Kapitel 4
Professor Snape

Seit dem Abschiedsessen waren mehrere Monate vergangen und nur ein paar Wochen, seit der Direktor ihn gebeten hatte, Ms Granger beizubringen, wie man den Wolfsbanntrank herstellte, aber für Professor Severus Snape fühlte es sich viel, viel länger an. Vorher hatte sie für ihn nur in der Peripherie existiert und war nur gelegentlich in seinen Gedanken aufgetaucht, und dann auch nur, weil Potter sie in irgendeine Art von Ärger hineingezogen hatte.

Aber jetzt stellte er fest, daß er nicht aufhören konnte, an sie und diesen scheußlich zuckersüßen Spitznamen, den sie ihm verliehen hatte, zu denken. Sie hatten eine Unterhaltung geführt, die eigentlich alles hätte klären sollen, und für sie war das wahrscheinlich auch der Fall. Sie hatte sich wie eine reife Erwachsene verhalten, sich entschuldigt und alles erklärt. Ein unausgesprochener Waffenstillstand war erklärt.

Aber jedesmal wenn sie ihn jetzt „Severus" nannte, erstarrte er vor Erwartung und Furcht. Würde es ihr dieses Mal rausrutschen? Er konnte an dem kaum wahrnehmbaren Hochzucken ihrer Lippen und dem kleinen Funkeln in ihren Augen erkennen, daß sie zwar seine Drohung über das laute Aussprechen des Namens erstgenommen hatte, aber immer noch an diesen Namen dachte. Er war sich sicher, daß Hermine Granger ihn im Geiste immer noch „Sevie" nannte.

Und es machte ihn wahnsinnig.

Er wünschte, Albus hätte sich nie die Vornamenzeremonie ausgedacht. Er wünschte, daß sie immer noch Ms Granger wäre und er dazu zurückkehren könnte, ganztags Professor Snape zu sein. Nachdem sie einige Tage zusammen gebraut hatten, hatte er vorgeschlagen, sie sollten sich einfach mit ihren Nachnamen ansprechen. Es hatte ihn wie ein Blitzschlag getroffen, die perfekte Lösung für sein Problem. Sie konnte Granger sein, und er würde Snape sein - kein Titel, aber auch keine Möglichkeit für „Sevie". Der Plan hatte ihr nicht zugesagt.

„Wenn es das ist, was Sie bevorzugen", hatte sie nur verdrießlich gesagt, wobei der Ausdruck auf ihrem Gesicht ihm deutlich zu verstehen gegeben hatte, daß sie es jedenfalls nicht bevorzugte.

„Vergessen Sie's", hatte er geschnappt. „Nennen Sie mich, wie Sie wollen." Sie hatte schelmisch gelächelt.

„In vernünftigem Rahmen", hatte er gewarnt.

„Also kein „Sevie"?"

„Ganz sicher nicht", hatte er schnippisch geantwortet.

„Oder „Sevielein"?"

„Wollen Sie, daß ich mich übergebe, Ms Granger?"

„Was ist mit „Profi-Lehrmeister für Tränkekunde"?"

„Der ist nicht schlecht."

Er konnte kaum glauben, daß er einfach nur dastand, während sie sich mehr und mehr grauenvolle Namen für ihn ausdachte. Es bewies nur, daß das Mädchen einen verzaubernden Einfluß auf ihn hatte. Jeder andere, der es gewagt hätte, ihn „Sevie" zu nennen oder - da sei Gott vor - „Sevielein", hätte es bitter bereut. Aber obwohl seine Zauberstabhand juckte, sie für ihre wiederholte und offene Zurschaustellung von Respektlosigkeit gründlich zu verhexen, tat er es nicht. Vielleicht kam es daher, daß er tief im Innern wußte, daß ihre Neckereien nicht aus Bosheit entsprangen, sondern aus Zuneigung, wie fehlgeleitet auch immer.

„Ich könnte sie „Pro.Le.T" abkürzen", sagte sie kichernd.

„Ihr Humor ist entschieden unbedarft und kindisch, Granger", knurrte er.

