Hermine bekam kaum noch mit, wie sie Snape folgte. In ihrem Kopf fuhr irgendetwas Karussell. Sie wurde sich der Folgen und der „was-wäre-gewesen-wenn"-Folgen immer bewusster. Tränen rannen über ihr Gesicht und ab und zu schluchzte sie leise auf. Der Gedanke, alles, was ihr Wert war, verloren zu haben und fast vielleicht in Voldemorts Armen gelandet zu sein trieb ihr Übelkeit durch den Körper. Warum hatte sie nicht einige Sachen zu Hause bei ihren Eltern gelassen? Von Jahr zu Jahr wurde das Verhältnis schlechter und sie hatte sich dieses Jahr entschlossen, alles mitzunehmen um nicht in den Ferien heim zu müssen.
Snape schritt ohne ein Wort zu sagen voran, er hätte eh nicht gewusst, was er hätte sagen sollen. Die Schmerzen der Granger gingen ihm irgendwie nahe und er konnte ihre Trauer über den Verlust ihrer Habseligkeiten nachempfinden. Das liegt doch nur an diesem Seelen-Mist. korrigierte er sein Mitgefühl, doch eine ganz leise Stimme in seinem Kopf wollte ihn überzeugen, dass es nicht so war. Doch diese Stimme wollte er nicht hören, also schritt er noch schneller voran, um ihr zu entfliehen.
Vor seiner Tür musste er ein paar Augenblicke warten, bis Hermine ihn erreicht hatte. Leise murmelnd sprach er den Öffnungszauber und führte sie in seine Privaträume. Mit einem Wink des Zauberstabs stellte er seine Couch in eine Ecke, die ihm als geeignet erschien, und verzauberte das Sofa zu einem Bett. Recht schmucklos, aber es würde seine Dienste tun.
Apathisch schien Hermine auf das Bett zu starren, ihre Umgebung war leer. Ohne ein Wort zu sagen legte sie sich in das Bett, drehte Snape den Rücken zu und schloss die Augen.
Dem Professor lag eine bissige Bemerkung auf der Zunge, aber seine Stimmbänder versagten ihm. Er konnte dieses arme Geschöpf jetzt nicht noch malträtieren.
Leise zog er sich in sein Schlafzimmer zurück und legte sich in voller Montur auf sein Bett, die Arme unter seinem Kopf verschränkt.
Eine tiefe Trauer durchzog ihn und er konnte nicht umhin, leise aufzuseufzen.
Was war da heute Abend passiert. Snape ging alle Ereignisse in Gedanken noch einmal durch. Aber so richtig konzentrieren konnte er sich nicht. Noch immer hörte er das leise Schluchzen von Hermine. Entnervt legte er einen Bann über sein Schlafzimmer um alle Geräusche von außen, wie auch von innen, zu isolieren. Doch das leise Weinen war noch da. Erst jetzt erkannte er, dass er dieses Geräusch nur in seinem Kopf hörte.
Dies machte ihm Sorgen, denn dieses eine Buch sagte aus, dass eine solche Verbindung der Seelen plötzlich auftrat und dass sie sich schnell so rasch verstärkte, dass es den Betroffenen möglich war lautlos zu kommunizieren. Das hatte er Hermine verheimlicht, denn er wollte ihr noch nicht noch mehr Sorgen bereiten. Sie hatte genug mit der jetzigen Situation zu kämpfen.
Aber auch Hermine war es nicht entgangen, dass die „Hochzeit der Seelen" (so nannte es dieser Autor) abgeschlossen war. Wenn sie nun wollte, konnte sie jeden Gedanken von Snape lesen. Aber sie konnte es auch für Gewisse Zeit abstellen. Unruhig wälzte sie sich hin und her. Ihre Tränen wollten nicht aufhören, doch sie merkte, dass sie es leid war. Es nützt doch eh nichts, du kannst mit deinen Geheule nichts ändern, NICHTS! Doch anstatt sich zu beruhigen, schossen ihr immer wieder neue Tränen in die Augen.
Snape hatte den Bann wieder von seinen Räumen genommen, es hatte keinen Sinn, seine Kraft zu verbrauchen. Er hörte sowieso alles.
