Ihr Lieben,
trotz wiederkehrender Krankheit und sonstiger Betrübnis (Wölfchen geht's gut mittlerweile, aber mein Hals fühlt sich an, als hätte ich einen fußballgroßen Brennesselklumpen drin stecken) ist es geschafft: 2005 klingt mit einem neuen Kapitel aus! Es ist zwar nicht besonders silvesterfeierlich (immerhin ist es noch Oktober und wir stecken mitten in einer Krise), aber vielleicht seht ihr ja darüber hinweg.
Ein bisschen was über das Konzept des Zauberns ohne Zauberstab wird in diesem Kapitel thematisiert, das hab' ich mir nicht ausgedacht, sondern aus Rowling'schen Einzelinformationen zusammen gefügt, wie ich hoffe, schlüssig. Und zum Thema Apparieren berufe ich mich auf den Halbblutprinzen: Alles was man dazu braucht, ist: „Destination! Determination! Deliberation!" (Kapitel „Birthday Surprises"), also kein Zauberstab, und auf das alberne Um-sich-selbst-drehen kann bei fortschreitender Übung wohl auch verzichtet werden, jedenfalls ist es nirgends sonst beschrieben.
Frage am Rande: Wieso darf man Reviews nicht mehr im Kapitelvorspann beantworten? Hab ich bei Slytherene gelesen, hat mich verwirrt. Auf der Startseite von steht nichts davon. Kann eine/r mich mal aufklären?
An alle unter Euch, die noch auf eine Antwort auf Eure Weihnachts-Reviews warten: Es tut mir so leid. Diese blöde Krankheit hat mich total ausgeschaltet und meinen lange noch nicht wieder eingetakteten Zeitplan weiter zerstört. Vergleichbar mit einer Neville'schen Kesselexplosion. Tut mir so leid. Gelobe Besserung. (Will Antibiotikum!)
Also ihr Lieben, ich wünsch' Euch eine fulminante Silvesterparty, lasst es krachen! Bei gemeldetem Eisregen wünsche ich niemandem einen Guten Rutsch, aber feiert schön rüber und lasst die Skelettelche klingeln!
Wir lesen uns im neuen Jahr.
Disclaimer: Siehe Kapitel Eins. Natürlich gehört auch die zitierte Magna Charta nicht mir. Die Übersetzung ist aber mein.
Soundtrack: Klassisch, heute. Beethovens fünfte Sinfonie in C-Moll Opus 67, die „Schicksalssinfonie", über deren bekanntes Eingangsmotiv Beethoven selbst gesagt hat: „So klopft das Schicksal an die Türe." Und Rachmaninovs Klavierkonzert Nr. 2 in C-Moll Opus 18, zweiter Satz.
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KAPITEL ZEHN: ANTWORTEN UND NEUE FRAGEN
Nummer Zwölf empfing uns wie ein lebensfeindlicher Ort auf einem weit entfernten Planeten. Wir apparierten in die Küche, deren Lichtverhältnissen man kaum anmerkte, dass draußen hoher Mittag war. Es war dunkel, und das niedrige Steingewölbe schien sich direkt auf unsere Schultern zu senken. Ein scharfer, bitterer Geruch von verbranntem Holz lag in der Luft, der durch den Kamin zurück ins Haus gedrückt wurde. Bevölkert war der fremde Planet von einer Menge Lebensformen, die sich praktisch alle gleichzeitig auf uns stürzten.
„Wo wart ihr?"
„Wo kommt ihr denn jetzt her, zum Teufel?"
„Wisst ihr, was wir uns für Sorgen gemacht haben?"
„Geht es euch gut?"
„Nicht noch eine Entführung, oder?"
„Was denkt ihr euch eigentlich? Könnt ihr keine Nachricht hinterlassen?"
„Der gesamte Orden ist alarmiert! Wo war ihr bloß?"
„Unverantwortlich! Es hätte euch alles zustoßen können!"
Wir standen an der Spüle, eng umschlugen, wie wir appariert waren. Remus lehnte seine Stirn gegen meine, sein Lächeln glänzte, in seinen Augen lagen Sonne und Meer. Ich versenkte mich in seinen Blick, seine Haare waren noch dunkel und feucht vom Karibischen Ozean, und die Stimmen und Vorwürfe teilten sich um mich, als stünde ich auf einer Verkehrsinsel. Dann tauchte Sirius neben uns auf und schlang seine Arme um uns.
„Moony" sagte er. „Du meine Güte! Wo warst du? Ich dachte, du machst einen Spaziergang zum Bäcker!"
„Von Bäcker war nie die Rede" sagte Remus sanft. „Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe."
„Uns alle" sagte Sirius. „Wir dachten, es hätte dich schon wieder jemand entführt."
„Welchen Sinn sollte das denn ergeben" sagte Remus.
„Nachdem ja nicht mal der Sinn der ersten Entführung geklärt ist, war das schwer zu beantworten" polterte Moody hinter Sirius' Rücken. „Merlin! Wie kann man nur so unverantwortlich handeln."
„Hast du dich nicht abgemeldet?" fragte ich Remus.
„Doch, gewissermaßen" sagte er.
„Er steckte den Kopf durch die Tür und sagte, ich bin kurz weg" sagte Sirius. „Ich bin für ein paar Stunden weg und außerhalb jeder magischen Reichweite, hätte es wohl genauer getroffen."
„Ihr regt euch nur so auf, weil ihr's von mir nicht gewohnt seid" sagte Remus ungerührt. „Entspannt euch. Ich hatte etwas wichtiges zu erledigen."
„Nennt man das neuerdings so" murmelte ich, und er lachte leise.
„Darf man erfahren, was passiert ist?" kam Minerva McGonagalls Stimme, ich schauderte ein wenig, sie hatte diesen Tonfall, den ich mehr fürchtete als Severus' ätzendes Gift.
„Privatsache" sagte Remus unbeeindruckt. „Tut mir leid, Minerva."
„Schön" sagte sie und ich sah, wie sie ihr kariertes Dreieckstuch enger um ihre Schultern zog, es war eine Bewegung, als wollte sie jemandem die Gurgel durchschneiden. „Dann erlaubt bitte, dass ich mich entferne, um den gesamten restlichen Orden zu benachrichtigen. Wir können dann wohl die Suche einstellen und aufhören, uns irrsinnige Sorgen zu machen."
„Was habt ihr denn nun gemacht?" sagte Sirius. „Heimlich geheiratet, oder etwas?"
„Nein" sagte ich.
„So ähnlich" sagte Remus gleichzeitig und lachte, als er Sirius' verwirrten Gesichtsausdruck auffing. „Keine Sorge, Pads. Du hast nicht etwa eine Party verpasst."
„Irgend etwas ist anders mit euch" sagte Sirius und sah zwischen uns hin und her.
„Wir haben ein paar Dinge in Ordnung gebracht" sagte Remus. „Das befreit ungemein, weißt du."
„Wo wart ihr denn nun?" fragte Tonks, deren heute wasserstoffblonder Schopf neben Sirius auftauchte.
„Karibik" sagte Remus grinsend.
„Karibik" sagte Tonks und zog die Augenbrauen bis fast zum Haaransatz.
„Ja" sagte Remus.
„Aber" sagte Tonks.
„Ja" sagte Remus. „Schwarz appariert. Nicht angemeldet. Keine Gebühr bezahlt. Zwischenstopps in Portugal, Westafrika und Kapverdische Inseln. Noch Fragen, Tonks?"
„Nein" sagte Tonks, deren Mund offen stand.
„Cool" sagte Sirius grinsend. „Ich dachte, ich kenne meinen Moony, aber das hätte ich dir doch nicht zugetraut."
„Was? Die Übertretung geltender Gesetze, oder den seltenen Ausbruch von Spontaneität?"
„Das auch" sagte Sirius. „Aber die Atlantiküberquerung, vor allem. Merlin! Ich wusste, dass du gut bist, aber das schlägt doch alles."
„Du warst doch selbst dort, letztes Jahr. Du hast mich doch überhaupt erst auf die Idee gebracht."
„Ich kam über den amerikanischen Kontinent und Kuba. Und nach Amerika kam ich in der Touristenklasse, wenn dir das was sagt. Ich hätte mir niemals einen solchen Sprung zugetraut. Und dann auch noch mit jemandem huckepack."
„Aha" sagte ich. „Das haben also schon sooo viele Leute vor uns gemacht, ja?"
„Na ja" sagte Remus mit unschuldigem Augenaufschlag. „Vielleicht nicht sooo viele."
„Wenn überhaupt jemals" sagte Sirius.
„Hhhh" sagte ich.
„Was willst du" sagte Remus. „Hat doch prima geklappt."
„Kaffee" sagte ich. „Und über diesen Aspekt unseres kleinen Ausfluges will ich nie wieder nachdenken."
„Hühnchen" sagte Remus.
„Warte, bis ich dich wieder an einer größeren Wasserfläche habe" sagte ich. „Ich nehme auch den See von Hogwarts, dann kannst du der Riesenkrake hallo sagen."
Ich machte mir Kaffee mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln, ich hatte natürlich keine Kaffeekapsel dabei, setzte mich auf die Eckbank und erwartete ein wenig ängstlich Minerva McGonagalls Rückkehr, schließlich war sie so etwas wie meine zweite Chefin, und ich mochte den Gedanken nicht, sie verärgert zu haben. Moody setzte sich ebenfalls, er hatte sich wohl gerade Notizen aus einem dicken Buch gemacht, als wir in die Küche appariert waren. Sirius stand an der Spüle, er hatte sich Kaffeepulver und heißes Wasser in einer Tasse zusammen gerührt und wartete nun, dass sich die Schwebstoffe absetzten, mir schauderte bei dieser Art der Kaffeezubereitung, und dann durchlief mich noch ein Schauer der ganz anderen Art, als Remus zu mir auf die Eckbank kam und meinen Hals küsste.
