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6. Der nächste Morgen

Was soll denn dieser infernalische Lärm?

Ich hieve mühsam ein halbes Lid in die Höhe und luge grimmig auf die Uhr, die ein ausgesprochen störendes, hohes Piepen von sich gibt. Erst nach geraumer Zeit erkenne ich, dass es sich um das Wecksignal handelt – es ertönt zwar fast jeden Morgen um diese Zeit, aber in den letzten Wochen habe ich es schließlich nicht ein einziges Mal gebraucht – fahre widerwillig die Hand aus und bringe den Wecker mit einem energischen Hieb zum Schweigen. Ich rolle mich in der erholsamen Stille zusammen und frage mich verschlafen, warum in aller Welt der Wecker zu dieser gottlosen Stunde losgegangen war, schließlich bin ich doch noch lange nicht ausgeschlafen...

Die Antwort ist einfach und rieselt mir kurze Zeit später auch prompt in mein noch halb schlafendes Gehirn. Weil ich ihn so eingestellt habe, dass er zu dieser gottlosen Zeit losgeht, darum.

„Nein", ächze ich protestierend in die Dunkelheit hinein. „Ich kann noch nicht aufstehen. Das ist das erste Mal seit Wochen, dass ich richtig geschlafen habe!"

Ich stehe trotzdem auf, weil ich mir gut vorstellen kann, wie meine Schüler reagieren würden, wenn ich ihnen erklärte, dass der Unterricht heute verspätet beginnt, weil ich nach einer ganzen Reihe von Nächten mit wirren erotischen Träumen über den neuen Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste unbedingt einmal ausschlafen musste... ‚Nehmt das dämliche Grinsen aus den Gesichtern, Leute, Professoren sind schließlich auch nur Menschen...'

Nein, lieber nicht!

Merlin sei Dank habe ich ein Abkommen mit den Hauselfen, dass ich morgens beim Aufstehen eine Kanne Tee oder Kaffee in meinem Wohnzimmer vorfinde. Heute ist es – Danke, Gott, für kleine Gefälligkeiten – Kaffee. Der Duft lockt mich, wenn auch stöhnend und strauchelnd, in Richtung Wohnzimmer. Eine flüchtige – und unbedachte – Bewegung mit dem Zauberstab und die Leuchter an den Wänden erstrahlen in ihrer ganzen Pracht. Und ich muss die Augen gegen die gleißende Helligkeit zusammenkneifen.

„Verflucht seiest du, Remus Lupin", knurre ich während ich halb blind nach dem Kaffeebecher taste. „Wenn ich so etwas öfter mitmachen muss, drehe ich durch und dir den Hals um!"

Mit einer Tasse Kaffee im Bauch und einer verbrannten Zunge im Mund schaffe ich es schließlich unter die Dusche. Aber erst, als das Wasser schon auf meinen Kopf prasselt, fällt mir wieder ein, dass ich überhaupt nicht vorgehabt hatte, die Haare zu waschen. Da ich bei meinen Berechnungen, wie lange ich zum Aufstehen brauchen würde, keine Zeit für Waschen und Frisieren einkalkuliert habe, bin ich nun offiziell im Verzug. Stöhnend sinke ich gegen die Wand, schlage die Hände vors Gesicht und schaffe es natürlich, mir dabei eine große Portion Seifenschaum ins Auge zu befördern.

Und jammere herzzerreißend: „Ich schaffe das einfach nicht."

Eine Minute später rede ich mir gut zu, dennoch mein Bestes zu versuchen. In aller Eile seife ich mich ein, rubbele den Schaum mit meinem Luffa-Schwamm wieder ab, und drei Minuten später bin ich aus der Dusche gesprungen. Eine zweite Tasse Kaffee neben mir, trockne und frisiere ich mein Haar mit dem Zauberstab, weil das schneller geht, als die von mir favorisierte Muggel-Methode.

Wenn man so unausgeschlafen ist, ist Make up unverzichtbar, um die damit verbundene Miene ungläubigen Entsetzens zu kaschieren. Ich trage es schnell und großzügig auf, denn ich habe mich für den glamourösen Komme-gerade-von-einer-irren-Party-Look entschieden, weil sich dann wenigstens niemand wundert, wenn ich mitten im Unterricht einfach einschlafe.