Über das leise Wimmern wurde er müde und sank in einen unruhigen Schlaf.
Er konnte nicht sagen, ob nur Sekunden vergangen waren, oder schon Stunden, als ihn eine leise Stimme weckte.
-Professor?-
Es war keine Stimme, sondern ehre ein Gedanke, wie er feststellen musste, als niemand in seinem Raum stand.
-Mhh?- dachte er.
-Professor, es tut mir leid, dass ich Sie störe, aber ich kann nicht schlafen. Stört es Sie, wenn ich etwas in Ihrer Bibliothek stöbere?-
Er lachte kurz auf. Selbst jetzt kommt sie von den Büchern nicht los.
-Tun Sie sich keinen Zwang an, Miss Granger. Ich habe übrigens neben dem Kamin Wasser stehen, sollten Sie durstig sein.-
-Dankeschön!-
Nach wenigen Minuten spürte er, wie sie ruhiger wurde. Es beruhigte ihn. Und doch kam er nicht umhin zu grübeln, warum er so nett zu ihr war. Seelen können nicht böse sein, Seelen sind zart, es gibt keine harten Worte. Das wiederum stand auch in dem Buch.
Ein leises Summen tauchte in seinem Kopf auf. Es dauerte etwas, bis er erkannte, dass es Hermine war, die eine Melodie vor sich her summte. Da schoss ihm ein Gedanke wie ein Blitz durch den Kopf. Schnell stand er auf und betrat leise die Bibliothek. Da saß sie auf dem Fensterbrett im Licht des Vollmonds und las. Bezaubernd schön.
„Miss Granger?" er wartete keine Antwort ab. „Ich möchte Ihnen etwas zeigen, kommen Sie mit."
Verdutzt schaute sie auf, aber folgte ihm ohne ein Wort. Vor einem Wandteppich blieb Snape stehen und wandte sich zu ihr um. „Sollten Sie irgendjemandem hiervon erzählen, mache ich Sie einen Kopf kürzer, verstanden?" So hart wollte er nicht klingen, aber sie sah ihm neugierig in die Augen und nickte. Der Teppich verschwand und eine Tür kam zum Vorschein. Er öffnete Hermine und lies sie vortreten. Ihr stockte der Atem. In diesem etwa 10 mal 10 Meter großem Raum stand ein Flügel. Rundherum an den Wänden waren Kerzen und deren Licht spiegelte sich sanft in dem klaren Lack des Klaviers.
Fragend schaute sie Snape an. „Nun, ich dachte, vielleicht haben Sie Lust etwas zu spielen. Ich nehme an, Sie können Klavier spielen, Miss Granger?" Wieder nur ein Nicken. Langsam trat sie auf den Flügel zu und setzte sich vor ihm auf den Hocker. Snape stand immer noch in der Tür.
„Sie können gern hier bleiben, wenn Sie möchten, Professor." Ohne ein Wort setzte er sich hinter sie auf eine Couch.
Hermine atmete tief durch und begann zu spielen. Kein Lied was sie je gekannt hätte, sie lies einfach ihren Gefühlen freien Lauf und formte daraus eine Melodie. Eine sehr traurige Weise drang hervor, sehr leise, aber trotzdem stark. Ihre sanften Finger berührten die Tasten nur schwach, aber zu mehr war sie nicht im Stande. Dankbar schloss sie die Augen und genoss die innere Ruhe, die ihr das Spiel brachte. Woher hat er das gewusst?
Snape saß hinter ihr und betrachtete ihren Rücken. Sie hatte sich merklich aufgerichtet und er spürte ihre Zufriedenheit und Dankbarkeit über dieses kleine „Geschenk". Die Melodie drang zuerst in sein Ohr, dann in sein Gehirn und zu guter Letzt in sein Herz. Diese Melancholie kannte er nur allzu gut. Stunden hatte er an diesem Flügel zugebracht, wenn ihn seine Trauer übermannte. Stunden, die sein Leben wieder, und wenn auch nur für Kurz, zurechtgerückt hatten. Er spürte ihren tiefsitzenden Schmerz, war sie etwa auch so einsam wie er? Zumindest in diesem Moment schien sie es zu sein.
Stille Tränen rollten über seine Wange.