„Wir arbeiten an den Sicherheitsvorkehrungen um das Haus" sagte Moody. „Einiges konnten wir bereits in der Nacht installieren, der Rest folgt heute im Laufe des Tages. Es sind ein paar wichtige Veränderungen im täglichen Leben zu erwarten, und das betrifft vor allem diejenigen, die hier wohnen." Er machte eine Pause und sah uns scharf an, selbst sein magisches Auge hielt für einen kurzen Moment inne.
„Hm" sagte Remus an meinem Hals. „Ich bin ganz Ohr."
„Das will ich hoffen" brummte Moody. „Du könntest sonst nach deinem nächsten Trip ein paar böse Überraschungen erleben."
„Okay" sagte Remus und ließ von meinem Hals ab. „Worum geht's?"
„Wir errichten eine Apparitionssperre" sagte Moody. „Jeder, der ins Haus apparieren will, benötigt einen Identifikator. Elphias ist gerade dabei, die herzustellen. Ohne Identifikator prallt man am Schutzzauber ab, und das ist genau so schmerzhaft, wie es sich anhört. Gleiches gilt übrigens für Apparitionen aus dem Haus hinaus. Einzige Stelle, von der aus Apparieren überhaupt noch möglich sein wird, ist der kleine Speiseraum im Seitenflügel, weil er sich gut sichern lässt. Alle Kamine bis auf den in der Großen Halle werden vom Floo abgetrennt. Auf das Kamingitter legen wir einen Schutzzauber, der ebenfalls mit den Identifikatoren korrespondiert. Kein Identifikator, kein Ausstieg. Gleiches gilt für Außentüren. Die Fenster werden vollständig versiegelt, und am liebsten wäre mir noch ein Panzerzauber, um Mauerwerk und Dach zu schützen, aber ich weiß noch nicht, ob wir das bei einem Gebäude dieser Größe verwirklichen können. Jedenfalls werden wir etwas ähnliches um die Küche legen, damit wir im schlimmsten aller Fälle eine Art Bunker haben."
„Toll, nicht?" sagte Sirius und schaute in die Luft über unsere Köpfe. „Ein Hochsicherheits-Gefängnis. Da fühle ich mich doch gleich wie zu Hause."
„Was ist mit Padfoot?" fragte Remus.
„Für ihn macht es keinen Unterschied" sagte Moody ungerührt. „Er sollte ohnehin nicht draußen herum springen."
„Ich meine Padfoot, den Hund" sagte Remus. „Oder Snuffles, was sich neuerdings eingebürgert hat. Die Zauber müssen ihn als Sirius und als Padfoot erkennen. Wurde daran gedacht?"
„Es wurde daran gedacht, ihm nicht mal einen Identifikator zuzuteilen" sagte Moody, und Sirius stellte die Tasse ab, dass der Kaffee überschwappte. „Er ist in letzter Zeit ein bisschen leichtsinnig geworden. Ein Motorrad, ich bitte dich."
„Ich hab's dir schon gesagt" sagte Sirius, seine Stimme zitterte, er war weiß wie ein Geist. „Ich lass' mich nicht mehr einsperren. Nie wieder! Lieber bring' ich mich um."
„Du klingst wie ein Teenager" knurrte Moody, und Sirius schüttelte wild den Kopf.
„Pads" sagte Remus, „keine Aufregung" und stand schon von der Eckbank auf, aber dann war Tonks an Sirius' Seite und nahm ihn in den Arm, sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, ihr Gesicht war voller Besorgnis, und Remus setzte sich wieder.
„Niemand wird hier eingesperrt" sagte er. „Dafür sorge ich."
„Du bist hier nicht der Sicherheitsbeauftragte" knurrte Moody.
„Aber ich bin der Sirius-Beauftragte" sagte Remus. „Und ich sage, dass er mehr Einschränkungen nicht aushalten wird. Wusstest du, dass er nicht einmal das Badezimmer absperren kann?"
„Moony" sagte Sirius erstickt.
„Schon gut" sagte Remus. „Du bekommst deinen Identifikator, verlass dich drauf."
Moody warf Remus einen Blick zu, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, obwohl er ja gar nicht mir galt, und beugte sich knurrend wieder über sein Buch.
„Ich nehme an, ihr habt das über die Nacht erschöpfend diskutiert" sagte Remus zu Sirius, der nickte und offensichtlich versuchte, sich zu fassen.
„Sie wollen den zweiten Stock komplett absperren" sagte er.
„Und die Dachterrasse?" fragte Remus.
„Die auch" sagte Sirius.
„Ach nein" sagte Remus. „Nicht das auch noch. Ihr wisst doch, dass ich die brauche."
„Du wirst ohne auskommen" sagte Moody unfreundlich, und Remus seufzte.
Dann flog die Küchentür auf und Minerva McGonagall kam zurück.
„Alle benachrichtigt" sagte sie, ihre Lippen waren immer noch schmaler, als gesund aussah. „Und Remus: Severus lässt anfragen, wann du dich zu ihm bemühen wirst, zwecks der Aufklärung der gestrigen Vorfälle. Du erinnerst dich vielleicht, dass dafür noch dringende Notwendigkeit besteht."
„Ich erinnere mich" sagte Remus sanft. „Aber kann er nicht nach Nummer Zwölf kommen? Wir wollten doch jeden Anlass für Gerüchte über frei laufende Werwölfe auf dem Schulgelände vermeiden."
„Immer noch etwas, das niemand außer dir für nötig hält" sagte sie kurz angebunden. „Und nein. Er sagt, er setzt keinen Fuß mehr in ein Haus, in dem mit den Fäusten kommuniziert wird."
„Ich verstehe nicht ganz" sagte Remus verwirrt.
„Hat er es dir nicht erzählt?" sagte McGonagall. „Typisch."
„Es gab keine Gelegenheit" verteidigte sich Sirius. „Ich habe ihn kaum gesehen, heute morgen!"
„Was erzählt?" sagte Remus.
„Sirius hat Severus eine mit der Faust verpasst" sagte ich. „Zwei, genau genommen."
„Was" sagte Remus fassungslos.
„Ich stand unter Stress" sagte Sirius. „Jetzt kommt schon. Es ist doch nichts passiert. Schließlich ist es nicht so, als hätte ich seine immerwährende Schönheit beschädigt oder so."
„Aber warum?" sagte Remus.
„Weil er dir irgend einen Mist zu trinken gegeben hat" sagte Sirius. „Das hab' ich dir aber heute morgen erklärt, falls du dich erinnerst."
„Und dir ist nicht zufällig der Gedanke gekommen, dass es mir überlassen sein sollte, ob ich mich dafür bei ihm bedanke oder nicht?"
„Nein" sagte Sirius erstaunt, und Remus lachte auf, es klang nicht sehr fröhlich, und schüttelte den Kopf.
„Es war kein Mist" sagte ich. „Es war ein höchst kompliziertes und aufwendiges Okklumenserum. Wäre es dir lieber, er hätte Informationen über den Orden preis gegeben?"
„Snivellus hätte etwas sagen müssen" sagte Sirius. „Er kann nicht einfach herum laufen und den Leuten Zeug einflößen!"
„Das tut er auch nicht, üblicher Weise" sagte ich. „Aber vielleicht sollte ich ja meine Klappe halten, bevor ich wieder raus geschmissen werde."
„Du hast sie raus geschmissen?" fragte Remus.
„Nein" sagte Sirius.
„Ach so" sagte ich. „Dann hab' ich irgendwo entlang der Zeile Verschwinde, geh in deinen Keller etwas falsch verstanden."
„Stopp" sagte Remus. „Stopp. Das ist zu viel jetzt. Ich appariere jetzt nach Hogwarts und bringe diese Sitzung mit Severus hinter mich. Mit dir", er zeigte auf Sirius, „befasse ich mich später."
„Apparitionen nur noch aus dem Speiseraum" sagte Moody.
„Ja" sagte Remus und erhob sich. „Danke für die Erinnerung. Emilia? Kommst du mit?"
„Ja" sagte ich, obwohl mir ein wenig mulmig bei dem Gedanken war.
Wir waren noch nicht bei der Tür, als Sirius an uns dran war.
„Moony" sagte er und hielt Remus am Ärmel fest. „Warte! Bitte. Du kannst doch jetzt nicht gehen."
„Ich muss" sagte Remus. „Du hast Minerva gehört."
„Aber" sagte Sirius hilflos. „Ich meine, du kannst nicht gehen und mich hier lassen und böse auf mich sein!"
„Ich bin nicht böse" sagte Remus und machte seinen Ärmel los. „Ich bin… na ja. Böse, genau genommen. Eigentlich schon. Du hast meine Gefährtin raus geworfen und den einzigen Mann niedergeschlagen, der mich mit Wolfsbann versorgen kann. Du hast die Lage für den Orden erschwert, indem du die Situation zwischen euch hast eskalieren lassen. Doch, man könnte fast sagen, ich bin böse."
„Aber er hat dir irgend ein Zeug eingeflößt!"
„Und ich, im Gegensatz zu dir, habe begriffen, warum er es getan hat, und wozu es gut war. Ich bin deshalb nicht glücklich drüber, aber ich kann es akzeptieren."
„Moony" sagte Sirius hilflos.
„Lass uns später drüber reden" sagte Remus, und seine Stimme klang ein wenig weicher. „Ich möchte das jetzt wirklich gerne hinter mich bringen."
Sirius nickte, blass.
„Wiedersehen" sagte Remus und schob mich aus der Tür.
„Meldet euch, wenn es vorbei ist" hörte ich noch McGonagalls Stimme. „Und wagt es nicht, wieder einfach zu verschwinden!"
„Schade" sagte Remus mit flüchtigem Grinsen. „Ich dachte an Tee in Thailand, heute Nachmittag."
„Ohne mich" sagte ich, als wir die enge, dunkle Treppe zur Halle hinauf stiegen. „Ich muss noch meine erste Atlantik-Überquerung verkraften."
„Zwischen uns und Thailand liegt durchgehend Landmasse" sagte er. „Kein Grund zur Aufregung."