Das Ergebnis ist zwar eher ein Habe-einen-Riesenkater-Look, aber ich will nicht noch mehr Zeit auf ein hoffnungsloses Unterfangen verschwenden.

Dann schlüpfe ich in Unterwäsche, Rock, Bluse und Schuhe, werfe mir den Umhang um die Schultern und werfe einen Blick auf die Uhr. Hey, ich schaffe es sogar noch, zum Frühstück in die Große Halle zu gehen! Verdammt, bin ich gut!

Also gut, was noch? Futter und Wasser für Krummbein, falls er mal wieder vorbeischaut. Im Moment liegt er wahrscheinlich irgendwo herum und schläft. Schlaues Kätzchen!

Das Erste, was ich beim Betreten der Großen Halle bemerke: Remus ist nicht beim Frühstück.

Genauso wenig, wie er gestern Abend beim Abendessen gewesen war. Und wenn ich mich recht erinnere – nicht dass ich darauf geachtet hätte, ganz gewiss nicht – hat auch kein Licht bei ihm gebrannt.

Wahrscheinlich hat er eine Freundin, denke ich zähneknirschend. Scheiße! Wie blöd bin ich eigentlich? Das war übrigens eine rhetorische Frage, klar? Natürlich hat er eine Freundin. Männer wie Remus haben immer eine Frau, oder zwei oder drei, am Gängelbändchen. Bei mir hat er gestern Nachmittag nicht landen können, darum ist er einfach zur nächsten Blüte weitergeflattert.

„Vollidiot!", knurre ich, Professor Dumbledores verwirrten Blick ignorierend, und lasse mich mit grimmigem Gesicht auf meinen Stuhl sinken. Wie habe ich nur meine Erlebnisse aus dreizehn Jahren ständiger, völlig unbefriedigender Beziehungskriege vergessen und mich so einspinnen lassen können? Murphy, dieser verdammte irische Drecksack, und meine Hormone, ganz klar! Die haben mir das Hirn vernebelt und mir eine Überdosis Eierstock-Wein verabreicht, die stärkste, den gesunden Frauenverstand ausschaltende Substanz im ganzen Universum. Oder anders ausgedrückt, ich habe nur einen Blick auf Remus Lupins nackten Körper geworfen und bin rollig geworden.

„Vergiss die ganze Sache", murmele ich vor mich hin, während ich meinen Teller belade, obwohl ich plötzlich überhaupt keinen Appetit mehr habe. „Denk einfach nicht mehr daran!"

Na klar, Alex. Nichts ist einfacher, als den Anblick dieses stolz und schamlos geschwenkten Joysticks zu vergessen...

Die deprimierende Aussicht, diese Ehrfurcht gebietende, den Mund wässrig machende Erektion abschreiben zu müssen, ohne auch nur einmal in den Genuss gekommen zu sein, bringt mich fast zum Heulen. Aber das bin ich meinem Stolz schuldig. Auf gar keinen Fall will ich eine von Vielen im Kopf oder gar im Bett eines Mannes sein.

Seine einzige Entschuldigung, denke ich, während ich zornig ein Brötchen mit dem Messer attackiere, ist, wenn er im St. Mungos liegt und zu schwer verletzt ist, um eine Nachricht senden zu lassen. Keinesfalls hatte er hier auf den Hogwartsgelände einen Unfall oder Ähnliches, denn das hätte ich unweigerlich erfahren. Nein, verdammt noch mal, er ist gesund und munter und steckt Merlin weiß wo.

Das ‚Merlin weiß wo' und vor allem das ‚Stecken' ist das Problem!

Nur um alle Unwägbarkeiten abzudecken, versuche ich ein winziges bisschen Angst um ihn zu entwickeln, doch das Einzige, was ich zustande bringe, ist lediglich der aus tiefstem Herzen emporsteigende Wunsch, ihn mit einem saftigen Fluch zu belegen.

