Ihr Lieben,
hier ist es nun tatsächlich, das finale Kapitel. Fertig und zu Ende und es fühlt sich ein bisschen traurig an, wie immer, wenn ein Text zu Ende geht.
Weil der Eindruck sich aufdrängt: Ja, ich bin selbst Lehrerin und habe mit „Härtefällen" gearbeitet.
Ein paar Anmerkungen zu möglicherweise unklaren Textpassagen (Zitate u.ä.) finden sich am Ende des Textes.
Meine weitere Planung, für alle, die es interessiert, sieht folgendermaßen aus: Ich werde mich ab jetzt parallel um ein seit langem unfertiges Jugendbuch-Projekt und um eine neue Fanfiction für Euch kümmern. Erwartet also mein nächstes Update nicht vor, sagen wir, Anfang oder Mitte März. Solltet Ihr Euch zwischenzeitlich mal nach dem Stand der Dinge erkundigen wollen, oder sonstige Fragen / Anregungen haben, dann mailt mir bitte gerne jederzeit.
Widmung: Dieses Kapitel geht an Claudia, meine liebe Freundin, die mir einen ganzen Nachmittag ihrer kostbaren Zeit gewidmet hat, um mit mir über die medizinisch-wissenschaftlichen Aspekte der Lykantrophie zu diskutieren, und was Schokoholismus möglicherweise damit zu tun hat.
Soundtrack: endlich mal Melissa. Ich meine Melissa Etheridge, für mich die größte Rockmusikerin aller Zeiten. Für's Besinnliche: „All the Way to Heaven" vom Album „Your Little Secret". Fürs Schwierige: "Don't you need" von ihrem ersten, dem legendären roten Album: "Melissa Etheridge".
So. Zum feierlichen Abschluss eine Runde Schoko-Pralinen-Trüffel-Torte für alle, und los geht es.
Don't you need don't you want
Can't you taste it when you're alone
Don't you cry don't you feel
Sometimes I wonder if you are real
Don't you bleed
Don't you need?
DREIZEHNTES KAPITEL: ENDE UND ANFANG
„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht" verkündete Tonks am Donnerstag abend. Es war schon dunkel draußen, und ein unangenehmer Wind schlug Regen gegen die Fensterscheiben. Meine Lieblings-Männer-WG und ich hatten eine kalte und unerfreuliche Stunde damit zugebracht, den verstopften Abzug des Ofens in Ordnung zu bringen, und jetzt, da es endlich warm wurde, kroch mir die Müdigkeit in die Glieder, was sich schlecht mit dem Klassenaufsatz zum Thema „Der ökologische Grundgedanke in der modernen Tränkeküche, oder wie wichtig ist eigentlich ein glückliches Huhn?" vertrug. Remus korrigierte mir voraus, er strich Rechtschreibfehler und unklare Formulierungen an, so dass ich mich nur noch um den Sinngehalt kümmern musste, aber schon das wurde von meinem bleischweren Gehirn als Zumutung empfunden.
„Du meine Güte" sagte Tonks und beugte sich mit kritischem Gesicht über den Tisch. Sie hatte zwei feuerrote, abstehende Zöpfe und Sommersprossen. „Ihr seht aus wie Zombies."
„Ist das jetzt die gute oder die schlechte Nachricht?" sagte Remus, ohne den Blick von seinem Aufsatz zu heben.
„Ihr solltet mal wieder eine Nacht zum Schlafen verwenden" sagte sie weise. „Schlafen wirkt Wunder."
„Ich schlafe" sagte ich in einer milden Version von Tränkemeisters Nähere-dich-und-du-stirbst-Tonfall. „Wie ein Stein. Aber ich stecke gerade bis zu den Ohren in der ersten Prüfungswelle des Jahres, falls du dir da irgendwas darunter vorstellen kannst."
„Und weil dieser Stapel heute noch korrigiert werden will, solltest du dich ein bisschen kurz fassen mit deinen Nachrichten, Miss Langstrumpf" sagte Remus. Ich grinste. Ich mochte es, wenn wir die gleichen Gedanken hatten.
„Sie sind kurz" teilte sie ihm mit. „Kurz und geringelt. Meine Socken. Falls es dich interessiert."
„Mäßig" sagte er.
„Wer interessiert sich für was?" fragte Sirius, der von draußen herein kam und Regen und Zigarettenrauch mitbrachte.
„Remus" sagte Tonks grinsend. „Für meine Unterwäsche."
„Hallo, Siiiii" flötete Remus.
„Hallo, Teeeh" flötete ich zurück, und wir küssten uns schmatzend.
„Ihr seid so böse" sagte Sirius.
„Wieso?" sagte Remus. „Wir entd nur die Vort der Komm mit Abk. Man ist so schn fert."
„Blödm" sagte Sirius, und Remus grinste und tunkte seinen Federkiel tief ins rote Tintenfass.
„Was ist nun mit den Neuigkeiten?" fragte ich.
„Ein paar Kollegen haben gestern den Wolfskampfkreis hops genommen" sagte Tonks.
Remus ließ seinen Federkiel fallen. Er rollte über den Aufsatz und hinterließ eine lange Spur dicker roter Tintenflecken, aber er bemerkte es nicht einmal.
„Miller, Hertz und ein paar andere" sagte Tonks. „Auf frischer Tat ertappt. Sie sind alle in Untersuchungshaft. Moody hat das richtig gut gemacht. Niemand hat auch nur eine Frage gestellt, woher er diese Informationen hatte."
„Die Formel?" sagte Remus. „Es war vereinbart, dass ich benachrichtigt werde."
„Das ist die schlechte Nachricht" sagte Tonks. „Die Jungs haben den Zauber auch nur gekauft. Sie haben die Formel gar nicht."
„Verflucht" sagte Remus tonlos.
„Ich weiß aber, von wem sie den Zauber haben" sagte Tonks. „Es ist ein Freak in Knockturn Alley. Nennt sich Großer Weißer Wolf Der Ständig Rumheult, oder so ähnlich. Hab's vergessen, aber er hat einen kleinen Traumfänger-Laden neben Hexenwerk & Teufelspech."
„Den kenn' ich" sagte ich. „Severus hat mich mal dorthin mitgenommen. Eine der wenigen Quellen für Bezoarpulver und Engelsträne."
„Der Traumfängerladen?" fragte Sirius erstaunt.
„Nein" sagte ich. „Hexenwerk, natürlich."
„Oh, Mist" sagte Remus. „Mist. Es tut mir leid. Ich hab' Tintenflecken auf den Aufsatz gemacht." Er wischte ein wenig mit dem Ärmel daran herum und griff dann nach seinem Stab.
„Vergiss es" sagte ich. „Es ist unlöschbare Tinte. Jack O'Connor wird es dir verzeihen."
„Ich brauche diese verfluchte Formel" sagte Remus und vergrub die Hände in den Haaren, als sei sein Kopf ihm plötzlich zu schwer.
„Das wissen wir" sagte Sirius. „Du sprichst von kaum etwas anderem."
„Wir holen sie uns eben von dem Schamanen-Freak" sagte ich. „Ist doch egal, von wem."
„Aber Weißer Heulender Wolf ist vielleicht nicht so kooperativ wie es einer wäre, der sich durch Herausgabe von Informationen eine mildere Strafe erkaufen möchte" sagte Remus. „Wenn er überhaupt kooperiert. Warum sollte er die Formel heraus geben?"
„Muss es denn die Formel sein?" fragte Tonks. „Die Spruchanwendung könnte ich kriegen."
„Die nützt aber nichts" sagte Remus finster. „Das ist wie Eintopf. Du kannst ihn erst nachkochen, wenn du weißt, was drin ist."
„Könnte von mir sein, der Vergleich" sagte ich.
„Ist doch kein Problem" sagte Sirius. „Großer Schwarzer Hund Der Mächtig Wütend Werden Kann stattet Weißem Wolf Der Besser Den Schwanz Einzieht gerne mal einen Besuch ab."
„Grauer Ziemlich Genervter Wolf sagt Nein" sagte Remus. „Der Besuch bei Umbridge war deine Dosis Risiko für dieses Jahr. Du hältst dich von Zauberlondon fern, verstanden?"
„Tränkelehrerin Die Nicht Fürs Kalauern Bezahlt Wird würde gerne diese Aufsätze fertig korrigieren" sagte ich. „Die müssen morgen an die Klasse zurück. Also entweder wir schaffen hier eine Umgebung, in der ich arbeiten kann, oder ich nehme mein Zeug und gehe zurück nach Hogwarts. Ich habe auch noch einen Job, verdammt."
„Entschuldige" sagte Remus sofort. „Du hast völlig Recht. Ich bin viel zu besessen von dieser Idee."
„Das hab' ich nicht gemeint" sagte ich unglücklich. „Ich kriege nur wirklich langsam ein Zeitproblem."
„Möchtest du zurück nach Hogwarts?"
„Nicht, wenn ich dann auf deine Korrekturdienste verzichten muss."
„Ist ja schon gut" sagte Sirius und nahm Tonks bei der Hand. „Wir suchen uns ein anderes Plätzchen in diesem gastlichen Haus. Wir wollen ja keinesfalls stören, wenn's bei euch romantisch wird."
„Prima" sagte ich. „Wir sehen uns dann später."
Sirius warf mir einen schockierten Blick zu, er hatte wohl ein „Nein, nein, bleibt nur" erwartet, aber ich fühlte in mir keine freien Kapazitäten für Höflichkeit, und so zog er maulend ab, Tonks im Schlepptau.
Niemand, der nicht schon mal einen Klassensatz mehr oder weniger bemühter Traktate zu immer demselben Thema korrigiert hat, weiß, wie lange sich das ziehen kann. Es war noch hell gewesen, als wir damit begonnen hatten. Am späten Abend waren wir fertig. Den letzten ertrug ich nur noch, indem ich ihn laut vorlas und Remus die Fehler entdecken ließ, die ich übersah. Ich machte mein Kürzel drunter, legte den Aufsatz auf den Stapel und kniff die Augen zusammen.
„Waren das alle?" sagte ich. „Sag, dass vor mir die blanke Tischplatte ist. Bitte."
„Es waren alle" sagte Remus und ich hörte, wie er das Tintenfass zuschraubte. „Du solltest enger gefasste Aufgaben stellen. Ein paar Multiple-Choice-Fragen, und ein paar konkrete Aufgaben mit drei, vier Zeilen drunter, auf die sie ihre Antwort schreiben können. Die fassen sich kurz, wenn sie nicht mehr Platz haben."
„Multiple Choice ist aber doch trivial" sagte ich erschöpft.
„Kommt drauf an" sagte er. „Meine Multiple Choices waren gefürchtet. Man kann da schon was draus machen."
„Hm" murmelte ich.
„Du kannst natürlich auch weiterhin die Ergüsse von Jonathan Smith korrigieren, die einmal quer durch den Hydepark reichen" sagte er.
„Guter Punkt" sagte ich. „Und Jonathan Smith ist nicht mal der schlimmste."
„Siehst du" sagte er. „Was möchtest du jetzt? Essen? Ein Bad? Ein Bett?"
„In dieser Reihenfolge" murmelte ich.
„Warte" sagte er und rutschte von der Bank. „Ich seh' mal nach, was wir haben."
Die Auswahl belief sich auf eine angebrochene Packung Hundekekse, ein Glas Erdnussbutter, vertrockneten Toast, zwei Joghurts, deren Haltbarkeitsdatum seit einer Woche abgelaufen war, und einen Rest indisches Take-away in der Pappschachtel, das gestern schon nicht besonders gewesen war. Ich beschloss, das Abendessen ausfallen zu lassen und gleich zu Punkt zwei in der Liste überzugehen.
Ich verzichtete auf das geräumige Badezimmer im zweiten Stock und begnügte mich mit dem engen, schmalen, das direkt neben unserem Schlafzimmer lag. Ich war nicht mehr bereit, unnötige Wege in Kauf zu nehmen. Meine Schulter brannte und piekste, und der Verband hatte mich an einer blöden Stelle unterm Arm wund gerieben. Wir hatten noch nicht einmal Halbzeit bis zu den Weihnachtsferien, und ich fühlte mich hochgradig urlaubsreif.
Ich ließ Wasser ein und begann, mich auszuziehen. Es war kein Wunder, wenn ich es mir überlegte. Das vorletzte Wochenende war mit Remus' Entführung, einer Menge Gedankenleserei und einem erfrischenden Trip auf die Dächer der Schule alles andere als erholsam gewesen, und ein paar Stunden eingestreute Karibik konnten meine Energiebilanz nicht aus ihrem Tief heraus reißen. Dann hatte ich vier Tage post-operativ auf der Krankenstation verbracht, mich am Freitag zu Pomfreys Missfallen selbst entlassen, damit ich am Freitag Abend einem kleinen Einbruch im Nobelviertel von Zauberlondon beiwohnen konnte, hatte dann das Wochenende wie eine Besessene durchgearbeitet, um meinen Unterricht auf die Reihe zu kriegen und die durch mein Fehlen entstandenen Versäumnisse so gering wie möglich zu halten und war jetzt, am Montag Abend, vollständig aufgebraucht.