„Verzeihung, Sir", sagte sie beschämt, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Arbeit zuwandte. Endlich, der Respekt, den er wollte, aber gleichzeitig störte es ihn. Sie nannte ihn immer noch von Zeit zu Zeit Professor, und das beruhigte und ängstigte ihn zugleich. Es versicherte ihm, daß er tatsächlich noch immer in der Lage war, Leuten wie Hermine Granger Furcht und Respekt einzuflößen, aber der unangenehme Stich, den er verspürte, wenn sie ihn mit seinem angemessenen Titel ansprach, brachte ihn vor Angst um den Verstand. Es war, als wäre allein durch das Aussprechen des Wortes „Professor" zwischen ihnen eine Wand errichtet, und das bißchen Kameradschaft und Vertrautheit, das sie geschaffen hatten, während er sie lehrte, Lupins Trank herzustellen, verschwand. Er hatte in seinem Leben nie viel gehabt, was Freundschaft ähnelte, und er wollte das wenige, was er hatte, ungern verlieren, nicht einmal dann, wenn es jemanden wie Granger betraf.

Zuerst hatte er gedacht, daß Sie sich bei der Vornamenzeremonie lediglich über ihn lustig gemacht hatte, daß irgend jemand (wahrscheinlich ihre Freunde Potter und Weasley) sie dazu herausgefordert hatte. Es war nicht das erste Mal gewesen, daß jemand beim Abschiedsessen die Gelegenheit ergriffen hatte, ihm endlich zu sagen, was er von seinen Lehrmethoden oder von ihm als Person hielt. Die meisten waren bei ihren Anschuldigungen ziemlich unoriginell gewesen, und er hatte bei dieser Sorte als letzter gelacht, wenn er sie unauffällig verhexte, damit sie stolperten, wenn sie durch die Große Halle stolzierten, aufgeplustert in dem Glauben, erwachsen zu sein. Es amüsierte ihn zutiefst zuzusehen, wie sie auf die Nase fielen und ihr erster Versuch, sich wie den reifen Erwachsenen um sie herum ebenbürtig zu verhalten, erbärmlich scheiterte. Es war ein Trost, wenn auch ein kleiner.

Aber Hermine, Ms Granger, oder nur Granger, wie auch immer er sie jetzt nennen sollte, war anders gewesen. Sie war mit erhobenem Kopf auf ihn zugekommen. Sie hatte ihm ihre Hand angeboten und ihm dafür gedankt, daß er sie unterrichtet hatte. Sie hatte sich - anders als jeder andere Schüler, den er je gehabt hatte - so erwachsen verhalten, wie er vorgeben sollte, daß seine Schüler waren. Bis sie ihn mit diesem Namen angesprochen hatte.

Er hatte Hemmungen gehabt, als Albus ihn gebeten hatte, ihr die fortgeschritteneren Zaubertränke beizubringen, die der Orden verlangte, aber er hatte es sich anders überlegt, als der Direktor ihn darauf hingewiesen hatte, daß er nicht viel zu tun hatte, außer am Grimmauld-Platz Nr. 12 herumzuhängen, seit er als Spion enttarnt worden war. Sogar jemand wie Granger war bessere Gesellschaft als dieser unerträgliche Vogel, Seidenschnabel, oder Molly Weasley, die die fixe Idee hatte, daß sie ihn „aufmuntern" oder ihm wenigstens zu mehr „Fleisch auf den Knochen" verhelfen könnte. Keine seiner höhnischen und abfälligen Bemerkungen hatte ihre Bemühungen abwehren können, und wenn er ehrlich zu sich war, dann mußte er zugeben, daß er sich vor dieser Frau einfach nur fürchtete.

Es dauerte bis zur dritten Woche, in der sie zusammenarbeiteten, daß Severus vor sich selbst zugab, daß er vielleicht etwas mehr für die junge Frau empfand, mit der er arbeitete. Ihre Hand hatte seine gestreift, als sie nach einer Zutat auf der anderen Seite des Tisches griff. Solche Dinge passierten eben, besonders wenn zwei Leute gezwungen waren, auf so engem Raum zu arbeiten, wie er Severus und Hermine im Hauptquartier zugewiesen worden war, aber er bemerkte, daß er es bemerkte.

