Kapitel 5
Severus
Sie kamen in einem Gewirr aus grünen Flammen und Ruß bei Lavender Brown zu Hause an. Immer noch Hermines Hand gepackt haltend zog Severus sie aus dem Kamin in ein düsteres Wohnzimmer mit einem olivfarbenen Diwan, passenden Stühlen und einem antiken Kaffeetisch, der mit verschiedenen Ausgaben der Hexenwoche bedeckt war. Es war eindeutig das Heim von durchschnittlichen Mittelklasse-Zauberern.
„Professor Snape!" rief Lavender, offensichtlich erstaunt, ihn aus ihrem Feuerrost auftauchen zu sehen. „Was machen Sie hier?"
Es war nicht die höflichste Art, einen Gast zu begrüßen, aber andererseits hatte sie ihn auch nicht eingeladen, er war eingedrungen. Sie hatte vermutlich erwartet (und sehr wahrscheinlich gehofft), ihn nie wieder zu sehen.
„Ich will, daß Sie mir das idiotische Spiel beibringen, daß Sie Ms Granger letzten Winter gezeigt haben", sagte er brüsk. Ihr Mund klappte auf. Er folgte ihrem Blick von seinem Gesicht zu der Hand, die immer noch Hermines festhielt, und von dort um ihn herum und hinter ihn, wo sich Granger anscheinend versteckte. Mit einer einzigen fließenden Bewegung zog er sie nach vorn und ließ ihre Hand los, ein wenig peinlich berührt, daß er sie so lange gehalten hatte.
„Du hast es ihm erzählt?" fragte Lavender das Mädchen ungläubig. Prompt kroch Röte über Hermines Wangen, und ihre Augen schossen von Lavender zu ihm und dann zu Boden. Es kümmerte ihn nicht, ob es ihr peinlich war, er war entschlossen, Seelenfrieden zu finden, was diese ganze lächerliche Situation betraf.
„Das war nicht meine Absicht", protestierte sie. „Es ist einfach... passiert."
„Das Spiel, Ms Brown", brummte er. Lavender blickte wieder ihn an, und ihr Ausdruck wandelte sich von ungläubig zu eingeschüchtert.
„Natürlich", stammelte sie. „Setzen Sie sich. Ich geh' und hol' einen Stift und Papier."
Er setzte sich und wippte ungeduldig mit dem Fuß, während Granger stehenblieb.
„Severus, ist das wirklich notwendig?" Sie legte besondere Betonung auf seinen Namen, wie um zu bestätigen, daß sie beide Erwachsene waren, die wohl kaum ein Spiel brauchten, das ihnen ihre Zukunft vorhersagte.
„Glauben Sie, ich hätte Sie hierher geschleift, wenn ich nicht für nötig hielte, Hermine?" schnappte er. Sie warteten in unangenehmer Stille, bis Lavender Augenblicke später mit einer Feder und einer Rolle Pergament in der Hand zurückkehrte. Sie setzte sich aufs Sofa und begann, ihn mit ernsthafter Pose zu befragen.
„Sie fangen damit an, daß Sie sechs Mädchen auswählen... Ich meine, sechs Frauen."
„Sechs!"
„Frauen, die Sie heiraten könnten", erklärte Lavender.
„Offen gesagt fällt mir nicht eine Frau ein, die ich heiraten würde. Es fällt mir schon schwer, auf drei Frauen zu kommen, mit denen ich länger als fünf Minuten reden kann, ohne daß ich sie verhexen will", antwortete er bissig.
„Ähm, na gut..." Lavender sah nervös zu Granger hinüber. „Hermine natürlich, also noch fünf weitere."
„Gibt es keine Möglichkeit, Single zu bleiben?" murrte er.
„Schreib einfach mich auf und fünfmal „einsamer Mistkerl", Lavender", erwiderte Hermine schnippisch. Er erkannte, daß er bei seinen Bestrebungen, sie aus seinen Gedanken zu verbannen, möglicherweise ihre Gefühle verletzt haben könnte. Er beschloß, direkt zu Albus zu gehen, wenn er wieder zu Hause war, und ihm mitzuteilen, daß er nicht in der Lage sein würde, weiterhin Tränke für den Orden zu brauen, wenn Granger darauf bestand, anwesend zu sein. Nach alldem würde sie mit Sicherheit unerträglich sein.
„Und jetzt wählt man sechs beliebige Zahlen", sagte Lavender. Widerstrebend nannte er ihr die Zahlen, die er irgendwo zwischen Null und Achtunddreißig gewählt hatte. Er sah zu, wie das Mädchen vor sich hin zu murmeln begann und beliebige Zahlen und Namen durchstrich, die sie gerade aufgeschrieben hatte. Oben drüber standen ebenfalls Buchstaben, die das Wort „WAHR" ergaben.
„Was ist das alles?" knurrte er.
„Na ja, die Zahlen stehen für die mögliche Anzahl Kinder, die Sie haben werden, und die Buchstaben für die Art Behausung, in der Sie wohnen werden", erläuterte Lavender und zeigte ihm das Pergament. Er sah sie verdattert an.
„W steht für Wohnung, A für Anwesen, H für Hütte und R für Reihenhaus." Er nickte zum Zeichen, daß er verstand. Dieses Spiel war eine Farce. Es war vollkommen lachhaft, aber auf der anderen Seite hatte er all seine Hoffnung darauf gesetzt. Er wünschte sich mit gleicher Inbrunst, daß „einsamer Mistkerl" herauskommen würde, wie er sich wünschte, daß das Ergebnis „Hermine" lauten würde.