Ich stieg in die Wanne und legte mich stöhnend. Das Wasser brannte auf meiner wund gescheuerten Stelle, und ich legte mich ein wenig schief, um wenigstens die halb verheilte Einschusswunde zu verschonen. Satzfetzen über Pestizide in Fluoridentis-Lösungen, ethische Grundlagen in der Alraunzucht und die Unverwendbarkeit von Hühnereiern bei den in der Tränkeküche üblichen hohen Kochtemperaturen bewegten sich träge durch die zermatschte Masse, die einmal mein Gehirn gewesen war.
„Remus" sagte ich, ohne die Augen zu öffnen. „Reeeeeemus."
Er hatte sich unauffällig entfernt, nachdem er mir ein paar Handtücher gebracht hatte, und sich seitdem nicht mehr blicken lassen, ich nahm an, er glaubte, ich brauchte meine Ruhe. Was ja auch stimmte, aber wer wollte behaupten, dass Ruhe und Remus sich gegenseitig ausschlossen?
„Reeeeee…"
„Ja?"
„Wo bist du nur" murmelte ich und schaffte ein Blinzeln. Er stand auf der Türschwelle und lächelte ein bisschen.
„Ich dachte, du wolltest deine Ruhe" sagte er.
„Bingo" murmelte ich.
„Hm?"
„Ich habe Hunger. Warum könnt ihr nicht wie vernünftige Leute den Kühlschrank voll machen? Von euch geht wirklich nie einer einkaufen, oder?"
„Doch" sagte er. „Gelegentlich. Aber das Zeug ist immer so schnell weg. Ich bin einfach die Mengen nicht gewöhnt."
Ich arbeitete gegen ein Bild in meinem Gehirnmatsch: Ich sah Remus mit einer Packung Toast, einer Tüte Haferflocken und einem Apfel an der Supermarkt-Kasse stehen, in dem Glauben, damit den Wocheneinkauf zu erledigen. Ich sagte nichts. Alles, was den Tausch von Geld gegen Güter betraf, war dünnes Eis.
„Wir gehen mal gemeinsam einkaufen" sagte ich müde. „Hast du noch Schokolade?"
„Keine richtige" sagte er. „Nur noch mit Marzipan drin. Molly dachte, sie macht mir eine Freude."
„Marzipan ist prima" sagte ich. „Ich liebe Marzipan. Her damit."
Er ging und brachte mir die Schokolade, und weil meine Hände nass und seifig waren, ließ er sich neben der Wanne auf dem Boden nieder und fütterte mich stückchenweise. Es war Zartbitter mit Kirschmarzipan. Ich fand, ich hätte es schlimmer treffen können. Ich lehnte den Kopf gegen den Wannenrand und schloss die Augen.
„He" sagte er und küsste meine nasse Wange. „Nicht einschlafen. Erst im Bett schlafen."
„Okay" seufzte ich.
„Noch Marzipan?"
Ich öffnete den Mund, und er schob mir ein Stück zwischen die Lippen.
„Ich weiß nicht, was du hast" sagte ich kauend. „Ich mag die."
„Es ist keine Frage der Qualität, sondern eine des Prinzips" erklärte er. „Ich hab' nichts gegen Marzipan. Nur etwas gegen Marzipan, das als Schokolade verkleidet daher kommt. Wenn ich Schokolade will, dann will ich Schokolade, und kein Marzipan."
„Aber sie ergänzen sich doch so gut" sagte ich. „Natürlich kann man auch Marzipan ohne Schokolade essen, aber beides zusammen ist doch… mehr als die Summe der Einzelteile. Ein gutes Team."
„Aber es soll kein Marzipan drin sein, wenn es von außen aussieht wie Schokolade" sagte er hartnäckig.
„Es gäbe keine Überraschungen mehr, wenn immer alles von außen gleich ersichtlich wäre" sagte ich.
„Es gibt Überraschungen, auf die man verzichten kann" sagte er.
„Das ist Ansichtssache" sagte ich.
„Sprechen wir noch von Schokolade?" sagte er.
„Ich weiß nicht" sagte ich. „Ich hatte da gerade diese großartige und ziemlich scharfsinnige Analogie im Kopf, aber vielleicht kommt mir das auch nur so vor, weil mein Gehirn so zermatscht ist von all den Aufsätzen."
„Letzteres" sagte er. „Eindeutig."
„Trotzdem finde ich Schokolade, in der nichts drin ist, manchmal ein bisschen langweilig" sagte ich.
„Ich nicht" sagte er. „Ich würde was drum geben, wenn ich einfach nur Schokolade sein könnte. Oh, Merlin."
„Was?"
„Ich hab's getan. Ich hab' mich auf dein Niveau runter gelassen."
„Willkommen" sagte ich. „Tut's sehr weh?"
„Lässt schon nach" sagte er und steckte sich ein Stück Marzipanschokolade in den Mund.
„Weißt du, was mich stört" sagte ich. „Du bist auf der falschen Seite der Badewanne."
„Bin ich das?" fragte er und leckte sich ein wenig Schokolade aus dem Mundwinkel.
„Ja" sagte ich. „Warum eigentlich?"
„Na ja" sagte er, räusperte sich verlegen und knisterte mit dem Silberpapier herum. „Ich könnte nicht für deine bitter benötigte Ruhe garantieren, wenn ich jetzt einsteige – falls du weißt, was ich meine."
„Mein Gehirn ist zermatscht" sagte ich. „Der Rest von Emilia funktioniert noch ganz gut."
„Versprich mir zuerst, dass du mich nicht mit schiefen Analogien quälst."
„Keine Analogien" schwor ich und hob eine nasse Seifenhand.
Ich sah ihm zu, wie er sich auszog und Stück für Stück die Spuren des Wolfes auf seinem Körper enthüllte. Ich hatte noch zu arbeiten an dem seltsam engen Gefühl, das mich von innen zuschnürte, wenn ich an die Zauberformel dachte, die zum beherrschenden Thema seiner Tage geworden war. Dann kam er zu mir, und ich spürte den Schauer, der über seinen Körper lief, als die Hitze des Wassers ihn traf.
„Liebe Güte" murmelte er. „Du magst es warm."
Er hatte sich hinter mich gesetzt und die Arme um mich geschlungen, und ich drehte mich unter erheblichen Verrenkungen in der Wanne, um ihn ansehen zu können. Mit den Fingerspitzen folgte ich der roten Narbe, die seinen Hals zeichnete und in ein Geflecht von flachen, silbrigen Spuren auf seiner Brust mündete, man konnte von dort bis hinunter auf seine Hüften gelangen wie über verschlungene Straßen.
„Lass das" sagte er ein wenig ungeduldig und machte eine ausweichende Bewegung, die in der engen Wanne zu nicht viel führte.
„Weißt du" sagte ich, „ich glaube, der Wolf wäre netter zu dir, wenn du netter zu ihm wärest."
„Emilia" sagte er. „Nicht."
„Er tut mir leid" sagte ich und küsste die rote Narbe. „Ich bin vielleicht ein bisschen weinerlich, weil ich so müde bin, aber ich denke da ständig an diesen armen Wolf, den niemand lieb hat, der immer nur herum gestoßen und angefeindet wird. Er ist vielleicht nur so wütend, weil er so traurig ist."
„Mir kommen die Tränen" sagte er und wich meinem Blick aus. Seine Hände verließen meinen Körper und hielten sich am Wannenrand, als wollte er sich jeden Augenblick hoch stemmen.
„Und jetzt muss er auch noch damit klar kommen, dass du ihn wegzaubern willst" sagte ich.
„Ich kann ihn nicht wegzaubern" sagte er gegen die Decke. „Ich kann ihn nur unterdrücken. So wie mit dem Wolfsbann, nur vollständiger."
„Das ist nicht viel besser" sagte ich. „Armer Wolf."
Er schüttelte den Kopf, gab etwas von sich, das zwischen hilflosem Lachen und Verzweiflung lag, und legte sich die nasse Hand über die Augen.
„Du weißt doch gar nicht, wovon du sprichst" sagte er. „Du hast doch keine Ahnung."
„Ich hab genug Ahnung, um eine Meinung zu haben" sagte ich. „Oder willst du mich erst beißen, damit ich wirklich mitreden kann? Dann nur zu. Beiß mich. Es ist für Severus sicher kein Aufwand, die doppelte Portion Wolfsbann zu machen."
„Was willst du?" fragte er. „Mich wütend machen? Meinen Glückwunsch. Das hast du geschafft."
„Du bist wütend, weil du weißt, dass ich recht habe" sagte ich.
„Der Wolf ist ein Monster" sagte er. „Wie oft muss ich das noch betonen."
„Aber das kannst du doch eigentlich gar nicht wissen" sagte ich. „Du kennst ihn doch gar nicht. Du erinnerst dich doch nicht an ihn, wenn er da war. Und wenn du Wolfsbann hast, ist er ja nicht er selbst, sondern irgendwie betäubt."
Er lehnte sich zurück gegen den Wannenrand, um meinem Blick auszuweichen.
„Frag mal Sirius" sagte ich. Ich wusste nicht, ob es klug war, aber mein Gehirn war nicht in der Lage, mehr als einen Inhalt gleichzeitig zu bearbeiten, und ich war gerade beim Thema. „Sirius kennt den Wolf. Und er mag ihn, das ist sicher. Er hat sich sogar eine Animagus-Form zugelegt, um besser mit ihm zusammen sein zu können."
„Sirius mag mich" sagte Remus. „Er hat es getan, um mir den Mond zu erleichtern. Und weil er es aufregend fand. Und weil er mich immer noch irgendwie für eine ulkige Art von Animagus hält. Er hat einfach nie begriffen, dass es kein Spaß ist."
„Glaub ich nicht" sagte ich. „Sirius ist manchmal ein bisschen doof, aber er ist nicht blöd."
„Hörst du dir eigentlich mal selber zu?" sagte er und verzog das Gesicht.
„Entschuldige" sagte ich und ließ den Kopf nach vorne gegen seine Schulter kippen. „Ich bin auf dem Niveau meiner Schüler angelangt."
„Warum eigentlich immer in der Badewanne?" fragte er mich. Ich spürte die Spannung in seinem Körper, aber immerhin legte er die Arme wieder um mich und versenkte seine Finger in meinen Haaren.
„Was?" sagte ich. „Niveau-Unterschreitungen?"
„Nein" sagte er. „Schwierige Themen. Du fängst immer in der Badewanne damit an."
Ich grinste schwach. „Versuch mal, davon zu laufen" sagte ich.
„Wie durchtrieben" sagte er. „Ab heute wird nur noch geduscht."
Ich bewegte mich plätschernd, und er schlang seine Arme fester um mich. Ich spürte, wie die Spannung wich und sich im warmen Seifenwasser auflöste. Und dann wurde es trotzdem unangenehm.
„Aua" sagte ich.
„Was?" sagte er.
„Dein Arm" sagte ich. „Auf meiner Schulter. Aua."
„Oh" sagte er und bewegte sich. „Entschuldige. Tut mir leid. Geht's wieder?"
„Mhm" sagte ich. „Küsschen drauf."
Wir küssten uns, und dann noch mal, und dann noch ein paar Mal öfter, länger, als es weh getan hatte, es war warm und glitschig und ein wenig seifig, und ich legte meine Hände auf die Wolfsspuren, und er ließ es geschehen.
„Ich will dich auch was fragen" sagte er, gerade als ich beschlossen hatte, einen Vorstoß unter die Wasseroberfläche zu unternehmen, um zu sehen, wie die Dinge so – nein. Nicht standen. Sich verhielten.
„Hm?" sagte ich. Es war ja vielleicht schnell erledigt.
„Ich weiß, dass du sehr belastet bist" sagte er, „aber ich hätte gerne deine Hilfe, wenn es geht. Ich würde gerne lernen, wie man einen Computer bedient."
„Erst der Kugelschreiber, jetzt das" sagte ich. „Und morgen willst du Führerschein machen."
„Warum auch nicht" sagte er. „Wenngleich mir ein Auto bei der Erstellung einer Internetseite wenig hilft, so weit ich informiert bin."
„Wozu brauchst du eine Internetseite?"
„Ich habe da so eine Idee. Eine Projektidee. Schon seit einer Weile. Ich denke, Internet könnte ein gutes Kommunikationsmedium sein. Vor allem, wenn es sich um Kommunikation handelt, die, sagen wir, am Ministerium vorbei laufen soll."
„Ein Geheimbund der Werwölfe" sagte ich erstaunt.
„Nicht ganz" sagte er. „Ich dachte an eine Schule."
„Eine Schule? Für Werwölfe?"
„Für Wolfskinder" sagte er und lächelte. „Eine Wohnzimmerschule, Emilia. Streich das Schloss aus deiner Vorstellung. So viele Wolfskinder gibt es in London glücklicherweise auch nicht."
„Aha" sagte ich und rieb mir bei dem Versuch, Seife aus meinen Augen zu kriegen, neue hinein. Er fasste aus der Wanne und fischte ein Handtuch vom Hocker, das er mir gab.
„Die Idee existiert schon seit längerem, unterschwellig" sagte er. „Lykantrophe Kinder und Jugendliche haben überhaupt nur irgendeine Chance im Leben, wenn sie gut ausgebildet sind. Aber das sind sie nicht, in den meisten Fällen. Ich habe ein bisschen Recherche betrieben zu dem Thema. Mit Leuten geredet. Die wenigsten Wolfskinder gehen überhaupt zur Schule. Die meisten leben in chaotischen Verhältnissen, allein schon weil die Eltern zumeist lykantroph sind und ihre Infektion übertragen haben."
