Es war inzwischen Nacht geworden, als sich Arwen den Grenzen ihrer Heimat näherte. Sie hatte wieder einmal ein paar Monate bei ihren Großeltern in Lorien verbracht und freute sich einfach darauf, ihren Vater und ihre Brüder wiederzusehen. Auch wenn ersterer sie überhaupt erst weggeschickt hatte, und letztere sowieso nur ihre Streiche mit ihr spielen würden.

Dass sie jetzt sogar bei Nacht ritt, würde wohl ihnen allen nicht gefallen, aber sie sie hoffte, im Morgengrauen endlich zuhause zu sein. So schön Lorien auch war, so war Bruchtal in ihren Augen doch viel schöner. Außerdem schien es dort mehr Leben und Freude zu geben. In Lorien war alles einfach zu ruhig.

Sie hatte sich jetzt auf dem Rückweg auch für eine Abkürzung entschieden, die sie noch schneller nach Hause bringen sollte, auch wenn sie die Gegend nicht gut kannte. Erst recht nicht bei Nacht, aber sie vertraute ihrem Pferd, das trittsicher seinen Weg fand. Zwar kam sie nur langsam voran, war aber trotzdem immer noch schneller als auf dem normalen Weg.

Und so summte sie sogar ein leises Lied und lauschte dem Rauschen der Blätter, bis plötzlich ihr Pferd aufwieherte und strauchelte. Augenblicklich zog sie an den Zügeln, um es zurück auf sicheren Boden zu bringen, aber das Pferd war so verschreckt, dass es sich panisch aufbäumte. Arwen versuchte zwar, sich irgendwie festzuhalten, aber da sich das Pferd auch noch wild drehte und sich immer wieder aufbäumte, verlor sie irgendwann den Halt und fiel auf den Boden, nur um gleich weiter dort hinein zu fallen, wovor ihr Pferd so gescheut hatte.

Dies erwies sich als ein Loch, das gute drei Meter tief und zwei Meter breit war. Als Arwen auf den Grund dieses Loches fiel, war sie froh, dass es hier keinerlei Wurzeln oder Steine gab, an denen sie sich hätte verletzen können. So wurde ihr nur die Luft aus den Lungen getrieben, und sie lag eine Weile regungslos da, bis sie es wagen konnte, sich aufzusetzen.

Trotz Dunkelheit konnte sie erkennen, dass die Wände viel zu glatt waren, um daran irgendwie hinauf zu klettern. Außerdem schmerzte ihr linker Fuß, was das Ganze auch nicht gerade leichter machte. Sie konnte ihn noch bewegen, also war er nicht gebrochen, aber beanspruchen konnte sie ihn auch nicht.

Sie war hier wohl gefangen. Ihr Pferd sah zwar jetzt besorgt zu ihr hinab, aber sie konnte ihm auch nur befehlen, allein nach Hause zu gehen und Hilfe zu holen. Diese würde einige Stunden auf sich warten lassen, aber sie würde ganz sicher kommen. Und damit auch der Ärger mit ihrem Vater.

Aber es dauerte nur eine Stunde, bis sie wieder die Hufe eines Pferdes hören konnte. Es kam langsam näher, aber es waren keine Rufe nach ihr, sondern nur leises Singen zu hören. Also war dies nicht ihr Vater oder einer ihrer Brüder? Aber es war ein Elb, das konnte sie an dem Lied hören.

"Hey! Ich bin hier unten!" rief sie so laut sie konnte. "Passt auf, dass ihr nicht auch noch in dieser Falle landet!"

Sofort verstummte der Hufschlag, und für ein paar Sekunden wurde es sehr still. Dann konnte sie hören, wie jemand vom Pferd stieg und näher kam. Noch immer wusste sie nicht, wer dies war, und so zog sie ihren kleinen Dolch, um sich wenigstens etwas wehren zu können, sollte derjenige keine guten Absichten haben. Zwar war sie sich ziemlich sicher, dass es ein Elb war, aber sie hatte in ihrem relativ kurzem Leben schon einige Überraschungen erlebt.

Kurz darauf erschien der Kopf eines Elben über ihr, aber trotzdem zuckte sie kurz zusammen, da seine Schritte noch nicht so nah geklungen hatten. Er musterte sie eine Weile, während sie sich ihn genauer ansah. In dem spärlichen Licht konnte sie erkennen, dass er blond war und blaue Augen hatte, und außerdem ihr vollkommen unbekannt war.

