„Wusstest du, dass Huntzberger mit diesem neuen Professor verwandt ist?" Paris blickte Rory fragend an. „Meinst du, er bekommt so

bessere Noten?"

Die beiden saßen auf der Couch und sahen sich eine Folge von „Der Prinz von Bel Air" an.

„Ja, wusste ich. Ich schreibe doch einen Artikel über diesen Phinneaus Huntzberger und der gleiche Nachname ist mir sofort aufgefallen.

Ich glaube aber nicht, dass Logan deshalb bessere Noten bekommt, er ist doch auch so schon ziemlich gut. Woher weißt du das denn?"

„Ich habe vorhin mitbekommen wie er telefoniert hat, wahrscheinlich mit seinem Vater, und er schien nicht gerade erfreut darüber. Er

schien noch nicht einmal gewusst zu haben, dass er hier unterrichten wird. Phinneaus! Die scheinen echt einen Fimmel für ungewöhnliche

Namen zu haben."

Rory antwortete nicht und blickte auf den Bildschirm. Logan hatte nicht gewusst, dass der Cousin seines Vaters der neue Professor war?

Sie hatte wirklich noch nie jemanden erlebt, der seine Überraschung besser hatte überspielen können.

Plötzlich klingelte ihr Handy. Deans Name blinkte auf dem Display.

„Hey."

„Hey", Rory stand auf und ging ins Schlafzimmer hinüber.

„Ich wollte nur fragen, ob wir uns dieses Wochenende sehen? Meine Eltern fahren mit meiner Schwester zu meinen Großeltern!"

Rory fühlte sich an ein Gespräch zwischen Teenagern erinnert. Irgendwie wollte sich keine Freude über diese Möglichkeit endlich einmal

wirklich mit Dean alleine sein zu können einstellen.

„Rory?"

„Ja. Ist ja super", schuldbewusst versuchte sie sich nichts anmerken zu lassen. „Ich komme dann morgen abend zu dir. Sorry, aber ich

muss jetzt auflegen."

„Alles klar. Bis morgen."

„Ja, bis morgen"

„ - ach, und Rory?"

„Ja?"

„Könntest du, ähm, Kondome besorgen? Ich habe keine mehr und will nicht, dass meine Mum sie findet wenn ich welche kaufe."

„Hm"

Schnell legte sie auf.

Als sie sich umdrehte, stand Paris im Türrahmen. „Wie lange willst du das Spiel noch spielen?"

„Was für ein Spiel?" Sie hatte echt keine Lust, ihre Beziehung zu Dean mit Paris zu besprechen.

„Du weißt was ich meine. Er war ein Lückenbüßer, weil du dich nach jemandem gesehnt hast. Aber langsam ist mal gut. Du kannst das

Ganze nicht ewig so weitertreiben."

„Er hat sich bis jetzt nicht beschwert", antwortete Rory schnippisch.

„Ich rede hier auch nicht nur von seinen Gefühlen. Ich meine, ihr trefft euch immer mal wieder für ein paar Stunden am Wochenende, wo

ihr wer weiß was macht – nein, ich will gar nicht wissen was. Und für mehr hat keiner von euch Zeit. Oder hast du das Gefühl, dass er dich

großartig vermisst? Wenn ja, hätte er ja auch so mal ein bisschen Zeit für dich finden können, auch wenn grade kein Bett zur Verfügung

steht."

„Ach, das hat Asher doch auch nicht wirklich und trotzdem bist du ihm die ganze Zeit hinterher gerannt!" Rory wusste, dass sie zu weit

ging, aber sie hatte mit einem mal eine verdammte Wut in sich. Wieso musste Paris sich in ihre Angelegenheiten einmischen? Erst dieses

Gerede übers Verliebtsein vorhin und jetzt diese absolut pessimistische Analyse ihrer Beziehung.

Paris Augen blitzten. Merkwürdigerweise war ihre Stimme brüchig, als sie Rory anschrie.

„Ist gut. Ich wollte mich nicht einmischen, ich wollte dir nur helfen. Aber gut, wenn die große Rory Gilmore keine Hilfe braucht und meint

wunderbar zurechtzukommen, von mir aus!" mit den Worten drehte sie sich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Appartement, die

Tür laut hinter sich zuknallend.

Seufzend sank Rory auf ihr Bett. Sie wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte.

Sie wusste selber, dass das mit Dean nichts Ernstes war. Das wäre auch zu schön gewesen…Sie hatte nach jemandem gesucht, der ihr

das Gefühl von Wärme gab, das Gefühl, nicht alleine zu sein. Und irgendwie hatte sie auch Angst gehabt ewig „unberührt" zu bleiben, so

kindisch und unreif sich das auch anhörte.