„Das weiß ich" sagte ich und stieß ihn in die Seite. „Ich hatte als Kind einen Globus, stell dir vor. Er war sogar beleuchtet."
Wir schlichen uns durch die Halle und durch eine Tür in den Seitenflügel.
„Aber du könntest?" sagte ich, als ich die Tür sorgfältig hinter uns geschlossen hatte. „Nach Thailand apparieren, meine ich? Wenn du wolltest?"
„Ich denke schon" sagte er. „Es ist sicher weniger anspruchsvoll als die Karibik. Man könnte mehr Zwischenstopps machen."
„Du weißt, dass die meisten Zauberer gar nicht in der Lage wären, so viele Apparitionen hintereinander zu hängen?"
Er hob die Schultern. „Ausgleichende Gerechtigkeit, nehme ich an. Ich bin ein so lausiger Flieger, ich müsste zu Fuß gehen, wenn ich nicht apparieren könnte."
„Ich wüsste gerne, was du wirklich alles kannst" sagte ich und öffnete die Tür zum Speiseraum, ich spürte das Netz aus Sicherungszaubern, es kribbelte unangenehm und verursachte mir Gänsehaut.
„Was meinst du?" sagte er. „Ich bin Arithmantiker, und die haben einen natürlichen Vorteil in der Spruchentwicklung. Ich habe aber nie etwas Spektakuläres entwickelt. Nur meine kleinen Überlebenszauber, die du kennst."
„Ich habe ein paar Dinge gesehen" sagte ich. „Als ich in deinem Geist war. Ich habe gesehen, wie du stablos gezaubert hast."
„Ach" sagte er und schloss hinter uns die Tür. „Du hast Dinge gesehen?"
Ich räusperte mich.
„Hng" sagte ich. „Ja. Tut mir leid. Ich kann verstehen, wenn dir das unangenehm ist…"
„Was hast du denn gesehen?" fragte er, eher amüsiert als unangenehm berührt.
„Nichts von Bedeutung" sagte ich schnell. „Ein paar Sachen aus deiner Schulzeit. Und später, Harry als Baby. Und… eine blonde Frau in der U-Bahn…"
„Mit einem langen Zopf und einem Buch?"
„Genau."
Er grinste. „Woher willst du wissen, dass sie nicht von Bedeutung war? Vielleicht ist sie die Mutter meiner drei unehelichen Kinder."
„Untersteh dich" sagte ich. „Uneheliche Kinder nur mit mir."
„Ich habe dir gesagt, dass ich dich heirate, wenn es so ist" sagte er. Ich lehnte mich gegen ihn und steckte meine Nase in die dunkle Höhle zwischen seinem Ohr und Haaransatz, der Geruch nach Meer war noch nicht verflogen.
„Du hast gesagt, du heiratest mich, wenn ich es schaffe, dass der Wolfsbann nach Schokolade schmeckt" sagte ich, und er lachte.
„Dann auch" sagte er. „Aber wenn ich es recht verstanden habe, stehen die Chancen für ein Wölfchen besser."
„Und war sie von Bedeutung?" fragte ich.
„Nein" sagte er. „Sie war nett, und hübsch, und wir haben uns ein paar Mal getroffen und über Bücher geredet. Es hätte eine gute Freundschaft draus werden können, aber sie hatte ihren Umzug nach Brüssel schon geplant, und nachdem sie eine Muggel war, konnte ich ihr Besuche per Apparition kaum anbieten."
„Ach so" sagte ich und konnte mir eine Spur Erleichterung nicht verkneifen. Ich wusste von Lilly und Sophie, und zwei wichtige Frauen vor mir reichten mir eigentlich.
„Was die stablose Magie betrifft" sagte er. „Deine eigentliche Frage. Sie befindet sich noch im experimentellen Stadium. Ich finde es extrem schwierig, Magie auf dem Leistungsstand eines zehnjährigen Kindes zu produzieren, nach über dreißig Jahren wissenschaftlicher Deformation. Es ist schade, dass die natürliche stablose Magie in unserem Bildungssystem so vollständig übergangen wird."
„Ich habe gesehen, wie du ein Buch runter geworfen hast" sagte ich.
„Mein erster Durchbruch" sagte er. „Sozusagen. Ich wollte es eigentlich nur schließen."
„Ich nehme an, du denkst an das Ministerium, und falls sie mal drauf kommen, allen Werwölfen ihre Stäbe abzunehmen."
„Das auch" sagte er. „Aber die Idee ist älter. Ich wollte einfach wissen, was man mit natürlicher magischer Veranlagung erreichen kann, ohne die verschulten Prozeduren."
„Unglaublich" murmelte ich. „Und unsereins ist froh, wenn man es mit Stab einigermaßen auf die Reihe kriegt."
„Euereins hat auch nicht den ganzen Tag Zeit für alle möglichen Mätzchen" sagte er. „Und Zeit ist das Stichwort. Sollten wir nicht aufbrechen?"
„Ja" sagte ich seufzend.
„Keine Sorge" sagte er und strich mir übers Haar. „Wir werden miteinander umgehen wie zwei zivilisierte Zauberer. Es sei denn, er käme dir zu nahe. Dann hexe ich ihn von hier in die Arktis, und das ohne Zwischenstopp."
„Danke" sagte ich. „Jetzt bin ich wirklich total beruhigt."
„Wie schön" sagte er, und ich nahm sein Lächeln mit auf den Weg.
oooOOOooo
„Ah" sagte der Tränkemeister mit demonstrativem Blick auf die Uhr. „Lupin. Welch bezaubernder und lang erwarteter Besuch."
Musik umspülte seine dunkle Gestalt, die sich wie ein Scherenschnitt gegen die helle Türöffnung abhob: die markantesten zwei mal vier Töne, die je niedergeschrieben wurden. Ich spürte, zitternd, wie das Schicksal an meine Tür klopfte, und fasste Remus' Hand fester.
„Entschuldige die Verspätung" sagte Remus ohne erkennbare Empathie. „Ich hatte einige Dinge in Ordnung zu bringen, die nicht zuletzt durch dich in Unordnung geraten sind."
„Tatsächlich" sagte Severus und bedachte mich mit einem langen Blick, der direkt durch meine schützende Kleidung in mein nacktes und verletzliches Inneres vordrang. „Ich nehme an, das liegt im Auge des Betrachters."
„Dürfen wir rein kommen?" sagte Remus. „Oder werden wir dieses Treffen auf dem Gang abhalten?"
Severus machte die Tür frei, und Remus schob mich vor sich in den sanft erleuchteten, warmen Wohnraum. Die Musik brandete um uns auf, Bläser warfen einander das Zwei-mal-Vier-Motiv zu, verräterisch leicht und belanglos, bevor dann die gesamte Wucht des Orchesters losbrach und das Motiv brachial gegen die steinerne Decke schmetterte. Ich duckte mich unwillkürlich.
„Zu laut?" fragte Severus samtig, und das Orchester wich seiner Stimme wie gut dressierte Tiger.
Meiner Stimme allerdings nicht. „An der Grenze" sagte ich laut. „ich nehme an, das ist einer der Gründe, warum Sie so an Ihrer Kellerwohnung hängen. Sie können gnadenlos die Musik aufdrehen, ohne jemanden zu stören."
„Als ob er sich dran stören würde, jemanden zu stören" knurrte Remus neben mir leise, doch Severus, der einige Schritte von uns entfernt war, schien es trotz der Musik gehört zu haben, er zog die Augenbrauen hoch und lächelte kühl. Mit einem Wink seines Stabes verminderte er die orchestrale Lautstärke auf normales Zimmerniveau.
„Ich muss meinerseits um Verzeihung bitten" sagte er. Seine abgrundtief schwarzen Augen lagen auf mir, während er sich lautlos durch den Raum bewegte. „Ich hätte vielleicht ebenfalls ein wenig Ordnung schaffen sollen."
Die helle, flauschige Decke lag noch genau so auf dem Sofa, wie sie mir von den Knien gerutscht war, als ich aufgestanden war, um zu ihm hinüber zu gehen. Ich starrte auf die Decke, während er sie mit quälend langsamer Bewegung vom Sofa nahm und faltete, ohne mich aus seinem Blick zu entlassen. Er legte die gefaltete Decke über die Sofalehne und strich mit langen, schönen Fingern darüber.
„Ich bin ein beschäftigter Mann" sagte er, und eine gefährliche Wärme lag in seiner Stimme, wie von einem weit entfernten Großbrand. „Es gibt so einiges, was mich beschäftigt."
Ich spürte, wie Remus mich von der Seite ansah, ich wusste, ich hätte den Blick erwidern müssen, aber ich kam aus der tiefen Schwärze des anderen Augenpaares nicht weg, ich fragte mich, ob er wohl in der Lage war, mich mit einem Blick zu petrifizieren wie ein Basilisk. Hilflos verfolgte ich, wie die Karibik aus mir heraus sickerte.
„Dann kommen wir besser zur Sache" sagte Remus und klang plötzlich sehr entschieden. „Ich will dir schließlich nicht unnötig von deiner kostbaren Zeit stehlen." Mit einem Schritt brachte er sich vor mich, und der Bann brach. Ich holte zitternd Luft und lehnte meine heiße Stirn gegen seine Halsbeuge. Mein Herz raste, und ich fühlte mich wie ein dämlicher Teenager.
„Geht's dir nicht gut?" fragte er besorgt über die Schulter und griff nach meinen Händen.
„Kreislauf" sagte ich quietschig und kniff die Augen zusammen, doch die Ohren konnte ich nicht zusammen kneifen.
„Benötigen Sie etwas?" kam die andere Stimme wie der lautlose Gang eines Raubtieres. „Vielleicht eine Tasse Tee? Oder einen Trank? Ich habe da etwas auf höchst interessante Art Anregendes."
„Nein!" sagte ich entsetzt. „Bloß nicht! Ich meine… danke, aber nein danke. Es, es, es geht mir schon wieder ganz prima. Gleich. Bestimmt."