„Was" sagte ich entsetzt und ließ das Handtuch sinken. „Du meinst – Eltern beißen ihre eigenen Kinder?"
„Kommt immer wieder vor" sagte er. „Gar nicht mal aus Aggression oder Wut. Aber Wolfswelpen werden im Rudel auf ihren Platz verbissen, damit sie gehorchen. Zu ihrem eigenen Schutz. Wenn sich da Instinktverhalten auf eine enge häusliche Situation überträgt, ist ein Unfall schneller passiert, als du glaubst."
„Oh" sagte ich.
„Meine Ängste sind nicht so vollständig aus der Luft gegriffen, weißt du" sagte er.
„Hm" sagte ich und schaute hinunter auf das Handtuch, das ich in meinem Schreck ins Wasser getaucht hatte, wo es nun zwischen uns trieb wie eine große, flauschige Qualle.
„Mein Lebenslauf ist ziemlich einzigartig unter Werwölfen" sagte er. „Geregeltes Elternhaus, stabile Verhältnisse, gute Grundlagenbildung, weil meine Eltern mich selbst unterrichten konnten. Allein nur deshalb konnte ich nach Hogwarts gehen. Selbst wenn ich alle Londoner Wolfskinder nach Hogwarts schicken könnte, könnte man sie dort nicht aufnehmen. Hogwarts ist eine weiterführende Schule, und den Wolfskindern fehlt es ja nicht nur am Schreiben und Rechnen, sondern auch an Dingen wie Disziplin und Durchhaltevermögen. Die meisten von ihnen kennen nicht mal einen geregelten Tagesablauf. Das muss man ihnen alles beibringen, bevor sie überhaupt nach Hogwarts oder auf eine andere Schule gehen können."
„Okay" sagte ich. „versteh' ich. Und wie willst du sie einrichten, deine Wohnzimmerschule? Du brauchst ein Wohnzimmer. Und Lehrkräfte. Und Lehrmittel. Bücher und so."
„Du meinst, ich brauche Geld" sagte er.
„Öhm" sagte ich. „Ja. Es klingt nicht gerade so, als könnten die Eltern deiner zukünftigen Schüler mächtig Schulgeld abdrücken."
„Wohl kaum" sagte er. „Sirius hat mir Geld angeboten. Als wir einzogen, haben wir alles, was im Haus Silber war, aussortiert und in einer Kiste auf dem Speicher verstaut. Allein damit kämen wir auf ein paar tausend Galleonen, wenn wir es vernünftig verkaufen. Es sind ein paar alte Sachen darunter, die Sammlerwert haben."
„Du hast mit ihm schon drüber gesprochen?" sagte ich und versuchte, beiläufig zu klingen.
„In groben Zügen" sagte er. „Es ist traurig. Wir haben hier ein Haus mit mehr Wohnzimmern, als wir jemals nutzen können, aber wir können niemanden rein lassen. Eine schreckliche Verschwendung, aber ich werde wohl tatsächlich etwas mieten müssen."
„Versteh mich nicht falsch" sagte ich. „Ich will keinesfalls als Spielverderber auftreten, aber dieses Projekt klingt nicht danach, als könnte es sich jemals finanziell selbst tragen. Was ist denn, wenn alle Silberkisten und Antiquitäten in Nummer Zwölf verkauft sind? Mal ganz davon abgesehen, dass Sirius ja auch noch was braucht, wovon er leben kann, und das auf unbestimmte Zeit."
„Ja" sagte er. „Du hast völlig Recht. Es wird auf Dauer nicht ohne ein paar Geldgeber funktionieren. Wenn ich Glück habe, kann ich die mir mit der Zeit erschließen. Es werden schließlich nicht nur arme Leute gebissen. Die reichen treten nur nicht so in Erscheinung, die können sich in ihren Häusern verkriechen und vom Vermögen leben."
„Und wenn du Pech hast?"
„Dann wird das Projekt verhungern" sagte er. „Aber dann habe ich es wenigstens versucht. Und wer weiß, welche Möglichkeiten sich vielleicht über das Wolfs-Netzwerk auftun, von denen wir heute noch keine Ahnung haben. Im Idealfall ist das Black'sche Tafelsilber nur eine Anschubfinanzierung."
Ich sah ihn an. Er hatte sich in Eifer geredet. Seine Augen waren wach und strahlend, und er gestikulierte beim Sprechen, wie er es selten tat, üblicherweise hielt er seine vernarbten Hände sorgfältig aus dem Blick. Eine Spannung und Begeisterung ging von ihm aus, die ich sehr sexy fand.
„Bücher kann ich vielleicht über Dumbledore bekommen" sagte er. „Er hat Kontakte zu anderen Schulleitern, und vielleicht gibt es hier und da noch einen älteren Klassensatz, der nicht mehr benötigt wird. Ich habe lieber älteres Lehrmaterial als gar keines. Ansonsten arbeiten wir mit einer Tafel und Hefteinträgen. Altmodisch, geht aber immer."
„Wir?" sagte ich und lächelte.
„Bewerbungen für ehrenamtliche Lehraufträge werden immer entgegen genommen" sagte er und brachte seine Hände endlich wieder auf meine Haut, wo sie hin gehörten.
„Was willst du den Wolfskindern beibringen?" fragte ich, das Gesicht an seiner Schulter. Ich war nur noch halb bei der Sache, meine Lippen fanden seinen Hals und die empfindliche Stelle zwischen Kinn und Ohr.
„Kommt drauf an" sagte er und ich hörte, wie sein Atem den Rhythmus wechselte. „Mit der Lykantrophie vernünftig umzugehen, zuallererst. Ansonsten… je nach Vorbildung. Lesen, Schreiben, Rechnen… hmmmm… Literatur… Geschichte… Latein…"
„Latein find ich sexy" murmelte ich. „Sag mir was auf Latein."
„Wie bitte?" sagte er und lachte.
„Sag mir was auf Latein" flüsterte ich und küsste seine unrasierte Wange.
„Amo te" sagte er mir ins Ohr.
„Ja" sagte ich und ließ meine Hände an seinen Hüften entlang unter Wasser gleiten. „Ich dich auch. Weiter. Was längeres."
„Es ist schwierig, nachzudenken, unter diesen Bedingungen" sagte er, und seine Stimme bekam den kleinen Knacks, der mir sagte, dass ihm gefiel, was ich da mit ihm machte.
„Streng dich an" sagte ich, Lippen an seinem Ohr, und er lachte.
„Warte" sagte er. „Da gibt's was. Ich hab's gleich. In trutina mentis… mmmhh… irgendwas… blablabla… und so weiter… ohh… es würde helfen, wenn du… deine Hände dort weg nehmen würdest…"
„Soll ich?"
„Nein!"
Ich lachte und behielt meiner Hände dort, mein Interesse an Latein schwand ohnehin in dem Maße, in dem seine Hingabe wuchs. Er legte den Kopf zurück auf den Wannenrand und zeigte mir den hellen, verletzlichen Hals, während er gegen meine Hand drängte, und seine Zähne vergruben sich in seiner Unterlippe, bis ich ihn küsste, weil ich es nicht mehr mit ansehen konnte. Und wieder einmal war es magisch, wie er wusste, wann er seine Hände wo auf mich legen musste, es gab einen inneren Gleichklang zwischen uns, der durch nichts zu stören war, nicht durch Müdigkeit und nicht durch Wasser, das kalt wurde und sich platschend über den Wannenrand ergoss, und obwohl ich wusste, dass es Leichtsinn und unangebracht und viel zu zeitig war, achtete ich doch sorgfältig darauf, dass wir beide unsere Verhütungszauber vergaßen.
Dann wurden die Wellen flacher in der Wanne und verliefen sich zu einem sanften Kräuseln der Wasseroberfläche, und ich strandete schlapp wie ein nasses Handtuch auf meinem Wolf.
„Hmmmm" machte er an meinem Ohr. „Geht das auch mit Französisch? Französisch kann ich fließend."
„Gut zu wissen" murmelte ich. „Ich liebe französisch."
„Honi soit qui mal y pense" sagte er an meinem Ohr.
„Hm?" sagte ich.
"Nichts" sagte er und grinste. „Ich glaube, wir haben die Schokolade ertränkt."
Ich spähte über den Wannenrand. „So würde ich das nicht sagen" sagte ich. „Sie schwimmt noch. Man könnte sie sogar noch essen, wenn man sich an der Seife nicht stört."
„Arme Schokolade" sagte er. „Behalten wir sie in ehrender Erinnerung, als eine Schokolade, die ihr Bestes gegeben hat, obwohl sie mit Marzipan gefüllt war. Sie hat ihr schweres Los standhaft getragen wie ein… eine… wie eine Schokolade."
Ich entbot der tapferen Schokolade einen nassen Salut und lehnte mich zurück gegen meinen Wolf. Ich versuchte, die Seife zu ignorieren, die mir in den Augen brannte, und die Tatsache, dass mir im abgekühlten Wasser schnell kalt wurde und dass es wohl über kurz oder lang unvermeidlich sein würde, sich zu bewegen. Und dann gab es wieder diese magische Gedankenübertragung, die ganz ohne Legilimantik funktionierte, oder vielleicht war auch nur meine Gänsehaut unübersehbar, jedenfalls sagte er „Incendio" und deutete er mit dem Zeigefinger ins Wasser, das sich augenblicklich erhitzte.
„Wow" murmelte ich. „Falls du das getan hast, um mich zu beeindrucken: Ich bin beeindruckt."
„Danke schön" sagte er.
„Ich dachte, stablose Magie funktioniert nur im Notfall" sagte ich.
„Ist einer" sagte er und küsste meine Stirn. „Mädchen friert. Notfall."
„Mhm" sagte ich. „Mädchen hat Seife im Auge. Auge wahrscheinlich rot wie Kaninchen. Auch Notfall?"
„Lieber nicht" sagte er. „Man muss die eigenen Grenzen kennen. Wäre doch schade, wenn du enden würdest wie Moody."
„Aber du würdest mich trotzdem noch lieben? Oder geht es dir etwa nur um meinen makellosen Modelkörper? Was lachst du?"
„Ich – aua. Nicht kneifen! Ich liebe dich. Ich würde dich auch lieben, wenn du enden würdest wie… wie… mir fällt keine Steigerung zu Moody ein."
„Dolores?"
„Du solltest nicht zu viel verlangen. Ich bin auch nur ein Mensch. Halbmensch. Halbmensch mit menschenähnlicher Intelligenz."
„Schon gut" sagte ich. „Damit kann ich leben. Erklär mir doch lieber noch mal den Teil mit dem Internet. Wozu brauchst du eine Webseite?"
„Vor allem, um an die Muggel-Werwölfe zu gelangen" sagte er. „Die sind am ärmsten dran. Und am gefährlichsten, ohne die Möglichkeit, Schutzzauber zu sprechen."
„Und du meinst, Werwolf Muggelmüller setzt sich zwischen den Monden mal an den PC und surft nach ein paar Infos?"
„Warum nicht? Muggel gehen wegen allem ins Internet. Und was soll Werwolf Muggelmüller sonst tun? Zu seinem Hausarzt gehen? Herr Doktor, ich glaube, ich habe da ein kleines pelziges Problem…"
„Hm. Da ist was dran. Aber was ist mit den Zauberern? Die gehen nicht ins Internet."
„Was ja genau einer der Vorteile ist. Ich gedenke nämlich nicht, diese Organisation irgendwo anzumelden, ganz davon zu schweigen, einem der anderen Wölfe eine Registratur zu empfehlen."
Ich sagte nichts. Ich strich mit den Fingerspitzen über das bläulich-schwarze Tattoo, das seinen Unterarm verunstaltete, und er legte den Kopf an meine Schulter und ließ seinen Atem über meinen Hals gehen. Es war das erste Mal überhaupt, dass ich ihn dort berühren durfte. Dann bewegte er sich, und meine Finger rutschten ab. Der Moment war vergangen, und als er sprach, klang seine Stimme nahezu unverändert.
„Zu Zauberer-Werwölfen kann ich auf herkömmliche Weise Kontakt knüpfen. Ich weiß, wo sie sich bewegen. Und wenn sich erst einmal einige zusammen gefunden haben, kann ich ihnen die Kommunikation übers Internet beibringen. Falls du es mir vorher beibringst."
„Natürlich" sagte ich. „Ich hab' zwar noch nie eine Internetseite gemacht, aber so schwer kann das nicht sein. Es gibt Bücher zu dem Thema, und Programme. Das kriegen wir hin. Weißt du denn schon einen Namen?"
„Sirius nennt es die Moonyschule" sagte er. „Ein bisschen unglücklich, wie ich finde, aber es hat sich irgendwie in meinem Gehirn fest gesetzt."
„Dann belassen wir es dabei, bis auf weiteres" schlug ich vor.
„Was kostet denn ein Computer?" fragte er.
„Das ist nicht das Problem" sagte ich. „Meine Eltern haben meinen alten Rechner eingelagert, den können sie mir schicken. Ich wusste ja, dass ich ihn in Hogwarts nicht betreiben kann, da hab ich ihn gar nicht mit umgezogen. Ich bezweifle nur, dass wir ihn hier mit reiner Magie zum Laufen kriegen, und schon gar nicht ins Internet. Dafür braucht man ein Telefonkabel."
