Kapitel Einundfünfzig
Eine leichte Brise strich über ihr Gesicht. Der Himmel war gesprenkelt mit Sternen, die aus weiter Ferne auf Hermine hinab blinkten. Sie hatte die Augen geschlossen, den Kopf in den Nacken gelegt und erinnerte sich. Erinnerte sich an all die glücklichen Stunden, die sie mit Draco Malfoy verbracht hatte. Seine Liebeserklärung an Weihnachten, ihre Scheu in den ersten Tagen, die Art, wir er ihr sie genommen hatte. Der Silvesterball, atemberaubend schön. Die stillen Stunden, die sie zusammen verbracht hatten, die Zweisamkeit, die für sie so selbstverständlich war.
Ruckartig schlug Hermine die Augen auf. Jemand schien ihren Rücken anzustarren, doch als sie sich umdrehte war da niemand, sondern nur die tiefe Dunkelheit des verbotenen Waldes, der sich hinter ihr ausbreitete. Hermine hatte keine Angst im Dunklen. Sie liebte die tiefe Stille der Nacht und die Sterne am Himmel.
„Ich kann nicht mehr", stöhnte Ron, vergrub das Gesicht in seinen Händen und stöhnte erneut.
„Komm Ron, das letzte bisschen schaffen wir auch noch", entgegnete Hermine und warf ihm das Buch zu, welches mit einem lauten Knall vor ihm auf dem Tisch aufkam und ihn au seinen Tagträumen riss.
„Hermine, ich kann nicht mehr, mein Kopf ist kurz davor auseinander zu springen."
„Stell dich nicht so an", wies Hermine ihn lächelnd zurecht, „Vielleicht habe ich ja noch eine Belohnung für dich." Er schmunzelte.
„Liebst du ihn denn gar nicht mehr?"
„Ich weiß nicht, es sind Erinnerungen, Bilder. Außerdem, er hat von mir verlangt, dass ich ihn vergesse, wieso sollte ich es jetzt nicht tun? immerhin bin ich wegen ihm beinahe draufgegangen."
„Auch wenn ich nie gedacht hätte, dass ich das jemals in meinem Leben sage, aber vielleicht denkst du lieber noch einmal darüber nach, damit du, sollte er irgendwann wieder kommen keinen Fehler machst."
„Sollte er wiederkommen, dann ist er nicht mehr der, den ich kennen gelernt habe."
Hermine blickte Ron an. Sie wusste nicht, ob sie ihn immer noch liebte, woher sollte sie es wissen, wenn sich die Erinnerungen doch nur langsam einfanden, angestoßen durch die Erzählungen ihres besten Freundes.
„Ich will nur nicht, dass du dich in irgendetwas verrennst."
„Nein, das kann ich gar nicht, da bin ich viel zu intelligent zu", grinste Hermine, doch Ron schüttelte den Kopf.
„Arroganz steht dir nicht." Hermine streckte ihm die Zunge raus und schnappte sich das nächste Buch aus dem Regal, ließ sich auf dem Stuhl nieder und fing wieder an zu büffeln.
Hermine betrat den Gemeinschaftsraum und fand Seamus auf dem Sofa sitzend vor, nach vorn gebeugt und scheinbar höchstkonzentriert.
„Was machst du da?", fragte sie und lugte ihm über die Schulter. Seamus zuckte zusammen und drehte sich zu ihr um.
„Ich spiele, Schach", er deutete auf das Brett welches vor ihm stand. Hermine zog eine Augenbraue in die Höhe.
„Ich weiß, dass das Schach ist, aber ich frage mich, wieso du es alleine spielst, normalerweise spielt man es mit noch jemandem zusammen oder nicht?" Seamus lächelte, ein wenig nachsichtig, wie Hermine fand.
„Natürlich tut man das, aber ich finde es ganz interessant zu sehen, wie zwei gleich starke Spieler gegeneinander antreten."
„Teilst du dich gewissermaßen also durch zwei?"
„So kann man es nennen, ja", sagte Seamus und grinste sie an. „Lust auf ein Spiel?"
„Damit ich verliere und du deinem Ego noch ein wenig weiter die Treppe hoch helfen kannst, bis es sich ins unermessliche steigert?"
„So etwas traust du mir zu?", fragte er und blickte sie mit einem Hundeblick an.
„Nicht nur das", entgegnete Hermine, verabschiedete sich von ihm und verschwand aus dem Gemeinschaftsraum, die Tasche über der Schulter, in ihr ein schweres Buch und all die Notizen, die sich dieses Jahr über gemacht hatte.
Seufzend ließ sie sich auf der Bank am See nieder, streckte die Füße aus und hielt ihr Gesicht in die warme Frühsommersonne. In letzter Zeit schien es, trotz allem Sträuben häufiger zu passieren, dass sie sich fragte, wie es wäre, wenn Draco jetzt bei ihr wäre. Sie wusste nicht, ob es Liebe war, aber Hermine machte sie Sorgen um ihn, fragte sich, was er für Aufgaben machen musste und ob er inzwischen seinen Ekel dem Töten gegenüber überwunden hatte.
