Kapitel 6
Sevie
Hermine stieg eilig aus dem Kamin, als sie wieder am Grimmauld-Platz Nr. 12 ankamen. Sie hatte die Hand an der Tür und sie geöffnet, bevor er sie aufhalten konnte.
„Wohin gehen Sie?" fragte er, während er sich den Ruß von seinem schwarzen Mantel klopfte.
„Irgendwohin, wo Sie nicht sind", sagte sie, immer noch zur Tür gewandt. Er konnte sehen, wie sich ihre Schultern heftig hoben und senkten, als hätte sie Schwierigkeiten beim Atmen. Er hätte hundert Galleonen gewettet, daß ihre Wangen rot waren und ihr Tränen in den Augen standen, aber er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Hatte der Ausflug zu Ms Brown sie derart aus der Fassung gebracht? Sie hatte sicher Monate gehabt, um sich mit der Idee zu versöhnen, daß das Schicksal sie füreinander vorgesehen hatte. Sie hatte sogar angefangen, ihn mit diesem furchtbaren Spitznamen anzusprechen. Oder quälte es sie, es noch ein zweites Mal zu sehen, eine weitere Bestätigung dafür zu erhalten, daß sie ihn heiraten und in einer Hütte leben würde?
„Gut", sagte er scharf und sah zu, wie sie ging. Er weinte vielleicht nicht, aber der Besuch bei Lavender Brown hatte ihn ebenfalls mitgenommen. Er war in der Hoffnung dorthin gegangen, seine Gedanken von Hermine zu befreien, sich davon zu überzeugen, daß das alles nichts als eine Farce war. Er hatte niemals dieses Ergebnis erwartet. Er betrachtete das Papier in seiner Hand und seufzte. Hermines Name war mit leuchtend roter Tinte eingekringelt, und Ms Brown hatte sich darüber hinaus die Freiheit genommen, kleine Herzen drumherum hinzuzufügen. Jede Linie, die ein „einsamer Mistkerl" durchstrich, verdammte ihn. Das waren also seine Wahlmöglichkeiten. Sein Leben als Junggeselle mit seinen Zaubertränken im Kerker zu verbringen oder Heirat und Kinder mit einer Schülerin, die bis vor ein paar Wochen nichts für ihn gewesen war als ein Dorn im Auge? Es war unerträglich! Er brauchte einen Drink.
ooOOoo
Stunden und eine Menge Drinks später hörte er ein leises Klopfen an der Tür. Vielleicht war es Hermine, die kam, um sich zu entschuldigen. Das wäre nett. Er hätte nicht mal etwas dagegen gehabt, wenn sie gekommen wäre, um ihm zu vergeben. Er war während dieses ganzen Debakels nicht gerade besonders höflich gewesen. Solange es nicht Molly war, die kam, um ihn aufzupäppeln, war es ihm egal. Eine Hermine mit buschigen Haaren und trockenen Augen betrat das Zimmer, ihr Rücken gerade und ein strenger Ausdruck auf dem Gesicht. Wie es aussah, war sie also nicht hier, um sich zu entschuldigen oder zu vergeben.
„Ah, ich hatte so gehofft, daß Sie es sein würden, Hermi", sagte er, etwas undeutlich.
„Sie sind betrunken", beschuldigte sie ihn und hob die inzwischen fast leere Flasche auf, die neben seinem Tisch lag.
„Und das sollte ich auch sein. Ich habe ihr lächerliches Spiel zwanzigmal am Stück gespielt, und jedesmal kam Ihr Name raus. Eine Hütte mit drei Kindern, zwei Kinder und ein Haus und - Gott bewahre - einmal eine Wohnung und acht Kinder - eins mehr als die Weasleys! Können Sie sich eine Wohnung mit acht Kindern vorstellen! Wo würden wir die unterbringen? Im Schrank?"
„Es ist nur ein Spiel, Sevie", erwiderte sie.
„Ich wußte es!" rief er.
„Was wußten Sie?"
„Ich wußte, daß Sie mich im Stillen immer noch so nennen. Sie laufen hier immer rum mit diesem boshaften Lächeln und diesem verdammten Funkeln in den Augen, und ich weiß einfach, daß Sie in Gedanken respektlos sind! Und jetzt dieses Spiel!"