„Ich werde eine Muggelwohnung mieten" sagte er. „Mit Strom und Telefon und allem. Dann ist auch der Kulturschock für die Muggelwölfe nicht so groß."
„Du hast das ja schon bis ins Detail durchdacht" sagte ich erstaunt.
„Natürlich" sagte er und grinste. „Ich bin ein gründlicher Mensch. Oder, wie Sirius sagen würde, ein Erbsenzähler."
Ich lachte über diese Siriusbezeichnung, und dann küssten wir uns, lange und zufrieden, und ich staunte, denn meine Zukunft fühlte sich plötzlich ganz anders an, hell und freundlich, und ein Gewicht war von meiner Brust genommen.
oooOOOooo
Und dann kam doch noch ein dickes Ende in Form einer Ministeriumseule, die mir tags darauf mit der Frühstückspost einen amtlich aussehenden Brief in die Cornflakes fallen ließ.
„Mist" sagte ich, fischte ihn raus und schüttelte die Milch von dem steifen Pergament. „Oh Mist, oh Mist."
„Vorsichtig" sagte Severus neben mir ärgerlich und brachte seinen bauschigen Ärmel in Sicherheit. „Die Eulen sind schon Ärgernis genug. Was haben Sie da?"
„Post vom Ministerium" sagte ich und brach das Siegel mit einem mehr als mulmigen Gefühl. Ich las und spürte gleichzeitig, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich.
„Oh, Mist" sagte ich.
„Sie wiederholen sich" bemerkte Severus.
„Die laden mich vor" sagte ich. „Wegen der Verwicklung meines – meines Schutzbefohlenen mit der Registriernummer bla-laber-schwätz in einen unklaren Fall von illegalem Glücksspiel – Glücksspiel? Die ticken doch wohl nicht richtig?"
Severus stieß mich in die Seite und warf der Kollegin Vector einen finsteren Blick zu, die ihr Brötchen hatte sinken lassen und nun interessiert zu uns hinüber sah.
„Außerdem wird ihm vorgeworfen" las ich mit gedämpfter Stimme vor. „Widerstand gegen die Staatsgewalt. Tätlicher Angriff auf staatliche Bedienstete. Flucht und Tatverschleierung."
Ich sah auf und starrte Severus an.
„Hhhh" sagte ich. „Panik. Panik. Panik."
"Schluss" sagte er und nahm mir den Brief ab. „Beruhigen Sie sich gefälligst. Sie vergessen wohl, welche Möglichkeiten uns neuerdings zur Verfügung stehen."
„Sie meinen…" sagte ich und widerstand der Versuchung, mich an seinen Ärmel zu klammern wie eine Ertrinkende.
„Ich meine" sagte er gedämpft, „dies ist ein Fall für den Rabenkönig."
„Ich dachte, der Rabenkönig wollte sich nicht für die Belange einzelner Werwölfe einsetzen" sagte ich verzweifelt. „Tarnung und so."
„Falls Sie im vorliegenden Fall keine Veranlassung sehen, von diesem Grundsatz abzuweichen, teilen Sie es mir getrost mit" sagte Severus. „Ich werde es nämlich nicht ohne Not tun."
„Doch" sagte ich schnell. „Weichen Sie ab. Ich bitte Sie. Ich glaube, es ist echt ganz dringend nötig."
„Ich teile Ihre Einschätzung" sagte er. „Wenngleich ich es bedaure."
„Severus" sagte ich, „ich werde Ihnen ewig dankbar sein."
Er tippte sich mit dem scharf gefalteten Ministeriumspergament gegen das Kinn und sah mich über seinen strengen Stehkragen hinweg an.
„Ich weiß" sagte er. „Und nun entschuldigen Sie mich."
Unter dem erstaunten Blick von Professor Vector schob er seinen Stuhl zurück und verließ mit wehender Robe die Große Halle.
Vermutlich zum ersten Mal in der Geschichte der Schule kam an diesem Morgen Professor Snape zu spät zum Unterricht.
oooOOOooo
Der Mittwoch Nachmittag fand mich nicht etwa dort, wo ich hingehörte, an meinem Schreibtisch, Nase in meiner Vorbereitung, sondern in Diagon Alley, wo Nebel und Nieselregen das spärliche Licht zwischen den hohen, engen Häusern vollends zu einer trüben Brühe gerinnen ließen. Ich zog meinen Umhang fester und sah mich um. Ich hatte ausnahmsweise darauf geachtet, wie eine Hexe auszusehen, nicht wie ein Muggel, und so fiel ich ausnahmsweise auch nur dadurch auf, dass ich im Weg stand. Das Wetter hielt die Einwohner von Zauber-London keineswegs vom Shopping ab, und rund um mich herrschte ein steter Fluss von farbenfrohen Roben, ulkigen Hüten, dicken, unter den Arm geklemmten Paketen und bellenden, jaulenden, piepsenden, quiekenden, krächzenden tierischen Begleitern. Die Tierliebe des durchschnittlichen englischen Zauberers schien keine Grenzen zu kennen. Ich war fast sicher, eine alte Dame mit einem kleinen Krokodil an der Leine gesehen zu haben, als mein unsichtbarer Begleiter mir einen energischen Schubs verpasste, der mich in Richtung einer noch engeren, noch dunkleren Gasse voran brachte. Das Straßenschild war abgebrochen, es war nur ein KN und ein halbes O übrig, und ich fragte mich, ob wich wirklich wissen wollte, unter welchen Umständen ein Straßenschild abbrach. Die Gasse war abschüssig und wand sich zwischen den schmutzigen, schiefen Fassaden wie eine krumme Krähenwurzel. Die Dächer schienen sich nach vorne zu neigen, um den Himmel auszuschließen, und so hatte ich das ungute Gefühl, mich in eine Höhle zu bewegen, ohne zu wissen, was vielleicht darin wohnte. Ich vergrub die Hände in den Manteltaschen, schob das Kinn nach vorne und marschierte voran. Es waren nicht mehr als hundert Meter bis zu Hexenwerk & Teufelspech, und ich hatte den Weg mit Severus schon einmal unbeschadet überstanden. Ich fühlte mich beobachtet, als ich die dunklen, verhängten und verriegelten Erdgeschossfenster passierte, und eine heiße Welle schwappte über mich, als ich hinter mir Schritte hörte, bis eine unsichtbare Hand auf meiner Schulter mich daran erinnerte, dass Schritte genau das waren, was da hinter mir sein sollte.
Ich passierte Hexenwerk & Teufelspech und sah mich um. Ein tiefer, dunkler Hauseingang führte in einen tristen Hinterhof. An der Hauswand hatte man ein schiefes, kaum leserliches Schild angebracht. Ich rückte meine Brille zurecht und las mit einiger Mühe:
„Traumfang. Inhaber: Jones. Hinterhof rechts."
Die unsichtbare Hand auf meiner Schulter schob mich vorwärts, und ich gehorchte und brachte den engen Durchgang hinter mich. Der Hinterhof war schmutzig und bot paradiesische Zustände für eine Großfamilie fetter Ratten, deren durchdringendes Fiepen mir alle Haare aufstellte. Mein unsichtbarer Begleiter gab ein tiefes Knurren von sich, das nur mit viel Mühe noch als menschlich einzuordnen war, und ich eilte vorwärts und stieß eine schmale Ladentür auf, ehe tierische Instinkte die Kontrolle übernehmen konnten.
Das Glockenspiel am Eingang klingelte heftig. Ein betäubender Geruch von Räucherstäbchen und Tabak schlug mir entgegen. Die Luft war heiß und verbraucht. Ein schmaler Durchgang lag vor mir, der sich nach einigen Schritten in einen halbdunklen Raum öffnete, und ich schrak zurück, als ich mich plötzlich mit einer dunklen, verzerrten Fratze konfrontiert sah, die mich mit aufgerissenem Mund anstarrte. Ich stieß gegen meinen unsichtbaren Begleiter und fühlte seine Hände auf meinen Schultern.
„Was ist los?" flüsterte er besorgt.
„Nichts" keuchte ich. „Eine Maske. Nur eine Maske. Da, an der Wand."
Auf den zweiten Blick war der schmale Durchgang nur deshalb so schmal, weil er mit allen möglichen skurrilen und gruseligen Dingen vollgestopft war: Da gab es ein Tischchen, dessen Platte auf einer hölzernen Verschlingung geschnitzter menschlicher Körper ruhte, mit Tierfellen bespannte Stühle, eine Wasserpfeife, deren Mundstück wie eine aufgespreizte Kobra gearbeitet war, die fast lebensgroße Holzstatue eines kriegerisch drein blickenden Indianers, eine Armvoll gefährlich aussehender Speere in einem Schirmständer und ein Zauberschach, auf dem sich die indianisch aussehenden Figuren zum Spaß selbst bekriegten, ohne dass Spieler daran saßen.
Ich schob mich vorsichtig an dem Holzkrieger vorbei, ich war nicht sicher, ob seine Augen mir nicht doch folgten, und duckte mich unter einer staubigen Auswahl an Traumfängern hindurch in das, was ich für den Verkaufsraum hielt. Das Sammelsurium skurriler Gegenstände fand hier seine Fortsetzung und kulminativen Höhepunkt. Der ambitionierte Selfmade-Ethnozauberer konnte hier vom australischen Regenmacher über afrikanische aussehende Trommeln, aufgespannte und tätowierte Häute von, ich wollte nicht wissen, welchen Lebewesen, Wurzeln, Woodoopuppen, Elefantenzähnen, Schellenbändern, Räucherwerk, Federkopfputz bis hin zum kleinen Allzweck-Wohnzimmer-Altar, der vermutlich auch als Nachttischchen zu gebrauchen war, alles erstehen, wofür das Geld reichte.
Ich sah mich um.
„Ähm" sagte ich und räusperte mich. „Hallo…?"
Der Federkopfputz bewegte sich. Es war ein Gesicht drunter, das mir jetzt erst auffiel, braun und faltig wie altes Leder, und dunkle Augen blinzelten mich an. Ein kleines, knorziges Männlein, das seinen Kopfputz mit der Würde eines Sitting Bull trug, erhob sich von einem fellbezogenen Hocker und zeigte mir lächelnd ein gelbes Gebiss.
„Was kann ich tun für Weiße Frau?" sagte er.
Ich räusperte mich erneut. Ich hatte den Kontakt zu meinem unsichtbaren Begleiter verloren. Ich sah mich nervös um, aber ich konnte nirgends eine Spur seiner Anwesenheit entdecken.
„Äh" sagte ich. „Ja. Hi. Ich suche – sind Sie – Mr. Jones?" Indiana Jones? Ich hatte in den achtziger Jahren zu viel Zeit im Kino verbracht. Ich verbiss mir ein Grinsen.
„Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt" sagte er. „Das ist der Name, der mir gegeben wurde."
„Okay" sagte ich lahm und fragte mich, wie ich mir das merken sollte. „Dann… also. Ich bin hier in einer… heiklen Angelegenheit."
„Lass mich sehen, weiße Frau" sagte er und näherte sich mir. Er ging mir gerade bis zum Kinn, was mich massiv irritierte, ich war es nicht gewöhnt, zu Erwachsenen hinunter zu sehen.
„Ein Liebeszauber ist nicht, was du brauchst" sagte er und blinzelte zu mir hinauf. „Liebe schlägt stark in deinem Herzen."
„Äh" sagte ich verwirrt. „Ja. Danke."
„Ein Fruchtbarkeitszauber, dann?" fragte er. „Bauch ist leer von weißer Frau."
„Ich hatte kein Mittagessen, falls Sie das meinen" sagte ich. „Und um das andere kümmere ich mich schon selbst, besten Dank."
Er machte einen Schritt rückwärts und fixierte mich mit seinen kleinen schwarzen Äuglein.
„Weiße Frau soll sich setzen" sagte er und deutete auf den Hocker. „Sie soll Tee trinken mit Weißem Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt."
„Ähm" sagte ich, „okay" und setzte mich gehorsam. Indiana Jones verschwand im hinteren Bereich seines Verkaufsraumes, ich hörte Geschirr klappern. Ich fragte mich, woher er das mit meinem Bauch wusste, oder ob er nur glücklich geraten hatte, dann kam er wieder und reichte mir einen tönernen Becher, aus dem es dampfte. Ich roch Salbei, Melisse und Beifuß, eine dunkle, beruhigende Mischung. Ich blies darüber und nahm einen winzigen Schluck, während Indiana Jones sich mir gegenüber im Schneidersitz niederließ, jeder Zoll ein stolzer, aus einem Karl-May-Film entlaufener Nebendarsteller.
Ich wagte die Flucht nach vorne, ehe er das Rätselraten in eine neue Runde gehen ließ.
„Es geht um einen Wolf" sagte ich. „Um einen Werwolf. Ich habe gehört, Sie sind ein Experte auf dem Gebiet?"
„Die Tiergeister sprechen zu Weißem Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt" sagte er mit bedächtigem Nicken.
„Das ist schön" sagte ich. „Und Sie haben diesbezüglich auch Zauber entwickelt?"
„Die Tiergeister zu rufen" sagte er. „Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt kann das tun. Es ist vermutlich das, was Weiße Frau als Zauber bezeichnen würde. Möchte Weiße Frau den Wolf rufen?"
„Nein" sagte ich eilig. „Danke. Lieber nicht."