„Aber was, wenn er auf einer Zahl außer Null landet, aber keine Frau hat?" fragte Hermine." Er grinste spöttisch-überheblich über ihre Unschuld.
„Vielleicht gelingt es mir ja von Zeit zu Zeit, meine Einsamkeit zu überwinden", schnurrte er. Sie funkelte ihn wütend an.
„Zuerst müßte es Ihnen gelingen, ihr Mistkerl-Sein zu überwinden", entgegnete sie.
„Das ist möglich", sagte er, etwas verstimmt, daß sie es für ausgeschlossen hielt, daß er eine Frau ins Bett kriegen konnte. Die Tatsache, daß sie größtenteils recht hatte, machte das Ganze nur noch schlimmer.
„Achtunddreißig Mal?" fragte sie skeptisch. Er ballte die Hände zu Fäusten und starrte sie unnachgiebig an. Ihre Laune wurde immer schlechter, und je mürrischer sie wurde, desto unverschämter wurde sie. Er versetzte sich innerlich einen Tritt dafür, daß er sie im vergangenen Juni nicht verhext hatte, als sie die Kühnheit besessen hatte, ihn bei diesem gräßlichen Namen zu nennen. Hätte er damals Respekt von ihr eingefordert, dann würden sie jetzt vielleicht nicht darüber diskutieren, wie seine Chancen standen, sich in naher Zukunft fortzupflanzen.
„Ich habe das Ergebnis, falls es jemanden interessiert", schnappte Lavender. Hermine und Severus wandten sich um und sahen sie an. Er hielt den Atem an, während sie das Ergebnis vorlas.
„Laut dem hier werden Sie Hermine heiraten und mit zwei Kindern in einer Hütte leben."
„Zwei Kinder?" fragte Hermine ungehalten. „Letztes Mal waren es vier!"
„Es ist keine exakte Wissenschaft", sagte Lavender.
„Das ist Wahrsagerei selten", sagte Severus hämisch. Er dachte an die Prophezeiung, die der Orden vor einigen Jahren so angestrengt zu schützen versucht hatte, oder die, die Trelawny in Potters drittem Schuljahr gemacht hatte. Ja, sie hatten sich erfüllt, aber sie waren so undeutlich gewesen, daß es sich als fast unmöglich erwiesen hatte, herauszufinden, was sie bedeuteten, bevor es passierte. Obwohl das hier ziemlich direkt klang. Diese Ergebnisse konnte man kaum mißinterpretieren. Lavender rümpfte die Nase über seine Bemerkung.
„Damit Sie es wissen, Wahrsagen ist ein respektierter Zweig der Magie, anerkannt vom Internationalen Magier-Rat und unterrichtet an allen großen Schulen, Hogwarts eingeschlossen."
„Ja, ja, Ms Brown, ersparen Sie uns die Hetzrede." Er stand auf und riß ihr den Zettel aus den Händen. Sie sah ihn an, als wolle sie protestieren, überlegte es sich dann aber anders. Granger respektierte ihn nicht, aber Ms Brown flößte er immer noch Angst ein. Das war immerhin etwas. Davon abgesehen würde er ihr auf keinen Fall gestatten, so ein verdammtes Dokument zu behalten. Er würde es vernichten, sobald er zum Grimmauld-Platz Nr. 12 zurückkehrte.
„Wir sind dann schon weg", sagte er und ging zum Kamin.
„Danke, Lavender", sagte Hermine und sah ihn scharf an. Er winkte sie zu sich herüber.
„Kommen Sie schon, Granger, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."
„Haben Sie Lavender nichts zu sagen, Snape?" Er seufzte frustriert. Er verspürte nicht die geringsten Gefühle des Dankes gegenüber dem albernen Mädchen, in dessen Haus er eingedrungen war. Wenn überhaupt, dann hatte sie alles noch schlimmer gemacht, indem sie - noch einmal - vorhergesagt hatte, daß er Hermine Granger heiraten würde. Aber das Mädchen war bereits mürrisch und gereizt, er wollte nicht den ganzen Tag hier stehen, während sie auf das wartete, was sie ihrer Freundin gegenüber für angemessen hielt.
„Danke, Ms Brown. Ich dachte bisher, meine Zukunft würde ziemlich trostlos werden, aber dank Ihnen erscheint es mir jetzt fast attraktiv, von rachsüchtigen Todessern getötet zu werden."
Er sah sie mit einem Blick an, der besagte: „So, sind Sie jetzt glücklich?". Ihr Ausdruck aus Betretenheit, Entsetzen und Verletztheit sagte ihm, daß sie das keineswegs war, aber sie stieg dennoch zu ihm in den Kamin. Auf dem Heimweg hielt er nicht ihre Hand.
Anmerkung:
An dieses Abzählspiel erinnere ich mich dunkel aus der Schule, aber kann mir vielleicht jemand sagen, ob das einen bestimmten Namen hatte? Oder ist es einfach nur das „Abzählspiel"? Ich kam beim besten Willen nicht drauf, daher ist der Name hier improvisiert. Daß da tatsächlich ein Wort rauskam, war eher glücklicher Zufall. ;-)
Im Englischen heißt es jedenfalls „MASH", was anscheinend sowohl Brei als auch Gemisch heißen kann, das entsprechende Verb bedeutet „flirten".