Sie ging ins Bad und machte sich bettfertig. Anschließend lag sie noch lange wach, aber Paris kam nicht zurück.

Am nächsten Morgen lief Rory verschlafen in die Cafeteria. Paris war immer noch nicht wieder aufgetaucht und langsam machte sie sich

Sorgen. Sie wollte keinen Streit.

Als sie sich mit Müsli und einem Orangensaft an einen der Tische setzte, gingen zwei Studentinnen an ihr vorbei und sie bekam einige

Gesprächsfetzen mit.

„..ist gestern noch angekommen.." „…ja, soll heute schon anfangen…" „…angeblich mit Logan Huntzberger verwandt…"

Na, das konnte ja ein interessanter Tag werden.

Während sie sich abmühte, ihre Schüssel mit Müsli aufzuessen – wenn sie müde war fiel es ihr schwer Nahrung zu sich zu nehmen, was

sich stets später am Tag bemerkbar machte – kam plötzlich Paris in die Cafeteria.

Rory sprang auf, um sich bei ihr zu entschuldigen und den unsinnigen Streit von gestern aus der Welt zu räumen. Doch als sie den Mund

öffnete war Paris bereits an ihr vorbeigerauscht.

Rory betrat den hellen Raum, in dem Professor Phinnaeus Huntzbergers erste Unterrichtsstunde stattfinden sollte. An dem ovalen Tisch

saßen bereits circa 15 Studenten und Studentinnen, unter ihnen auch Logan. Aus plötzlichem Antrieb heraus setzte Rory sich neben ihn.

Nachdem noch ein paar Nachzügler hinzugestoßen waren, verstummten die Gespräche plötzlich,als ein ältlicher Herr – Rory wusste aus

ihren Unterlagen, dass er 62 war, hätte ihn aber eher auf Mitte 50 geschätzt – mit gepflegtem, gräulichen Haar und in einem teuer

aussehenden blauen Anzug eintrat.

„Guten Tag. Mein Name ist Professor Doktor Phinnaeus Huntzberger. Ich werde sie zukünftig in dem Fach der europäischen Literatur

unterrichten. Meine Regeln sind klar und leicht einprägbar. Ich möchte, dass jeder von ihnen zu 100 Prozent vorbereitet in meinen

Sitzungen erscheint. Meine Zeit ist zu wertvoll, als dass ich sie mit Antworten und Erläuterungen auf durch fundiertes Hintergrundwissen

vermeidbare Fragen verschwenden würde."

Obwohl er sehr leise sprach, hatte seine Stimme etwas schneidendes, bellendes, das an einen Cournel der Army erinnerte.

„Unser erstes Thema ist der Vergleich der Darstellung von Sexualität in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Insbesondere werden wir auf

den Vergleich zwischen deutscher und französischer Literatur eingehen. Welches Kriterium ist bei einer Bewertung und anschließendem

Vergleich besonders in diesem Fall von äußerster Wichtigkeit? – Sie da!"

Er zeigte auf ein Mädchen namens Monica Waters.

„Ähm…vielleicht die gesellschaftlichen Wertvorstellungen?"

„Und wovon sind bitte schön diese gesellschaftlichen Wertvorstellungen abhängig?", er zeigte mit dem Finger auf Norman Wallace.

„Von den historischen und kulturellen Umständen?"

"Ich dachte ich hätte eine Frage gestellt?"

„Ähm…ja, Sir."
"Wieso geben sie mir dann keine Antwort sondern formulieren eine erneute Frage? An alle: Wörter wie vielleicht, eigentlich, eventuell

ecetera sowie sämtliche Laute, die kein allgemein bekanntes Wort bilden – wie zum Beispiel äähm – streichen sie ab sofort aus ihrem

Vokabular. Sie behindern eine fließende Konversation und beanspruchen meine Nerven.

Gut. Nennen sie „ – er zeigte auf einen jungen Mann mit dichten, braunen Locken – „mir einen klassichen Autor deutscher Literatur aus

dem 19. Jahrhundert."

„Frank Wedekind."

„Hm…ich bin beeindruckt. Wedekind passt als einer der wenigen perfekt in unsere Thematik. Wie heißen Sie, junger Mann?"

"Leopold Starkitt-Jensen", der Typ hatte eine schleimige arrogante Stimme, fand Rory.

„Oh, Sie sind nicht zufällig der Sohn von Jacobus Starkitt?"