"Seid ihr verletzt?" Die sanfte Stimme überzeugte sie sofort, dass er nichts Böses im Schilde führte, und so ließ sie ihren Dolch wieder verschwinden.

"Mein Fuß ist verletzt. Ich brauche eure Hilfe", antwortete sie und versuchte, auf die Beine zu kommen. Er verschwand derweil wieder und kam dann mit einem Seil zurück, dessen Ende er zu ihr hinunter warf.

"Bindet es euch um die Hüfte und stützt euch mit dem gesunden Fuß ab. Ich ziehe euch hinauf." Arwen nickte dazu, band sich mit zittrigen Fingern das Seil um und machte sich dann daran, sich irgendwie mit dem Fuß gegen die Wand zu stemmen, während der unbekannte Elb sie hinauf zog. Zum Glück achtete er genau darauf, dass er nicht zu schnell oder zu langsam zog, und so fand sie sich bald in seinen Armen wieder, bevor er sie behutsam auf den Boden setzte.

"Darf ich fragen, wie ihr da hinein geraten seid?" fragte er leise und befreite ihren Fuß sacht von dem Stiefeln. Trotzdem zuckte sie kurz wegen der Schmerzen zusammen, aber ließ sich sonst nichts anmerken. Außerdem war sie viel zu beschäftigt damit, ihrem Retter zu beobachten. Und ihr lagen auch viele Fragen auf der Zunge. Wo kam er her? Wo wollte er hin? Wieso war er gerade jetzt hier?

"Wir haben das Loch nicht gesehen", antwortete sie jedoch und hielt ihre Fragen noch zurück. "Mein Pferd konnte sich retten und ist jetzt wohl auf dem Weg nach Bruchtal, um Hilfe zu holen."

Sie wartete auf eine Erwiderung, einen Hinweis, ob er von dort war oder dorthin wollte, aber er nickte nur, untersuchte den Fuß und riss einen Fetzen aus seiner Tunika, um diesen um den Fuß zu wickeln. Dabei ging er erstaunlich vorsichtig zu Werke. Auch ihr Vater hätte dies nicht schmerzfreier schaffen können.

"Der Fuß ist nicht gebrochen. Nur verstaucht, aber schonen solltet ihr ihn trotzdem." Seine Untersuchung bestätigte ihre Vermutung, und nun war sie es, die nur nickte. Er schien nicht viel reden zu wollen, aber war dafür umso vertrauter mit solchen Situationen, wie es ihr schien. Es dauerte nicht lange, bis er Holz gesammelt und ein Lagerfeuer entfacht hatte. Er würde bleiben, bis die Hilfe aus Bruchtal kam, dessen war sie sich sicher.

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Die nächsten Minuten verstrichen schweigend. Arwen war es ein wenig peinlich, von jemand fremdes aus einem Loch befreit zu werden, und ihr Begleiter schien allgemein recht ruhig zu sein. Er kümmerte sich um das Feuer und um ihren Fuß, aber kaum um die Kommunikation. Es war keine unangenehme Stille, aber es wurde ihr doch langsam etwas langweilig. Und der Rettungstrupp würde noch eine Weile auf sich warten lassen.

"Darf ich euer Reiseziel erfahren?" fragte sie daher, als er wieder einmal ihre Fuß versorgte. Er sah kurz auf und schenkte ihr wieder ein Lächeln, aber beendete erst seine Arbeit, bevor er sich wieder an seinen Platz setzte.

"Ich war auf dem Weg von einem alten Freund nach Lorien", antwortete er und wieder wurde sie von seiner Stimme etwas überrascht. "Ihr könnt froh sein, dass mein Freund mir diese Abkürzung verraten hat. Und ich sie auch benutzt habe, trotz der vielen Warnungen, die er ausgesprochen hat."

Er lächelte etwas mehr, und auch Arwen wurde davon angesteckt. Sein Freund schien sehr besorgt um ihn zu sein, wohl auch mehr als ihm lieb war. Dies erinnerte sie an ihren Vater, der sicherlich nicht sehr begeistert davon sein würde, sie hier zu finden. Und das nicht nur, weil sie verletzt und verloren war.

"Dann danke ich euch beiden für meine Rettung", erwiderte sie mit einem Grinsen und einer leichten Verbeugung. "Und euch besonders, da meine Familie mich nicht in diesem Loch vorfinden wird."

Daraufhin hörte sie doch tatsächlich ein kleines Lachen von ihm, das überraschend herzlich war. Es dauerte wohl eine Weile, bis man ihn genauer kennenlernte, aber was da zum Vorschein kam, war ihr sehr sympathisch. Wieviel würde sie von diesem Rätsel lösen können, bis man sie fand?