Ich schielte über Remus' Schulter. Severus lächelte das tödliche Lächeln der Basilisken.
Remus nahm mich um die Schultern und schob mich in Richtung Sofa, und für einen verzweifelten Moment dachte ich darüber nach, wie ich es verhindern konnte, mich auf dieses Sofa setzen zu müssen, aber mir fiel nichts ein.
„Bitte hinüber zum Tisch" sagte Severus und machte eine entsprechende Geste. „Wir wollen es doch nicht zu bequem haben. Dies ist schließlich ein Arbeitstreffen."
Ich versuchte, nicht zu hörbar aufzuatmen.
Wir nahmen auf den hohen, dunklen Stühlen Platz, ich neben Remus, Severus uns gegenüber. Dunkle Streicher lösten das zornige Getöse ab.
„Ich hoffe, Sie empfinden die Musik nicht als störend" sagte Severus. „Mir hilft sie, mich zu konzentrieren."
„Nur zu" sagte Remus. „Was immer dir hilft, soll mir recht sein. Ich korrigiere mich. Es gibt Ausnahmen."
„Möchtest du einen Grundsatz formulieren?" fragte Severus sanft.
„Erst wenn es notwendig wird" sagte Remus. „Dann aber mit gebotener Deutlichkeit. Verlass dich drauf."
Sie maßen sich mit Blicken.
„Verstehe" sagte Severus schließlich mit kühlem Lächeln.
„Dann ist's gut" sagte Remus. „Also? Was muss ich tun?"
„Entspann dich" sagte Severus, und sein Lächeln gewann eine boshafte Qualität. „Das ist alles, was du tun musst. Vertrau mir, und lass dich führen."
„Klingt trivial" sagte Remus düster und griff unter dem Tisch nach meiner Hand.
„Sehen Sie mich an" sagte Severus. „Beide. Legilimens."
Ich erschrak, obwohl ich das Gefühl nun schon kannte. Er zog mich in seinen dunklen Blick, ich stürzte vorwärts wie in einen wirbelnden Trichter und wurde unvermutet in der nebligen Ebene ausgespieen, die auch den Beginn meiner ersten Reise bedeutet hatte. Ich stand und starrte auf meine Füße oder den Punkt, an dem ich sie vermutete, denn mein Körpergefühl war wieder mehr als diffus, und dicker grauer Nebel umstrudelte meine Beine –
- und die langen schwarzen Hosenbeine meines Begleiters.
War also doch etwas anders als beim ersten Mal.
Er sah mich an, sein Gesicht war ruhig. Seine Stimme war direkt in meinem Kopf:
„Achten Sie auf die Details" übermittelte er mir. „Wir werden nur die Dinge sehen können, die in seinem Bewusstsein oder Unterbewusstsein gespeichert sind. Halten Sie sich nicht mit undeutlichen Flecken auf."
„In Ordnung" sagte ich atemlos.
„Gehen wir" übermittelte er.
Nichts passierte. Zäh wie Grießbrei schwappte der Nebel um unsere Füße. Ich spürte plötzlichen Zorn.
„Lupin!" war eine harsche Stimme in meinem Kopf. „Entspann dich, zum Teufel!"
In den Zorn mischten sich Widerstand und Anstrengung. Ich stand wie fest genagelt und ließ die Empfindungen über mich hinweg strömen, die da aus dem Nichts in meinem Inneren entstanden und vergingen. Ich fühlte mich wie ferngesteuert.
„Emilia" entstand in überdeutlicher Betonung in meinem Kopf. „Stehen Sie nicht herum wie ein Blumentopf! Sie sind nicht zur Zierde hier!"
„Aber was soll ich denn machen?" sagte ich, und meine Stimme klang dumpf und dann plötzlich schrill. Wir saßen wieder um den Tisch, der Nebel war verschwunden. Neben mir hatte Remus die Augen mit der Hand bedeckt, seine typische Kopfschmerz-Geste, und mir gegenüber war Severus von seinem Stuhl in die Höhe gekommen und stieß nach Habichtmanier auf Remus hinunter.
„Es wird nicht funktionieren, wenn du mir deine geschätzte Kooperation verweigerst!" fauchte er. „Dies ist kein gewöhnlicher Legilimens! Ich versuche, Dinge aus deinem Unterbewusstsein zu reaktivieren, und das mindeste, was du tun kannst, ist dich zu entspannen und es geschehen zu lassen! Ist das denn zu viel verlangt!"
„Vielleicht" sagte Remus, ohne die Hand von den Augen zu nehmen. „Es wäre vielleicht einfacher, wenn du nicht in fremdem Revier gewildert hättest."
„Dann schlage ich vor, du entfernst dich und stiehlst mir nicht meine kostbare Zeit" fauchte Severus.
„Äh" sagte ich. „Momentchen. Ich dachte, wir wollten… ich meine, war das nicht für alle Beteiligten wichtig, zu erfahren, was passiert ist? Wisst ihr, was Moody mit uns macht, wenn wir ohne Ergebnis zurück kommen?"
„Nicht von Belang" sagte Severus.
„Scheibchen" sagte ich. „Vielleicht auch Würfelchen. Er wird uns jedenfalls in Einzelteilen an die Wand nageln. Neben die schrumpfköpfigen Hauselfen."
„Deine Todes-Szenarien haben immer so etwas kulinarisches" sagte Remus hinter seiner Hand und lächelte müde.
„Setzen Sie sich" sagte ich zu Severus. „Bitte. Versuchen wir's noch mal. Und wenn Sie mir genauer sagen, was ich zu tun habe, muss ich auch nicht herum stehen wie ein Blumentopf."
Er stand und sah auf mich hinunter, die Hände in den Ärmeln versteckt.
„Bitte" sagte ich. „Mir ist das wichtig. Ich will nicht ständig Angst haben müssen."
Severus umrundete den Tisch und setzte sich.
„Danke" sagte ich, grenzenlos erleichtert.
„Schicken Sie ihm positive Bilder" sagte Severus. „Etwas aus Ihrem zweifelsohne umfangreichen romantischen Repertoire beispielsweise."
„Wenn Sie das sagen, klingt's wie eine Krankheit" sagte ich. „Aber ich glaube, das kann ich schaffen."
"Also" sagte Severus. „Lupin? Willst du dich freundlicherweise diesmal entspannen?"
„Ich versuch's" sagte Remus und nahm die Hand von den Augen.
„Legilimens" sagte Severus.
Und wieder standen wir in der formlosen, nebligen Ebene. Ein Schwall von Unsicherheit traf mich, zusammen mit Verärgerung. Ich biss meine nebelhaften Zähne zusammen. Ich war das Bindeglied, und ich würde meinen Job erfüllen.
Ich schickte ihm ein Wölfchen.
Farben mischten sich in den grauen Nebel, wirbelten auf und verdichteten sich. Wir standen in etwas, das meiner ehemaligen Nürnberger Studentenbude nicht unähnlich war (einschließlich des unaufgeräumten Ambientes). Warmes Licht fiel durch die hohen Fenster in den Raum, und auf dem Teppich saß ein kleines Mädchen, vielleicht zwei Jahre alt, und schob eine Holzeisenbahn. Zarte, honigfarbene Löckchen fielen ihr über den Kragen.
„Wölfchen" sagte ich leise zu ihr, und sie hob den Kopf und strahlte mich an, ich kannte diese weichen schokoladenbraunen Augen, in denen Fünkchen wie von Karamell schimmerten. Ärger und Unsicherheit schwanden, zurück blieb ein leises Echo wie von entfernter Trauer, und Severus neben mir packte mich am Arm.
„Kein unnötiger Verzug" übermittelte er. „Weiter."
„Wohin?" sagte ich, ich mochte mich gar nicht von dem hinreißenden Gesichtchen meiner zukünftigen Tochter los reißen.
„Hören Sie's nicht?" fragte er.
„Nein" sagte ich stur, obwohl ich es schon hörte. Stimmengewirr, Gejohle und rhythmisches Klatschen, es kam von der Tür, hinter der ich mein ehemaliges Schlafzimmer vermutete.
„Kommen Sie" übermittelte Severus. „Ich kann das hier nicht ewig durchhalten."
Er zog mich voran und stieß die Tür auf, während ich mich noch zu meiner bezaubernden Tochter umdrehte und ihr winkte. Dann schob er mich über die Schwelle.
Es ist dunkel und laut. Wir sind umgeben von Menschen, die sich auf engem Raum drängen. Die Luft ist schlecht; durchzogen von abgestandenem Essensgeruch und den Ausdünstungen ungewaschener Menschen. Klatschen und Johlen brandet um uns auf.
„Leute!" verschafft sich eine magisch verstärkte Stimme irgendwo vor uns Gehör. „Ihr habt lange genug gewartet! Hier kommt er also, der Gegner, und lasst euch von seinem harmlosen Äußeren nicht täuschen: Er ist einer der alten, einer der gerissenen und hinterhältigen, und wütend! Lasst ihn laufen, und er zerreißt alles, was ihm vor die Fänge kommt! Es werden übrigens noch letzte Wetten entgegen genommen, und setzt ruhig auf den Außenseiter, Leute! Für jeden Alten kommt der Tag, an dem er abtreten muss, und für diesen ist er vielleicht heute… bring ihn rein, Joe!"
Zwei breitschultrige Männer drängen sich an uns vorbei – oder praktisch durch uns durch. Das lärmende Publikum reckt die Hälse und macht Platz. Zwischen sich haben die beiden Schränke Remus.
Meine Nebelhand greift unwillkürlich nach Severus' Nebelarm.
Remus' Gesicht ist weiß und gehetzt. Dunkles Blut läuft ihm die Schläfe hinunter. Man hat ihm die Hände auf dem Rücken zusammen gebunden. Er wehrt sich, obwohl es offensichtlich keinen Zweck hat: die beiden Schränke heben ihn einfach vom Boden und tragen ihn nach vorne. Severus und ich folgen. Angst liegt plötzlich dick und erstickend im Raum.