„Weiße Frau fürchtet den Wolf" sagte er und sah mich listig lächelnd an.
„Das gehört doch gar nicht hierher" sagte ich.
„Liebe und Furcht können Schulter an Schulter gehen wie Zwillingsbüffel" sagte er.
„Äh" sagte ich verwirrt. „Ja. Müssen Sie das tun, eigentlich? Dieses Indianer-Dings. Ich hatte eigentlich nur eine Frage…"
„Weiße Frau weiß nicht, was sie will" sagte er weise.
„Naja, doch" sagte ich. „Zumindest… bevor ich hier rein kam… hatte ich durchaus eine Vorstellung."
„Weiße Frau soll nicht zerstören, was sie liebt" sagte er.
„Danke für den Tip" sagte ich, leicht entnervt.
„Mann und Wolf, Wolf und Mann" sang er mit schief gelegtem Kopf. „Eine Seele, ein Geist, ein Lied."
„Schön wär's" sagte ich spontan und bemerkte erst hinterher, wie tief mir meine eigenen kleinen Worte ins Herz schnitten.
„Möchte Weiße Frau den Wolf rufen?" fragte er erneut.
„Nein" sagte ich und kämpfte erstaunlicherweise gegen eine kleine Versuchung. „Ich möchte mit Ihnen über diesen Zauber sprechen, mit dem Sie – den Wolf rufen, wie Sie es bezeichnen. Ich bin – bekannt – mit einem Werwolfsforscher, der sich sehr für die arithmantischen Grundlagen des Zaubers interessiert. Er lässt fragen, ob Sie bereit wären, diese ihm zu überlassen, und welche Gegenleistung Sie dafür verlangen würden?"
„Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt versteht nichts von arithmagischen Grundlagen" sagte er und setzte wieder dieses listige Lächeln auf. Ich verzichtete darauf, ihn zu korrigieren, und brachte meine Erwiderung an, ehe er wieder in Indianer-Blabla verfallen konnte.
„Die Grundlagen des Zaubers" sagte ich. „Aufzeichnungen. Entwicklungsgeschichte. Irgendetwas."
„Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt verschmilzt mit dem Großen Geist und ruft die Kleinen Geister" sagte er. „Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt befolgt nicht die Regeln der so genannten modernen Magie."
„Aber es kam doch ein Zauberspruch dabei raus" sagte ich, zunehmend verzweifelt. „Etwas mit Natura lunaris, und es zwingt den Werwolf am helllichten Tag in seine Tiergestalt! Das ist etwas, das ich als ziemlich moderne Magie bezeichnen würde!"
„Es ist nicht, um zu zwingen" sagte er. „Es ist, um einzuladen. Um sichtbar zu machen, was immer da ist."
„Na, das hätten Sie den Leuten, denen Sie den Zauber verkauft haben, mal besser erklärt" sagte ich. „Die haben das wohl missverstanden."
„Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt folgt nicht Gedankenwegen von Weißer Frau" sagte das Männlein vor mir und wirkte zum ersten Mal irritiert.
„Die Freaks, die Ihnen den Zauber abgekauft haben" sagte ich, „die haben ihn verwendet, um Werwölfe in ihre Tiergestalt zu zwingen, obwohl die das definitiv nicht wollten, und dann haben sie sie aufeinander los gelassen."
„Weiße Männer können das nicht tun" sagte er kopfschüttelnd. „Ist Beleidigung des Großen Geistes."
„Weiße Männer können das sehr wohl" sagte ich. „Das heißt, mittlerweile nicht mehr. Der Kampfring ist aufgeflogen und sie wurden in Haft genommen. Aber ein paar Monate lang haben Weiße Männer dem Großen Geist ganz schön eingeheizt."
„Weiße Männer waren Betrüger" sagte Indiana Jones missbilligend.
„Allerdings" sagte ich, erleichtert, dass etwas wie Erkenntnis bei meinem Gegenüber einsetzte.
„Großer Geist wird Rache üben" schwor er düster. „Weiße Frau soll das ihrem Wolf sagen."
„Weiße Frau würde ihrem Wolf lieber die Formel mitbringen" sagte ich und fragte mich, zu welchem Zeitpunkt des Gespräches ich etwas von meinem Wolf hatte verlauten lassen. „Als Entschädigung, sozusagen. Mein Wolf hat schwer gelitten unter der ganzen Sache."
„Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt wird den Großen Geist befragen" sagte er, als sei das eine Antwort, und erhob sich. Ich begriff, dass ich das gleiche tun sollte, und stellte meinen Teebecher ab.
„Kann… kann ich meinen Wolf mal bei Ihnen vorbei schicken?" fragte ich, während ich ein wenig steif auf die Beine kam. „Er könnte dann ja noch mal mit Ihnen persönlich über die Sache sprechen?"
„Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt empfindet es als eine Ehre, von jemandem aufgesucht zu werden, aus dem der Geist spricht" sagte er.
„Ähm" sagte ich unsicher. „Ich nehme das mal als ein Ja?"
„Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt macht Weißer Frau ein Geschenk" sagte er, berührte seine Stirn und dann, ehe ich ausweichen konnte, meine. „Er schenkt ihr einen Traum" sagte er und zwinkerte wie ein märchenhaftes Koboldsmännlein. „Weißer Wolf Der Mit Dem Präriewind Singt ist ein Traumfänger."
„Alles klar" sagte ich unbeholfen. „Dann… danke."
Er nickte mir freundlich zu, dann wandte er sich ab und verschwand in den Schatten, die ein im Johannisbrotbaum-Look gehaltener Garderobenständer warf. Ich hörte ihn rumoren und summen. Ich wartete mal eine Weile, ich war nicht sicher, ob er mir jetzt gerade den Traum raussuchte und wollte nicht durch vorzeitiges Verschwinden unhöflich erscheinen, aber es passierte nichts weiter, als dass eine unsichtbare Hand mich am Ärmel zog.
Ich schaffte den Weg nach draußen, ohne mit meinem Umhang etwas von den seltsamen Handelsgütern umzuwerfen. Die Luft war kalt und vergleichsweise frisch, selbst in dem muffigen Innenhof. Die Ratten waren verschwunden.
„Was für ein Freak!" sagte mein unsichtbarer Begleiter und schlug in seiner Begeisterung die Kapuze zurück, so dass sein körperloser Kopf neben mir in der Luft schwebte wie ein merkwürdiger Ballon. Er grinste von einem Ohr zum anderen. „Stell dir mal vor, deine Schüler hätten solche Namen. Malfoy-Mit-Der-Dämlichen-Fresse, lass Neville-Der-Immer-Seine-Cornflakes-Verschüttet in Ruhe! Granger-Die-Immer-Alles-Besser-Weiß, du hast schon wieder eine Eins. Potter-Der-Mal-Bester-Seines-Jahrganges-Sein-Wird…"
„Lass die Faxen" sagte ich. „Setz die Kapuze auf, um Himmels Willen! Wenn man dich hier sieht!"
„Ach, Emilia" sagte er. „Mein herzallerliebstes Angsthäschen. Entspann dich. Ich hab' alles im Griff."
Ich war erleichtert zu sehen, dass er meinem Rat dennoch folgte.
„Du kannst zurück apparieren" sagte ich. „Ich würde noch gerne bei Hexenwerk ein paar Sachen besorgen, wenn ich schon hier bin. Damit der Nachmittag wenigstens irgend einen Erfolg hat."
„Wer sagt, dass wir nicht erfolgreich waren" sagte er über meiner Schulter.
„Wir haben keine Formel, Schätzchen" sagte ich und bewegte mich mal etwas von der Ladentür weg, bevor Indiana Jones sich entschloss, gerade jetzt den Müll raus zu tragen, und bei der Gelegenheit entdeckte, dass ich auf seinem Hinterhof stand und mit mir selbst sprach. „Es gibt keine Formel. Das nenne ich einen Rückschlag."
„Ach Quatsch" sagte die körperlose Stimme großzügig, die mir nach vorne zur Straße folgte. „Eine kleine Verzögerung, allerhöchstens. Er hatte einen Haufen Aufzeichnungen, hinten, in diesem engen Büro-Dings. Du kannst mal meine Standhaftigkeit bewundern, dass ich in der Lage war, mich da drin zu bewegen. Es war wirklich sehr eng, und sehr dunkel. Es hatte nicht mal ein Fenster."
„Toll" sagte ich. „Großartig. Ein heroischer Dienst an der guten Sache."
„Ein bisschen mehr Leidenschaft und Überzeugung, wenn ich bitten darf."
„Erstens" flüsterte ich in angestrengter Lautstärke, „kommen wir gleich auf die Straße raus, und wie unauffällig ist es wohl, wenn ich mit mir selbst spreche? Zweitens habe ich gerade diese beunruhigende Idee, dass du dem armen Indiana Jones den Schreibtisch leer geräumt hast, was er nicht verdient hat!"
„Emilialein" sagte er. „Wie lange kennen wir uns jetzt?"
„Etwa fünf Wochen" sagte ich.
„Hm" sagte er. „Das ist vielleicht tatsächlich nicht lange genug, um dich den gesamten Edelmut meiner rechtschaffenen Seele erkennen zu lassen. Aber es wäre lange genug, um zu wissen, dass ich immer für eine Überraschung gut bin."
Eine Hand erschien aus dem Nichts und schwenkte einen billig aussehenden Fotoapparat vor meinem Gesicht.
„Du hast es abfotografiert" sagte ich erstaunt.
„Jawohl" sagte er stolz. „Alles, was ich finden konnte. Man hat ja als Normalsterblicher keine Ahnung, was der Forschung dient."
„Das ist wirklich clever" sagte ich, diesmal mit aufrichtiger Bewunderung.
„Es ist brillant" versicherte er mir mit der ihm so eigenen Bescheidenheit. „Wie man es von mir gewöhnt ist."
„Ja, ja" sagte ich. „Was wären wir nur ohne dich. Und jetzt, ich glaube nicht, dass du zu Hexenwerk mitgehen willst…?"
„Nö" sagte er. „Aber zu Caramel & Cream. Wir sollten ihm Schokolade mitbringen. Er wird sauer sein."
„Auf dich" sagte ich. „Ich bin nicht diejenige, für die Zauberlondon ein viel zu heißes Pflaster ist."
„Mitgefangen, mitgehangen" sagte er und ich hörte ihn grinsen. „Kauf Schokolade. Glaub mir. Es ist unsere einzige Rettung."
oooOOOooo
Den, vor dem einzig Schokolade uns retten sollte, fand ich genau dort, wo ich ihn zurück gelassen hatte: auf dem Sofa, mit einem Buch, und er stellte alles andere als eine Bedrohung dar. Ich wusste nicht, ob ein Buch auf dem Bauch ihm beim Einschlafen half, oder ob er sich einfach viel zu langweilige Lektüre aussuchte, jedenfalls hatte ich schon oft beobachtet, dass er sich mit einem Buch hinlegte, nur um fünf Minuten später fest zu schlafen. Er hatte sich das knautschige Sofa im Wohnzimmer ausgesucht, das in Vollmondnächten auch immer die Launen von Wolf und Hund erdulden musste, und sich eine ziemlich hundehaarige Decke über die Beine gebreitet. Der Zettel, den ich ihm hingelegt hatte („Sind kurz Gassi. Lieb dich. E."), war unberührt.
Auf seinem Gesicht lagen bereits die Schatten des kommenden Mondes. Er sah müde aus. Ich hatte nicht gewusst, dass man müde aussehen konnte, während man schlief.
Ich setzte mich vorsichtig auf den Rand des Sofas und versuchte, zu entscheiden, ob ich ihn wecken sollte. Ich musste noch in die Tränkeküche und ein paar Basislösungen für morgen vorbereiten, und da waren noch die schwarz verkohlten Reste des Kessels, den Sprengmeister Ernie Miller gestern geschrottet hatte, und den ich fachgerecht entsorgen musste, weil ich die Anzahl giftiger Stoffe, die sich im Verschmelzungsprozess gebildet hatten, nicht einmal mehr schätzen konnte. Ganz zu schweigen von einem nicht ganz trivialen und völlig selbst auferlegten Projekt, das meiner Aufmerksamkeit bedurfte, wenn es pünktlich zum Mond fertig werden sollte. Ich hatte mich gerade schweren Herzens damit abgefunden, meinen Wolf heute nur schlafend zu Gesicht bekommen zu haben, als mir Sirius mit fröhlicher Unbeschwertheit quer durch meine selbstlosen Pläne trampelte.
„Schläft er immer noch?" trompetete er, und Remus machte „Mh", trat mit den Füßen gegen die Armlehne und riss die Augen auf.
„Jetzt nicht mehr" sagte ich.
„Was" murmelte Remus, drehte sich und warf das Buch runter.
„Hallo" sagte ich. „Dein Freund hat das Taktgefühl einer Abrissbirne, wusstest du das?"
„Na" sagte Sirius. „Nur weil ich nicht warten kann, um die gute Nachricht los zu werden."
„Was für eine gute Nachricht" murmelte Remus, der blinzelte und sich offenbar bemühte, so schnell wach zu werden, wie die Situation es erforderte.
„Keine, die nicht in einer Stunde immer noch gut gewesen wäre" sagte ich ein bisschen ungehalten.
„Es ist okay" sagte Remus, setzte sich auf und fuhr sich durch die Haare. „Ich kann nicht den ganzen Nachmittag verschlafen."