„Alles in Ordnung?" fragte sie, anscheinend besorgt wegen des seltsamen Ausdrucks auf seinem Gesicht.

„Bestens", schnappte er. „Aber seien Sie vorsichtig. Wenn ich ein Messer gehalten oder Zutaten hinzugefügt hätte, hätten Sie einen Unfall verursachen können."

„Tut mir leid", sagte sie. Sie klang verärgert, und er fragte sich, ob sie das in Gedanken nicht mit einem „Sevie" unterstrichen hatte. Er war zu lange Spion gewesen, er wurde langsam paranoid.

Aber von nun an bemerkte er es jedesmal, wenn er sie berührte. Er konnte ihre Gegenwart spüren, es war kälter, wenn sie nicht da war. Wenn er etwas sagte, das potentiell ihre Gefühle verletzen konnte, sorgte er sich, daß er sie vielleicht gegen sich aufbrachte. Und es störte ihn, daß ihn das störte.

Warum ausgerechnet sie? Warum konnte er nicht jemanden mögen wie...? Aber ihm fiel niemand ein. Wieso nicht sie? Hermine war ein kluges Mädchen. Ihre Zeugnisse aus Hogwarts hatten das bewiesen. Sie war keinesfalls von ihm eingeschüchtert - ihre mutigen Worte beim Abschiedsessen hatten ihm das demonstriert - und als er beobachtete, wie sie über ihren Kessel gebeugt dastand, erkannte er, daß sie eine besondere Art von Schönheit besaß. All die Klischees, die man ihm als Kind erzählt hatte, gingen ihm durch den Kopf: „Schönheit liegt im Auge des Betrachters" und „Beurteile etwas nicht nur nach Äußerlichkeiten".

Wenn man nur nach ihrem Aussehen ging, würde man sie vielleicht nicht einmal hübsch nennen, aber wenn man ihren Mut, ihre Entschlossenheit und ihren Intellekt bedachte, verwandelte das ihr krauses Haar, ihre Stupsnase und die etwas zu großen Zähne in etwas, das sich zu studieren lohnte. Er nahm an, daß es bei ihm genau im Gegenteil war. Sein riesiger Zinken von einer Nase, schief von zu häufigen Brüchen, seine gelben Zähne, die fahle Haut und die fettigen Haare wurden durch seinen reizbaren Charakter nur noch schlimmer gemacht.

„Kommen Sie mit", wies er sie einige Tage später an. Er hatte genug von der psychischen Folter. Er mußte dem so schnell wie möglich ein Ende machen. Wenn er ihr zeigen könnte, daß dieses idiotische Spiel, das sie gespielt hatte, nicht mehr als das war, vielleicht könnte er dann auch sich selbst überzeugen und endlich Frieden finden.

„Aber wohin gehen wir?" keuchte sie, als er seine Hand fest um ihren Arm schloß und sie mit sich in den Kamin zerrte. Es war gerade so genug Platz für sie beide, und sie mußte sich gegen ihn drücken, um zu vermeiden, sich den Kopf zu stoßen.

„Das Haus der Browns", sagte er, sowohl als Antwort auf ihre Frage als auch, um den Kamin zu aktivieren, als er ein wenig Pulver hineinwarf.


Anmerkung:

Das Wortspiel in der Mitte hat mir einige Schwierigkeiten gemacht. Es war im Original ein bißchen anders, aber wörtlich ließ es sich natürlich nicht übersetzen, daher hab ich es jetzt abgewandelt. Für andere Vorschläge bin ich jederzeit offen. Ich hatte erst noch ein paar andere Varianten in Betracht gezogen, bei denen dann andere Abkürzungen rausgekommen wären, aber die klangen irgendwie etwas gestelzt.

Falls sich jemand dafür interessiert, wie es eigentlich wirklich heißt, hab ich das Original hier angefügt:

"Or Seviekins?”

"Are you trying to make me vomit, Miss Granger?”

"What about Potions Professional?”

"That one isn’t so bad.”

"I could call you P.P. for short,” she said with a giggle.