Vorne, in der Mitte des Raumes, befindet sich ein niedriger Käfig, nicht hoch genug, als dass ein Mensch darin stehen könnte. Seine Stäbe glänzen matt silbrig. Darin befindet sich ein junger Mann, auf Händen und Knien versucht er, sich möglichst weit von den Gitterstäben fern zu halten. Auch er blutet, sein Atem geht heftig, seine Augen sind so weit aufgerissen, dass man rundum das Weiße sehen kann.
Das Publikum applaudiert, während Remus sich verzweifelt zur Wehr setzt.
„Und rein mit ihm!" befiehlt ein glatzköpfiger Mann, der sich selbst den Zauberstab an die Kehle hält, um seine Stimme zu verstärken. Er öffnet eine Gittertür, und dann passiert etwas Seltsames. Die Fesseln um Remus' Handgelenke lösen sich und fallen zu Boden. Remus reißt die Arme nach vorne und in die Höhe, lässt sich fallen und schafft es tatsächlich, dem Griff seiner beiden Wächter zu entkommen. Er kommt hart auf dem Boden auf, rollt sich zur Seite und unternimmt etwas, das ich als Apparitionsversuch deute, seine Gestalt flackert, wird aber zurück geworfen, und während er noch versucht, auf allen Vieren zur Tür zu gelangen, werfen sich die Wächter auf ihn. Das Publikum weicht zurück, während auf dem schmutzigen Boden erbittert gerungen wird.
„Was für ein Kampfgeist!" ruft der Glatzköpfige begeistert. „Leute, das wird eine sensationelle Show!"
Es knallt, ein greller Lichtblitz blendet mich und die Umstehenden. Einer der Wächter flucht derb und hält sich den Oberschenkel. Ein scharfer, brenzliger Geruch macht sich breit. Remus zieht die Hand zurück und wirft sich nach vorne, doch der zweite Wächter packt ihn und verdreht ihm die Arme auf den Rücken.
„Jemand soll ihn lähmen, zum Teufel!" schreit der verletzte Wächter. „Er ist gefährlich!"
„Nichts da" sagt der Glatzköpfige. „Wir wollen ihn frisch und wütend! Kommt, Leute, ihr werdet doch wohl mit einer solchen halben Portion fertig werden!"
Schließlich kommen Männer aus dem Publikum zu Hilfe. Zu dritt packen sie ihn und schleppen ihn nach vorne, wo der Glatzköpfige immer noch die Gittertüre offen hält. Sie verfrachten ihn ins Innere und geben ihm einen heftigen Stoß, der ihn in den Käfig und bis an die gegenüberliegenden Stäbe befördert. Remus stöhnt auf und weicht zurück, bis er gegen den jungen Mann in der Mitte des Käfigs stößt.
„Sagt Hallo, Jungs" grinst der Glatzköpfige und lässt die Gittertür ins Schloss fallen.
„Heilige Scheiße" flucht der verletzte Wächter vernehmlich. „Welcher Vollidiot hat dem Burschen seinen Stab gelassen?"
„Keiner" sagt der andere. „Er ist kassiert, wie der vom anderen."
„Heilige Scheiße" sagt der andere wieder und mustert Remus im Käfig wie eine giftige Schlange.
„Was immer das hier werden soll" sagt Remus keuchend, aber mit erhobener Stimme. „Ich werde nicht kooperieren!"
„Wer sagt denn, dass du eine Wahl hast" sagt der Glatzköpfige, und das Publikum johlt.
„Macht voran!" schreit einer aus der ersten Reihe. „Ich hab' einen Haufen Geld bezahlt! Ich will was sehen!"
Severus und ich sind in die erste Zuschauerreihe vorgedrungen. Es gibt eine Art Ehrenloge hier vorne, eine Stuhlreihe, die mit einem halbhohen, verblichenen Vorhang vom gemeinen Volk abgetrennt ist. Ein Mann im dunklen Reisemantel hat dort Platz genommen, dessen Züge mir vage vertraut vorkommen. Silbrig blondes Haar fällt ihm über die Schultern, und zwischen den behandschuhten Fingern dreht er den Knauf eines altmodischen Spazierstockes. Sein Gehabe ist lässig-elegant, als sei er dabei, im Hotel Vier Jahreszeiten einen Tee zu nehmen. Neben ihm sitzt, spürbar eingeschüchtert, ein blasser Mann mit mausigem Haar und verknitterter Bügelfaltenhose, den ich irgendwo kürzlich gesehen habe, es ist noch nicht lange her, es hatte etwas mit Putz zu tun, der aus einer Wand bricht, und mit Geschrei und Gerenne…
Der Sachbearbeiter aus der Abteilung zur Regulierung und Kontrolle magischer Geschöpfe, in dessen Büro wir anlässlich des Zwischenfalles mit dem Werbären hinein geplatzt waren.
Der Flachshaarige beugt sich zu ihm hinüber, ein kühles Lächeln spielt auf seinen ebenmäßigen Zügen.
„Abstoßend, nicht wahr?" sagt er. „Vulgär."
Der Ministeriumsangestellte nickt eingeschüchtert und schlingt seine Hände ineinander.
„Lasst mich raus" sagt Remus laut. „Uns. Lasst uns raus! Wir sind menschliche Wesen und haben ein Anrecht auf den Erhalt unserer Würde."
„Ich glaube, ich habe genug gesehen" sagt der Ministeriumsangestellte und will aufstehen, aber der Flachshaarige bedeutet ihn mit herrischer Geste in seinen Stuhl zurück.
„Wer sagt denn was von Würde" sagt der Glatzköpfige und lacht. „Glaubst du wirklich, all diese hart arbeitenden Menschen bezahlen für etwas, das euch eure Würde lässt?"
„Was ihr hier tut, ist illegal" sagt Remus laut. „Nach jedem geltenden Recht. Ich zitiere Artikel 38 der Magna Charta, die in diesem Land seit 1215 als Grundlage der Rechtssprechung in Kraft ist: Kein freier Mann darf ergriffen oder ins Gefängnis geworfen werden…"
„Geht's endlich los!" schreit der Ungeduldige aus der ersten Reihe. „Oder wie lange müssen wir uns den Klugscheißer noch anhören!"
„… oder seiner Rechte oder Besitztümer beraubt werden…" sagt Remus wütend.
„Das Wettbüro ist geschlossen!" schreit der Glatzköpfige. „Los geht es! Drei…"
„… oder für vogelfrei erklärt oder verstoßen werden…"
„Zwei…"
„… oder in irgend einer anderen Form in seinem Stand beeinträchtigt werden!"
„Eins!"
Zwei Männer in dunklen Mänteln treten nach vorne und richten ihre Zauberstäbe auf die Männer im Käfig. Der junge Mann neben Remus zittert und schluchzt.
„Veritanatura lunaris" befiehlt einer der Männer und beschreibt ein Flechtmuster aus Gesten. Dem jungen Mann wird das Schluchzen in der Kehle abgeschnitten; stöhnend bricht er zusammen. Seine Glieder zucken und verformen sich. Remus weicht entsetzt zurück, wird aber von den silbernen Stäben auf Abstand gehalten, er kann nicht vor und nicht zurück. Der junge Mann reißt den Kopf nach hinten und brüllt, während sein Gesicht sich verformt, es ist plötzlich von Fell bedeckt und ein mörderisches Gebiss blitzt zwischen den triefenden Lefzen. Ein anderer, vierbeiniger Körper bricht aus der Kleidung, die er in Fetzen abschüttelt.
„Noch soll mit Gewalt gegen ihn vorgegangen werden oder soll selbiges befohlen werden" sagt Remus tonlos. Ich hole zitternd Atem nach und presse die Hand vor den Mund, bis es weh tut. Dann spüre ich einen Arm um meine Schulter und presse mein Gesicht in eine nebelhafte schwarzsamtene Robe.
„Veritanatura lunaris" sagt eine andere Stimme.
„Außer auf Grund eines…" höre ich Remus' Stimme, verzerrt, er unterbricht sich selbst mit einem lang gezogenen Stöhnen, „…rechtmäßigen…" höre ich ihn kämpfen, und „Urteils!" gelingt es ihm noch auszuspucken, bevor er schreit, und ich schlage die Hände über meine Ohren und schluchze in die Nebelrobe, bis harte Hände mich nehmen und schütteln.
„Kommen Sie zu sich" sagt Severus. „Sie sind nicht zu Ihrem Vergnügen hier."
Das Publikum johlt. Im Käfig umkreisen sich zwei Wölfe, ein helles, junges Tier mit starken Muskeln und einem Gebiss wie Schraubzwingen, und ein kleineres, grau und struppig und mager, seine gelben Augen leuchten im kurzen silbrigen Pelz. Die zwei Zauberer in den dunklen Mänteln haben ihre Stäbe auf den Käfig gerichtet.
„Oh, Merlin" sage ich. „Sie wollen sie kämpfen lassen!"
„Ich schätze, das ist der Plan" sagt Severus unaufgeregt.
„Wir müssen etwas unternehmen!" sage ich und ziehe an seinem Ärmel. „Wir können das unmöglich zulassen!"
„Bemühen Sie Ihren Verstand, Emilia" sagt er und entwindet mir seinen Ärmel. „Wir befinden uns in der Vergangenheit. Wir sehen Bilder von Dingen, die längst geschehen sind, und wir wissen auch, dass Ihr geschätzter Wolf es überleben wird."
„Ach so" sage ich und komme mir dumm vor. „Ja. Stimmt."
„Sehen Sie sich lieber um" sagt Severus und zeigt hinüber auf die Ehrenloge. „Kennen Sie diese beiden?"
„Den rechten" sage ich. „Der arbeitet beim Ministerium. Den anderen nicht, obwohl er mir irgendwie bekannt vorkommt."
„Malfoy" sagt Severus mit fast etwas wie einem amüsierten Lächeln. „Mein geschätzter Todesser-Kollege und Vater von Draco."
