Kapitel Vier

Ron fand sie in der Bibliothek, als sie immer noch zusammengesunken auf dem Stuhl saß und in die Ferne starrte.

„Mine?", fragte er vorsichtig und setzte sich ihr gegenüber. „Ich dachte ich komme und schaue ob es dir gut geht, es hat so lange gedauert, immerhin ist es kurz vor dem Abendessen." Hermine sah auf und schaute ihn an, so als würde sie ihn erst jetzt erkennen. Ihre Augen verdunkelten sich.

„Was?"

„Ich wollte sehen, ob es dir gut geht, es hat --", Hermine unterbrach ihn.

„Wann kapierst du es eigentlich? Ich brauche keinen Beschützer, ich brauche niemanden, der mir hinterher rennt und darauf achtet, dass mir bloß kein Haar gekrümmt wird. Verdammt noch mal. Was willst du denn machen, wenn wir mal aus der Schule raus sind, in einem Jahr? Dann kannst du mir nicht hinterherlaufen, wir leben unsere eigenen Leben, unabhängige Leben", fuhr sie ihn an, schnappte sich ihre Tasche und rannte aus der Bibliothek. Wenn er ihr wirklich hatte Helfen wollen, wo war er gewesen, als sie Draco und Parkinson gesehen hatte? Warum war er nicht da gewesen und hatte ihr diesen Anblick erspart, der ihr solche Schmerzen zugefügt hatte? Warum? Sie schniefte, Tränen brannten in ihren Augen, sie wischte sie zornig weg, doch es waren zu viele und sie konnte nichts dagegen tun. Sie kamen und Hermine gab den Kampf auf, sie sank gegen eine Wand und die Tränen rannen ihre Wangen hinunter.

Wieso tat man ihr das an? Wieso musste sie sich ausgerechnet in einen arroganten Mistkerl verlieben, in einen Slytherin? In einen gutaussehenden Slytherin, ihren Erzfeind? Sie schluchzte auf und zwang sich dann selber zur Ruhe. Was brachten Tränen? Sie musste stark sein, ihn vergessen, er würde nie etwas für sie empfinden. Diese Erkenntnis ließ einen erneuten Schwall Tränen kommen, doch sie kämpfte gegen den Drang an, schloss die Augen und atmete tief ein und aus, schluckte ein paar Mal, damit der Kloß in ihrem Hals verschwand. Hermine würde nicht zum Abendessen gehen, sondern sich hinlegen und einen Nacht darüber schlafen. Plötzlich fiel ihr Ron ein, den sie angefahren hatte, dabei konnte er doch gar nichts dafür, er hatte sich Sorgen gemacht. Eine neue Welle drohte sie zu überwältigen, doch sie ignorierte sie und schaffte es, mit einem erneuten Kloß im Hals, aber soweit trockenen Augen in Richtung ihres Zimmers zu gehen. Er würde nicht da sein, er war beim Abendessen, saß neben Parkinson und war glücklich.

Sie murmelte das Passwort und trat ein, ging den Gang entlang, die Hände krampfhaft um den Tragegurt ihrer Tasche geschlossen. Hermine erreichte den Raum, das Feuer flackerte, sie achtete nicht darauf, achtete generell nicht darauf, wo sie hinging und stieß mit jemandem zusammen, der sie davor bewahrte zu fallen, in dem er sie schnell um die Hüften fasste, allerdings sofort los ließ, als sie sich beide in die Augen sahen.

„Granger."

„Malfoy", sagte Hermine, ihre Stimme versagte ihr für einen kurzen Augenblick, doch sie kaschierte es mit einem Räuspern. Warum war er nicht beim Abendessen?

„Du hast geheult", bemerkte er und ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, „Wollte Wiesel dich nicht mehr oder Potter, mit wem auch immer du es getrieben hast?" Sie sah ihn an, der Kloß in ihrem Hals schwoll wieder an und sie musste sich zusammenreißen, um nicht hier und jetzt, vor ihm, in Tränen auszubrechen.

„Das sagt der, der mit dem Mädchen rumknutscht, das von allen nur Slytherinschlampe genannt wird!" Auch wenn sie sich bemüht hatte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, konnte sie ein leichtes Zittern nicht unterdrücken.

„Sie gibt es wenigstens zu und macht es nicht hinterrücks", sagte er schlicht und warf ihr einen vielsagenden Blick zu, der ihr endgültig den Rest gab. Hartes Schlucken half nichts, ihre Augen füllten sich mit Tränen und als sie versuchte sie wegzublinzeln, löste sich eine von ihren Wimpern. Sie sah Draco durch einen Tränenschleier an, wollte etwas sagen, schaffte es nicht und stürzte an ihm vorbei, hinauf in ihr Zimmer, wo sie sich, Halt suchend, an ihrem Kissen festklammerte und das Gesicht, hemmungslos schluchzend hineindrückte. Ihr gesamter Körper war angespannt, wie als würde sie auf etwas warten, was sie insgeheim auch tat. Hatte er denn kein Gewissen? Warum kam er nicht hoch und fragte, wie es ihr ging? Schrie das schlechte Gewissen nicht in ihm? Und tatsächlich, sie konnte Schritte auf der Treppe hören, jemand klopfte, doch als sie nicht antwortete, wurde die Tür geöffnet und jemand schien unschlüssig im Türrahmen zu stehen.