„Das hast du schon" sagte Sirius fröhlich. „Es ist halb sechs."
„Oh" sagte Remus, Hand über den Augen. „Tatsächlich. Hallo, Emilia, übrigens. Wie schön, dich zu sehen."
„Hallo" sagte ich, rückte ein wenig auf und steckte meine Nase in sein vom Schlaf zerzaustes Haar. Er lehnte sich mir entgegen, er roch so gut, dass nur Sirius' Anwesenheit mich davon abhielt, weitere Schritte zu unternehmen, Arbeit hin oder her.
„Rate, wo wir waren" sagte Sirius stolz und so schwanzwedelnd, wie er es in seiner menschlichen Form nur konnte.
„Keine Ahnung" sagte Remus, nahm die Hand von den Augen und setzte das liebevoll-geduldige Lächeln auf, das er für Sirius reserviert hatte.
„Schokolade?" sagte Sirius und hielt Remus ein in Papier eingeschlagenes Päckchen entgegen.
„Ihr wart Schokolade kaufen" sagte Remus und nahm das Päckchen entgegen. „Das ist aber nett. Alles für mich?"
„Ja" sagte Sirius. „Und zuvor waren wir in Knockturn Alley. Bei dem Indianer-Freak mit dem Werwolfzauber. Es ist Vollmilch, übrigens. Ich dachte, du kommst vielleicht langsam aus der Zartbitter-Phase raus…"
„Moment" sagte Remus, und dunkle Wolken schluckten die Mondschatten auf seinem Gesicht. „Du? In Knockturn Alley? Habe ich das richtig verstanden?"
„Es war alles ganz harmlos" versicherte Sirius, und sein Strahlen geriet ein wenig künstlich. „Du brauchst dich überhaupt nicht aufzuregen. Und wir haben einen Haufen Informationen für dich…"
„Du warst in Knockturn Alley, und ich brauche mich nicht aufzuregen?"
„Ich hatte Harrys Umhang. Niemand hat was gemerkt, wirklich nicht."
„Was habe ich dir gesagt über Zauber-London? Hörst du mir eigentlich jemals zu?" fauchte er und scheuchte mich vom Sofa, um aufstehen zu können. Das Schokoladenpäckchen fiel unbeachtet zu Boden.
„Reg dich nicht auf" sagte Sirius, mittlerweile von Kopf bis Fuß geprügelter Hund. „Reg dich bitte nicht auf. Es war als Überraschung gedacht. Weil wir wussten, dass du morgen nicht mehr raus willst, und übermorgen musst du dich erholen, und dann ist Wochenende – wir dachten, du freust dich."
„Ich war dagegen" warf ich ein, vielleicht nicht sehr kollegial, aber der Wahrheit entsprechend. „Ich wollte alleine gehen."
„Und wie viel hättest du erreicht, alleine?" fragte Sirius mich über Remus hinweg, der sich vor ihm aufgebaut hatte, ein gefährliches gelbes Blitzen in den braunen Schokoladenaugen.
„Mach das noch einmal, Freundchen" fauchte er, „und ich verwandele dieses Haus eigenhändig in eine Festung, gegen die Azkaban daher kommt wie ein verdammter Freizeitpark! Haben wir uns verstanden!"
Sirius zog den Kopf ein, nickte und schielte zu mir herüber. Ich sah mir meine Schuhe an, die einen hässlichen, nassen Rand aufwiesen.
„Das darf wirklich nicht wahr sein" knurrte Remus noch, dann stieß er Sirius zur Seite, stürmte mit langen Schritten zur Tür hinaus und knallte sie hinter sich zu.
Stille.
„Also" sagte Sirius und hob vorsichtig den Kopf.
Die Tür wurde wieder aufgerissen. Remus stürmte rein und auf uns zu wie ein ungekämmter Racheengel. Er stürmte zum Sofa, tauchte unter das Tischchen, riss das Schokoladenpaket an sich, warf mir einen finsteren Blick zu, drehte sich auf den Hacken und stürmte wieder raus.
Knall. Tür zu. Stille.
Ich setzte mich mal.
„Puh" sagte Sirius. „Das lief ja besser als befürchtet."
„Ach ja?" sagte ich. „Immer der Optimist, oder was. Er wollte nicht mal wissen, was wir herausgefunden haben."
„Das wird schon" sagte Sirius tröstend und massierte sich den Nacken. „Ein, zwei Tafeln, und die Welt sieht wieder ganz anders aus. Warte nur ab."
„Warten ist genau das, was ich nicht kann" sagte ich seufzend. „Ich habe mehr Arbeit, als gesund ist. Ich muss dringend los."
„Und ich dachte, du gibst mir vielleicht noch eine kleine Nackenmassage" sagte er und machte Hundeaugen.
„Nein" sagte ich. „Tut mir leid."
"Aber ich bin soooooo gestresst!"
„Das liegt am Mond. Da nützt eine Nackenmassage auch nichts."
„Ich geh' auch in den Hund, wenn dir das lieber ist."
„Ich hab' keine Zeit" sagte ich und stand vom Sofa auf. „Wirklich nicht. Was ist mit Tonks?"
"Doppelschicht" sagte er unglücklich.
"Das tut mir leid" sagte ich. „Trotzdem wirst du dich mit einem mürrischen Wolf begnügen müssen."
„Ich glaube nicht, dass er in Stimmung ist für eine Kuschelstunde" sagte Sirius und seufzte schwer.
„Geht alles vorbei" tröstete ich ihn auf dem Weg zur Tür. „Auch Doppelschichten."
Ich hatte vorgehabt, mich zu verabschieden, zumindest aus sicherer Entfernung, aber Remus war unauffindbar. Schließlich entdeckte ich im zweiten Stock den geöffneten Aufgang zum Dach. Ein dünner Schleier aus Nieselregen und Londoner Nebel legte sich auf mein Gesicht, als ich hinauf sah. Wenn er sich bei diesem Wetter aufs Dach flüchtete, war er definitiv nicht gesellschaftsfähig. Ich beschloss, ihm zu schreiben, sobald ich in Hogwarts war.
oooOOOooo
Sobald stellte sich als ziemlich dehnbarer Begriff heraus.
„Was denken Sie sich eigentlich?" fragte der Tränkemeister, Arme vor der Brust verschränkt, und blitzte mit seinen Obsidianaugen zu mir hinunter. „Oder, lassen Sie mich die Frage anders formulieren. Denken Sie gelegentlich, oder benutzen Sie Ihren Kopf lediglich als Auflagefläche für eine zweifelhaft gelungene Frisur?"
„Was haben Sie gegen meine Haare?" sagte ich verletzt. „Und warum erlauben Sie sich eigentlich ein Urteil? Kürzlich mal in den Spiegel gesehen?"
Er stand vor mir, seine Mundwinkel zuckten, und unmerklich wich die Spannung aus seinen Schultern.
„Der gesamte Keller stinkt" sagte er betont unfreundlich. „Einschließlich meiner privaten Räume."
„Oh" sagte ich, während mir schlagartig heiß wurde. „Äh. Mist. Das… oh, Mist. Ich hab' wohl den Antifoetor vergessen."
"Einschließlich jeglicher anderer Schutzzauber."
„Tut mir leid" sagte ich. „Ich war so im Stress. Aber warum lassen Sie auch Ihre Tür offen?"
„Es kroch durch den Türspalt" sagte er.
„Ich kann Ihnen einen Lufterfrischer anbieten" sagte ich. „Alternativ eine Isomatte vor meinem Kamin."
„Der Lufterfrischer wird es tun" sagte er gnädig. „Was auch immer eine Isomatte sein mag."
Ich eilte die Treppe hinunter in den Keller, und Severus folgte mir. Schon auf den Stufen roch ich schwefelig-bittere Verbrennungsrückstände, die mir anzeigten, dass etwas schrecklich, schrecklich schief gegangen war. Keine Spur von Katzenklo und Tannenwald. Ich unterdrückte einen unfeinen Fluch.
Severus war immer noch hinter mir, als ich an meinem Kessel ankam und die Schutzzauber senkte, die er errichtet hatte, um weitere Luftverschmutzung zu verhindern.
„Definieren Sie mir den Inhalt dieses Kessels" sagte er und warf einen kritischen Blick über meine Schulter. Ich steckte einen Löffel in die klumpige Masse und rührte. Schwarzer Rauch stieg auf, und aus dem Kessel kam ein bösartiges Zischen.
„Ähm" sagte ich frustriert. „Verbrannt, vor allem, würde ich sagen. Warum ist es verbrannt? Ich war so vorsichtig mit der Hitze… da kann ich ja gleich Eiswürfel drunter legen…"
„Um Ihnen diese Frage zu beantworten, falls Sie eine Antwort wünschen, müssen Sie mich über Ziel und Zweck des Experimentes aufklären" sagte er und wedelte sich mit missbilligender Geste Rauch vom Gesicht.
„Erkennen Sie's nicht?" sagte ich.
„Nein" sagte er. „Womit wir weniger eine Aussage über meinen Sachverstand treffen als vielmehr über die Ausprägung Ihrer Fähigkeiten."
„Wolfsbann" sagte ich.
„Jetzt, wo Sie's sagen" sagte er und beugte sich vorsichtig über den Kessel. „Aha. Wenn Sie ihn schnell und effizient vom Leben zum Tod befördern wollen, geben Sie's ihm ruhig."
„Ich sehe selber, dass er nichts geworden ist" sagte ich ungeduldig.
„Wie kommen Sie dazu, ohne meine Einwilligung und Kenntnisnahme einen Wolfsbann anzusetzen?" fragte er und beschoss mich über die Schulter mit einem Erstklässler-Verdampfungsblick.
„Ich kann hier ansetzen, was ich will, ohne Sie zu fragen" schoss ich zurück. „Ganz gleich, ob es sich um überflüssige Pfunde oder einen Wolfsbann handelt."
Er wandte sich zum Kessel, ich war fast sicher, er versteckte ein Lächeln in den Schwaden, die nach wie vor der klumpigen Brühe entströmten.
„Sie haben Sonnenhut und Goldharz vermischt und gleichzeitig beigegeben" sagte er und fischte mit dem Löffel nach einem dicken, schwarzen Klumpen.
„Ja" sagte ich überrascht. Diesen Teil des Experimentes hatte ich eigentlich diskret für mich behalten wollen. Ich war sicher, dass ich ihm mit Modifikationsversuchen an seinem kostbaren Rezept keine Freude bereitete.
„Ich dachte, man könnte die Zubereitung beschleunigen, wenn man Sonnenhut und Goldharz gleichzeitig einkochen lässt" sagte ich und starrte seinen Rücken an, als könnte der mir Aufschluss geben über die Art des Donnerwetters, das da zweifelsohne gleich über mich herein brechen würde.
„Falsch" sagte er. „Der arkanenergetische Faktor beider Substanzen liegt über zwölf. Sie potenzieren sich, wenn man sie im Rohzustand zusammen bringt. Ihr Trank ist von innen heraus verbrannt, sozusagen. Das Feuer unter dem Kessel hatte nichts damit zu tun."
„Oh" sagte ich. „Ja. Klingt einleuchtend."
„Da bin ich aber froh" sagte er mit einer Freundlichkeit, die mindestens so beißend war wie der Rauch aus dem Kessel.
„An den arkanenergetischen Faktor hatte ich nicht gedacht" sagte ich.
„Das ist offensichtlich" sagte er. „Hätten Sie mich rechtzeitig zu Rate gezogen, hätte ich Sie darauf hingewiesen."
„Ich wollte einfach mal herum probieren" sagte ich. „Ohne Aufsicht, sozusagen."
„Sie haben hoffentlich nicht ernsthaft damit gerechnet, dass Ihre Herumprobiererei zu einem verwertbaren Ergebnis führt?" sagte er und hängte den Löffel zurück.
„Nein" sagte ich. „Nicht wirklich."
„Wie schön" sagte er. „Dann bleibt Ihnen zumindest die Enttäuschung erspart. Sie erlauben…?"
Er zeigte mit seinem Stab auf den Kessel. Ich nickte.
„Purgito" sagte er, und das schwarze, stinkende Gebräu verschwand. Zurück blieb ein völlig verkohlter und verkrusteter Kessel.
„Sind Sie nicht wütend?" fragte ich vorsichtig. „Ich meine, immerhin habe ich an Ihrem patentieren Rezept herum gemurkst."
„Mir ist kein Schaden entstanden" sagte er und verstaute seinen Stab im Ärmel. „Abgesehen von dem strengen Geruch in meinen Räumlichkeiten, den Sie mir freundlicherweise noch neutralisieren werden. Ansonsten werden Sie bemerken, dass Sie sich selbst ausreichend gestraft haben, sobald Sie sich an die Reinigung dieses Kessels machen: ein mühsames Geschäft, wie Sie bemerken werden."
„Für mich sieht er aus, als sollte ich ihn am besten entsorgen" sagte ich und warf einen Blick auf die mit schwarzer Schlacke bedeckten Wände des Kessels.
„Der Kessel ist Schuleigentum" sagte er. „Und die finanziellen Ressourcen der Schule sind großzügig, aber nicht unbegrenzt. Ihr Verschleiß an Kesseln ist schon während des Unterrichts alarmierend hoch, ich nehme an, Sie vermitteln Ihren Schülern die gleiche Art von Forschergeist, die Sie zu diesem Experiment bewog. Sie sollten sich zumindest im Privaten bemühen, die Ressourcen der Schule zu schonen."