„Ah" sage ich. Daher das vage Gefühl des Bekanntseins. Jetzt, da ich es weiß, erkenne ich Dracos klare, arrogante Züge im Gesicht seines Vaters.
Das Publikum schreit auf: der große Wolf hat einen Angriff gegen den Grauen geführt. Der Graue weicht im letzten Augenblick aus, und sein eigener Schwung trägt den Großen gegen die silbernen Gitterstäbe, von denen er mit einem Jaulen abprallt. Der Graue knurrt warnend, sein Gebiss ist entblößt, die Ohren vollständig im struppigen Pelz verschwunden. Der Große macht kehrt und stürzt sich erneut auf den Grauen. Der Graue begegnet dem Angriff, und in einem Wirbel von Fell und Zähnen fallen sie übereinander her. Das Publikum schreit und klatscht, Fäuste werden geschüttelt, der Lärm ist betäubend und scheint die beiden Wölfe im Käfig nur noch mehr anzuheizen. Sie sind untrennbar ineinander verknäuelt, es ist unmöglich zu erkennen, wer die Oberhand hat. Blut spritzt, und mit angeekeltem Gesicht zieht Malfoy seine polierten Stiefel unter den Reisemantel. Einer der Wölfe jault erbärmlich.
„Was macht einer vom Ministerium bei einer solchen Veranstaltung?" frage ich, eher, um mich von dem Gedanken abzulenken, dass der Jaulende Remus sein könnte, als weil die Antwort mich so brennend interessieren würde. Ich will eigentlich vor allem eines: Raus hier.
„Und in so illustrer Gesellschaft" sagt Severus. „Das wird heraus zu finden sein, nicht wahr?"
Er nähert sich der Ehrenloge, und ich bleibe mangels besserer Pläne an ihm dran. Im Käfig hat sich der Graue unter dem Großen heraus gewunden und weicht zurück, bis die silbernen Stäbe ihn bremsen.
„Was für ein Kampf!" ruft der Glatzköpfige begeistert. „Das sieht nicht gut aus für den Alten! So kampferprobt er ist, vielleicht ist er doch schon ein wenig wackelig auf den Beinen! Könnte sein, dass seine Zeit abgelaufen ist, und schauen wir uns den Jungen an, was für ein Prachtexemplar, wild und blutrünstig, der begnügt sich nicht mit Schafen, der will größere Beute!"
Malfoy beugt sich zu dem Ministeriumsbeamten und sagt etwas. Seine Lippen bewegen sich, aber kein Ton dringt zu uns, obwohl wir direkt vor den beiden stehen. Ich werfe einen Blick in den Käfig. Der Graue steht mit dem Gesicht zu uns: Er wird wohl die Bewegung gesehen, aber den Wortlaut unmöglich verstanden haben. Ich atme tief und konzentriere mich auf die akademische Frage, wie viele Sinnzusammenhänge das Unterbewusstsein eines gewandelten Werwolfes speichern kann, nur damit ich nicht darüber nachdenken muss, dass mein Wolf die Pfote schont, dass Fell ihm in Fetzen von der Seite hängt, dass Blut von seinem Hals läuft und eine dunkle Pfütze auf dem Käfigboden bildet.
Der Große knurrt, es gurgelt und faucht in seiner Kehle, ein Laut, der Tod verspricht. Er schnappt in die Luft, seine Kiefer schließen sich mit einem Klacken, in dem ich das Brechen von Knochen schon hören kann, ehe es geschieht. Der Graue legt sich nieder und winselt. Der Große duckt sich zum Sprung. Der Graue zeigt ihm unter den Pfiffen und Buh-Rufen des Publikums die Kehle.
„Ich will mein Geld zurück!" schreit einer aus der letzten Reihe. „Der Alte taugt nichts!"
Der Große zögert für einen Augenblick, dann springt er los. Ich schreie. Für einen Augenblick kann ich nicht glauben, dass ich in der Außenwelt neben einem einigermaßen wiederhergestellten Remus sitze und wir eine reelle Chance auf „Alles wird gut" haben. Ich sehe nur, wie der Große den Grauen bedeckt, und schreie.
Dann ist der Graue plötzlich hinter dem Großen und auf ihm drauf, und die Hälfte des Publikums, die auf ihn gewettet hat, artikuliert einen mächtigen Stimmungsumschwung.
„Und da ist er wieder!" schreit er Kommentator begeistert. „Alt, aber gerissen, und böse wie die Nacht! Ein echtes Biest!"
Der Graue ist dem Großen an den Hals gesprungen, seine Kiefer haben sich im dicken Nackenfell des anderen verhakt, und er presst das Gesicht des Großen mit seinem ganzen überschaubaren Körpergewicht gegen die silbernen Stäbe. Der Große jault. Sein Körper vom Hals abwärts zuckt und windet sich, findet aber keinen Ansatzpunkt, um seine Kraft zu entfalten. Seine Krallen rutschen auf dem Betonboden ab, der glitschig vom Blut ist, er strampelt hilflos, sein Jaulen wird jämmerlich. Der Graue hält seinen Griff, bis das Jaulen in ein Fiepen übergegangen ist, dann lässt er los und zieht sich auf die andere Käfigseite zurück. Er ist jetzt direkt vor mir, ich spüre den scharfen Tiergeruch und sehe, wie seine Flanken zittern. Er jault leise und legt sich nieder. Blut fließt in stetigem Strom aus der Wunde an seinem Hals.
„Drei!" ruft der Kommentator.
„Mir ist schlecht" murmelt der Ministeriumsangestellte.
„Sie sind ein mutiger Mann" versichert Malfoy ihm mit gesenkter Stimme. „Diese Scheußlichkeit auf sich zu nehmen, nur um an Informationen aus erster Hand zu gelangen. Wirklich bewundernswert."
Der Große in seiner Käfigecke liegt auf der Seite, sein Gesicht ist verbrannt, als wären die Stäbe glühend gewesen. Er winselt, sein Atem geht stoßweise.
„Zwei!" ruft der Kommentator. „Nun komm schon, Vieh! Auf die Beine mit dir!"
„Mein Dank gilt Ihnen" sagt der Angestellte ebenso leise. Ich sehe, wie mein Wolf die Ohren nach hinten dreht. „Ohne Ihren Hinweis wären wir wohl noch lange nicht auf die Sache aufmerksam geworden."
Malfoy lächelt und nickt.
„Eineinhalb" ruft der Kommentator. „Komm schon, Biest!"
Ein hemdsärmeliger Mann nähert sich dem Käfig und stößt den Großen durch die Gitterstäbe mit einem langen Stock an. Der Große reagiert nicht.
„Der is' hinüber" meldet er, hörbar enttäuscht.
„Eins" ruft der Kommentator. „Und aus! Kurz, aber blutig! Der Alte ist der Gewinner!"
Tumult bricht los, die Hälfte des Publikums applaudiert wild, die andere beschwert sich lautstark. Im hinteren Teil des Raumes gehen Türen auf, durch die Tageslicht und kalte Luft in den Raum strömen, und die Leute drängen nach draußen. Die beiden Zauberer am Käfig murmeln eine Beschwörung, einen Finite offensichtlich, denn als ich endlich an einer Traube von Schlachtenbummlern vorbei freies Sichtfeld habe, liegen zwei nackte, blutende Männer im Käfig. Der junge Mann hat sich zum Ball zusammen gerollt und versteckt sein Gesicht in den Armen, er zittert heftig und wimmert. Remus stöhnt und versucht mühsam, auf Hände und Knie zu kommen. Er schafft es bis auf die Ellenbogen. Blut läuft ihm über die Schulter und den Arm hinunter. Er streckt seine Hand nach seinen Kleidern aus, die zerfetzt in einer Ecke des Käfigs liegen, aber es fehlen gut zwei Schritte.
Malfoy und sein ministerialer Gast erheben sich. Der Mann mit der Bügelfalte ist grün im Gesicht.
„Merlin" sagt er und tupft sich mit einem karierten Taschentuch Schweiß von der Stirn. „Wie schrecklich. Ich werde heute noch den Bericht fertig stellen. Dem muss ein Ende gemacht werden."
„Ganz recht" lächelt Malfoy. „Ich muss Sie nur bitten, mein werter Mr. Higgins, zu beherzigen, was ich Ihnen über die Verwendung von Namen ans Herz legte."
„Ihrer darf nicht fallen" sagt der Higgins Benannte wie ein gehorsames Schulkind. „Unter keinen Umständen. Ich erhielt einen anonymen Hinweis."
„Richtig" lächelt Malfoy. „Und…?"
„Der andere Name soll fallen" fährt Higgins brav fort, und zögert dann doch.
„Sind Sie sicher…?" fragt er. „Frewillig…? Es sah so gar nicht danach aus."
„Natürlich nicht" sagt Malfoy. „Es ist sorgfältig einstudiert. Der Reiz für das Publikum liegt doch darin, zu glauben, man hätte die Monster von der Straße gefangen. Der andere, sicher, der wusste von nichts. Aber den Alten nimmt man als Anheizer."
„Aha" sagt Higgins und wirft einen ängstlichen Blick in den Käfig, in dem Remus noch versucht, an seine Kleider zu kommen.
„Und wie war der Name?" fragt Malfoy sanft.
„Äh" sagt Higgins. „Irgendwas mit Wolf. Lupo… Lupus…"
„Lupin" sagt Malfoy leise, aber überdeutlich. „Remus. Lupin. Und vergessen Sie nicht zu erwähnen, dass er ein Vertrauter Dumbledores ist und von ihm sogar mit dem Unterrichten von Schülern betraut wurde."
„Ein Skandal" sagt Higgins und starrt in den Käfig.
„In mehr als einer Hinsicht" bestätigt Malfoymit zufriedenem Lächeln.. „Guten Tag, Mr. Higgins." Er nickt dem kleinen Mann zu und wendet sich mit einem beinahe snapeischen Wirbeln seines Reisemantels zum Ausgang.