„Granger --", sie unterbrach ihn und fauchte mit tränenerstickter Stimme:

„Verpiss dich, Malfoy, hau ab und wage es nicht noch einmal, mein Zimmer zu betreten." Hermine hörte, wie er die Tür hinter sich schloss, hörte die Schritte, als er die Treppe hinunter ging und setzte sich schließlich auf. Sie hatte ihn weggeschickt. Aber was zählte war doch, dass er zu ihr gekommen war, er hatte sich bei ihr entschuldigen wollen oder etwa nicht? Und sie hatte ihn einfach so weggeschickt...

Mitten in der Nacht wachte sie auf, ihre Augen waren verquollen und ihr Mund trocken. Die Erinnerungen an den gestrigen Abend überfluteten sie und Hermine flüsterte leise in die Dunkelheit:

„Du bist so dumm!" Wieso zum Teufel hatte sie ihn weggeschickt, wieso hatte sie sich nicht seine Entschuldigung angehört? Ihr fiel auf, dass sie immer noch ihre Kleider trug und beschloss kurzerhand aufzustehen und sich etwas anderes anzuziehen, vielleicht sogar noch zu duschen. Außerdem brauchte sie etwas zu trinken. Leise ging sie die Treppe hinunter. Das Feuer im Gemeinschaftsraum war ausgebrannt, glühende Scheite lagen aufeinander gestapelt da und tauchten den Raum in gespenstisches Licht. Hermine öffnete die Tür zum Waschraum und schlüpfte hinein, entfachte die Lichter mit einem Schlenker ihres Zauberstabes und seufzte. Das Wasser stellte sie heiß ein, beinahe so heiß, dass sie sich verbrannte, doch die Wärme, die sich durchflutete, ließ sie ein wenig aufleben. Nachdem sie sich die Haare getrocknet hatte, schöpfte sie sich mit der Hand Wasser aus dem Becken und trank es. Die kühle Flüssigkeit suchte sich ihren Weg und ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Hermine schlüpfte in ihren dunkelblauen Pyjama und verließ den Waschraum, stieß einen erstickten Schrei aus, als sich in den Schatten des Raumes etwas regte. Dieses Etwas stellte sich als Draco heraus, der, nur mit einer Hose bekleidet in einem Sessel saß und sie anstarrte. Der rote Glanz in seinen Augen, der vom Feuer herührte, gab ihm ein gespenstisches Aussehen und Hermine konnte nicht anders, sie wich einen Schritt zurück und stieß mit dem Rücken gegen das Holz der Tür. Er hatte die Arme auf den Knien liegen und saß leicht nach vorne gebeugt. Wie lange saß er schon da? Hermine war sich sicher, dass er noch nicht da gewesen war, als sie in den Waschraum gegangen war.

„Hast du Angst?", fragte er in die Dunkelheit, Hermine räusperte sich, straffte die Schultern und bewegte sich in den Raum hinein.

„Vor dir?", fragte sie, leicht spöttisch klingend.

„Du bist zurückgewichen."

„Du siehst aus wie ein Toter, der beschlossen hat, aus dem Grab zu steigen."

„Wie schmeichelhaft." Sie musste Lächeln, er sagte es ganz normal, keine Beleidigung, nichts dergleichen. Er richtete sich auf und ihr Blick glitt über seinen Körper, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Eine Narbe, unterhalb seines Bauchnabels schimmerte weiß in der Dunkelheit. Als ihr bewusst wurde, was sie tat, wurde sie rot und sah betont in eine andere Richtung.

„Wenn ich dir wehgetan habe...dann...dann tut es mir Leid." Es bereitete ihm Schwierigkeiten es zu sagen, man konnte es am Klang seiner Stimme hören.

„Wow, ein Malfoy hat sich bei einem Schlammblut entschuldigt", sagte Hermine und lachte trocken.

„Ja, unglaublich, was?"

„Total", erwiderte sie, ließ sich in den zweiten Sessel, der ihm gegenüber stand, fallen. Er beobachtete jeden Schritt den sie machte, wie als würde er lauern.

„Entschuldigen sich Malfoys eigentlich bei irgendwem?"

„Nein", kam die einfach Antwort.

„Wahrscheinlich seit ihr viel zu stolz dazu", murmelte Hermine eher zu sich, als zu ihm.

„Nenn es wie du willst", sagte er und sie meinte, leichte Enttäuschung aus seiner Stimme herauszuhören. Hermine wandte den Blick, den sie auf den Kamin gerichtet hatte, in seine Richtung, nur um geradewegs in seine grauen Augen zu sehen. Das Gefühl kam wieder, welches sie in den letzten zwei Jahren immer gefühlt hatte, wenn die grauen Augen von ihm sie ansahen und war es in noch so unmöglichen Momenten. Eine Leichtigkeit, die in ihrem Bauch begann und ihr Herz zum Klopfen brachte.

„Draco, ich ... wir", sie verstummte, atmete tief ein und entließ die Luft als großen Seufzer. „Ich gehe ins Bett", sagte sie schließlich, stand auf und ging die Treppen hinauf in ihr Zimmer, wo sie sich unter die Decke kuschelte und sofort einschlief.


A/N Wie schaffst du es eigentlich, so schnell zu reviewen, Jannilien! Egal, hab mich riesig drüber gefreut ... Hermine und Draco haben wenigstens im Ansatz normal miteinander gesprochen, hoffentlich geht das nicht zu schnell ...R&R