Stück entlang, unschlüssig, uns war beiden klar, dass man uns zu Hause mittlerweile vermissen würde.
„Komm" sagte er und zog mich eine weiß gestrichene hölzerne Treppe hinunter, die ihre unterste Stufe im heißen Sand badete. „Einmal noch ans Meer."
„Und dann?" sagte ich zögernd.
„Dann sehen wir weiter" sagte er und zog an meiner Hand.
Der Strand war anders an dieser Stelle. Wir waren nicht mehr alleine, einige früh Aufgestandene richteten sich bereits unter bunten Strohschirmen für den Tag ein, in einigen Schritten Entfernung war ein Volleyballnetz aufgespannt, und ein Eiswagen öffnete seine hölzerne Klapptüren. Ich zeigte auf ein Schild, das in mehreren Sprachen bekannt gab, dies sei kein FKK-Strand, und wir lachten und blieben stehen, um uns öffentlich zu küssen, mir entging nicht, dass er hier, unter Palmen, nicht einmal eine Zeitung dafür benötigte.
Weiter vorne, wo der Sand nass und dunkel wurde und bis hinein ins schenkeltiefe Wasser, lagen große, dunkle, flache Felsen verstreut, in deren Falten und Mulden flache Pfützen glitzerten. Es war nichts als der reine und einstimmige Versuch, Nummer Zwölf und all die Notwendigkeiten und Unerfreulichkeiten noch für eine Weile von uns fern zu halten, der uns dazu bewog, uns den am weitesten entfernten Felsen auszusuchen. Remus holte seinen Stab aus dem Ärmel und zauberte eine Weile herum, während ich ihn sorgfältig vor den Blicken der Muggel abschirmte. Er benötigte ein paar Versuche, bis er aus meinem Sweatshirt etwas hergestellt hatte, das aussah wie ein Badeanzug, der mir wenigstens eine Chance ließ, meinen hüftnahen Wintervorrat darin unterzubringen, und als ich das Glitzern in seinen Augen sah, war ich nahe dran, ihm Vorsatz zu unterstellen. Er selbst machte es sich leicht mit einer schwarzen Boxershorts, und dann transfigurierten wir noch unsere restliche, nicht wasserfeste Ausrüstung in eine dicke gelbe Gummiente und stürzten uns endlich ins Wasser. Ich quiekte, als ein Schwarm kleiner, fast durchsichtiger Fische vor uns floh, ich hatte etwas gegen Fische, so lange sie noch lebten, und Remus lachte, bis ich ihn tauchte. Wir wirbelten Sand auf und küssten uns unter Wasser und verloren unsere Gummiente, die dankenswerter Weise oben schwamm, und dann schwammen wir um die Wette zu dem Felsen, den wir uns ausgesucht hatten, und ich verlor nur, weil er mich an den Füßen fest hielt. Wir kletterten auf den Felsen, an dem sich in stetigem, plätscherndem Auf und Ab die Wellen rieben, er war bereits warm von der Sonne. Ein Meerwassertümpel hatte sich an der tiefsten Stelle gebildet, er war bevölkert von Muscheln und kleinen rosa Krebsen, die ich fasziniert beobachtete, bis meine Aufmerksamkeit ziemlich plötzlich von der einheimischen Fauna zu meinem, aus einem völlig fremden Ökosystem eingewanderten Wolf zurückkehrte, der meinen Hals küsste und mir die Träger meines Badeanzuges über die Schultern hinunter strich. Ich japste, als ich seine Zähne spürte.
„Was machst du?" sagte ich, obwohl er keinen Zweifel am Ziel seiner Handlung ließ. „Es hat sich nichts geändert an der Wölfchensituation, seit vorhin."
„Du könntest den Zauber jetzt wirken" murmelte er, während seine Hände unter den feuchten Stoff glitten, der an mir klebte.
„Nein" sagte ich. „Man kann es nur machen, wenn man ganz sicher ist, dass man kein Wölfchen kriegt. Alles andere ist… oh…."
„Was" murmelte er.
„Gefährlich" murmelte ich schwach.