Ich sehe, wie Remus einen Blick über die Schulter wirft. Sein Gesicht ist finster. Sobald Higgins sich abwendet, hat Remus dann auch plötzlich seine Kleider in der Hand, sie sind über den Boden auf ihn zu gerutscht wie von einem Accio gezogen. Er kriecht zu dem anderen hinüber, den es mittlerweile krampfartig schüttelt, und breitet seine Robe über ihn.
„Er hat eine Silbervergiftung" sagt er laut. „Er braucht einen Heiler!"
„Keine Sorge" sagt der Glatzkopf, der sich in Begleitung des unverletzten Wächters der Gittertür nähert, und grinst schleimig. „Wir werden uns schon gut um euch beide kümmern."
„Stupor" befiehlt der Zauberer von vorhin und zeigt auf Remus.
Ich stürze in Schwärze.
Ich habe das Gefühl, zu schweben. Mein Körper hat sich offenbar aufgelöst, ich würde mich gerne berühren, aber ich kann meine Hände nicht lokalisieren. Eine Welle von Panik rauscht durch mein körperloses Gehirn. Um mich ist nichts, kein Luftzug, nicht die geringste Berührung, nicht der Hauch eines Geruches.
Doch. Orangen.
„Severus!" schicke ich ins Nichts.
„Ich bin da" übermittelt er mir. „Ganz ruhig."
Dann, ein heller Fleck, der auf mich zu gerast kommt. Gelblich, rund. Umgeben von einem grünen Schirm. Ein Stiel dran.
Eine Schreibtischlampe?
Ein schmieriges, halb dunkles Büro. Remus hängt zusammengesunken in einem wackeligen Drehstuhl, man hat seine Blutung gestillt, seine Kleider repariert und ihn wieder hinein gesteckt.
„Verdammt" sagt eine Stimme, ich erkenne den Zauberer, der die Werwolfs-Beschwörung auf Remus gesprochen hat. „Etwas ist schief gegangen."
„Was?" sagt der Glatzkopf und beugt sich über Remus, dessen Augenlider flattern.
„Ich weiß nicht" sagt der Zauberer und presst sich die flache Hand vor die Stirn. „Ich bekomme keinen Zugang."
Das Bild verschwimmt, die gelbe Birne der Schreibtischlampe bläht sich auf und wird zu einem riesigen Mond, der alles verschlingt.
„Nochmal" sagt eine verzerrte Stimme von weit her.
„Es hat keinen Sinn" sagt eine andere.
Dann Bewegung, undeutliche helle Flecken schaukeln vor meinen Augen.
„Severus?" versuche ich es erneut. Seine Antwort klingt angestrengt, oder besser: fühlt sich angestrengt an.
„Hier" übermittelt er. „Ruhig."
„Bist du sicher?" sagt eine Stimme hinter den hellen Flecken. „Das soll es sein? Das ist ein Abbruchgrundstück, Leute. Hier kann er wohl kaum zu Hause sein."
„Ich sagte bereits, es ist alles, was ich zu dem Thema liefern kann" kommt die ungehaltene Stimme des Zauberers. „Sein Gehirn hat sich völlig abgeschaltet. Alles was ich kriege sind wirre Bilder."
„War da nicht eine Frau?"
„Und was soll die nützen?" schnappt die Zaubererstimme. „Willst du los gehen und die Stadt nach einer dicken kleinen Hippie-Tussi absuchen?"
„He" übermittle ich meine Entrüstung. „Ich bin nicht dick!"
„Sagtest du nicht noch etwas von einer Küche?"
„Keine verwertbare Information" sagt der Zauberer. „Wie bereits – mehrfach - erwähnt. Diese Küche könnte überall sein. Lasst ihn hier. Ist doch scheißegal, ob und wann man ihn findet. Hat er seinen Stab zurück?"
„Ja, aber ist das nicht riskant?"
„Beseitigung von Beweisgegenständen" schnappt der Zauberer. „Muss man dir alles zweimal sagen? Außerdem, schau ihn dir an. Der ist hinüber. Der schafft keinen zusammenhängenden Satz, geschweige denn eine Beschwörung."
„Willst du nicht noch mal versuchen, sein Gedächtnis zu löschen?"
„Nein!" faucht der Zauberer. „Zum letzten Mal! Ich setze nicht meinen Verstand aufs Spiel für Dylans schmutzige Geschäfte! Und jetzt los. Verschwinden wir."
Eine letzte Erschütterung, eine Abwärtsbewegung, dann kommen die schaukelnden Flecken zu einem Halt. Es knallt mehrmals, ein Geräusch wie von einer schlampig gesetzten Apparition, dann wird es still.
Die Flecken klären sich ein wenig, entwirren sich zu Gras und schmutziger Fassade und einer dünnen, oktoberbraunen Birke. Remus liegt dort, ich spüre ihn mehr als ich ihn sehe, und maßlose, bleierne Erschöpfung hängt sich an meinen Nebelkörper.
„Nicht mehr lange" höre ich Severus' Stimme in meinem Kopf, sie zittert, entstellt vor Anstrengung. Ich versuche, mich zu konzentrieren.
Dann, eine Folge undeutlicher Bilder und flüchtiger Eindrücke. Bewegung durch hohes Gras. Eine Straße, hupende Autos, das Gefühl, an einen anderen Ort gezogen zu werden, mehr Instinkt als willentlicher Entschluss. Ein Schacht, der sich dunkel vor mir auftut, dort gibt es etwas, das nach Hause führt. Stufen hinunter, und dann die Erkenntnis, dass Gefahr dort lauert. Flucht? Unmöglich.
Stimmen:
„Guck mal, was für ein Penner."
„Der ist ja total weg getreten."
„Cool. Ob er noch was davon dabei hat?"
„Knapp am Goldenen Schuss vorbei, würde ich sagen."
„Halt mal fest. Ich schau nach."
„Ey! Hast du dem seine Augen gesehen, Mann?"
„Wow. Krass. Was für ein Spacko. Komm, gib ihm eine, der hat nix dabei, das Schwein. Hat sich alles selber gesetzt."
Wildes Gebell von ferne.
Schmerz. Die Welt explodiert.
Ich presste mir die Hand vor den Mund und grub meine Zähne hinein, um nicht zu schreien. Ich war zurück. Hinter meiner Stirn saß ein glühend heißer Schmerz wie von einem Schmiedehammer. Mir gegenüber war Severus über dem Tisch zusammen gebrochen. Die Anstrengung hatte seine Hände zu Klauen verformt, und sie klammerten sich an seinen Zauberstab, als sei nur er es, der ihn vor dem endgültigen Absturz bewahrte. Sein fedriges Haar verbarg sein Gesicht, ich hörte seinen Atem, der stoßweise ging. Ich sah zu Remus. Er saß sehr gerade, sein Blick ging ins Leere, seine Hände hatte er auf der Tischplatte gefaltet. Er war leichenblass. Als er meinen Blick spürte, drehte er den Kopf zu mir, und ich rechnete mit einem seiner erzwungenen Lächeln, doch selbst das blieb aus.
Severus stöhnte unterdrückt und vergrub die Hände in seinen Haaren, als wolle er seinen Kopf daran hindern, zu platzen.
Ich räusperte mich mehrmals.
„Wir" sagte ich. „Also… wir müssen uns irgendwie um ihn kümmern."
„Sofa" kam Severus' Stimme, gedämpft und abgewürgt.
„Okay" sagte Remus und stand auf. Seine Bewegungen wirkten mechanisch und hölzern, wie die einer Marionette."
„Kommst du zurecht?" fragte ich.
„Natürlich" sagte er, ich hatte ihn nie so förmlich gehört.
Wir halfen Severus in die Höhe, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, und ich war maßlos erleichtert, als wir seine lange, knochige Gestalt ohne peinliche Zwischenfälle auf dem Sofa verstaut hatten. Er drehte sich von uns und legte die Hand über die Augen.
„Fortis" murmelte er mit zitternder Stimme und öffnete die andere Hand, die ich ihm auf die Brust gelegt hatte, damit ihm der Arm nicht unbequem vom Sofa baumelte.
„Das halte ich aber für keine gute Idee" sagte ich. „Sie sollten ein bisschen schlafen, nicht sich mit Tränken dopen."
„Fortis" sagte er, verzog das Gesicht und wedelte mit den Fingern.
„Das Zeug kann abhängig machen, wissen Sie" sagte ich.
„Sagen Sie mir nicht, was ich zu tun habe" murmelte er kaum hörbar.
„Also gut" sagte ich seufzend. „Ich hole einen."
„Von meinen."
„Danke für's Vertrauen, aber wie gewünscht. Laufen Sie mir nur nicht weg in der Zwischenzeit, ja?"
Er schnaubte, es klang schon wieder ganz verächtlich. Ich war erleichtert. Seine beachtlichen Regenerationskräfte schienen schon wieder am Werk zu sein. Ich würde mich zügig um meinen zweiten Patienten kümmern können.
„Remus? Äh, Remus?"
„Nur eine Minute" sagte er unter der Tür, die Worte verließen seinen Mund, als bediente er sich einer wenig geübten Fremdsprache. „Ich bin gleich wieder da."
„Himmel" sagte ich und atmete tief durch. Krankenschwester wäre nun wirklich kein Beruf für mich gewesen. Für eine Sekunde stand ich zwischen meinen zwei Patienten wie fest genagelt, aber nachdem ich mich nun mal nicht teilen konnte, beschloss ich, die Liste der Reihe nach abzuarbeiten. Ich rannte in den kleinen Vorratsraum neben Severus' privater Tränkeküche und schnappte einen dunkelgrünen Fortis aus dem Regal. Auf dem Rückweg stoppte ich Beethoven, der sich mittlerweile getragen durch den zweiten Satz rumpelte, und ersetzte ihn durch… In aller Eile überflog ich Severus' umfangreiche Musikaliensammlung, er bediente sich nach wie vor eines magisch modifizierten Plattenspielers, auf CD hatte ich ihn noch nicht umstellen können.