„Sie müssen nicht daran glauben, wenn sie dadurch unglücklich werden", sagte sie.
Er wußte das, aber er war gerne unglücklich, es war so viel einfacher, als glücklich zu sein. Außerdem, daran zu glauben bedeutete, daß er irgendwo tief im Innern daran glaubte, daß er nicht für immer allein sein würde.
„Wenn ich mich damit abfinden kann, daß Sie mich nicht mögen, dann können Sie sich sicherlich auch damit abfinden, mich nicht zu mögen", schwafelte sie weiter. Sie hatte nicht erwähnt, daß sie ihn nicht mochte, hieß das also, daß nur seine Angst und sein Widerwille zwischen ihnen und ihrer ewigen Liebe standen?
„Warum sind Sie hier?" fragte er scharf. Zuerst war er glücklich gewesen, sie zu sehen, aber dann wollte er plötzlich nichts lieber, als sie los zu sein. Sie repräsentierte alles, was er wollte, aber nicht haben konnte, und es schmerzte im Moment zu sehr, daran erinnert zu werden.
„Ich bin gekommen, um nach dem Trank zu sehen. Er muß dreimal gegen den Uhrzeigersinn umgerührt werden..."
„Alle fünf Stunden, ich weiß." Also ehrlich! Er war hier der Tränke-Experte, nicht sie.
„Haben Sie es getan?" fragte sie.
„Nein", sagte er und stand wackelig auf.
„Dann ist es ja gut, daß ich gekommen bin", entgegnete sie frech.
Er beobachtete, wie sie den Trank umrührte und ging so leise wie möglich zu ihr hinüber. Er wollte sichergehen, daß sie es richtig machte. Er konnte sie nicht einfach hier reinplatzen lassen, als wüßte sie besser als er, wie man den Trank braute. Obwohl es gut war, daß sie es getan hatte, in seinem trunkenen Zustand hatte er die Zeit vergessen. Er plazierte seine Hände zu ihren Seiten auf dem Tisch, wodurch sie zwischen seinen Armen und dem Arbeitstisch gefangen war. Die Seiten seiner Arme streiften ihre, und verirrte Strähnen ihres Haars kitzelten seine Nase.
„Ich habe mich mit gar nichts abgefunden", flüsterte er ihr ins Ohr. Sie erstarrte und wandte sich dann zu ihm um.
„Sie riechen nach Alkohol", sagte sie und ignorierte seine Bemerkung. Bei Salazar, sie sah verführerisch aus, und bei seinem betrunkenen Zustand versagte seine höhere Vernunft. Sie war nicht länger seine Schülerin, also konnte es nicht falsch sein, sie zu küssen. Ihm war zwanzigmal gesagt worden, daß er sie eines Tages heiraten würde, und - Merlin noch mal - sie nannte ihn „Sevie"!
Er streckte die Hand aus, tippte ihr Kinn nach oben und strich seine Lippen über ihre. Als sie sich nicht losriß, vertiefte er den Kuß und ließ seine Hand um ihren Nacken gleiten. Seine andere Hand wanderte vom Tisch hinter ihnen zu ihrer Taille, um sie näher heranzuziehen. Sie schmeckte nach Erdbeeren - süß, aber auch ein wenig herb. Genau wie sie, dachte er.
„Sie schmecken auch nach Alkohol", sagte sie, als er zurückwich. Es war nicht die enthusiastische Antwort, auf die er gehofft hatte, aber bei alldem, das er getrunken hatte, hatte er das verdient.
„Willst du damit sagen, daß ich berauschend bin, Hermine?" fragte er schlagfertig.
„Hör auf, mich so zu nennen", protestierte, wenngleich sie über seinen schlechten Witz kicherte. Er mochte den Klang ihres Lachens. Es beruhigte ihn, daß er nicht nur die Macht hatte, sie zum Weinen zu bringen, sondern daß er sie auch zum Lachen bringen konnte. Sie wurde schnell wieder nüchtern, zu schnell für seinen Geschmack.