Ich weiß nur zu gut, dass es sich nicht lohnt, wegen eines Mannes den Kopf zu verlieren. Genau das ist gleichzeitig das Deprimierende. Ich weiß es. Remus Lupin in höchsteigener Person hat mich gelehrt, dass eine Frau all ihre Sinne beisammen halten muss, sobald es um die männliche Gattung geht, weil sie sich anderenfalls schwere seelische Verletzungen zuziehen kann. Noch hat er mich nicht wieder verletzt – jedenfalls nicht schwer – aber ich bin so verdammt knapp davor gewesen, wieder einen gravierenden Fehler zu begehen. Und der Gedanke, dass ich tatsächlich so gutgläubig – ach Blödsinn – so dämlich bin, ärgert mich gewaltig.

Verflucht noch mal, warum hat er sich nicht wenigstens per Kamin bei mir gemeldet?

Ich vertreibe mir die Zeit am Frühstückstisch damit, fantasievolle Verwünschungen zu erfinden, die ich ihm auf den Hals jagen könnte. Am besten gefällt mir der Fluch, mit dem ich ihm eine ganz besondere Art von Gliederschwäche anhexen könnte. Hah! Wenn sich sein Joystick erst in eine melancholische Nudel verwandelt, wird er schon sehen, wie viele Frauen ihn noch anschmachten!

Andererseits reagiere ich ja möglicherweise zu heftig. Ein einziger Kuss macht schließlich noch keine Beziehung. Ich kann also keinerlei Ansprüche auf ihn, seine Zeit oder seine Erektionen geltend machen.

Von wegen.

Also gut. Soviel zur Logik. Offenbar muss ich meinem Instinkt vertrauen, weil kaum Raum für etwas anderes bleibt. Meine Gefühle Remus gegenüber sprengen jede Norm und setzen sich gleichzeitig aus Zorn und Leidenschaft zusammen. Er kann mich schneller und heftiger in Rage bringen als jeder andere Mensch in meinem Leben.

Und auch mit der Annahme, wenn er mich küsst, werden wir beide irgendwann nackt enden, hat er voll ins Schwarze getroffen. Hätte er sich einen besseren Schauplatz ausgesucht, hätten wir nicht in diesem Gewächshaus gestanden, wo jeden Augenblick ein Pulk Schüler hätte hereinplatzen können, dann wäre ich nicht mehr rechtzeitig zur Besinnung gekommen, um ihm Einhalt zu gebieten.

Was guckt ihr denn so? Ich bin eine ehrliche Frau, ich gestehe meine Schwächen ein! Na gut, zumindest gelegentlich ...

Und nachdem ich mir das eingestanden habe, ist mir klar, dass mir genau zwei Möglichkeiten bleiben. Entweder ich ziehe den Schwanz ein, - halt Gedanken, jetzt wird nicht abgeschweift, hier geht es um ernste Dinge - was mein erster Impuls gewesen ist, oder ich kann ihm eine Lektion erteilen ... eine Lektion, nicht auf meinen Gefühlen herumzutrampen, verdammt noch mal! Wenn es etwas gibt, auf dem niemand herumtrampeln darf, dann sind das meine Gefühle. Aber Remus ... für Remus lohnt sich ein Kampf. Fall er außer mir noch andere Frauen im Kopf – und im Bett – hat, dann werde ich meine Rivalinnen einfach aus dem Feld schlagen müssen.

Und anschließend werde ich ihn für meine Mühen bezahlen lassen, jawohl, das werde ich!

So, jetzt geht es mir schon besser! Ich habe mich zum Handeln entschlossen!

Ich springe vom Tisch auf, ignoriere die nervösen Blicke, mit denen meine geschätzten Lehrerkollegen das zerbröselte Brötchen und den grausam zerstückelten Schinken auf meinem Teller bedenken, und stürme aus der Großen Halle, weil der Unterricht in wenigen Minuten beginnen wird.

Hah, Remus J. Lupin, nimm dich in Acht! Denn Alex Vector ist auf dem Kriegspfad. Und Gefangene werden nicht gemacht.

Und wenn Murphy, dieses verdammte irische Arschloch, mir noch ein einziges Mal in die Quere kommt, dann ist dieser Bastard tot!

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Kommentar meiner Beta-Leserin BineBlack: Ich habe da ein wunderbares Haggis-Rezept für Murphy. Wir wollen ihn schließlich auch im Tod nicht entwurzeln, nicht wahr … (Zwinker!)