Ich seufzte schwer, nahm den Kessel vom Haken und löschte die Glutreste in der Feuerrinne.
„Nehmen Sie Salpeter" sagte er. „Mischen Sie es eins zu drei mit Steinsalz. Und kommen Sie zum Tee, sobald es Ihre Zeit erlaubt."
Ich warf ihm über die Schulter einen Blick zu, während ein merkwürdiges Kribbeln meinen Rücken hinunter kroch.
„Was" sagte ich und ärgerte mich, dass meine Stimme quietschig klang. „Ähm. Was für eine Art von… Tee… ich meine, Tee wird im Allgemeinen wirklich überschätzt…"
Er machte eine Bewegung auf mich zu. Seine Roben raschelten, das Feuer unter meinem Kessel lockte einen matten, purpurfarbenen Schimmer auf den glatten schwarzen Stoff. Ich spürte einen winzigen Hauch seines Atems auf meinem Hals.
„Ich kann Ihnen eine breitere Varianz von Tee anbieten, als Sie es für möglich halten" sagte er samtig. „Wählen Sie eine beliebige." Er trat einen Schritt zurück und sah mich an, die Hände in den Falten seiner Robe verborgen.
„Kümmern Sie sich um den Kessel" sagte er. „Die Trocknung hat bereits eingesetzt."
„Hm" sagte ich. „Ja. Also, äh… danke."
Er nickte mir zu, zirkelte eine seiner perfekten halben Drehungen und verschwand durch die Tür, die Falten seiner Robe schnitten durch die Schatten wie dunkle Schwingen.
Und weil ich Putzen für eine ganz entspannende Tätigkeit hielt, machte ich mich mit großer Gründlichkeit darüber.
oooOOOooo
Ich wusste nicht genau, warum ich mir unbedingt einen Hund anschaffen wollte. Ich hatte Angst vor Hunden, und ich hatte nie auch nur ein Meerschweinchen besessen. Ich war nicht der Typ für Haustiere. Trotzdem ging ich mit diesem kleinen Männlein an meiner Seite einen Gang entlang, der von Gitterzellen gesäumt war. Ich war auf der Suche nach etwas bestimmtem – oder jemandem? – und er hatte versprochen, mir helfen zu können. Es war kalt und sehr hell, und in der Luft hing ein durchdringender, tierischer Geruch, wie von Padfoot, wenn er aus dem Regen kam, nur ganz anders.
„Dieser hier" sagte das Männlein an meiner Seite, das in seinem Federkleid aussah wie ein merkwürdiges, dunkles Huhn, und blieb vor einer Gitterzelle stehen. Ich warf einen Blick durch die silbrig schimmernden Stäbe.
„Er muss noch gezähmt werden" sagte das Männlein, „aber ich denke, er würde gut zu Ihnen passen. Er spricht fließend französisch."
„Ich wollte einen Hund" sagte ich. „Keinen Wolf. Etwas Harmloses."
"Liebe und Furcht können zusammen gehen wie zwei Kessel in der Tränkeküche" sagte er und lächelte weise. Ich sah durch die Gitterstäbe und begegnete dem Blick des Wolfes. Er saß in der Mitte seines Käfigs, als würde er auf etwas warten. Sein Fell war struppig und roch nach Wildnis, sein Blick war golden wie der schwere, runde Oktobermond.
Ich wusste, er hatte auf mich gewartet.
„Okay" sagte ich. „Ich glaube, er ist es."
„Das wusste ich" sagte das Männlein. „Zähmen Sie ihn. Gefährlich ist nur das Fremde."
Dann tippte er mit dem Zeigefinger gegen die Gitterstäbe, und sie lösten sich in Luft auf. Der Wolf erhob sich. Ich stand wie fest genagelt. Ich hätte mich gerne bewegt, auf ihn zu, von ihm weg, aber meine Füße schienen mit dem Boden verleimt, ich konnte sie nicht bewegen, und meine Beine fühlten sich an wie mit Beton ausgegossen. Der Wolf kam zu mir herüber, er bewegte sich mit der gefährlichen Grazie eines Raubtieres, ich wusste, ich würde nicht weglaufen können, wenn er mich jetzt anfiele. Er umkreiste mich mit ruhigen Schritten, und ich stand immer noch wie fest geklebt, während er seine Kreise enger zog, es fühlte sich fast an wie eine Umarmung, und ich wimmerte ein wenig, weil es so schön und gleichzeitig so schrecklich war.
Dann war ich plötzlich auf einem Dach, die Füße in einer schwankenden Dachrinne, die Hände verzweifelt auf den scharfen Kanten des Schieferdaches. Wind riss an mir, und ich wusste, ohne hinzusehen, dass hinter mir ein endloser Abgrund nur darauf wartete, mich zu verschlingen. Remus war ein paar Schritte entfernt und streckte die Hand nach mir aus, aber er konnte mich nicht erreichen.
„Komm" sagte er ungeduldig. „Wir haben's gleich geschafft!"
„Nein" sagte ich. „Ich stürze ab, wenn ich mich bewege!"
„Und sei's drum" sagte er. „Jetzt mach schon!"
„Nein!" schrie ich in den Wind. „Ich will nicht abstürzen!"
Dann war ich neben ihm, oder er neben mir, ich wusste nicht, wer von uns sich bewegt hatte. Dicke Schwaden von feuchtem, schwerem Nebel wirbelten um uns, und aus dem Abgrund, der uns umgab, stieg eine Gestalt auf einem Besen. Ein dunkler Umhang wallte um schmale Schultern, die mir merkwürdig vertraut waren. Eine tiefe Kapuze hielt das Gesicht im Schatten, aber ich wusste, wer es war, als er den Zauberstab auf Remus an meiner Seite richtete.
„Nein!" schrie ich.
„Wiedersehen, Wolf" sagte Remus auf dem Besen.
„Nein!" schrie ich und warf mich auf Remus an meiner Seite, ich riss ihn vom Dach und wir stürzten rückwärts und fielen.
Ich erwachte, weil der Schrei mir nicht aus meiner zugeschnürten Kehle heraus wollte. Meine Hände waren in das durchgeschwitzte Laken verkrallt, und ich brauchte eine Weile, bis ich aufhören konnte, erstickte Paniklaute von mir zu geben.
Ich setzte mich. Mein Nachthemd klebte an mir wie ein kalter Umschlag. Mein Herz raste. Ich machte Licht und nahm für eine Weile die vertraute, unaufgeräumte Umgebung meiner Lehrerwohnung in mich auf. Dann kletterte ich mit wackeligen Beinen aus dem Bett und suchte mir ein frisches Nachthemd raus. Ich zog mich um und tappte ins Bad, um einen Schluck Wasser zu trinken, und dann stand ich unter der Badtür und fixierte mein Bett. Ich wusste, was vernünftig war, aber ich wusste, dass es nicht Vernunft war, was ich jetzt brauchte.
Ich fischte meine Brille vom Nachttisch, streifte meine orangerote Hippierobe über das Nachthemd und machte mich auf den Weg in die Große Halle.
Zu meiner grenzenlosen Überraschung war der Kamin in der Großen Halle bereits besetzt, als ich ankam. Die grünen Flammen des Floo-Netzwerkes brannten gerade nieder, und jemand duckte sich aus dem Abzug und stieg über die schmiedeeiserne Kaminumrandung. Ich sah die Kamele auf der Strickjacke, ehe ich sein Gesicht sah. Über uns spannte sich ein wolkenfreier, illusionärer Nachthimmel. Der Mond war fast voll und schüttete sein weißes, fernes Licht über uns.
„Emilia" sagte er, maßlos überrascht. „Was machst du hier? Ich wollte gerade…"
„Ja" sagte ich. „Ich auch."
Er richtete sich auf und schüttelte Ruß vom Ärmel.
„Ich hatte einen höchst merkwürdigen Traum" sagte er.
„Du auch?" sagte ich.
„Du auch?" sagte er. Seine Augen trugen einen gelben Schimmer, als er mich ansah.
„Seltsam" sagte er. „Und faszinierend."
„Erzähl doch mal" sagte ich.
„Gerne" sagte er, „aber können wir vielleicht wo anders hin gehen?" Er warf einen Blick hinauf zur verzauberten Decke, wo der unbeeindruckte Mond hing.
„Du weißt, dass es nur eine Illusion ist" sagte ich.
„Ja" sagte er. „Trotzdem."
Wir verließen die Große Halle und gingen den Weg zurück, den ich gerade alleine gekommen war. Er ging neben mir und hatte die Arme um sich geschlungen, als würde er frieren.
„Ich war eingesperrt" sagte er. „Ich… der Wolf. In einen Käfig aus silbernen Stäben. Und dann kamst du… mit einem… einem…ich weiß nicht – er sah merkwürdig aus, nicht völlig menschlich…"
„Wie eine Mischung aus Sioux und Hühnchen" sagte ich.
„Ja" sagte er verblüfft, blieb stehen und sah mich an. „Das trifft es."
„Ich weiß" sagte ich. „Ich hab' das auch geträumt. Nur aus meiner Perspektive."
Wir standen im schwach erleuchteten Gang und sahen uns an. Um uns duckten sich die Schatten, und eines der Portraits an den Wänden schnarchte leise.
„Erzähl weiter" sagte ich.
„Ich hatte auf dich gewartet" sagte er. „Ich wusste das, als ich dich sah. Ich wusste, dass du mich aus diesem Käfig rausholen würdest. Ich wusste auch, dass ich – Remus – wenn ich anwesend wäre, ich würde es nicht zulassen, weil es nicht gut für dich wäre, dich mit dem Wolf zusammen zu bringen – aber ich war nicht da… hast du jemals als Kind etwas Verbotenes getan, während deine Eltern außer Haus waren?"
„Ja" sagte ich. „Natürlich."
"So hat es sich angefühlt" sagte er.
„Verstehe" sagte ich. „Und weiter?"
„Dann waren wir auf dem Dach" sagte er und verzog das Gesicht. „Ich hatte solche Angst. Ich wusste, wir mussten von diesem Dach runter, ehe… Remus… uns entdeckt. Es war völlig… gespalten. Verwirrend. Ich war gespalten. Ich wusste, ich war schuld an dieser gefährlichen Lage, in der wir uns befanden, ich hatte sie verursacht in dem Augenblick, als du mich aus dem Käfig holtest, ich hatte solche Angst um dich – und ich wollte so gerne alles wieder gut machen, bevor…"
„… bevor die Eltern nach Hause kommen" sagte ich.
„Ja" flüsterte er. „Macht das irgendeinen Sinn für dich?"
„Jeden" sagte ich. „Aber du hast es nicht geschafft, oder?"
Er wandte sich ab, und noch in der Bewegung sah ich seine Augen verdächtig glitzern. Er hielt den Nacken ganz gerade und umarmte sich selbst in einem verzweifelten Versuch, Haltung zu bewahren.
„Nein" sagte er. „Ich hab' es nicht geschafft. Ich… hatte solche Angst. Vor mir. Ich war so gnadenlos. Und kalt. Und voller Wut – das andere Ich. Ich wusste, ich konnte nicht erwarten, dass er irgend etwas verstehen würde. Und dann hast du dich auf mich gestürzt, und wir sind beide gefallen… und das war der schöne Teil des Traumes, weil es mich von dem anderen weg gebracht hat. Wir fielen, und es war eigentlich ganz friedlich. Du warst da, und der andere war weg, und… ja. Dann war ich wach."
„An den Aufprall hast du nicht gedacht?" sagte ich und versuchte, das schreckliche Angstgefühl abzuschütteln, das mich heimsuchte wie das Echo eines vergangenen Schreis.
„Nein" sagte er.
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. Ich spürte, wie er zitterte. Ich ließ meine Hand unter seine Haare schlüpfen und bewegte meine Finger seinen Hals hinauf.
„Armer Wolf" flüsterte ich.
„Wie kann das sein?" fragte er, und seine Stimme klang so bemüht normal, dass es mir in die Seele schnitt. „Wie können zwei Menschen den gleichen Traum haben? Zur gleichen Zeit? Ist das eine Art von… Legilimantik, oder etwas?"
„Brauchst du unbedingt eine wissenschaftliche Erklärung?" fragte ich.
„Ich muss das nachlesen" sagte er. „Ich befrage vielleicht Sybil zu dem Thema."
„Der Typ, bei dem wir wegen des Werwolfzaubers waren" sagte ich. „Er sagte, er würde mir einen Traum schenken. Ich nehme an, das war er."
„Ich habe noch nie von einem Zauber gehört, der Träume erzeugt" sagte er.
„Es gibt vielleicht Dinge, von denen du noch nichts gehört hast" sagte ich. „Und jetzt lass es gut sein mit dem Wie und Warum. Lass mich lieber den armen Wolf kraulen."
„Mitleid ist wirklich völlig unangebracht" sagte er, und seine Stimme schwankte unmerklich. Ich lehnte mich gegen seinen Rücken und schlang die Arme um ihn.
„Ich will dich nicht bemitleiden, Wolf" sagte ich gegen seinen Hals. „Ich will dich zähmen."