„Ich wirke einen Zauber auf mich" murmelte er an meinem Ohr, während sein Gewicht mich sanft gegen den Fels drückte. „Es ist eine Weile her, aber ich glaube, ich weiß noch, wie's geht."
„Mach das" flüsterte ich, während sich eine Wärme in mir ausbreitete, die nicht nur vom Fels aufstieg.
„Unbedingt" murmelte er, während seine Lippen über meinen Bauch glitten, den seine Hände vom feuchten Stoff befreiten, und ich sah seine helle Haut gegen den dunklen Fels, Wassertropfen glitzerten auf seinen Schultern, und sein Haar war dunkel vom Meer, mit dem es getränkt war, und als er den Kopf hob und mich ansah, war sein Gesicht jung und weich, die tiefen Linien geglättet, die Bitternis abgewaschen, und ohne ein weiteres Wort, ohne einen anderen Zauber als dem, der uns ohnehin anhaftete, gaben wir nach und überließen unsere Körper sich selbst und dem rauschenden Rhythmus der Wellen, die den Fels umschlangen und uns mit Schauern aus kühlen, glitzernden Tropfen übergossen.
Wir verloren kein Wort darüber, danach, als wir auf dem warmen Fels zu Atem kamen und der warme Seewind uns die Spuren von Meer und Liebe von der Haut trocknete. Wir lagen still, wir bewegten uns nicht, obwohl der Fels hart und kantig unter uns war, wir wagten es nicht, die Verstrickung unserer Körper zu lösen, wir bemühten uns, noch ein paar Minuten zu schinden, in denen es nur uns gab und das Meer. Für eine unbestimmte Zeit lagen wir reglos und dösten, vielleicht schliefen wir auch, es war ein träger, satter Schwebezustand, eingesponnen in einen Kokon aus glitzerndem Licht. Die Sonne stieg höher.
Es tat weh, als der Zauber riss, obwohl es nicht unerwartet kam. Er riss in Form eines lärmenden Motorbootes voller Muggel, das in weitem Bogen unseren Felsen umrundete und das gleichmäßige Auf und Ab unserer Wellen durcheinander brachte. Rauschen und Summen wandelte sich in unregelmäßiges Klatschen und Plätschern. Wir waren wach.
Wir küssten uns seufzend, noch eine Sekunde, noch eine Minute, nur nicht zu schnell bewegen, ich war nie eine gewesen, die Reste von Pudding im Topf ließ, wenn man sie genauso gut mit dem Finger aus den Ecken holen konnte, aber dann war die warme Süße schließlich doch zu Ende.
„Bringen wir's hinter uns" sagte Remus seufzend. „Es nützt ja nichts."
Wir verzichteten darauf, uns in unser feuchtes, sandiges Badezeug zu quälen. Wir nahmen sie zusammen mit der Gummiente und ließen uns auf der Rückseite des Felsens ins Wasser gleiten. Niemand war in Sichtweite, das Motorboot belästigte längst einen anderen Strandabschnitt. Ein letztes Mal ließen wir die Karibik über uns zusammen schlagen, dann apparierten wir.
Wir machten einen Zwischenstopp auf den Kapverdischen Inseln, und ich entschuldigte mich frierend bei den Vögeln für die wiederholte Störung ihrer Brutroutine, während Remus Badezeug und Gummiente wieder in den Originalzustand einer oktobertauglichen Grundausstattung zurück verwandelte. Wir zogen uns an und brachten den Rest der Reise rasch hinter uns.
Nummer Zwölf empfing uns wie ein lebensfeindlicher Ort auf einem weit entfernten Planeten.
oooOOOooo
Ich bin's noch mal, die geschwätzige Autorin. Entgegen meiner üblichen Gepflogenheiten ein kleiner Nachsatz:
Noch ist nichts entschieden.
Was meint ihr?
Wünschen wir den beiden ein Wölfchen?
Ich erbitte offiziell die Abgabe eines Votums. Sonst bin ich gezwungen, das Ergebnis unter Einbezug der durchschnittlichen Wahrscheinlichkeiten auszuwürfeln.
Ich bin gespannt.