„Wirst du das hier morgen bereuen?" fragte sie nervös.
„Einiges hiervon", sagte er, als er an die leere Flasche dachte, die auf dem Tisch lag, und an die Kopfschmerzen, mit denen er morgen garantiert aufwachen würde. Sie versteifte sich in seiner Umarmung.
„Oh", erwiderte sie. Er zog sie enger an sich und schlang seine Arme fest um sie, bevor sie sich von ihm entfernen konnte.
„Ich werde ganz sicher all den Feuerwhiskey bereuen, den ich vorhin getrunken habe, aber nicht das hier." Jedenfalls jetzt noch nicht. Vielleicht später, wenn sie ihn verlassen hatte. Wenn sie - wie es unausweichlich geschehen würde - entdeckt hatte, daß sein Sarkasmus und seine unangenehme Art keine Verstellung waren, wie einige glaubten, sondern wie er in Wahrheit war. Andererseits, vielleicht würde sie das nicht.
Er hatte ihr nicht erzählt, daß er die letzten zehn Male, die er das Spiel gespielt hatte, seine eigenen Erfindungen hinzugefügt hatte. Das Spiel hatte keine Möglichkeit dafür vorgesehen, daß ein Partner den anderen verließ, also hatte er es entsprechend verändert. Aus „WAHR" war „WAHRER" geworden. E stand für „Ehescheidung" und R für „Rausschmiß". Aber als der Alkohol zu wirken begonnen hatte, hatte er sich nicht mehr entscheiden können, ob „Rausschmiß" bedeutete, daß Hermine ihn aus der Hütte hinauswarf oder daß sie sich die Hütte nicht mehr leisten konnten und zusammen mit ihren zwei bis vier Kindern rausgeworfen wurden. Er hatte „WAHRE" ausprobiert, aber das hatte nur merkwürdig ausgesehen, und „Ehescheidung" gehörte auch nicht wirklich in die Kategorie „Behausung". Also hatte er ein paar von den „Einsamer-Mistkerl"s durch „Hermine+Scheidung", „Hermine verläßt mich für einen anderen Mann" und „Hermine wirft mich raus, weil ich schnippisch war" ersetzt.
Aber zu seinem Erstaunen kam nie eins von denen raus, immer nur einfach „Hermine". Die Art der Behausung änderte sich, und die Zahl der Kinder schwankte irgendwo zwischen zwei und acht. Er hatte nach dem ersten Versuch gelernt, die Zahlen klein zu halten. So gern er auch von sich behauptet hätte, in der Lage zu sein, achtunddreißig Kinder zu zeugen, er war sicher, daß Hermine darauf bestehen würde, daß er sich an der Erziehung beteiligte, und das war etwas, wofür er nicht bereit war. Aber von alldem abgesehen landete er immer wieder bei ihr, nur ihr.
„Ich dachte, du würdest lieber von rachsüchtigen Todessern getötet werden", sagte sie. Sie schien entschlossen, das Ganze schwieriger zu machen, als es unbedingt sein mußte. Konnten sie nicht einfach beim Küssen bleiben?
„Ich glaube, meine exakten Worte waren 'fast attraktiv'", wandte er ein.
„Oh, tut mir leid, daß ich das falsch interpretiert habe", sagte sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme. Sie hatte zuviel Zeit mit ihm verbracht, sie hörte sich schon an wie er.
„Entschuldigung angenommen", sagte er und lächelte über den finsteren Blick, den sie ihm zuwarf. „Meine auch?"
Sie sah ihn ernst an, als sie in seinen Augen nach Aufrichtigkeit suchte. Was immer sie dort sah, es schien ihr zu gefallen, denn sie lächelte verschmitzt.
„Ich schätze schon", antwortete sie. „Jetzt geh und setzt dich hin, bevor du umkippst, du betrunkener Tölpel. Ich muß mich um die restlichen Tränke hier kümmern."
Er kehrte zu seinem Stuhl zurück und sah ihr beim Umrühren zu. Während er zuhörte, wie sie vor sich hin summte, fiel er langsam in einen friedlichen Schlummer.