"Ihr könnt euch auf mich verlassen", sagte er leise. "Ich werde nicht verraten, wie dies passiert ist. Das ist eure Sache. Dafür dürft ihr nicht darüber reden, dass ich vorhin gesungen habe." Er lachte wieder, als sie ihn verwirrt ansah. "Glaubt mir, das ist eine lange Geschichte." Die wollte sie natürlich hören, aber auch weitere fragende Blicke und Gesten konnten ihn nicht zu weiteren Worten überreden.

Zu Worten kam sie nicht mehr, da plötzlich leiser Hufschlag zu hören war. Sofort war ihr Retter mit gespanntem Bogen auf den Beinen und zielte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Sie beide hatten die Hoffnung, dass dies die Reiter aus Bruchtal waren, aber sicher waren sie sich nicht. Deshalb zog Arwen auch wieder ihren Dolch.

So verharrten sie einige Sekunden, bis dann auch Stimmen zu hören waren. Eine davon gehörte Elrond, woraufhin Arwen aufatmete und den Dolch wieder verschwinden ließ. Sie wollte schon ihrem Retter Entwarnung geben, aber dieser hatte den Bogen schon wieder beiseite gelegt. Er hatte wohl die Elbenstimmen erkannt.

Kurz darauf tauchten drei Reiter auf, und wie erwartet waren die Reiter Arwens Vater und ihre Brüder. Ihre besorgten Gesichter hellten sich ein wenig auf, als sie sie lebend und auch relativ gesund sahen. Bei dem Anblick ihrs Begleiters waren sie überrascht, aber auch erfreut, wie sie leicht verwundert feststellte. Auch ihr Retter freute sich, und ehe sie sich versah, war sie von ihren Brüdern umringt, und fand die beiden anderen Männer in einer herzlichen Begrüßung wieder.

"Ich hatte gehofft und schon fast erwartet, dass du sie findest, Legolas", sagte ihr Vater und kam ebenfalls zu ihr hinüber, um sich ihren Fuß anzusehen. Arwen aber sah sich ihren Begleiter noch genauer an, denn auch wenn sie ihm noch nie begegnet war, so hatte sie doch schon viel von ihm gehört. Geschichten von den Abenteuern, wie er und Elrond sich kennengelernt hatten, und Geschichten von den Streichen, die ihre Brüder ihm schon gespielt hatten.

"Ich warte schon lange darauf, deine Tochter endlich kennenzulernen", erwiderte dieser und gesellte sich zu ihnen. "Allerdings wären mir andere Umstände lieber gewesen." Er lächelte erfreut, als Elrond seine Diagnose bestätigte, und kümmerte sich mal wieder um das Feuer. Arwen aber schüttelte nur den Kopf, denn sie hätte nie gedacht, dass er dieser arrogante Prinz war, den sie in ihrer Vorstellung hatte.

"Ich glaube, sie wollte dich auch schon immer mal kennenlernen", erwiderte Elrond mit einem Seitenblick zu seiner Tochter. Der darauf folgende giftige Blick wurde mit einem kurzen Lachen quittiert, was diesen Blick nur noch mehr verstärkte. Was hatte ihr Vater nur im Sinn?

Was auch immer, er schien es nicht verraten zu wollen und befahl lieber den Zwillingen, alles für die Abreise vorzubereiten. Diese machten sich sofort auf, das Lagerfeuer zu löschen und Arwens Pferd heran zu holen. Aber es war dann Legolas, der sie erst in seine Arme und dann auf das Pferd hob. Sie hatte es noch gar nicht richtig begriffen, da saß sie auch schon darauf. Auch ihr Dank kam zu spät, denn er saß schon auf seinem eigenen Reittier.

Arwen atmete tief durch und nahm mit zittrigen Händen die Zügel, und schon ritten alle los. Legolas kam wie selbstverständlich mit, auch wenn er eigentlich nach Lorien gewollt hatte. Wollte er erst wissen, dass es ihr wirklich wieder gut ging, oder wollte er jetzt das Kennenlernen nachholen? Was es auch war, Arwen war über seine Entscheidung erfreut.

Unterwegs wurde sie gefragt, was eigentlich passiert war. Sie erzählte, dass ihr Pferd gescheut hatte, und sie daher abgeworfen wurde. Was ja auch stimmte, und sie brauchte das Loch nicht zu erwähnen. Legolas sagte wie versprochen auch nichts dazu. Also würde sie auch sein Singen nicht erwähnen.