… wieder Beethoven. Fünftes Klavierkonzert, zweiter Satz. Ruhig und fließend, wie silberne Tropfen, die in einen Teich fallen. Ich dämpfte die Lautstärke noch weiter und ging dann hinüber zum Sofa. Er streckte mit schwacher Geste die Hand aus, und ich legte den Fortis hinein. Er nickte und schloss die Finger darum.
„Kommen Sie zurecht?" fragte ich ihn.
„Ja" murmelte er. „Gehen Sie nur."
„Ich bin in der Nähe. Rufen Sie, falls Sie mich brauchen."
„Raus."
„Ja. Äh, gut."
Ich ließ die Tür hinter mir offen, als ich auf den Gang trat. Von meinem Wolf war keine Spur, aber im Gegensatz zu vorhin stand die Tür zum Tränke-Klassenraum einen Spalt offen. Ich schob sie auf und spähte hinein.
Er saß in der letzten Reihe an einem der Schüler-Arbeitstische, das Gesicht in den Händen vergraben. Seine Schultern zitterten. Ich setzte mich vorsichtig neben ihn auf den Tisch und strich ihm übers Haar. Er fuhr zurück wie von einer Schlange gebissen.
„Ich sagte, eine Minute" fauchte er mit einer Heftigkeit, die mir an ihm fremd war. Ich zog die Hand zurück, blieb aber sitzen.
„Und was ist in einer Minute?" sagte ich. „Alles wieder gut, oder was?"
Er rückte von mir ab bis an den Rand des Tisches und rieb sich mit den Handflächen übers Gesicht.
„Ich hab' es ohnehin gesehen" sagte ich. „Du brauchst nicht zu tun, als wäre nichts."
„Ich versuche" sagte er, immer noch mit dieser seltsamen, angestrengten Stimme, „ich versuche wirklich, meine Würde zu wahren."
„Aber die ist doch gar nicht in Gefahr" sagte ich. Ich fühlte mich hilflos. Ich fand es so viel einfacher, mich über die Einnahme oder Nicht-Einnahme von Dopingmitteln zu streiten.
„Nein" sagte er – höhnisch? Remus? „Ach, nein. Sie haben mich auch nur zu einem perversen Hahnenkampf missbraucht. Wie viele Zuschauer hatte das? Dreißig? Vierzig?"
„Vielleicht" sagte ich, obwohl es definitiv mehr gewesen waren, vergleichbar mit zwei größeren Schulklassen, also sechzig Leute mindestens.
„Und es nimmt kein Ende" stöhnte er in seine Hände. „Es nimmt einfach kein verdammtes Ende. Ich versuche, auf die Beine zu kommen, ich versuche es, wirklich, aber es will einfach kein verfluchtes Ende nehmen!"
„Hm" sagte ich und zermarterte mein Gehirn nach einer passenden, klugen, trostreichen Antwort. Ich fand keine. Vielleicht gab es keine.
Vielleicht war auch gar keine nötig.
Er stand auf und trat den Stuhl so heftig rückwärts, dass er umfiel.
„Wie kann das sein?" sagte er. „Wie kann es sein, dass diese schwachköpfigen Ignoranten sich erdreisten? Wie können sie sich für etwas Besseres halten? Wer gibt ihnen das Recht? Das sind Idioten, an allen verdammten achtundzwanzig Tagen, Mond oder nicht, und sie schwingen sich zur höheren Lebensform auf?"
Er kam hinter seinem Tisch hervor und ging mit langen Schritten den Mittelgang nach vorne. Seine Hände flogen durch die Luft.
„Ich hab's so satt!" schrie er. „Ich möchte nicht wissen, wie viele Werwolfunfälle täglich passieren, alleine in London, weil niemand sich wirklich um das Problem kümmert! Alles, was sie tun, ist registrieren!"
„Ah" sagte ich. „Wir sind beim Ministerium jetzt."
„Sind doch alles die gleichen Idioten" fauchte er. „Warte ab! Zum nächsten Mond ziehe ich los und beiße diese verfluchte Umbridge, und wenn ich mich bis an mein Lebensende übergeben muss! Dann werden wir sehen, was sie macht!"
Krach. Ich staunte. Der Kessel an der vordersten Kochstelle kippte von seinem rußigen Dreibein und polterte, Reste seines Inhaltes verspritzend, gegen das Lehrerpult.
Krach. Das Dreibein hinterher. Es schepperte. Ich rekapitulierte den Inhalt des Kessels, der sich da auf dem Boden verströmte. Es war ein Identificus. Gut. Keine hässlichen Unfälle zu erwarten. Er konnte weiter machen.
Er hinkte ein bisschen, als er seinen Weg wieder aufnahm.
„Mein gesamtes beschissenes Leben habe ich damit verbracht, mich anzupassen!" schrie er. „Nur nicht auffallen! Nur keine Unannehmlichkeiten bereiten! Und bloß, um Himmels Willen, niemanden von diesen großartigen, unversehrten Ganzmenschen gefährden! Dankbar sein für jedes abgekaute Hundespielzeug, dass einem eine gnadenvolle Seele vor die Füße wirft! Dankbar sein, dass es einem erlaubt ist, am Rande dieser beschissenen Gesellschaft irgendwie vor sich hin zu vegetieren! Und was hat es mir gebracht? Einen perversen, abscheulichen Hahnenkampf!"
Er war vorne bei meinem Pult angekommen und riss meine „Handreichungen zum Tränkeunterricht" vom Stapel. Ich hielt den Atem an. Er starrte auf das Buch in seinen Händen und legte es dann vorsichtig zurück. Ich atmete auf.
„Weißt du, was das eigentliche Problem ist?" sagte er ein wenig ruhiger. „Nicht die Lykantrophie, sondern die völlige Unmöglichkeit, unter diesen Gegebenheiten damit zurecht zu kommen. Als wollte man einen verdammten Hippogreif in einer Schuhschachtel halten! Und niemand, niemand kümmert sich! Alles, was sie tun, ist die Monster zu erschießen, wenn die aus reiner Verzweiflung endlich jemanden beißen."
„Ja" sagte ich.
„Oh, Merlin" sagte er und wischte sich mit beiden Händen Haare aus dem Gesicht.
„Mach ruhig weiter" sagte ich. „Es sieht sehr befreiend aus, was du da tust."
„Ich glaube, ich habe meinen Vorrat an Schimpfworten bis auf Weiteres aufgebraucht" sagte er. „Wie viele waren das?"
„Mehr als im letzten halben Jahr, schätze ich" sagte ich.
„Oh, Merlin" sagte er wieder und sah sich um. „Ich habe deinen Klassenraum verwüstet."
„Nicht schlimmer, als es Freitag Nachmittag hier aussieht" sagte ich. „Wie sieht's aus? Es gibt noch elf andere Kessel."
„Nein, danke" sagte er. „Ich habe mir schon am ersten den Fuß verstaucht." Er zog seinen Stab aus der Gesäßtasche seiner äonenalten, abgeschabten Cordhose.
„Lass gut sein" sagte ich. „Wir kümmern uns später drum. Es ist nichts in diesem Raum, was explodieren kann. Außer dir, meine ich."
„Es tut mir leid" sagte er mit einem hilflosen Lächeln.
„Gar nicht nötig" sagte ich. „Hat mir gut gefallen."
Er starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
„Befremdliches Konzept, nicht wahr?" sagte ich grinsend. „Man nennt es Dampf ablassen."
„Na gut" sagte er. „Ich glaube, ich bin fertig damit. Für heute."
„Dankenswerter Weise" sagte eine schwache, aber sehr säuerliche Stimme unter der Tür. „Man kann sich ja kaum erholen bei dem Krach."
„Und schon gar nicht, indem man durch die Gegend geistert, statt auf dem Sofa liegen zu bleiben" sagte ich.
„Ihnen ist klar, dass Dinge, in die Lucius Malfoy verwickelt ist, prioritäre Behandlung verdienen" sagte Severus, der im Türrahmen hing wie ein Schatten seiner selbst, all seine verfügbare Energie schien in die Wiederherstellung seiner üblichen verbalen Überheblichkeit zu fließen. „Wir müssen den Orden versammeln und Schritte beschließen, unverzüglich, ehe man Dumbledore eine Schlinge um den Hals legt."
„Das heißt, du kommst mit zurück nach Nummer Zwölf?" fragte Remus.
„Zwangsläufig" sagte Severus. „Falls jemand hier so freundlich ist, mich zu apparieren."
„Wollen Sie nicht erst noch eine halbe Stunde auf dem Sofa…?" begann ich, ließ mich aber von einem vernichtenden Blick zum Schweigen bringen.
„Also dann" sagte Remus und kam den Mittelgang zu mir nach hinten. Seine Wangen waren gerötet, und ein Rest des wütenden Sturmes war in seinen Augen zurück geblieben. Mein Herz machte mir einen ulkigen Hopser in die Kehle, es fühlte sich ein wenig eng an dort oben, und ich war ziemlich sicher, das, was ich gerne als sanftes Lächeln auf meinem Gesicht gehabt hätte, war höchstens ein hingerissen dämliches Grinsen.
„Ich schlage Floo vor" sagte er zu Severus und nahm meine Hand, es fühlte sich auf wunderbare Weise an, als hätte ich in die Steckdose gefasst. „Der Weg zum nächsten Apparitionspunkt ist ziemlich weit."
„Wenn es sein muss" sagte Severus mit seiner erprobten Leidensmiene. „In die große Halle, dann."
„Keine Sorge, Severus" sagte Remus ganz fürsorglich. „Ich kenne eine hervorragende Abkürzung."
„Dessen bin ich mir sicher" sagte Severus, nun ultimativ gequält.
„Du" sagte ich, als wir den schlappen Tränkemeister die Stufen hinauf ans Tageslicht manövrierten. „Darf ich dich was fragen?"
„Was?" sagte er.
„Findest du mich eigentlich dick?"
„Was?" sagte er und warf mir an Severus vorbei einen entgeisterten Blick zu.
„Okay" sagte ich und lächelte. „War nur so eine Frage."