„Jedenfalls behauptet meine Mutter das", er war definitiv ein Typ mit unangenehmen Humor, dachte Rory.

„Nun denn. Nennen sie mir ein Beispielwerk Wedekinds." Ohne das geringste Zeichen des Erkennens sprach er Logan an.

„Die Büchse der Pandora."

„Nun, mal ganz abgesehen davon, dass dieses Werk absolut nicht „ – er betonte dieses Wort – „in unsere Thematik passt, wurde es erst

im 20. Jahrhundert verfasst. Auf welches Jahrhundert beziehen wir uns hier?"

„Auf das 19.„ , Rory spürte, wie Logan sich neben ihr verkrampfte. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und es sah aus, als würde er

die Worte unter größter Anstrengung herauspressen.

„Haben Sie vielleicht ein wenig mehr Ahnung, als der ahnungslose Sohn meines Cousins?", fragend sah er Rory an.

„Ich könnte mir denken, dass „Frühlings Erwachen" im Sinne unseres Themas ist. Allerdings haben wir den Autor noch nie besprochen

und so ist es reiner Zufall, dass ich das Buch vor einiger Zeit in der Bibliothek entdeckt und gelesen habe. Sie sollten mangelndes

Hintergrundwissen also nicht zu hart beurteilen."

Eine Pause entstand. Professor Huntzberger wippte auf den Zehenspitzen auf und ab.

„So, Miss?" – „Gilmore", sagte Rory, - „Sie sind also nicht nur in der Lage, mir den Titel des für einen Studenten einer so hochgelobten

Universität wie Yale wohl als bekannt vorauszusetzenden Werkes zu nennen, nein, sie besitzen sogar die Weisheit, mir Tipps für meine

Unterrichtsweise zu geben. Ich bin Ihnen wirklich zu äußerstem Dank verpflichtet, bereue aber, Ihnen mitteilen zu müssen, dass ICH

MICH VON EINER GRÜNNASIGEN STUDENTIN NICHT BELEHREN LASSE!" – bei den letzten Worten war er ganz nahe an

Rorys linkes Ohr gekommen und hatte hineingebrüllt.

Erschrocken war sie zusammengezuckt und hatte im ersten Schreck ihre rechte Hand in den Arm des rechts neben ihr sitzenden Logan

gekrallt.

Nun atmete sie ein paar Mal tief durch und versuchte ihr rasendes Herz zu beruhigen. Professor Huntzberger hatte sich wieder dem Rest

des Kurses zugewandt und sie hörte seine Worte nur noch wie ein weit entferntes Rauschen.

Plötzlich bemerkte sie ihre Hand auf Logans Arm. Erschrocken zog sie sie weg und blickte ihn entschuldigend an.

Den Rest der Stunde verbrachte sie damit, den Unterricht als Zuhörerin zu verfolgen und sich Notizen zu machen. Normalerweise war dies

einer ihrer Lieblingskurse und sie schaltete sich stets aktiv in die Diskussionen ein, doch hie gab es keine Diskussionen. Das Ganze war

eine Art Frage-Antwort-Spiel.

Zu guter Letzt gab Professort Huntzberger ihnen für die nächste Stunde eine genaue Analyse von „Frühlings Erwachen" mit Vergleichen zu

anderen klassischen deutschen Werken der vorangegangenen 100 Jahre auf. „Die Arbeiten werden allesamt benotet", betonte er und

verließ den Raum.

Langsam packte Rory ihre Sachen zusammen und hörte den Gesprächen der anderen Studenten zu, die sich teils über die

Unterrichtsweise, teils über die vielen Hausaufgaben aufregten.

Als sie gerade den Raum verlassen wollte, spürte sie, wie sich eine Hand um ihren Oberarm schloss. Als sie sich umdrehte, blickte sie in

Logans Gesicht.

„Du hättest das nicht tun müssen. Er kann sich ziemlich aufregen und einem von einer Sekunde auf die nächste einen mörderischen

Schrecken einjagen."

„Ich fands unfair, dass er dich so angemacht hat, also hab ich was gesagt. Ich weiß, dass ich das nicht hätte tun müssen, aber ich wollte es

halt."

„Naja, jedenfalls…danke." Ein kurzes Lächeln, und schon war er verschwunden.

Während Rory dem blonden Haarschopf nachsah, schlich sich ein sorgenvoller Ausdruck auf ihr Gesicht. Die Hausaufgabe war wirklich

sehr viel und die nächste Stunde war bereits in zwei Tagen. Es war ja nicht so, dass sie nur diesen Kurs hatte.

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Über ein paar Kommentare würd ich mich echt freuen. Bye