Ich spürte seinen stockenden, zitternden Atem und wappnete mich gegen eine weitere Version von „Aber er ist ein Monster", doch sie blieb aus. Ich wünschte mir dringend, er würde sich zu mir umdrehen, mich ansehen, mich küssen, aber ich spürte, dass er vollauf damit beschäftigt war, auf seine Monsterrede zu verzichten. Ich wertete es als gutes Zeichen. Ich konnte lernen, geduldig zu sein.
Dann bewegte er sich und löste meine Umarmung. Er machte ein paar unschlüssige Schritte, blieb dann stehen und rieb sich mit beiden Händen über die Augen. Ich blieb, wo ich war, meine Arme fühlten sich seltsam leer und nutzlos an.
„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass so viel in Bewegung kommt" sagte er nach einer Weile, als ich gerade vorschlagen wollte, doch aus dem zugigen Gang in meine kuschelige, geheizte Wohnung zu wechseln. „Ich… wir hatten unsere wilden Jahre. Früher. Ich dachte, ich hätte alles so eingerichtet, dass ich nicht mehr mit ihm in Berührung komme – nicht mehr als nötig, heißt das."
„Sei nicht traurig, Wolf" sagte ich. „Er meint es nicht so. Er beginnt gerade erst, zu begreifen, dass er dich nicht immer wegsperren kann."
Er machte eine ungeduldige Geste und drehte sich zu mir um. Ich zuckte ein wenig zurück: Seine Augen waren gelb wie Bernstein.
„Du verstehst es nicht" sagte er.
„Du verstehst es nicht" sagte ich. „Was willst du deinen Schülern in der Moonyschule sagen? He, Kiddies, leider wohnt neuerdings ein Monster in euch. Ihr müsst es hassen und bekämpfen und leugnen, wo ihr könnt. Ihr werdet niemals entspannt sein, ihr werdet euch in Selbsthass zerfleischen bis auf die Knochen, und der Wolf wird sich jeden Monat an euch rächen und euch körperlich und seelisch zum Krüppel machen. Und wenn ihr mal gut drauf seid, dann könnt ihr euch still bemitleiden. Buuuu-huuuu, ich bin ein Monster. Das nenn ich eine Botschaft, Herr Lehrer!"
Ich hatte mich schnell gefasst, stellte ich fest. Seine Augen schreckten mich nicht. Ich hatte mich so schnell gefasst, dass mein eigener Schwung mich vielleicht ein wenig übers Ziel hinaus getragen hatte. Er stand und starrte mich an, offensichtlich fassungslos, und zum ersten Mal fürchtete ich mich vor Remus, nicht vor dem Wolf.
„Ähm" sagte ich, und dann fiel mir nichts mehr ein.
„Entschuldige mich" sagte er, sehr beherrscht. „Geh schon mal vor."
„Was?" sagte ich verwirrt.
„In deine Wohnung" sagte er. „Ich komme später nach. Ich brauche Bewegung. Allein."
„Oh" sagte ich. „Ja. Dann."
Ich schob mich an ihm vorbei und machte ein paar zögernde Schritte den Gang entlang, ich wollte ihm eine Chance geben, mich aufzuhalten, aber statt dessen hörte ich seine Schritte, die sich rasch entfernten. Ich blieb stehen und drehte mich um.
„Remus" sagte ich.
Er stoppte auf seinen Hacken und sah über die Schulter.
„Du" sagte ich, „also… du kommst noch zu mir, später, oder? Wenn du dich… bewegt hast. Du sagst das nicht nur so?"
„Ich sage nie etwas nur so" sagte er. „Du solltest das wissen."
„Okay" sagte ich schwach. Er setzte seinen Weg fort, und ich blieb im halb dunklen Gang stehen und fühlte mich einsam. Und weil ich das auch in meiner kuschelig warmen Lehrerwohnung tun konnte, setzte ich automatisch so lange einen Fuß vor den anderen, bis ich dort angekommen war. Ich schloss die Tür, aber ich sperrte nicht ab. Ich zog meine Robe aus und verkroch mich in meinem Bett, aber ich ließ das Licht brennen.
Ich hatte eine Million Dinge im Kopf, aber ich schlief trotzdem, als Remus zu mir kam. Ich wachte auf, als die Matratze neben mir einsank und jemand mit dem Bettzeug raschelte.
„Ich wollte dich nicht wecken" sagte er leise. „Tut mir leid."
„Mir tut es leid" murmelte ich und kam ihm entgegen. „Das im Gang. Ich wollte nicht so grob sein."
„Na ja" sagte er. „Ohne es schön reden zu wollen, aber das war durchaus – Pädagogik mit dem Nudelholz, würde ich sagen, Frau Kollegin. Inhaltlich völlig richtig, aber an der Präsentationsform könnten wir noch arbeiten."
„In Ordnung" murmelte ich und lehnte mich an ihn. Sein Dreitagebart kratzte an meiner Schläfe, aber ich wollte mich nicht beklagen. Er legte seine Arme um mich und zog mich näher."
„Wo warst du?" fragte ich.
„Rumgelaufen" sagte er. „Eulerei, Astronomieturm, Küche und zurück. Ich hab' Mrs. Norris zu Tode erschreckt."
„Was hast du gemacht?"
„Sie angeknurrt" sagte er und grinste.
„Und Filch?"
„Den auch gleich" sagte er. „Soll er doch versuchen, mir einen Arrest aufzuhängen."
„Hihi" sagte ich müde.
„Schlaf weiter" sagte er.
„Gute Nacht, Remus" murmelte ich.
„Gute Nacht, Liebes" sagte er.
„Gute Nacht, Wolf."
„Gute Nacht, Mary-Ellen."
„Gute Nacht, John-Boy."
„Gute Nacht… mir fällt nicht ein, wie die anderen hießen."
„Ich wundere mich, dass du die überhaupt kennst" murmelte ich. „Zaubererkind."
„Muggel-Großeltern" sagte er. „Und lange Sommerferien."
„Hmm" sagte ich und atmete in sein Shirt, dessen „University of Oxford"-Aufdruck so verblichen war, dass man ihn nur noch erkannte, wenn man es wusste. Ich war ganz froh, dass er die Kamele nicht mit ins Bett gebracht hatte.
„Lieb dich" murmelte ich.
„Ich dich auch" sagte er und küsste meine Wange. „Schlaf jetzt."
„Okay. Gute Nacht."
„Nicht noch mal, bitte."
„Nein."
„Okay."
„Lieb."
„Lieb."
„Nacht…"
oooOOOooo
Die Sonne fiel in langen, schrägen Strahlen durch die hohen Fenster und legte ein goldenes Leuchten auf den alten, abgetretenen Parkettboden. Kleine Staubkörnchen tanzten im Licht wie goldener Flitter.
„Werden Sie den Hund auch hierher mitbringen?" fragte der Mann mit dem Generalschlüssel misstrauisch. Padfoot jaulte leise und steckte die Nase in Remus' Hand.
„Gelegentlich" sagte er. „Er kann nicht immer allein zu Hause bleiben. Aber er ist sehr gut erzogen. Sie werden nichts von ihm hören."
Padfoot schielte zu dem Mann mit dem Generalschlüssel hinauf, winselte leise und legte den Kopf schief, so dass sein charmantes Knickohr besonders gut zur Geltung kam.
„Ich frage nur wegen der Rechtsanwälte im Erdgeschoss" sagte der Mann mit dem Generalschlüssel. „Es ist ja ein sehr großer Hund."
Padfoot machte Sitz.
„Wie gesagt" sagte Remus. „Ich kann Ihnen versprechen, dass er nicht unangenehm auffallen wird."
„Hm" sagte der Generalschlüsselmann. „Und wie viele Schüler wollen Sie hier unterrichten?"
„Ein Dutzend" sagte Remus. „Höchstens. Möglicherweise auch in Gruppen zu versetzten Zeiten."
„Und es sind Schüler mit einer speziellen Begabung, sagten Sie?"
„Ja" sagte Remus.
„Hochbegabte, oder etwas?"
Remus zögerte.
"Ja" sagte ich. "Genau."
"Wir müssten eine Klausel in den Mietvertrag aufnehmen" sagte der Generalschlüsselmann. „Ein Sonderkündigungsrecht im Falle von andauernder Lärmbelästigung. Sie verstehen, ich kann nicht riskieren, die anderen Mieter zu verärgern."
„Voll und ganz" sagte Remus. „Das wäre akzeptabel. Falls wir uns für die Räume entscheiden."
„Ja" sagte der Generalschlüsselmann und sah uns abwartend an.
„Wir würden das gerne noch mal unter sechs Augen beraten" übersetzte ich ihm, der Remus' diskreten Hinweis offenbar nicht verstanden hatte. „Vier Augen. Vier plus zwei Hundeaugen."
„Okay" sagte der Generalschlüsselmann zögernd. „Ich warte dann unten, beim Pförtner."
„Besten Dank" sagte Remus freundlich.
Der Generalschlüsselmann ging. Ich wartete, bis ich seine Schritte auf der Treppe hörte.
„Und?" sagte ich. „Perfekt, oder?"
Mein Wolf stand in einer Lichtinsel und drehte sich langsam um sich selbst, um den Raum in sich aufzunehmen. Seine silbrigen Strähnen glitzerten wie frischer Schnee, und die Sonne wusch ihm die Spuren des letzten Mondes vom Gesicht. Er hatte sich Sirius' dunkelblauen Mantel geliehen, um besseren Eindruck zu machen, er war ihm zu lang, aber zumindest sah man auf diese Weise umso weniger von seiner abgeschabten Cordhose. Er sah so gut aus, dass mein Herz ganz flatterig zu klopfen begann.
„Wir könnten die Tische ans Fenster stellen" sagte er. „Große Gruppenarbeitstische, für vier oder mehr Schüler. Und hier" er zeigte mit dem Finger, „die Tafel, und hier an der Wand Bücherschränke. Ein Kartenschrank, falls wir Karten bekommen. Hier hinten eine Entspannungsecke, mit Kissen und einem Sofa, man könnte sie mit einem Raumteiler abtrennen. Diese Wand könnten wir frei lassen, für eine Wandzeitung, oder Lernzielsicherung. Den Nebenraum könnten wir für Projekte nutzen…"
„Du bist ja ein Kuschelpädagoge" sagte ich grinsend. „Entspannungsecke. Wandzeitung. Hört, hört."
"Ich nenne das offener Unterricht" sagte er mit glänzenden Augen. „Oder projektorientiert, meinetwegen. Das, was sich in Hogwarts allein schon auf Grund der Räumlichkeiten so schlecht umsetzen lässt."
„Stimmt" sagte ich. „In Hogwarts sind nicht nur die Mauern mittelalterlich. Das ist mir auch schon aufgefallen."
Padfoot gähnte demonstrativ, drehte sich im zweiten Sonnenfleck um sich selbst und ließ sich dann mit schwerem Schnaufen auf den angewärmten Parkettboden fallen.
„Da langweilt sich einer" sagte ich, und Padfoot warf mir einen dankbaren Blick zu.
„Verschieben wir unser Pädagogen-Fachgespräch auf später" sagte Remus. „Was meinst du? Sollen wir sie nehmen?"
„Sie ist nicht renoviert" sagte ich. „Deshalb ist sie so billig. Wegen der Kohleöfen und Wasserboiler. Kein Muggel würde sich das antun, aber es ist nichts, das sich nicht mit ein paar Zaubern aus der Welt schaffen ließe. Wir sollten nur fragen, ob es Pläne für eine Renovierung gibt, immerhin ist das Erdgeschoss ja schon komplett saniert. Nicht dass hier gerade der Unterricht anläuft, und dann kommen die und reißen die Rohre aus der Wand."
„Guter Gedanke" sagte er. „Sonstige Einwände?"
„Du willst sie haben, stimmt's?" sagte ich.
„Ja" sagte er und lächelte ein wenig unsicher. „Es ist… so eine Art von Liebe auf den ersten Blick."
„Passiert dir das öfter?" fragte ich.
„Gelegentlich" sagte er und streckte die Hand nach mir aus. Ich trat zu ihm in den warmen Sonnenfleck. In seinen Augen tanzten kleine goldene Fünkchen.
„Glaubst du an etwas wie ein Happy End?" fragte ich ihn.
„Ich weiß nicht" sagte er. „Es fühlt sich gerade so an. Völlig ungewohnt, für einen wie mich."
Hinter uns huffte Padfoot träge und drehte sich auf den Rücken.
„Aber eigentlich" sagte Remus und küsste mich zart, „ist mir ein glücklicher Anfang viel lieber."
ENDE (oder Anfang?)
Anmerkungen:
„Honi soit qui mal y pense", so viel wie: „Ein Schelm, der Böses dabei denkt"
Und wer sind Mary-Ellen und John-Boy? Es gibt da diese ältere, immer wieder gerne wiederholte US-Serie, „The Waltons" (1972 – 1981), über eine Familie mit, keine Ahnung, mehr Kindern als biologisch möglich, und jede Folge endet mit einer Außenaufnahme des Hauses, und kreuz und quer gewünschtem „Gute Nacht".
Kuschelpädagogik? Soll das ein Witz sein? Nein. Heißt wirklich so. Ist ein (etwas abwertender) Begriff für einen anti-autoritären, schülerbestimmten, handlungsorientierten offenen Unterrichtsstil, im Gegensatz zum lehrerorientierten Frontalunterricht (Lehrer spricht, Schüler schreibt).