Auch wollte Hermine wissen, wo der Ring war, den er ihr geschenkt hatte, zum Valentinstag. Wahrscheinlich hatte Blaise ihn ihr abgenommen oder er ihr selber, in der Zeit, in dem ihre Seele von ihrem Körper getrennt gewesen war. Es war wirklich ein komplizierter Zauber und scheinbar war Blaise, der eigentlich nur mittelmäßig in der Schule war, doch ein sehr guter Zauberer. In den Büchern fand man den Diductio-Zauber, der das Trennen von Körper und Seele zuließ. Es übertraf bei weitem dem Stoff, den man in der Schule lernte. Niemand, den sie kannte, war in der Lage solch einen Zauber durchzuführen. Und Blaise hatte es geschafft.
Erneut seufzte Hermine und dachte an Ron, der ihr, mit Draco zusammen immer öfter im Kopf herumspukte. Er liebte sie, sie liebte ihn nicht, mochte ihn nur sehr gerne, er war immerhin so etwas wie ihr Bruder. Es kam ihr ebenfalls falsch vor, etwas mit ihm anzufangen, doch trotz dieser Tatsache flirtete sie mit ihm ohne Unterlass. Wenn sie zurückdachte an die Gespräche, die sie in letzter Zeit geführt hatten, schoss ihr so manches Mal die Röte in die Wangen.
„Hallo Hermine", begrüßte sie ihre beste Freundin und ließ sich neben sie sinken.
„Hallo Ginny." Hermine lächelte das jüngere Mädchen an und plötzlich überkam sie eine Welle von puren Freundschaftsgefühlen. Hermine schüttelte den Kopf.
„Ron hat gesagt, ich soll nach dir sehen."
„Hat er das, ja?"
„Ja hat er. Dir ist schon klar, dass du immer häufiger mit ihm flirtest?", fragte Ginny beiläufig und sah hinaus auf den See.
„Ja und?"
„Ich meine nur, ich weiß nicht wie es aussehen würde, wenn Draco wiederkommen würde."
„Draco?" Hermine war überrascht, denn sie hörte Ginny das erste Mal den Namen ihres Freundes, wie sie ihn nannte, aussprechen.
„Wie auch immer. Ich will nur nicht --", Hermine unterbrach sie mit einem Lachen.
„Ginny, ich tue Ron schon nicht weh, keine Bange, ich kenne meinen Grenzen."
„Ja, die Frage ist nur, weiß Ron, dass du deine Grenzen kennst und nichts mit ihm anfangen willst?" Hermine seufzte auf.
„Das Gespräch hatten wir schon einmal Gin. Daran kann ich mich wenigstens noch erinnern. Du kannst es von mir auch noch mal mit mir führen, aber es hat sich nichts an meiner Einstellung geändert." Ginny hob eine Augenbraue.
„Tut mir Leid, dass ich dich gestört habe", murmelte sie, stand auf und wollte gehen, doch Hermine hielt sie am Ärmel fest.
„Nein, mir tut es Leid, aber der ganze Schulstress, die Sache mit Draco und Ron liegen mir halt etwas schwerer im Magen. Du hast den ganzen Stress ja erst nächstes Jahr. Und ich finde es super süß von dir, dass du dir Sorgen um deinen Bruder machst, aber er ist kein Baby mehr", sie zwinkerte Ginny zu und diese lächelte.
„Nein, ein Baby ist er ganz sicher nicht mehr."
Nachdem Ginny gegangen war, lehnte sich Hermine wieder zurück und holte das schwere Buch aus der Tasche, legte es sich auf die Knie und schlug es auf. Gedankenverloren blättere sie durch die Seiten, ein Zettel fiel heraus und landete beinahe auf dem Boden, doch Hermine konnte ihn gerade noch auffangen.
Weißt du eigentlich, in was für eine Gefahr du dich bringst und mich, weil ich dir diesen Brief schreiben muss, damit du endlich zur Vernunft kommst? Meinst du ich mache es zum Spaß, Leute damit beauftragen diesen höchst komplizierten und vor allem auch schwierigen Zauber an dir anzuwenden? Ich mache mir Sorgen um dich, My Lady und du trittst es alles mit Füßen. Ihr Weiber seit echt nicht zu verstehen. Verschwindet man zetert ihr rum, macht man sich Sorgen um euch, beachtet ihr es nicht...
Da du ja jetzt deine Erinnerungen wieder hast, versuch wenigstens nicht, wie gerade jetzt auch, alleine irgendwo herum zu sitzen, sondern geh rein und hock dich von mir aus in die Bibliothek, ansonsten zwingst du mich, weitere Schritte einzuleiten...
Hermine konnte sich kein Lächeln verkneifen. My Lady, so hatte er sie immer genannt und sie hatte es geliebt. Nächste Schritte, Sorgen?
„Solltest du mich auch hören können, dann nur zu deiner Information, ich zetere nicht rum, sondern helfe mir lediglich selber", grummelt Hermine in die Stille hinein, die nur von den Vögelrufen unterbrochen wurde. Wahrscheinlich benutzte er einen Spiegel, diesen einen Spiegel um sie sehen zu können. Lief er damit nicht Gefahr von Voldemort entdeckt zu werden? Wäre sie dann Schuld an ihrem Tod? Hastig packte Hermine die Sachen zusammen und betrat das Schloss, auch wenn es ihr schwer fiel, die Ländereien zu verlassen, denn sie liebte sie, den See, einfach alles.
A/N ausnahmweise gibt es heute zwei Chappys, also nicht warten, sondern weiterlesen :)
